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Auf Nato-Kurs und Schweizer Waffen für die Ukraine?

Eingereicht on 8. Juli 2024 – 17:42

Dominic Iten. Die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock in Nidwalden war kaum beendet, da verkündete die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats, dass künftig Schweizer Kriegsmaterial über Drittstaaten an die Ukraine weitergegeben werden soll. Wie geht es jetzt weiter?

Dem Beschluss der Kommission ging ein monatelanges politisches Ringen voraus. Wie stark die Frage bis zuletzt umstritten war, zeigt sich im äusserst knappen Abstimmungsergebnis: Bei vier Enthaltungen kam es in der Kommission zu einer Patt-Situation von zehn gegen zehn Stimmen, Kommissionspräsidentin Priska Seiler Graf (SP) fällte schliesslich den Stichentscheid.

Künftig sollen Staaten aus der Schweiz beschafftes Kriegsmaterial nach fünf Jahren an andere Staaten weitergeben können, sofern diese nicht in einen bewaffneten Konflikt verwickelt sind – es sei denn, es handle sich um Selbstverteidigung, oder der UNO-Sicherheitsrat beziehungsweise der weitergebende Staat hat einen Verstoss gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot festgestellt. Weiter legt der Gesetzesentwurf fest, dass der betreffende Staat die «Menschenrechte nicht schwerwiegend und systematisch» verletzen darf. Ausserdem dürfe «kein Risiko bestehen», dass das gelieferte Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werde. Das Gesetz soll rückwirkend in Kraft treten.

Federführende Linke

Vor rund einem halben Jahr hatte die Sicherheitspolitische Kommission dem Nationalrat empfohlen, dem Bundesrat künftig bei der Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial «mehr Flexibilität» zu geben, «um die Ausfuhrpolitik für Kriegsmaterial an sich ändernde aussen- und sicherheitspolitische Gegebenheiten anpassen zu können». Damals hatte sich eine aus SP und Grünen zusammengesetzte Minderheit gegen das Anliegen gestellt.

Seiler Graf zählte zu dieser Minderheit – allerdings nicht wegen grundsätzlicher Vorbehalte gegen Lockerungen des Kriegsmaterialgesetzes: «Die vorliegende Motion würde den Menschen in der Ukraine nichts bringen, denn weiterhin wäre es der Schweiz völkerrechtlich nicht erlaubt, der Ukraine direkt Kriegsmaterial zu liefern», lautete ihre damalige Kritik. Und genau das soll der neue Gesetzesentwurf ändern. Dass Seiler Graf dabei federführend war, ist wenig überraschend. Im Gespräch mit der WOZ meint sie, sie habe sich zwar persönlich immer für Verschärfungen in Bezug auf die Kriegsmaterialausfuhr eingesetzt. Aber in diesem Krieg, «in dem es einen klaren Aggressor und ein Opfer gibt», könne «man sich nicht einfach neutral verhalten».

Weil der Gesetzesentwurf frühstens im Frühling nächsten Jahres in den Nationalrat gelangt, steht zwar ein definitiver Entscheid noch aus – dennoch wird schon mal gejubelt, vor allem von links: Endlich stehe «die Schweiz der Unterstützung der Ukraine nicht weiter im Weg», meldet etwa SP-Nationalrat Fabian Molina auf X. Und SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer pflichtet ihm bei: Es sei «zu begrüssen, wenn ursprünglich in der Schweiz hergestellte Waffen an die Ukraine weitergegeben werden können».

Wie steht es um die Neutralität?

Im Gespräch mit der Boulevard-Zeitung Blick meint Seiler Graf, die Schweizer Neutralität werde durch die indirekten Waffenlieferungen nicht gefährdet. In der Kommission seien Völkerrechtler:innen angehört worden: Diese «sagten nicht, dass es auf keinen Fall und überhaupt gar nicht möglich ist». So wackelig diese Formulierung daher kommt, so unsicher ist man sich in der Sache: Weil man sich nicht einig wurde, «wie weit das Neutralitätsrecht überhaupt geht», sei man zum Schluss gekommen, dass es eben einen politischen Entscheid brauche, «wenn es völkerrechtlich nicht wirklich klar» sei – und diesen politischen Entscheid habe man nun gefällt.

Der Entscheid fällt in eine Phase, in der die Schweiz um ihre aussenpolitische Ausrichtung ringt. Und er befördert eine Tendenz, die sich seit längerem abzeichnet. Eine unheilige Allianz aus bürgerlicher Mitte, wirtschaftsliberalen Kreisen und Sozialdemokratie drängt die Schweiz in Richtung des westlichen Militärbündnisses Nato. Dabei wirken je nach politischer Couleur andere Interessen als Treiber. Die SP hat unter dem Eindruck «Zeitenwende» vergessen, dass sie als linke Kraft den Krieg auf die in der Krise verschärfte Konkurrenz kapitalistischer Nationalstaaten zurückführen sollte. Dass sie sich nicht als Anhängsel der herrschenden Politik dienstbar machen, sondern unabhängige Positionen erarbeiten sollte. Stattdessen schwingt sie sich auf zur Hüterin «westlicher Werte» und schickt über Umwege Waffen gegen den, der diese bedroht. Damit steht sie nahe bei der christlich-konservativen Mitte, die nach dem 24.Februar 2022 festhielt, dass «die Ukraine auch unsere Freiheit, unsere Werte» verteidige.

Im Sinne der Rüstungsindustrie

Etwas weniger pathetisch, dafür mit etwas mehr Geschäftssinn bemerkte die NZZ kürzlich, die Schweizer Rüstungsindustrie sei nicht nur «ein wichtiger Pfeiler der Verteidigungsfähigkeit», sondern auch «abhängig von Exporten und daher auf internationale Glaubwürdigkeit angewiesen» – FDP-Präsident Thierry Burkart hätte es besser nicht sagen können. Er war es, der sich in der jüngsten Vergangenheit nicht nur für eine intensivierte Zusammenarbeit mit der Nato aussprach, sondern auch vehement die Lockerung des Kriegsmaterialgesetzes forderte, um die Position der Schweizer Rüstungsindustrie im internationalen Umfeld zu stärken.

#Titelbild: Die Ukraine soll künftig mit Schweizer Kriegsmaterial gefüttert werden.

Quelle: vorwaerts.ch… vom 8. Juli 2024

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