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Von wegen «Lebenswerk»

Eingereicht on 1. August 2024 – 16:10

flo. Bürgerliche Propaganda und Polemik laufen aktuell auf Hochtouren. Unter allen Umständen will man die Erbschaftssteuer-Initiative der Juso Schweiz bodigen. Aber auch von der eigenen Mutterpartei kommen fadenscheinige Einwände gegen das Vorhaben der Jungsozialist:innen.

Man würde sich wie in einem falschen Film wähnen, wüsste man nicht, dass das Sommerloch teilweise seltsame Blüten treibt. So geschehen, als Peter Spuhler, Milliardär, ehemaliger SVP-National- und -Ständerat für den Thurgau, sowie CEO der Stadler Rail AG, ankündigte, dass er das Land verlassen würde, wenn die Schweiz eine Erbschaftssteuer einführen würde. Man ist fast versucht, ihm mitzuteilen, dass er nicht an einem Flughafen ist und drum seinen Abflug in irgendein noch abstruseres Steuerparadies als die Schweiz nicht derart unüberhörbar ankündigen muss. Die frisch gebackene Juso-Präsidentin Mirjam Hostetmann meinte daraufhin in den sozialen Medien: «Es wird Zeit, dass steuerkriminelle Familienclans wie der von Spuhler nach den Regeln des Gesetzes spielen müssen. Wir dürfen uns nicht in Geiselhaft nehmen lassen, unser Anliegen ist rechtens.» Die Empörung ob dieser doch recht klaren Ansage war so enorm, dass Hostetmann später eine Art Entschuldigung postete.

Der Grund des ganzen Aufhebens: Die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert». Mit ihr wollen die Jungsozialist:innen den ökologischen Umbau der Schweizer Wirtschaft vorantreiben. Dafür soll ab 50 Millionen Franken Nachlass oder Schenkung eine Steuer von 50 Prozent anfallen. Da nur wenige Schenkungen in dieser Höhe getätigt werden, dürfte die Initiative letztlich bei Annahme in eine Erbschaftssteuer für Superreiche münden.

Einwände aus Fantasiewelten

Sofort bemühten Kommentator:innen abgedrosch-ene Kritik: Ja, aber was sei denn mit Familienbetrieben? Und überhaupt: Spreche aus so einer Initiative nicht einfach Neid? Oder gar Hass auf alle Reichen (wie im Tages-Anzeiger geklagt worden ist)? Und warum sollten Menschen wie Spuhler denn nicht ihren wohlstandsverwahrlosten Sprösslingen ihr «Lebenswerk» vermachen können? Vielleicht zum einen, weil Spuhler sein Vermögen mit der Arbeit anderer gemacht hat? Vielleicht, weil die Vorstellung vom brillanten Genie, das mit überlegenem Intellekt einem Halbgott gleich ein Vermögen aus dem Nichts schafft, lächerlich ist? Und vielleicht ja, weil es in postfeudalen Zeiten einfach pervers ist, dass man seinen ungerecht erworbenen Reichtum, seine ungerecht erworbene Macht weitergeben kann – und so quasi auch über den Tod hinaus verfügen kann. Es ist aber eben Teil der bourgeoisen Weltanschauung, fast schon der bürgerlichen DNA, dass es Diebstahl wäre, zu verhindern oder nur schon zu erschweren, dass Superreiche mehr Geld mit der Arbeit anderer machen, als sie je auch nur ansatzweise mit ihren eigenen Händen erwirtschaften könnten.

Rhetorisches Taktieren der SP

Dabei wird die Juso und ihre Initiative aber nicht nur von rechts in die Mangel genommen. Auch von der eigenen Partei gibt es Ablehnung und Verwässerungsversuche. So hiess es von der Solothurner SP-Ständerätin Franziska Roth, dass die Initiative «verheerend» sei, dass man die «guten» Unternehmen im Land halten wolle. SP-Nationalrätin Gabriela Suter will hingegen die Steuer auf zehn Prozent und den Freibetrag auf zehn Millionen senken. Zwar wären so viel mehr Menschen betroffen, der Effekt der Umverteilung der Initiative wäre aber viel geringer. Fast schon in vorauseilendem Gehorsam kommentierte die SP-Führung (sowohl Cédric Wermuth als auch Mattea Meyer sitzen im Initiativkomitee) die Kritik damit, dass man ja am Gegenvorschlag mitarbeiten könne, wenn man wolle. Die Idee dahinter ist wohl, die Unkenrufer:innen als unkonstruktiv darzustellen. Schon einmal vorsorglich einen Gegenvorschlag vorzuschieben, dürfte aber gar nicht im Interesse der Initiant:innen sein. Die Jungpartei ist seit Wermuths Zeit als Präsident (2005 bis 2007) stark darauf ausgerichtet, mit Initiativen und dazugehörigen Kampagnen Diskussionen anzustossen, um im Gespräch und relevant zu bleiben. Damit ein Gegenvorschlag tatsächlich eine Chance hätte, müssten der Initiative die Zähne gezogen werden. Doch ein Gegenvorschlag wird mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht zustande kommen. Anstatt Diskussionen darüber anzustossen, wie manche Menschen zu ihrem schamlosen Vermögen kommen, gibt es von der SP rhetorisches Taktieren.

Die oder wir

Letztlich zeigt sich im Umgang mit der Initiative ein Hauptproblem des parlamentarischen Betriebs. Fakt ist, dass wir uns aktuell in einem der grössten globalen Verteilungskämpfe der Geschichte befinden. Es gilt eine Wahl zu treffen, auch und vor allem für reformistische Linke: Es wird je länger, desto unmöglicher, einen Ausgleich, eine ideale Lösung für die sich bekriegenden Klassen zu finden. Man wird in der aktuellen organischen Systemkrise des Kapitalismus nicht auf Basis steigender Profite Sozialreformen durchsetzen können, wie über weite Phasen der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Will man die Lage der arbeitenden Klasse in der Schweiz verbessern, muss man den Wohlstand eben dort holen, wo er ist: Bei denen, die ihn von der Arbeiter:innenklasse ausgebeutet haben.

Der Juso kann man zugutehalten, dass sie zumindest noch versucht, reformistisch die Gesellschaft zum Besseren zu verändern, während Teile der Sozialdemokratie nicht einmal mehr dazu bereit sind. Wie viele Früchte die Bemühungen der Juso im Rahmen des bürgerlichen Klassenstaates tragen werden, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Dass manche SP-Parlamentarier:innen besonders öffentlich ihren Unmut über Anliegen aus der Linken kundtun, hat System: Für manche von ihnen geht es hierbei darum, auch bürgerliche Wähler:innen anzusprechen, ihre Wiederwahl zu sichern – für ihre Partei wird solches Taktieren aber zur Hypothek.

Quelle: vorwaerts.ch… vom 1. August 2024

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