Unterschätztes Eskalationspotenzial: US-Raketen auf den Philippinen
Ramon Schack. Die USA und die Philippinen kooperieren seit April mit einem US-System für Mittelstreckenraketen auf der Insel Luzon. Peking reagiert darauf scharf und belässt es nicht nur bei verbalen Protesten.
Im Spätsommer 2021, während die Weltöffentlichkeit gebannt die Flucht der US-Truppen aus Afghanistan verfolgte, tingelte US-Vizepräsidentin Kamala Harris durch Südostasien, um die von Washington geplante Allianz gegen die Volksrepublik China in ein engeres Korsett zu schnüren.
Vom Hindukusch ins Südchinesische Meer
Während in den Medien Bilder liefen, welche das katastrophale Scheitern der geopolitischen Strategie der USA und des Westens am Hindukusch illustrierten, kritisierte die US-Vizepräsidentin in Singapur damals Chinas „aggressives Verhalten“ im Randmeer des Pazifischen Ozeans. „Peking übt weiterhin Druck aus, schüchtert ein und erhebt Anspruch auf einen Großteil des Südchinesischen Meeres“, klagte Harris – so, als sei dieses Meer nicht Teil der chinesischen Hemisphäre, sondern ein Binnengewässer der USA.
Eine neue Priorität der Außenpolitik Washingtons
Die Region sei für die Sicherheit und den Wohlstand der USA von entscheidender Bedeutung und daher eine Priorität für die Außenpolitik Washingtons, verdeutlichte Harris. Unbeantwortet blieb dagegen die Frage, wie denn Washington darauf reagieren würde, wenn China den Golf von Mexiko oder die Karibik als entscheidend für die eigenen Interessen deklarieren würde.
Die Politikerin der Demokratischen Partei beschloss ihren Auftritt mit dem Versprechen, dass die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten in der Region angesichts der Gefahr nicht im Stich lassen würden.
Traditionell wurden die Anrainerstaaten des Indischen Ozeans – in diesem Fall die asiatischen Anrainerstaaten, denn dieser Ozean reicht auch an die Küsten Ostafrikas und West-Australiens – als Südasien betrachtet, getrennt von den südost- und ostasiatischen Pazifikanrainern.
Der langjährige Konflikt um das Südchinesische Meer, als integraler Bestandteil der Region „Indopazifik“, wird zwischen mindestens sechs Staaten ausgetragen: China, Brunei, Vietnam, Taiwan (ein international nur bedingt anerkannter Staat), Malaysia und den Philippinen. Diese Länder beanspruchen das Südchinesische Meer sowie die dort liegenden Inselgruppen – die Paracel-Inseln (beansprucht von China, Vietnam und Taiwan) und das Spratly-Archipel (beansprucht von China, Brunei, Vietnam, Malaysia, Taiwan und den Philippinen).
Pekings Ansprüche
Peking fordert volle 90 Prozent der umstrittenen Gebiete als Teil des Territoriums der Volksrepublik. Hierbei handelt es sich um eine Fläche von mehr als einer Million Quadratmeilen, die sich von Taiwan bis Malaysia erstreckt. Peking stützt seinen Anspruch auf eine Nachkriegskarte aus dem Jahr 1947, die auch als „Neun-Punkte-Linie“ bekannt ist. Dieser durchaus imperiale Anspruch Pekings wird von den anderen Anrainerstaaten als illegal betrachtet, wobei man sich auf das UN-Seerechtsübereinkommen und die Bestimmungen über die freie Schifffahrt beruft. 2016 entschied ein internationales Gericht unter Vermittlung des Ständigen Schiedshofs in Den Haag (das Verfahren war von den Philippinen angestrengt worden), dass die Gebietsansprüche Chinas im Südchinesischen Meer unbegründet sind. Das Problem hierbei: Die Volksrepublik erkennt die Zuständigkeit des Haager Gerichtshofs nicht an.
Washingtons Einfluss auf Manila
Peking warf dabei Manila vor, den Interessen der USA zu dienen. Die Volksrepublik spielt dabei auf die „speziellen Beziehungen“ zwischen Manila und Washington an.
Nach dem Krieg zwischen Spanien und der USA, im Jahr 1900, übernahm Washington aus dem zusammenbrechenden Kolonialreich Madrids die Herrschaft über Kuba und Puerto Rico in der Karibik sowie über Guam und die Philippinen.
Als sich danach die Truppen des damaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt bemühten, die überwiegend hispanisierten katholischen Filipinos oberflächlich zu amerikanisieren, stieß das Expeditionskorps Washingtons auf die muslimischen Ethnien im Süden des Archipels, welche man als Moros bezeichnet. Die Truppen gingen auf Mindanao mit brutaler Härte gegen den Aufstand vor, welcher Züge eines Genozids annahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg, welcher die Philippinen ebenfalls zum Schlachtfeld machte, und der Kapitulation der Japaner wurde Manila unter den strengen Augen Washingtons als Stützpunkt der US-Marine in der Region ausgebaut. Bereits 1951 unterzeichneten der Inselstaat und die USA einen Vertrag über eine gegenseitige Verteidigung (Mutual Defense Treaty). Er sieht vor, dass im Falle eines Angriffs auf eines der beiden Länder das jeweils andere zur Unterstützung kommt.
Diese Entwicklung setzte sich fort und steigerte sich während des Vietnam-Krieges, als die Philippinen als einer der bedeutendsten US-Stützpunkte im Pazifik fungierten. Unter dem Clan der Marcos-Sippe, die heute wieder an der Macht ist, setzte sich diese betrübliche Entwicklung fort. Präsident Duterte, bis Juni 2022 im Amt, war darum bemüht, Washingtons Einfluss zu verkleinern und die Beziehungen zu Peking auszubauen. Dies gelang ihm jedoch nicht.
Aber aufgrund der geografischen Nähe der Philippinen zum Einflussgebiet Pekings stellt die Unterordnung unter Washingtons geopolitische Strategie ein hohes Risiko dar. Drei Jahre später ist aus diesen Ansagen konkrete Politik geworden. Peking zeigt sich entrüstet über die Stationierung des MRC-Systems auf den Philippinen und forderte dessen Entfernung.
Dieses bodengestützte System kann sowohl die Standard Missile 6 (SM-6) als auch die Tomahawk Land Attack Missile abfeuern. Gemäß der US-Army bedeutet die Stationierung des MRC-Systems einen „bedeutenden Meilenstein“ und zielt darauf ab, die Zusammenarbeit und Verteidigungsfähigkeit der Philippinen zu verbessern, wie der Business Insider berichtet.
Die Volksrepublik beließ es nicht bei markigen Worten. Letzte Woche feuerten die Chinesen gemäß der New York Times eine interkontinentale ballistische Rakete mit einem Dummy-Sprengkopf in den Pazifik, wie das Verteidigungsministerium der Volksrepublik verlautbaren ließ. Hierbei handelte es sich um eine Machtdemonstration bezüglich der eigenen ballistischen Kompetenz.
Quelle: nachdenkseiten.de… vom 3. Oktober 2024
Tags: Afghanistan, China, Imperialismus, Philippinen, USA
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