Araber in Israel
Moshe Zuckermann. Die Beteiligung der Araber an der jetzigen Protestbewegung gegen das Ansinnen der Regierungskoalition existiert fast nicht. Warum ist dem so?
Die arabischen Bürger Israels nehmen so gut wie gar nicht an den Massendemonstrationen gegen die von der Regierungskoalition initiierte “Justizreform” teil. Manche von ihnen sagen (in der Publizistik), das sei nicht ihr Protest. Die allermeisten halten sich von den Demonstrationen einfach fern. Das mag einen äußeren Beobachter verwundern, denn immerhin sind die in Israel lebenden Araber israelische Bürger. Die Realität des Landes ist doch auch ihre Realität.
Aber hier bereits stellt sich die optische Täuschung ein: Israels Araber sind zwar israelische Bürger, aber seit jeher Bürger zweiter Klasse. Dies wird zwar nicht offiziell verkündet, aber in der Realität unübersehbar praktiziert. Die israelischen Araber werden in der Ressourcenverteilung diskriminiert, ihre Bildungsinstitutionen sind oft vernachlässigt, die erworbene (höhere) Bildung verschafft ihnen weniger Arbeitsmöglichkeiten als Juden mit gleicher Bildung, sie haben nur beschränkten Zugang zu den Eliten. Die Liste des unterprivilegierenden Zugangs israelischer Regierungen den arabischen Bürgern des Landes gegenüber ließe sich noch erheblich verlängern.
In Abwehr dieser Darstellung wird angeführt, dass die in Israel lebenden Palästinenser keine Zionisten seien. Dieser Einwand ist von narzisstischer Blindheit geschlagen. Denn wer kann schon von den Palästinensern, die die von Zionisten verursachte Nakba erlitten haben, erwarten, dass sie die ideologische Identität derer übernehmen, die sie zu Opfer haben werden lassen; die israelischen Juden haben zuallermeist noch immer nicht verinnerlicht, dadd die Nachwirkungen der historischen Leiderfahrung der Palästinenser sich bis heute erhalten haben und ihre Haltung den Zionisten und dem Zionismus gegenüber prägt.
Wenn ein arabischer Fußballspieler in Israels Nationalmannschaft die Zeilen der Nationalhymne “Solange noch im Herzen / eine jüdische Seele wohnt / und nach Osten hin / ein Auge nach Zion blickt / solange ist unsere Hoffnung nicht verloren […]” bei Länderspielen nicht mitsingt, wird er im besten Fall “tolerant” schief beäugt, aber im wahrscheinlicheren Fall – mit dem richtigen Minister an maßgebender offizieller Stelle – öffentlich verurteilt. Diese Lappalie im Symbolischen ist symptomatisch für einen ideologischen Grundzustand in Israels Politik.
Denn Araber dürfen sich zwar parteilich organisieren, aber die von ihnen gegründeten Parteien sind im Parlament als mögliche Koalitionspartner tabu. Keine zionistische Partei darf es wagen, sich mit ihnen zu verbünden, ohne einen perfiden Shitstorm seitens der rechten Parteien zu riskieren. Als es die Bennett-Lapid-Regierung mit Mansur Abbas und seiner Ra’am-Partei dennoch tat, wurde ihr seitens der von Netanjahu geführten Opposition vorgehalten, das Land an “Terroristen” verkauft zu haben. Ironischerweise hatte zuvor Netanjahu selbst versucht, Abbas in seine Koalition zu locken (weil er ohne ihn nichts Regierungsfähiges zustandezubringen vermochte). Mansur Abbas ist dann herb enttäuscht worden, weil er die erhoffte Finanzierung der Belange seiner Klientel nicht bekam. Aber schon vorher hielten ihm die anderen arabischen Parteien, die mit ihm zusammen die Gemeinsame Liste gebildet hatten, vor, mit seinem Austritt aus der Liste Verrat an der arabischen Sache begangen zu haben.
Dabei muss man allerdings auch in Kauf nehmen, dass die arabischen Parteien keineswegs aus einem Holz geschnitzt sind: Die Ra’am-Partei ist ideologisch religiös ausgerichtet, während etwa Ayman Odeh der säkularen, vormals kommunistischen Partei vorsitzt. Aber das macht keinen wirklichen Unterschied für die meisten Juden Israels: Beide sind sie Araber, mithin Antizionisten und somit eine Art fünfte Kolonne in der Raison des zionistischen Staates. Das zeigte sich besonders deutlich bei Yitzhak Rabin: Selbst als er in den 1990er Jahren in den Oslo-Verträgen den historischen Ausgleich mit den Palästinensern anpeilte, galten ihm die arabischen Parteien der Knesset allesamt als nicht koalitionsfähig (wiewohl er auf deren Unterstützung “von außen” zählen durfte).
Darin manifestiert sich die tragische Dimension dieses Grundzustands. Denn wenn sich Israels Araber kollektiv organisieren und an den israelischen Wahlen ihrer realen zahlenmäßigen Stärke in der Bevölkerung beteiligen würden, könnten sie den Gamechanger in der realpolitischen Konstellation des israelischen Parteigerangels bilden. Gemeinsam könnten sie auf 13-15 Mandate kommen. Nicht von ungefähr hat Netanjahu bei einem der Wahlgängen der letzten Jahre, als es für ihn und der Likud-Partei brenzlig wurde, seine Wählerschaft rassistisch zur gesteigerten Wahlbeteiligung aufgerufen, indem er hysterisierte “die Araber strömen in großen Maßen zu den Wahlurnen”. Das Schreckgespenst der massenweise sich bewegenden Araber rührte dabei am fundamentalen jüdisch-israelischen Ressentiment den arabischen Bürgern des Landes gegenüber, demzufolge alle Araber tendenziell “Terroristen” sind und entsprechend “ein guter Araber ein toter Araber” sei, wie es früher noch hieß, und heute in variierten Formen unverhohlen Eingang in den Alltagsrassismus der Straße wie auch in die Parlamentsrhetorik gefunden hat. Es will zuweilen scheinen, als gebe es nichts, was Juden in ihrem Land kohäsiver aneinander kittet, als der blanke, stets aufs neue gespeiste Araberhass.
Wenn man also die israelischen Araber fragt, warum sie sich nicht am gegenwärtigen Protest gegen die “Justizreform” beteiligen, dann lässt sich ihre gängige Antwort so formulieren: Das ist nicht unser Protest, sondern der Protest einer Gruppe von zionistischen Juden gegen eine andere. Für uns machen beide Gruppen keinen wesentlichen Unterschied. Denn unsere Grundprobleme als Araber in Israel werden von beiden Gruppen kaum je anvisiert, geschweige denn, operativ angegangen. Vom Schicksal unserer Brüder und Schwester in den besetzten Gebieten, sowohl im okkupierten Westjordanland als auch in dem von Israel eingeschnürten Gazastreifen, ganz zu schweigen. An uns wendet ihr euch erst, wenn ihr uns zur Verfolgung eurer eigenen Interessen braucht. Unsere Nichtbeteiligung birgt also durchaus eine politische Dimension in sich. So auch das kollektive Verhalten eines Großteils der arabischen Bevölkerung des Landes, die – von wiederholten Enttäuschungen und zerplatzten Hoffnungen geprägt – in die Tragik der Indifferenz geraten ist.
#Bild: Umm al-Fahm ist die drittgrößte arabische Stadt in Israel. Bild: معتز توفيق اغبارية / CC BY-SA-3.0
Quelle: overton-magazin.de… vom 6. Mai 2023
Tags: Palästina, Rassismus, Repression, Zionismus
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