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Ukraine-Krieg: Die Gsoa als linker Wachthund des Imperialismus

Eingereicht on 13. April 2023 – 17:15

flo. Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur einen Bruch innerhalb der politischen Linken verursacht, sondern auch in der Friedensbewegung ist durch die Invasion Putins ein alter Konflikt neu aufgebrochen. Es kam zu Ausschlüssen vom jährlichen Ostermarsch.

Innerhalb der pazifistischen und der antimilitaristischen Bewegung in der Schweiz schwelt ein Konflikt. Die Auseinandersetzung, die vor allem zwischen der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) und der Schweizerischen Friedensbewegung (SFB) stattfindet, hat eine Vorgeschichte. Und sie bricht immer wieder auf: Während der Nato-Intervention westlicher Staaten unter Beteiligung der ehemaligen dortigen Kolonialmacht Italien in Libyen und während der heissesten Phase des Bürgerkriegs in Syrien war es bereits zu Polemiken gekommen.

Verschärfter Ton

Nachdem die Russische Föderation im Februar 2022 einen Militärschlag gegen die Ukraine begann und damit den schon seit 2014 in der Region schwelenden Konflikt eskalierte, verschärfte sich aber der Ton. Am 28.April 2022 publizierte die WoZ unter dem Titel «Putin-Freunde am Ostermarsch» einen Artikel zur damaligen raditionellen Friedensdemonstration am Ostermontag. Die Liste der Vorwürfe gegen die SFB war lang: «Russlandtreue», «Kremlpropaganda», sowie dass die der SFB nahestehende Partei der Arbeit in Bern eine Pro-Assad-Demo organisiert haben soll. Letzteres musste dann aber wieder richtiggestellt werden durch ein Korrigendum – inzwischen finden sich unter der Online-Ausgabe des Artikels zwei Korrigenda und eine Gegendarstellung. Und der Artikel belegte: Noch eine Woche vor dem Ostermarsch 2022 hatte man beim OK der Demonstration noch verlauten lassen: «Für uns kommt es nicht infrage, eine Organisation auszuschliessen.» Aber die beiden Gsoa-Kader Jo Lang und Jonas Heeb versprachen, auf den Ausschluss der SFB hinzuarbeiten. Und seither hat sich der Ton eben verschärft.

Alte Muster werden aufgewärmt

Aber sind die Mitglieder der Schweizerischen Friedensbewegung denn auch die kremltreuen Putinfreund:innen, als die sie im Rahmen solcher Polemik dargestellt werden? Für Tarek Idri, Sekretär der SFB, ist klar: «Es geht darum, eine gewisse Position auszuschalten », sagte er auf Anfrage des vorwärts. Und diese ist im Selbstverständnis der SFB-Mitglieder keinesfalls eine Pro-Putin-Position. Der Existenz einer dritten Linie  neben der Loyalität zur Nato und der Unterstützung Moskaus wird damit die Existenzberechtigung abgesprochen.

Es ist kein neues Phänomen: Wer in solchen Konflikten aus pazifistischer Motivation heraus eine konsequente Nichtbeteiligung fordert oder aus antimilitaristischen Überlegungen heraus einen unabhängigen Standpunkt im Sinne der Arbeiter:innenbewegung formuliert, steht im Verdacht, gegen die eigene Nation oder die eigene «Wertegemeinschaft» zu stehen. Wer in diesem grossen Konflikt der Blöcke nicht mitmischen will, macht sich verdächtig, im Sinne fremder Mächte zu agieren. Es sind alte Muster, die da wieder aufgewärmt werden. Namentlich versuchten etwa die deutschen Sozialdemokrat:innen 1914 den Ruf als «vaterlandsloser Gesellen» durch die Unterstützung der Kriegskredite loszuwerden.

Sanktionen als Demarkationslinie

Dabei fällt auf, wie bemüht man nach Kriterien suchen muss, um einen Ausschluss zu rechtfertigen: Unsere Anfrage an die Organisator:innen des Friedensmarsches blieb leider unbeantwortet und auf der Homepage der Veranstaltung konnten wir zum Ausschluss der SFB leider nichts finden. SFB-Sekretär Idri erzählt im Gespräch mit dem vorwärts, dass seine Organisation erst auf Nachfrage über ihren Ausschluss informiert wurde. «Als offizieller Grund wurde uns die Nicht-Unterstützung von Sanktionen angegeben, sowie ein Artikel unseres Dachverbands, des Weltfriedensrats, der noch vor Beginn des Krieges publiziert wurde.»

Wer Sanktionen gegen die russische Bevölkerung nicht mittragen will, habe am Ostermarsch nichts verloren, so auch Jo Lang in einem Interview im Tages-Anzeiger. Dabei ausgerechnet Sanktionen – ein «Mittel» zur Friedensschaffung und -Sicherung, das ohne Ausnahmen einen schlechten Leistungsausweis hat – zur Demarkationslinie für so einen Entscheid zu machen, wirkt gesucht. «Wir sehen an den Beispielen Kuba, Nicaragua und Iran, dass Sanktionen immer vor allem die ärmsten Teile der Bevölkerung treffen, und dass sie töten», erklärt Tarek Idri.

Der SFB wird zum Vorwurf gemacht, dass sie für Verhandlungen eintritt. Im März 2011 schrieb die WoZ noch zur Intervention in Libyen: «Wären die Europäer wirklich an Demokratie in Libyen interessiert, so hätten sie längst eine andere Strategie ins Auge gefasst: die diplomatische Vermittlung zwischen den verfeindeten Parteien. » Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, die WoZ deshalb in die Nähe von Muammar Gaddafi zu rücken. Als im Rahmen der US-Invasion im Irak 2003 Vermittlung und Verhandlungen gefordert wurden, wurde deshalb niemand in der Linken und in der Friedensbewegung als «Saddam-Versteher» abgekanzelt.

Bitte konsequent bleiben

Selbstverständlich kann man derart unterschiedliche Konflikte nicht gleichsetzen. Doch eines dürfte schwerfallen: Eine saubere Argumentation zu finden, dass jene politische Kräfte, die keine Sanktionen gegen die Türkei forderten, nicht auch von Friedensdemos ausgeschlossen wurden. Und zwar als das Erdogan-Regime ab 2011 immer stärker durch militärische Interventionen in Syrien eine eigene blutige Interessenpolitik durchsetze. Nach einer weiteren türkischen Eskalation findet sich in einer Erklärung der Gsoa von 2019 jedenfalls keine Forderung nach ökonomischen Sanktionen gegen Erdogan und sein Regime. Die Frage, warum verschiedene militärische Konflikte da so unterschiedlich gehandhabt werden, bleibt offen. Eine Rolle dürfte spielen, wer die Konfliktparteien sind und wie stark die öffentliche Meinung in den Dienst der Kriegsanstrengungen mobilisiert wurde – Konsequenz wird im Konflikt der Blöcke zum raren Gut.

Eingefrorener Konflikt

Die gängige Kritik an der Forderung nach Verhandlung lautet, dass diese quasi zwangsläufig zuungunsten der Ukraine ausfallen müssten. Das macht aber die Forderung nach einem Waffenstillstand und nach Verhandlungen nicht falsch: Erstens werden Verhandlungen nicht deshalb zu etwas Schlechtem, etwas Falschem, weil sie scheitern könnten. Der Versuch, Frieden zu schaffen, wird nicht unmöglich, weil der Krieg tobt – er wird überhaupt erst dann zur Option. Zweitens bedeuten Verhandlungen nicht, dass eine der beiden Seiten jede noch so heftige Konzession hinnehmen muss, damit der Frieden auch herrscht. Aber sie bedeuten den Konsens, dass es das Wichtigste wäre, wenn die Waffen ruhen, wenn nicht jeden Tag Hunderte und im schlimmsten Fall gar Tausende getötet und verstümmelt werden. Und sie bedeutet, dass man die konkrete Möglichkeit von Frieden höher wertet als die Alternativen: Die vollständige militärische Besetzung der Ukraine durch Russland (die aktuell militärisch sehr unwahrscheinlich scheint), das Führen des Krieges, bis zumindest die Führung Russlands zusammenbricht oder ein auf Jahre hin eingefrorener Konflikt.

Quelle: vorwaerts.ch… vom 13. April 2023; Titel von Redaktion maulwuerfe.ch

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