Über Anarchosyndikalismus und den Aufbau einer linken Aktionseinheit
REVOLUTION. Am 12.10.2018 veröffentlichte das Dresdner Syndikat der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU (Freie Arbeiter_Innen Union) eine Stellungnahme unter dem Titel „Warum wir nicht mit Revo zusammenarbeiten“.Die 35-Seiten zählende Kritik beginnt mit folgenden Worten: „Für die, die den Anlass dieses Statements nicht kennen: Seit ca. 2 Jahren (Anm.: eigentlich sind es schon 3 Jahre) sind verschiedene Gruppen und Strukturen in Dresden mit einer kleinen, trotzkistischen Jugendorganisation konfrontiert. Diese ist bundesweit in 8 Städten vertreten und auch international vernetzt. Sie forderte immer wieder, einen Platz in Bündnissen zu erhalten, obwohl sie von den meisten emanzipatorischen Akteur_innen in Dresden abgelehnt wurde. Mit diesem Statement hoffen wir, anhaltende und anstrengende Auseinandersetzungen um eine eventuelle Akzeptanz der Organisation inhaltlich begründet und dauerhaft zu beenden.“
Die Kritik an unserer Organisation arbeitet sich an zwei Punkten ab: 1. an unserer praktischen Bündnisarbeit. Uns wird unser Ziel, eine Einheitsfront aller linken Kräfte und der Organisationen der Arbeiter_Innenklasse gegen den Rechtsruck aufzubauen, wohlgemerkt trotz der massiven Zunahme rassistischer und faschistischer Mobilisierungen und Angriffe in Sachsen, zum Vorwurf gemacht. Ferner wird behauptet, wir würden uns durch die Mitarbeit in Bündnissen ausschließlich selbst aufbauen wollen. Um dies zu belegen, werden wider besseren Wissens falsche Informationen und Gerüchte verbreitet und uns grundsätzlich hinterhältiges taktieren und Intransparenz unterstellt.
Der zweite Punkt bezieht sich auf unser Programm selbst (An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir uns bereits vor über einem Jahr ein neues internationales Programm gegebenen haben und sich alle von der FAU zitierten Passagen auf unser altes Programm beziehen. Dieses ist zwar inhaltlich immer noch super, aber wer unsere Organisation inhaltlich-fundiert kritisieren möchte, sollte sich doch wenigstens die Mühe machen, dies auf ihrer aktuellen programmatischen Grundlage zu tun). All die Unterschiede, die zwischen einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft und einer kommunistischen Jugendorganisation selbsterklärend existieren, die unterschiedlichen Vorstellungen über den Weg zum Aufbau einer Arbeiter_Innenbewegung, über Parteien und Räte werden als Gründe mit angeführt, weshalb eine gemeinsame Bündnisarbeit mit uns unter keinen Umständen vertretbar sei. Weiterhin wird uns in Bezug auf den Nahostkonflikt ein „latenter Antisemitismus“ vorgeworfen, der durch eine abstruse Verfälschung unserer sozialistischen Position und einer widersprüchlichen Verteidigung des Zionismus „belegt“ werden soll.
Wir wollen an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen, auf die Kritik einzugehen, unsere eigenen Positionen unverfälscht darzulegen und den hinter dieser Stellungnahme stehenden Aufruf, jede „eventuelle Akzeptanz“ und Kooperation mit uns dauerhaft zu beenden, entschieden zurückweisen.
Der Rechtsruck und der Aufbau einer linken Bewegung
Chemnitz, 26.08.2018: Nachdem ein 35-jähriger mutmaßlich durch einen Menschen mit Migrationshintergrund mit einem Messer niedergestochen wurde, zieht ein Mob von über 1000 Rassist_Innen und Faschist_Innen durch die Stadt, macht Jagd auf migrantisch und links aussehende Menschen, skandiert Parolen wie „für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer“ und „wir sind die Fans von Adolf Hitler – Hooligans“. Am darauffolgenden Tag kommen bei einer Demonstration von „Pro Chemnitz“ über 5000 Rechte zusammen, unter ihnen AfD’ler, organisierte faschistische Kräfte wie der „III. Weg“ und Nazihools. Ihnen stehen gerade mal 1500 Gegendemonstrant_Innen gegenüber. Auch an diesem Tag kommt es wieder zu Hetzjagden auf Linke und Migrant_Innen, 12 vermummte Neonazis stürmen mit Eisenstangen bewaffnet ein jüdisches Restaurant und rufen „hau ab aus Deutschland, du Judensau!“. Allein innerhalb dieser beiden Tage wurden 18 Angriffe auf Migrant_Innen dokumentiert, fast so viele, wie im Vorjahr in Chemnitz insgesamt registriert wurden (20). Zum Weltfriedenstag, am 1. September, ruft die AfD zur Demonstration auf und versucht ebenfalls, den Tod des 35-jährigen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Diesem Aufruf folgen fast 10 000 Menschen, angeführt wird die Demo vom faschistischen Flügel der AfD um Höcke, dahinter Lutz Bachmann und organisierte faschistische Führungskader.
Der gesellschaftliche Rechtsruck äußert sich auch auf den Straßen – das ist uns allen, gerade hier in Sachsen, spätestens seit dem Entstehen der PEGIDA-Bewegung bewusst. Dem Erstarken der Rechten und auch der faschistischen Kräfte konnten wir als Linke in den letzten Jahren kaum etwas entgegensetzen. Wir haben es nicht geschafft, eine Gegenbewegung aufzubauen, die den Kampf gegen Rassismus und Faschismus konsequent geführt hätte, die den Rassist_Innen und Faschist_Innen die Straßen strittig und eine Perspektive gegen den Rechtsruck aufgezeigt hätte. Dies bekommen wir nun immer deutlicher auf den Straßen zu spüren: wir schaffen es nicht, faschistische Aufmärsche zu verhindern oder empfindlich zu stören, wir sind fast immer in der Unterzahl und können pogromartigen Zuständen nur zuschauen, die Hetzjagden der Nazis nicht verhindern.
Wo drückt‘s im Schuh bei der FAU?
Gerade vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Schwäche der Linken und der Defensive, in der sich die Arbeiter_Innenbewegung befindet, halten wir den vor kurzem veröffentlichten Aufruf der FAU Dresden zur Spaltung der wenigen linken Kräfte für einen schwerwiegenden politischen Fehler. Wir würden mit einem besseren Gewissen Zeit und Energie in diese Gegenstellungnahme stecken, wenn wir wüssten, dass sie sich aufgrund einer gemeinsamen Praxis im Kampf gegen den Rechtsruck auch tatsächlich lohnen würde. Durch das ultimatistische und sektiererische Verhalten der FAU jedoch, haben sie uns nun einen großen Haufen vor die Tür gekackt, den wir nun mühsam wegputzen müssen. Es ist uns auch nicht ganz klar, weshalb wir uns in diesem Schreiben für unsere Politik rechtfertigen müssen. So ist es doch eigentlich die FAU, die sich dafür rechtfertigen sollte, warum sie eine effektive antirassistische Praxis in Dresden so aktiv behindert.
Diese wäre nämlich der gemeinsame Aufbau einer linken Bewegung, die den antirassistischen und antifaschistischen Kampf mit der sozialen Frage und einer antikapitalistischen Perspektive verbindet. Eine Aktionseinheit aller linken Gruppen und der Arbeiter_Innenparteien und -Organisationen, insbesondere der Partei DIE LINKE und der Gewerkschaften, wäre imstande, dem gesellschaftlichen Rechtsruck etwas entgegenzusetzen und den Rassismus effektiv zurückzudrängen. Stattdessen zieht die FAU Dresden es vor, einen politischen Kleinkrieg gegen andere linke Gruppen zu führen, brüstet sich selbst mit Verboten und damit, uns seit nun drei Jahren schon zu bekämpfen.
So schreibt die FAU Dresden in ihrer Stellungnahme passend zu ihrem sektiererischen Verhalten: „Die von Revo beschworene Einheitsfront, wir wollen sie nicht. Sie schadet mehr, als dass sie nützt und es gibt in Dresden einen ziemlich breiten libertären Konsens darüber, wo politische Ansätze den (sicherlich alles andere als eindeutigen) Weg zur Emanzipation spätestens verlassen. Einige der Positionen von Revo sind nicht akzeptabel. Schädlich für eine breite linke Bewegung ist nicht der Ausschluss von Revo aus Bündnissen, sondern die Vehemenz, mit der Revo sich in solche Bündnisse hineinerpresst und damit viel Zeit und Energien bindet.“
Gruppen wie die unsere, die versuchen, möglichst viele linke Kräfte zusammenzuführen und in der Aktion zu bündeln und zu diesem Zweck auch in selbsternannten „offenen Bündnissen“ mitarbeiten, sind also „schädlich für eine breite (!) linke Bewegung“, und deshalb sei auch der Ausschluss solcher Gruppen folgerichtig. Hier kann unserer Meinung nach nur einer von zwei üblen Denkfehlern vorliegen: Entweder, die FAU leidet unter gnadenloser Selbstüberschätzung und glaubt, den Rechtsruck alleine stoppen zu können. Oder, und das wäre noch viel trauriger, der tatsächliche Kampf gegen den Rechtsruck auf der Straße und in unseren Städten ist ihr eigentlich gar nicht so wichtig, sondern es geht ihr im Grunde nur darum den Einfluss der eigenen Organisation auszuweiten.
Dass sich diese Stellungnahme nicht nur gegen uns, die internationale, kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION richtet, sondern gegen alle sozialistischen und marxistischen Organisationen in Gänze und die FAU Dresden für den Aufbau einer breiten linken Bewegung nur mit anarchistischen Gruppen (bedingt) zusammenarbeiten würde, wird unter anderem durch folgende Zeilen ersichtlich:
„Selbst wenn die restlichen Kritikpunkte an Revo nicht geteilt werden oder aus der Welt geschafft werden, kann Revos Einstellung, vorbehaltslos mit allen anderen linken Organisationen zusammenzuarbeiten, ein echtes Problem werden: Revo ist potentielle Bündnispartnerin jeder vorstellbaren politischen Gruppierung, so lange sie sich als links oder sozialistisch begreift. Wenn Revo in Dresden wächst und durch die emanzipatorische Bewegung Akzeptanz erfährt, könnte sie durch ihre Bereitschaft zu Bündnissen Einzelpersonen zur Aktionsfähigkeit und damit zum Aufbau von Organisationen verhelfen, die in Dresden sonst wohl keine Chance hätten. […] Weniger offensichtlich mag die Gefahr sein, wenn es um handzahmer daherkommende Organisationen wie die DKP-Jugend SDAJ oder die DKP selbst geht. Nur weil diese Organisationen weniger aktionistisch und aggressiv daher kommen, sind sie nicht weniger problematisch. […] Stimmen wir Revos Bündnispolitik dadurch zu, dass wir die Organisation in unseren Bündnissen und Räumen akzeptieren, unterstützen wir damit auch die potentielle Öffnung der radikalen und emanzipatorischen Bewegung Dresdens für Unterstützer_innen solcher stalinistischer Parteien und autoritären Regime.“
Überhaupt erscheint es uns als sehr widersprüchlich, wenn die FAU Dresden behauptet, wir seien für den Aufbau einer breiten linken Bewegung schädlich, wenn sie ein paar Sätze weiter folgendes schreibt:
„Revo fordert immer wieder ein Zusammengehen aller linken Kräfte. Wir halten das für eine problematische Sichtweise, da links ein undefinierter Kaugummibegriff ist, der ganz unterschiedliche Bewegungen betitelt, die als unvereinbar gelten dürfen. So gibt es auch durchaus plausible Argumentationen, mit denen Anarchosyndikalist_innen diese Klassifizierung für sich insgesamt ablehnen. Es stellt sich also die Frage, wer ist links? Der sozialliberale Flügel der FDP? Anarchoprimitivist_innen, die eine menschenverachtende, darwinistische Utopie vertreten? Anhänger_innen des Jugendwiderstandes, die mit dem F-Wort gegen Antifaschist_innen wettern und „Antikommunist_innen töten, auch Linke!“ an die Wand kritzeln? Stalinos, die sich eine gute Position im aufzubauenden, totalitären Regime erhoffen? JuSos, die sich heute noch antifaschistisch geben, um morgen zum Wohle der deutschen Wirtschaft Waffenexporte an die Erdogan-Diktatur zu genehmigen? Wir meinen: Mit der Losung von einem Zusammengehen aller linken Kräfte kommen wir schwerlich weiter, einfach weil auch unter dem Label „links“ so viel menschenverachtender oder von emanzipatorischen Ansprüchen befreiter Müll abgesondert wird, dass mensch diese Losung entweder selbst nicht ernst nimmt oder völlig beliebig in der Wahl seiner potentiellen Partner_innen ist und damit auch unmöglich zielgerichtet für eine bessere Gesellschaftsordnung streiten kann.“
Vor dem Hintergrund dieser Worte fragen wir uns ernsthaft, mit wem die FAU Dresden überhaupt eine „breite linke Bewegung“ aufbauen möchte, wenn doch alle anderen außer sie selbst nicht links seien bzw. sie selbst diesen „Kaugummibegriff“ ablehnt? Ausschließlich mit sich selbst? Dies würde zumindest ihre Bündnispolitik erklären, doch dazu kommen wir später. Bei uns geht’s beim „Linkssein“ übrigens nicht ums kaugummikauende Toddefinieren, sondern um linke Praxis, konkrete Forderungen und den Klassencharakter einer Organisation. Es ist also offensichtlich, dass die anarchosyndikalistische Gewerkschaft mit anderen linken Gruppen, die nicht wie sie in jedem zweiten Satz wahllos die Worte „libertär“, „anarchistisch“ oder „emanzipatorisch“ verbauen, nichts zu tun haben will. Es scheint ihr auch kein Bedürfnis zu sein, dem gesellschaftlichen Rechtsruck und den immer offener auftretenden, organisierten faschistischen Kräften eine möglichst breite linke Bewegung entgegenzusetzen, auch wenn sie selbst den Aufbau einer solchen an einer Stelle in ihrem Text propagiert. An anderer Stelle heißt es wiederum:
„In der Einheitsfront dagegen sind die unterschiedlichen Ziele schon mittelfristig eine potentielle, gegenseitige Bedrohung. So müssen prokapitalistische (bspw. sozialdemokratische) Bündnispartner_innen eine Popularisierung der revolutionären Programme von Anarchist_innen und Kommunist_innen fürchten. Anarchist_innen wiederum müssen fürchten, dass die Gläubigkeit an Parteien, Zentralismus, Linkspopulismus und Befehlshierarchien mit der Normalisierung von orthodox kommunistischen Parteien in der linksradikalen Bewegung wieder salonfähig werden und damit Erfahrungsprozesse der Bewegung zunichte gemacht werden. Ebenso müssen die Beteiligten fürchten, dass das Paktieren mit eigentlich politischen Gegner_innen die eigenen Sympathisant_innen verschreckt, weil eine Totalopposition so nicht mehr glaubhaft ist. […] Durch eine Einheitsfront kann mensch daher auch Kräfte verlieren, gerade wenn bereits ein tiefes Misstrauen gegen „die Linke“ in der Bevölkerung vorherrscht und ihre verschiedenen Strömungen nicht mehr als Vertreter_innen grundverschiedener Konzepte wahrgenommen werden, sondern nur noch als unterschiedliche Gesichter des immer gleichen Prinzips korrupter, auf das eigene Privileg bedachter Funktionär_innenbürokratie. Die Einheitsfront kann maximal eine temporäre Bündelung der Kräfte und gegebenenfalls noch eine Umverteilung innerhalb der Einzelkräfte bewirken. Über die schon in der Einheitsfront Organisierten hinaus zu wirken ist dagegen schwierig, da die Einheitsfront in ihrer Widersprüchlichkeit für kein wirkliches Konzept stehen kann.“ Hier wird die vorherige Propagierung einer breiten linken Bewegung zur Farce und es wird sowohl deutlich, wie wenig Interesse die Anarchosyndikalist_Innen tatsächlich am Aufbau einer solchen Bewegung haben, als auch, dass die FAU Dresden keine Vorstellung davon hat, wie eine Aktionseinheit auf der Grundlage demokratischer Entscheidungen aller Beteiligten aussehen kann. Wenn es tatsächlich die Auffassung der Mehrheit der Mitglieder der FAU ist, dass es in Dresden keine Einheitsfront gegen den Rechtsruck und keine Zusammenarbeit von linken Organisationen und allen Kräften der Arbeiter_Innenbewegung braucht, dann fragen wir uns, weshalb sie trotzdem ein offenes (!) Bündnis zur Vorbereitung eines Bildungsstreiks initiierten. Unserer Auffassung nach ist ein Bündnis auch immer eine Form linker Einheit, in dem demokratisch für Mehrheiten um die Ausrichtung und Inhalte dieses Bündnisses gestritten wird. Ein solches Bündnis bzw. eine solche Aktionseinheit sollte in der Aktion geschlossen und gemeinsam, also als Einheit, auftreten. Über die richtigen Inhalte, Taktiken, Aktionen, aber auch über Differenzen muss offen diskutiert werden. Alle beteiligten Gruppen sollten das Recht haben, Anträge zu stellen, Kritik offen zu äußern und auch eigene Materialien, Veranstaltungen und Inhalte zu verbreiten. Selbstverständlich kritisieren wir in der Aktionseinheit mit reformistischen Parteien, wie der SPD und der Partei DIE LINKE, diese auch bspw. für ihre Mitverantwortung für die Verschärfung der Asylgesetze und die rassistischen Abschiebungen, wie zuletzt am 1. September in Chemnitz geschehen. Wir sind davon überzeugt, dass es falsch wäre, unsere Kritik zugunsten einer harmonischen Zusammenarbeit zu verheimlichen. Und natürlich freuen wir uns über jede_n Sozialdemokrat_In, die/der aufgrund unserer Kritik der eigenen Partei den Rücken zukehrt und sich fortan revolutionär organisiert.
Andersherum würden wir es für einen politischen Fehler halten, nur aufgrund unserer Kritik und bestehender Differenzen nicht mit anderen Arbeiter_Innenparteien und linken Gruppen zusammenzuarbeiten.
In Aktionseinheiten/Bündnissen besteht die Möglichkeit, das eigene Programm und die eigenen Inhalte in der Praxis anzuwenden und zu überprüfen. Im besten Fall setzen sich auf Grundlage demokratischer Abstimmungen die besseren Argumente und Inhalte durch und aufgrund eines gemeinsam beschlossenen Konsenses lassen sich gemeinsame Ziele erreichen. Gäbe es keine Gemeinsamkeiten, keinen gemeinsamen Gegner, kein gemeinsames Ziel – dann käme auch kein Minimalkonsens zustande.
Uns wird vorgeworfen, wir würden uns einen Platz in Bündnissen „erpressen“, diese kapern und gleichzeitig diffamieren. Außerdem würden wir bestehende Bündnisse, in denen wir mitarbeiten, als Tarn- oder Vorfeldstrukturen, als „Schutzschilde“ missbrauchen. Diese Behauptungen weisen wir entschieden zurück. Seitdem wir in Dresden aktiv sind haben wir kein einziges Bündnis gekapert und wir haben auch nie versucht, uns einen Platz in irgendeinem Bündnis „mal zu erschleichen, mal zu erbetteln, mal zu erpressen“, wie es die FAU behauptet. Was wir tatsächlich getan haben und auch weiterhin tun werden, ist uns in linken, offenen Bündnissen mit einzubringen, unsere Inhalte und Ideen dort zu verbreiten und am Aufbau einer linken Bewegung zu beteiligen, und dies lassen wir uns auch nicht von irgendwelchen Führungskadern selbsternannter antiautoritärer Gruppen verbieten. Wir haben seit jeher demokratische Entscheidungen akzeptiert und respektiert. Wir haben den Rauswurf aus dem Bündnis „Solidarity without Limits“ zur Vorbereitung der Proteste gegen den europaweiten „Festung Europa“-Aktionstag von PEGIDA zwar kritisiert, aber niemanden erpresst oder gezwungen, weiterhin mit uns zusammenzuarbeiten. Nachdem die FAU Dresden deutlich machte, dass Sie mit uns unter keinen Umständen zusammenarbeiten möchte, haben wir im „kritischen Bildungsbündnis Dresden“ auf eine Entscheidung des gesamten Bündnisses über unseren Verbleib bestanden. Wir haben den Ausschluss aus diesem Bündnis zwar ebenfalls kritisiert, aber den demokratischen Beschluss hierüber akzeptiert. Wenn Kritik unsererseits an einer mangelnden Bereitschaft der im Bildungsbündnis aktiven Anarchosyndikalist_Innen zur Mobilisierung vor den Schulen als Diffamierung des Bündnisses aufgefasst wird, zeugt dies nur von der fehlenden Fähigkeit zur Selbstkritik bei diesen Aktivist_Innen und spricht Bände über deren Verständnis von Bündnisarbeit (FAU = kritisches Bildungsbündnis, oder wie?). Wir haben selbst in der Anfangszeit der Entstehung unserer Ortsgruppe ein antirassistisches Jugendbündnis initiiert, in welchem wir, wie in allen anderen Bündnissen auch, offen als REVOLUTION auftraten und uns gleichberechtigt neben anderen Gruppen und Einzelpersonen mit einbrachten. Wir haben in diesem Jugendbündnis, nachdem dieses von anderen sogenannten Linken immer wieder für die Zusammenarbeit mit uns kritisiert und diffamiert wurde, mehrmals unsere Mitarbeit darin zur Abstimmung gestellt. Jede_r ehrliche Mitstreiter_In in diesem Bündnis wird dies bestätigen können. Vielleicht sollten die für das Schreiben der Stellungnahme Verantwortlichen, vorlauten Führungskader der FAU Dresden einfach mal das Gespräch mit anderen Beteiligten des damaligen Jugendbündnisses suchen. In der Stellungnahme selbst wird deren Versäumnis, nie das Gespräch mit anderen Beteiligten gesucht zu haben, durchaus eingeräumt. Hätten die Autor_Innen des FAU-Textes versucht dies vor ihrer Schreibwut nachzuholen, dann wäre ihnen diese Peinlichkeit, haarsträubende Gerüchte und haltlose Diffamierungen über uns zu verbreiten, erspart geblieben. Im Gegensatz zur FAU haben wir auch nie versucht, irgendwelche Verbote oder Positionen ganzen Bündnissen undemokratisch, also ohne Abstimmung, überzustülpen. Doch die Vehemenz, mit der die anarchosyndikalistischen Aktivist_Innen in Bündnissen gegen unsere Beteiligung vorgehen, die Diffamierungen, Verbote und Übergriffe (Versuch eines FAU-Mitglieds, eine unserer Fahnen zu entwenden), machen deutlich, was diese mit ihrer Bündnisarbeit beabsichtigen: ihnen geht es nicht um den Aufbau einer möglichst breiten, linken Bewegung, sondern einzig um den Aufbau der eigenen Organisation. Zu diesem Zweck werden Andersdenkende hinausgedrängt, um sich selbst möglichst großen Einfluss auf unorganisierte Einzelpersonen oder schwankende Gruppen zu verschaffen. Wir würden niemals auf die Idee kommen, trotz aller durchaus bestehenden Differenzen, andere anarchistische Organisationen aus Bündnissen auszuschließen. Es drängt sich also die Frage auf, wer hier tatsächlich Vorfeldstrukturen aufbaut. Wir sind es jedenfalls nicht. Im Gegenteil, unser Eintreten für Aktionsbündnisse aller linken und Arbeiter_Innenorganisationen ist, wie auch die FAU weiß, ernst gemeint. Der Grund dafür ist einfach. Um bestimmte Ziele überhaupt erreichen zu können (z.B. eine Lohnerhöhung bei einem Streik, eine antifaschistische Bewegung, die die Rechten wirklich schlagen kann, …) müssen wir versuchen, alle Kräfte einzubinden, die unter den gegebenen Verhältnissen auch wirklich diese Ziele erreichen können.
So brauchen wir bei einem Schulstreik klare Forderungen, die den Schüler_Innen deutlich machen, wofür sie überhaupt auf die Straße gehen sollen und eine Konfrontation mit Schulleitungen oder Behörden eingehen. Eine solche Aktion kann also nur erfolgreich sein, wenn wir dazu auch aktive Schüler_Innen und Schüler_Innenvertretungen und linke Jugendorganisationen (also z.B. auch SDAJ, Gewerkschaftsjugenden, Solid, Jusos) zur Aktivität auffordern, an und vor den Schulen mobilisieren, uns um die Unterstützung und Zusammenarbeit mit fortschrittlichen Lehrer_Innen und der GEW bemühen. Ansonsten ist der Schulstreik kein Schulstreik, sondern eine rein symbolische Aktion, eine Propagandaveranstaltung einer Möchtegern-Gewerkschaft wie der FAU, die in Wirklichkeit nur eine linke Gruppe unter anderen ist.
Noch deutlicher wird das, wenn wir den Rechtsruck in Sachsen und PEGIDA, faschistische Organisationen, ihre Verbündeten in der AfD usw. bekämpfen wollen. Dazu brauchen wir Masse, Militanz und Organisiertheit. Die Rechten können Tausende oder gar Zehntausende mobilisieren, verfügen über landesweite Strukturen und beherrschen ganze Regionen. Sie sind mittlerweile (nicht nur) in Sachsen so stark, dass wir sie nur erfolgreich bekämpfen können, wenn wir die Mitglieder und Anhänger_Innen der Gewerkschaften, der Linkspartei, ja auch der SPD für den Kampf gewinnen. Wenn „wir“ – also die heterogene „radikale“ Linke – das nicht schaffen, dann werden wir verlieren.
Zweifellos ziehen es die Führungen der Gewerkschaften, der SPD und der Linkspartei vor, keine Aktionseinheit mit der radikalen Linke zu bilden. Sie wollen nicht kämpfen, sondern ziehen Appelle an den Staat und rein pazifistische Versammlungen abseits von rechten Aufzügen in der Regel vor. Sie arbeiten an der eigenen Niederlage. Dummerweise wäre diese Niederlage aber auch eine der gesamten Arbeiter_Innenklasse, der Migrant_Innen, Geflüchteten, der Linken. Daher müssen wir Forderungen an diese Massenorganisationen richten – ihre Mitglieder wie ihre Basis. Wenn also der DGB und damit die SPD und die Linkspartei einen Großteil der bewusstesten Teile der Arbeiter_Innenklasse in der BRD organisieren, kommen wir nicht an diesen Organisationen vorbei, wenn wir sie für eine linke Bewegung gewinnen wollen. Und das funktioniert dann am besten, wenn man nicht mit dem Zeigefinger wackelnd danebensteht, sondern innerhalb der gemeinsamen Aktion für konkrete Forderungen wirbt. Die „radikale Linke“ in Sachsen könnte hierbei ein Faktor sein, wenn sie gemeinsam Druck in diese Richtung aufbaut und vor Ort solche Bündnisse und Aktionen initiiert.
Die FAU lehnt dies offenbar kategorisch ab. Sie fürchtet, sie könnte dabei Mitglieder verlieren usw. Diese sektiererische Haltung offenbart nicht nur geringes Vertrauen in die eigene Politik, sie spielt in Wirklichkeit auch den reformistischen Führungen in die Hände, die ihren Mitgliedern erst gar nicht erklären müssen, warum diese Organisationen nicht gemeinsam mit Kommunist_Innen, Anarchist_Innen und Autonomen gegen die Nazis kämpfen sollen. Sie können hier vielmehr darauf verweisen, dass Leute vom Schlage der FAU-Theoretiker_Innen ohnedies jede Einheitsfront ablehnen. Damit werden die ungünstigen Kräfteverhältnisse in der Arbeiter_Innenbewegung leider nicht in Frage gestellt, können Linke in der Aktion nicht in Kontakt zu linken Arbeiter_Innen und Gewerkschafter_Innen treten – und sie werden auch sehr viel schwerer Gehör für ihre Kritik am Reformismus und der bürgerlichen Politik von SPD und Linkspartei finden.
Vor allem aber werden die faschistischen Kräfte und die AfD davon profitieren. Wer nicht dafür kämpft, die notwendigen Aktionsbündnisse aufzubauen, um die Rechten zu schlagen, bereitet allenfalls die kommende Niederlage vor.
Kein argumentativer Austausch?
Die FAU behauptet, Möglichkeiten zum argumentativen Austausch seien von uns nicht wahrgenommen worden, während sie an anderer Stelle das genaue Gegenteil schreibt:
„Faktisch gab es aber mehrere Möglichkeiten zum argumentativen Austausch. So fand nach übereinstimmenden Aussagen mehrerer Aktivist_innen ein mehrstündiges Gespräch mit Revo statt, als es um die Versagung von Räumlichkeiten für die Gruppe in der Dresdner Neustadt ging. Auch die„…ums Ganze!“-Föderation critique’n’act aus Dresden hatte sich mit einem umfassenden, gemeinsamen Treffen mit Revo auseinandergesetzt.“ Was denn nun? Wurden Möglichkeiten, über inhaltliche Differenzen zu diskutieren nun wahrgenommen, oder nicht? Unserer Auffassung nach gab es tatsächlich einige Diskussionen zwischen uns und anderen linken Gruppen – jedoch in den allermeisten Fällen ausschließlich im Zusammenhang mit erfolgten Ausschlüssen und anderen technischen Angriffen uns gegenüber (u.a. Verbote für uns, offen aufzutreten; verteilen von diffamierenden Flyern auf unseren Aktionen). Wir haben uns das Recht herausgenommen, diese öffentlich zu kritisieren und werden dies gerade aufgrund der Notwendigkeit des Aufbaus einer linken Aktionseinheit hier in Sachsen auch zukünftig immer wieder tun. Wir hätten uns im Vorhinein, bevor wir mit dem an den Haaren herbeigezogenen Vorwurf des Antisemitismus und anderen Diffamierungen zur Isolation unserer Gruppe konfrontiert wurden, den argumentativen Austausch und die Möglichkeit, unsere tatsächlichen Positionen unverfälscht darzustellen, gewünscht. Wir halten es für wichtig zu erwähnen, dass bis heute viele Gespräche zwischen einzelnen Mitgliedern der FAU und unserer Organisation zur Klärung der Differenzen stattgefunden haben. Bei all diesen Diskussionen hatten wir stets das Gefühl, bestehende Vorurteile abbauen zu können und unsere Positionen verständlich erklärt zu haben. Wir bekamen oft das Feedback, dass unsere Positionen ja doch gar nicht so schlimm und nachvollziehbar seien, nachdem wir diese erklärt hatten. Dass immer noch ständig die gleichen Vorwürfe wiederholt werden – trotz der stattgefundenen Diskussionen – hinterlässt bei uns den Eindruck, dass es gar nicht so sehr um unsere politischen Inhalte geht, sondern darum, dass wir als unabhängige, revolutionäre Jugendorganisation als Konkurrenz zur FAU wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass sich die Genoss_Innen der FAU die Zeit nehmen, 35 Seiten über uns zu schreiben, bestätigt diesen Verdacht. Wir haben mit unserer Politik in den letzten drei Jahren also scheinbar alles richtig gemacht, wenn unser konsequentes Arbeiten gegen den Rechtsruck und für eine kommunistische und internationalistische Perspektive als politische Konkurrenz wahrgenommen wird.
Marxismus vs. Anarchismus
Die FAU Dresden hat sich die Mühe gemacht, unser (altes) Programm zu lesen und die Differenzen zwischen ihrer anarchosyndikalistischen Konzeption und unserem marxistischen Programm als so weitreichend empfunden, dass sie diese als weiteren Grund für ihr Spaltungsbedürfnis nennt. Die Kritik bezieht sich im Kern darauf, dass wir für den Aufbau einer revolutionären Arbeiter_Innenpartei eintreten, die nach dem Konzept des demokratischen Zentralismus strukturiert ist sowie auf unsere Position, dass es nach einer erfolgreichen Revolution gegen den Kapitalismus einen proletarischen Halbstaat braucht. Diesen braucht es deshalb, weil wir davon überzeugt sind, dass die Herrschenden nicht einfach aufgeben werden, sondern danach streben werden die Revolution rückgängig zu machen. Ein solcher Halbstaat verteidigt die Klassenherrschaft der ehemals unterdrückten Arbeiter_Innen gegen reaktionäre Kräfte, die soziale Fortschritte wieder rückgängig machen wollen, und repräsentiert die Interessen der Mehrheit der Menschen. Da er als einziger Staat die Möglichkeit zum Absterben in sich trägt, bezeichnen wir ihn als Halbstaat. Obwohl die FAU Dresden unser Programm gelesen hat, behauptet sie, wir würden die Notwendigkeit einer revolutionären Partei und des proletarischen Halbstaates nicht begründen. Außerdem kritisiert sie uns dafür, dass wir die komplette Wirtschaft zur Zerschlagung des kapitalistischen Systems und zur Überführung der Produktionsmittel unter der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiter_Innen verstaatlichen wollen. Erwischt: wir wollen in der Tat das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufheben und anstelle der kapitalistischen, nur auf den Profit ausgerichteten Privatökonomie eine bedürfnisorientierte, durch die Arbeiter_Innenräte kontrollierte Planwirtschaft einführen. Diese Kritik vonseiten der FAU nehmen wir als ein Geständnis wahr, dass sie keinerlei Vorstellung davon hat, wie der Kapitalismus durch die Arbeiter_Innenklasse selbst überwunden werden kann.
Doch wirklich abstrus wird es, wenn uns von Anarchist_Innen vorgeworfen wird, WIR seien in Wahrheit Idealist_Innen. So schreibt die FAU in ihrer Stellungnahme:
„Das Problem, das hier und an anderen Stellen durchscheint, ist Revos idealistische Argumentationsweise. Es wird angenommen, dass die Macht eines Staates nicht ausgeweitet und missbraucht wird, weil sie als revolutionäre Bewegung das von Anfang an so postuliert hätten.“ Wirklich traurig macht uns in dieser Aussage vor allem die Tatsache, dass hier soziale Eigenschaften von Menschen, die in kapitalistischen Gesellschaften sozialisiert wurden und deren Machtstrukturen tagtäglich erfahren müssen, naturalisiert werden. Dass Menschen in kapitalistischen Staaten oft egoistisch handeln, gewählte Mandate missbrauchen und nach Macht eifern liegt nämlich nicht an ihrer bösen Natur, liebe FAU-Kader, und kann deshalb nicht als human-biologisches Dogma auf einen sozialistischen Staat übertragen werden. Vielmehr schafft die Erfahrung des emanzipatorischen Kampfes, der kollektiven Aktion, der Selbstorganisation und der sozialistischen Demokratie ein neues Bewusstsein, welches dem Bewusstsein im Kapitalismus keineswegs gleichgestellt werden kann. Diese Annahme ist dabei nicht idealistisch, denn – kurze Marx-Nachhilfestunde – das gesellschaftliche Sein der Menschen bestimmt vielmehr ihr Bewusstsein! Darüber hinaus scheinen die Personen, die unser Programm gelesen haben, die Sache mit den Räten und der Verteidigung des proletarischen Halbstaates gegen die Bürokratisierung, leider nicht ganz verstanden zu haben. Deshalb hier nochmal die betreffende Stelle: „Die Räte sollen Orte der offensten Arbeiter_Innendemokratie sein, hier soll die freiste Diskussion bei kollektiver Aktion gelten. Hier muss der Kampf um ein revolutionäres Programm Gradmesser der Entwicklung des Bewusstseins in der Klasse sein. Für uns stellt dieses Rätesystem die Keimform des Arbeiter_Innenstaates dar, die Herrschaft der absoluten Mehrheit der Weltgesellschaft über die Minderheit jener die aktuell an der Spitze dieses Systems stehen. Ihnen haben wir keine neuen Verbesserungen zu bieten, dem absoluten Großteil der Welt schon. Der rätedemokratische Halbstaat muss also die Herrschaft der Mehrheit gegen die Interessen der bürgerlichen Minderheit sein, auch Diktatur des Proletariats genannt. Er muss die konterrevolutionären Kräfte, wenn notwendig auch mit Gewalt, nieder halten. Ziel dieses Staates muss aber auch immer das Absterben seiner selbst sein, im Übergang zu einer befreiten Gesellschaft von Gleichen, in der jeder Mensch nach den jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnissen leben kann. Dafür müssen wir aufs schärfste die Entstehung einer neuen privilegierten Kaste, einer Bürokratie, bekämpfen. Deshalb setzen wir uns bereits im Hier und Jetzt für die Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten, den Arbeiter_innendurchschnittslohn für sie, volle Rechenschaftspflicht und ein verpflichtendes Rotationsprinzip ein. Die momentane Revolutionierung der Medientechnik, wie durch das Internet, ist für eine solche Arbeiter_innendemokratie ein riesiges Hilfsmittel, kann aber demokratische Diskussionen und Massenversammlungen nie vollständig ersetzen. Solange nicht global das kapitalistische System gestürzt ist, können die materiellen Voraussetzungen für das Absterben des Staates nicht vollkommen vollzogen werden. Die Ablösung des proletarischen Halbstaates durch den Sozialismus (die Übergangsgesellschaft zum Kommunismus) kann deshalb nur im internationalen Rahmen vollzogen werden.“
Anarchist_Innen sind der Meinung, dass Parteien an sich bereits autoritär seien und ein Instrument wären, um die Herrschaft einer kleinen Minderheit über die gesamte Klasse zu manifestieren. Einmal abgesehen davon, dass es auch in der Vergangenheit anarchistische Organisationen gab, die sich nur dem Namen nach von Parteien unterschieden (wie die FAI in Spanien), gehen wir davon aus, dass zur Eroberung der Macht die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter_Innenklasse in einer Partei organisiert sein müssen, um das gesamte Proletariat für den Kommunismus zu gewinnen. Ein spontanes, massenhaftes Entstehen von kommunistischem Bewusstsein ist in einer Gesellschaft, die ideologisch von der Bourgeoisie beherrscht wird, nicht möglich.
Dass sich in der Geschichte der „realsozialistischen Staaten“ das stalinistische Modell der Herrschaft einer elitären, bürokratischen Parteikaste über das Proletariat durchsetzen konnte, liegt nicht an der Existenz revolutionärer Arbeiter_Innenparteien selbst. Die Gründe dafür, dass sich Jahre nach der sozialistischen Oktoberrevolution 1917 in Russland erstmals eine solche bürokratische Parteienclique anstelle einer Arbeiter_Innendemokratie durchsetzen konnte, sind vor allem:
Die Isolation des ersten Arbeiter_Innenstaates infolge der durch den Verrat der Sozialdemokratie gescheiterten Revolutionsversuche in Europa (Deutschland, Österreich, Ungarn, Finnland, Italien…)
Der bis 1922 andauernde Bürger_Innenkrieg in Russland, in dem gut ein Dutzend anderer Staaten militärisch zusammen mit anderen konterrevolutionären Kräften gegen die revolutionäre Rätemacht vorgingen. Durch die infolge des Welt- und Bürger_Innenkrieges wirtschaftlich miserable Lage und dem damit einhergehenden Bruch des Bündnisses zwischen Bäuer_Innen- und Arbeiter_Innenklasse war letztere derartig geschwächt, dass sie den Aufstieg einer bürokratischen Schicht nicht verhindern konnte.
Dadurch, dass infolge der Niederlage der sozialistischen Revolutionen in den entwickelten, kapitalistischen Ländern Russland isoliert blieb und die Arbeiter_Innen in dem damals noch halbfeudalen Land gerade mal 10% der Bevölkerung ausmachten, waren die materiellen Bedingungen für die Entwicklung einer sozialistischen Arbeiter_Innendemokratie nicht gegeben. Letztlich setzten sich auch in anderen Ländern (China, Vietnam, Osteuropa, Kuba, Nordkorea) Regime durch, die nach dem Vorbild der stalinistischen Sowjetunion aufgebaut waren. Statt einer notwendigen politischen Revolution gegen die herrschende Kaste zur tatsächlichen Überführung des gesamten Staates mitsamt seiner Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter_Innen selbst, kam es in den meisten degenerierten Arbeiter_Innenstaaten zur Restaurierung des Kapitalismus. In unserem aktuellen Programm ziehen wir deshalb folgende Lehren, um zukünftig zu verhindern, dass „sich Geschichte wiederholt“. Diese sind, „dass wir gegen jegliche Privilegien für Partei- und Staatsbedienstete eintreten müssen. Alle Funktionär_Innen dürfen nicht mehr als das Durchschnittsgehalt von Facharbeiter_Innen bekommen. Die Beamt_Innenschaft darf nicht institutionalisiert werden, sondern muss stetigen personellen Wechsel unterworfen sein. Alle Funktionär_Innen müssen der Transparenz verpflichtet und jederzeit wähl- und abwählbar sein. Die Struktur der Rätedemokratie hätte im Kampf mit der alten Bürokratie neu aufgebaut werden müssen. Auch die Wirtschaftsplanung, im Stalinismus von einer abgehobenen Technokrat_Innenschicht übernommen, hätte unter die demokratische Kontrolle durch Produzent_Innen und Konsument_Innen gestellt werden müssen.“
Oft gibt es bei Anarchist_Innen eine absolute Ablehnung jeglicher Form von Autorität und Führung. Dabei werden anstelle von demokratisch gewählten und rechenschaftspflichtigen Leitungen lieber undemokratische und intransparente Cliquen, die die Politik anleiten, zugelassen. Diese Ablehnung von Demokratie führt auch dazu, dass die lautesten, selbstbewusstesten, meistens männlich-sozialisierten, sowie die Aktivist_Innen mit der meisten Zeit am meisten Kontrolle über die Bewegung oder Organisation haben und somit zur informellen Führung werden. Fragt sich, welches Modell hier wohl insgeheim das eigentlich autoritärere ist…
Israel, BDS und Hamas
Wie weiter oben schon erwähnt konnte die FAU Dresden es nicht lassen, in den verleumderischen Chor der prozionistischen Kräfte mit einzustimmen und unterstellt uns wegen unserer sozialistischen und propalästinensischen Position in Bezug auf den Nahostkonflikt einen „latenten Antisemitismus“. Dieser Vorwurf wird damit begründet, wir würden die BDS-Bewegung unterstützen, welcher wiederum unterstellt wird, sie würde mit der Hamas kooperieren. Wörtlich behauptet die anarchosyndikalistische Gewerkschaft:
„Da Revo bekennt, die antisemitische, ultra-sexistische und islamfaschistische Hamas dabei als Bündnispartner zu tolerieren, muss sie sich gefallen lassen, dass wir der Organisation selbst einen latenten Antisemitismus unterstellen.“ Diesen „latenten Antisemitismus“ kann die FAU dann doch bitte auch gleich vielen ihrer internationalen anarchosyndikalistischen Schwesterorganisationen vorwerfen, die BDS offen unterstützen.
Es ist überhaupt erstaunlich, was sich die Autor_Innen der Stellungnahme alles zusammendichten. Weil unsere Genoss_Innen in Berlin kritisch-solidarisch mit BDS-Aktivist_Innen zusammenarbeiten, gemeinsame Veranstaltungen durchführen und diese gegen unwissenschaftliche Antisemitismusvorwürfe verteidigen, wird unterstellt, wir würden die Hamas als Bündnispartner tolerieren, und das obwohl die Autor_Innen ein paar Sätze weiter selbst zugeben, dass die Zusammenarbeit zwischen BDS und Hamas nicht belegbar ist: „Einer der offensichtlichsten Gründe, eine Zusammenarbeit mit BDS abzulehnen, ist unserer Meinung nach die tragende Mitgliedschaft des „Council of National and Islamic Forces in Palestine“ im palästinensischen Koordinierungskomitee „Palestinian BDS National Committee“ (BNC). Die naheliegende (wenn auch mit öffentlich verfügbaren Quellen nicht beweisbare) Vermutung, dass das Council identisch ist mit den fast namensidentischen „Palestinian National and Islamic Forces“, impliziert eine Verbindung mit u. a. Hamas, Fatah und PFLP. Auch wenn die Hamas im BDS somit nicht offensichtlich als Akteur auftritt, ist ihre offene Befürwortung des BDS für uns Grund genug, mehr als skeptisch zu werden.“ Fassen wir also nochmal zusammen: Eine Verbindung zwischen Hamas und BDS ist nicht nachweisbar, die Befürwortung der Boykottbewegung durch die Hamas sei aber Grund genug, BDS eine Verbindung zu ebendieser zu unterstellen und weil wir als Jugendorganisation mit deren Aktivist_Innen auch schonmal zusammengearbeitet haben, würden wir insgeheim die Hamas als Bündnispartner tolerieren. Eine so krude Logik allein zum Zweck der Diffamierung unserer Gruppe zu konstruieren, ist schon ein ziemliches Armutszeugnis. Der Grund warum wir partiell und auf kritisch-solidarische Weise mit BDS-Aktivist_Innen in Berlin zusammengearbeitet haben ist übrigens derselbe, warum wir auch in Dresden mit der FAU zusammenarbeiten würden. Weiterhin wird die BDS-Bewegung selbst dafür kritisiert, der israelischen Wirtschaft zu schaden. Und das, obwohl die FAU Dresden selbst folgendes in der Stellungnahme betont:
„Wir stellen außerdem voran, dass wir Israel natürlich als einen kapitalistischen, rassistischen und patriarchal geprägten Staat begreifen, zumal dieser seit 2009 auch noch rechtskonservativ regiert wird.“ Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft bezieht sich immer wieder, auch in dem Text zu uns, positiv auf Streiks, Besetzungen und sogar Sabotage in Betrieben. Inwiefern diese Mittel, wenn sie denn in Israel genauso angewandt werden sollen wie in anderen kapitalistischen Staaten auch, der Wirtschaft keinen Schaden zufügen sollen, ist uns ein Rätsel. Überhaupt dürfte die FAU nach dieser Logik niemals zu Streiks aufrufen, weil solche ja schädlich für die Wirtschaft sind, dies ist ihr ganzer Zweck: den Kapitalist_Innen dadurch Zugeständnisse und Verbesserungen abzuzwingen, dass sie dort getroffen werden, wo es Ihnen wehtut, nämlich bei ihren Profiten, die ausbleiben, wenn gestreikt wird. Weshalb wir in der kapitalistischen Ökonomie Rücksicht auf die Verluste der Unternehmer_Innen nehmen sollten, und inwieweit sich dies mit dem Anspruch, eine kämpferische Gewerkschaft sein zu wollen, verträgt, können wir uns selbst nicht erklären. Scheinbar wird beim „kapitalistischen, rassistischen und patriarchal geprägten Staat“ Israel dann doch mal eine Ausnahme gemacht. Dass die kapitalistische Wirtschaft und der bürgerliche Nationalstaat nichts mit den Interessen der Lohnabhängigen gemeinsam haben, sollte auch den Autor_Innen der Schmähschrift über uns klar sein. Warum dann aber ausgerechnet Israel einer Sonderbehandlung bedarf, ja sogar als Garant des Schutzes des gesamten Volkes dargestellt wird – trotz seines Wesens als kapitalistischer Staat im Interesse der herrschenden Klasse – ist wohl wieder eines dieser unzähligen politischen Kunststücke.
Unserer Auffassung nach ist Israel, wie jeder andere bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat auch, eine Klassengesellschaft, in der die Mehrheit die Lohnabhängigen selbst darstellen, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft und deren Interessen denen der herrschenden Besitzenden diametral entgegenstehen. Weiterhin ist die Existenz des israelischen Staates nur gesichert, solange imperialistische Schutzmächte wie die USA oder Deutschland einen ökonomischen Nutzen daraus ziehen. Das „brüderliche Band der westlichen Werte“ kann schnell reißen, wenn ein profitablerer Partner in der Region gefunden ist. Das Versprechen des Zionismus, die Jüdinnen und Juden wieder zum Subjekt ihrer eigenen Geschichte zu machen, ist also eine Farce. Der israelische Staat ist somit kein Schutzraum, sondern ein Käfig. Er kämpft gegen andere regionale Mächte, wie Iran, Türkei und Saudi-Arabien um die regionale Vormachtstellung. Durch die Milliardensubventionen für das israelische Militär von imperialistischen Großmächten wie den USA und der BRD wird klar, dass es auch in Israel selbst nicht nur um die Interessen der herrschenden Kapitalist_Innen geht, sondern auch um die Interessen des Imperialismus in der ganzen Region – die unmittelbar an die Unterdrückung der Palästinenser_Innen gebunden sind.
In unserem Programm heißt es wortwörtlich weiterhin dazu: ,,Daher ist der Kampf der Palästinenser*innen und aller anderen Unterdrückten legitim und muss von jeder fortschrittlichen Bewegung unterstützt werden. Gleichzeitig lehnen wir jedoch die Politik der existierenden Führungen des palästinensischen Kampfes ab. Kräfte wie die Hamas begründen sich auf reaktionäre Konzepte islamistischer Theokratie und treten für repressive Gesetze ein. Mehr als das, sie blockieren eine fortschrittliche und radikale Lösung, da ihre reaktionären Ideen, von Antisemitismus bis Sexismus, nicht zeigen, wie die palästinensische und israelische Arbeiter*innenklasse einen gemeinsamen Kampf für ihre Befreiung führen können. […] Gerade deshalb muss gesagt werden: permanente Unabhängigkeit von imperialistischer Ausbeutung und nationaler Unterdrückung kann es nur innerhalb einer internationalen Widerstandsbewegung, sozialen Revolutionen und einer globalen, sozialistischen Föderation, auf Grundlage freier multiethnischer, säkularer Regierungen mit Arbeiter*innendemokratie geben.“
Fazit
Zum Ende sei noch darauf hingewiesen, dass wir als Jugendorganisation keine Kaderpartei sind (andere sozialistische Gruppen, mit denen die FAU auch gerne mal gemeinsame Veranstaltungen organisiert, hingegen schon), bei uns unterdrückte Gruppen wie POC’s und Frauen eigene Strukturen bilden können, um ihre Anliegen unabhängig zu formulieren und demokratisch abstimmen zu lassen, es bei uns das Recht zur Fraktions- und Tendenzbildung gibt und nicht zuletzt unser Programm gemeinsam von allen Mitgliedern demokratisch ausgearbeitet und abgestimmt wurde und öffentlich sowie allen, die unserer Organisation angehören, bekannt ist, im Gegensatz zu den meisten anarchistischen Organisationen, die – wenn sie denn überhaupt sowas wie ein Programm vorzuweisen haben – dieses wie ein geheimes Papier behandeln, welches nur die aktivsten Führungsmitglieder kennen.
Wir sind auch weiterhin dazu bereit, über die bestehenden Differenzen, Vorurteile und Gerüchte offen in Diskussion zu treten – nicht nur mit der FAU selbst, sondern mit allen Linken. Gleichzeitig lehnen wir sämtliche Ultimaten, sektiererische Ausschlüsse missliebiger und andersdenkender Organisationen und Diffamierungen ab. Dieser „Stil“ nützt letztlich nur dem Klassenfeind. Wir fordern die FAU auf, ihr Ultimatum zurückzuziehen und sich am Aufbau einer gemeinsamen linken Bewegung gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft und gegen die Herrschenden zu beteiligen! Wir haben überhaupt kein Problem damit, dass die FAU andere offen und öffentlich kritisiert. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass es für Kritik kein sektiererisches Verhalten und keiner Ausschlüsse bedarf, sondern dass diese trotz einer Zusammenarbeit in Bündnissen und gemeinsamer Aktionen geäußert werden sollte. Denn den Kampf um die Emanzipation der Arbeiter_Innen kann auch eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft nicht alleine gewinnen, sondern muss beim Aufbau einer revolutionären Arbeiter_Innenbewegung zwangsweise mit anderen Organisationen der Arbeiter_Innenklasse zusammenarbeiten. Das bisherige Verhalten der FAU Dresden lässt sich in unseren Augen nicht mit deren Selbstanspruch, eine basisdemokratische und antiautoritäre Gewerkschaft sein zu wollen, vereinbaren. Wir denken, dass die Mitglieder der FAU ihr sektiererisches Vorgehen überdenken sollten und statt, wie es in ihrer Stellungnahme heißt, sich genötigt zu fühlen uns mit schlechten Pamphleten zu diffamieren und uns zu bekämpfen, was laut eigener Aussage „wohl schon hunderte Stunden politische Arbeit gekostet hat, die für andere Aufgaben besser hätten genutzt werden können“, sich auf den gemeinsamen Feind zu konzentrieren und statt zu spalten mit uns darüber zu reden, wie wir trotz unserer Differenzen gegen Faschos, Staat und Kapital kämpfen können. Sie könnten beispielsweise damit anfangen, sich an Bündnistreffen gegen PEGIDA oder das neue Polizeigesetz zu beteiligen, müssten hierzu aber dazu bereit sein, über den eigenen Schatten zu springen und linke Organisationen und Gruppen, die andere Positionen als sie haben, als Bündnispartner akzeptieren. Im Rahmen solcher Bündnisse und gemeinsamen Aktionen sollte die FAU dann auch ihre Kritik an anderen linken Gruppierungen offen äußern können, diese sollte aber kein Grund sein, von Vornherein die Zusammenarbeit auszuschließen. Dann könnte auch die FAU, statt ihre Zeit in den Kampf gegen sozialistische Jugendorganisationen wie der unseren zu investieren, ihren Teil dazu beitragen, auf der Grundlage demokratischer Diskussionen und Entscheidungen eine breite linke Bewegung aufzubauen.
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 17. Oktober 2018
Tags: Antifaschismus, Arbeiterbewegung, Breite Parteien, Gewerkschaften, Marx, Postmodernismus, Rassismus, Sozialdemokratie
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