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Pausenclowns

Eingereicht on 5. März 2025 – 15:57

Sevim Dagdelen. Frieden, Entspannung und Abrüstung gelten als Verrat: Von einstiger Weltmacht träumend, taumeln die Europäer dem beschleunigten Niedergang entgegen.

Die Europäer geben die Pausenclowns. Die lustigen Stimmungsmacher treten im Zirkus bekanntlich immer dann auf, wenn es etwas zu überbrücken oder Missgeschicke zu überspielen gilt. Sie träumen ein Leben lang von einer eigenständigen Rolle, sind aber immer nur Lückenfüller. Vom Publikum gern gesehen, aber stets in Erwartung, dass sie gleich wieder weg sind und die Show weitergeht.

Während die USA nun die Militärhilfe an die Ukraine eingefroren haben, um Präsident Wolodimir Selenskyj an den Verhandlungstisch zu bringen, versuchen die Europäer, in die Bresche zu springen. In der EU soll eine gigantische Aufrüstung aufgesetzt werden. In Deutschland will die künftige Koalition Sonderschulden in Höhe von 900 Milliarden auflegen, die Hälfte davon allein für Aufrüstung. Sekundiert von der Linkspartei, die allerdings anmerkt, das Ganze besser rechtssicher über die Aufhebung der Schuldenbremse abwickeln zu wollen. Wie das Handelsblatt meldet, klafft in der Haushaltsplanung des Bundes bis 2028 eine Lücke von 130 bis 150 Milliarden Euro.

Frieden nur zu Wasser und zu Luft

Insbesondere Frankreich und Großbritannien präsentieren sich als militärische Retter der Ukraine und stellen die Entsendung eigener Truppen ins Kriegsgebiet in Aussicht. Um ihre Abstinenz in Sachen Diplomatie ein wenig zu übertünchen, wird ein grotesk anmutendes Angebot eines Teilwaffenstillstandes lanciert. Während zur See und in der Luft die Waffen schweigen sollen, gibt es grünes Licht für den Landkrieg. Das kann nicht wirklich ernst gemeint sein.

Die eigenständige Mission Frankreichs und Großbritanniens kennt zwei historische Vorbilder im 20. Jahrhundert. Zum einen der Libyenkrieg 2011. Den NATO-Staaten Frankreich und Großbritannien gingen bei ihrer Invasion in dem nordafrikanischen Land nach drei Tagen die Munitionsvorräte aus, dann sprangen die USA ein. Zum anderen die Suez-Krise 1956, bei der Frankreich, Großbritannien und Israel einen gemeinsamen Überfall auf Ägypten starteten. Deutschland weigerte sich, seine Unterstützung für Israel einzustellen.

Die USA unter Präsident Eisenhower aber verhängten Sanktionen, drohten Großbritannien mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen und stimmten in der Generalversammlung mit der Sowjetunion gegen die Militärintervention, um ihre Beziehungen zu den Staaten der „Dritten Welt“ nicht zu gefährden. Nachdem die USA die Instrumente gezeigt hatten, brach die Aktion der beiden europäischen Kolonialmächte in sich zusammen. Gegen die USA war ein eigenständiges Agieren der Europäer nicht möglich.

Frieden als Bedrohung

Die Parallele zur heutigen Situation ist unverkennbar. Unter der Fahne der Verteidigung setzen Großbritannien und Frankreich darauf, den NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine ohne Washington alleine fortzusetzen. Um sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen, werden bis zur völligen Verausgabung alle erdenklichen finanziellen Mittel mobilisiert. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte einen 800 Milliarden Euro umfassenden Kriegsfonds an, um den Stellvertreterkrieg am Laufen zu halten. Das Aufrüstungspaket namens „Rearm Europe – Europa wieder bewaffnen“ soll den EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel bei einer Dringlichkeitssitzung vorgelegt werden. Die Frontfrau der Friedensnobelpreisträgerin EU sieht im Frieden eine Gefahr für Europa. „Ich brauche nicht zu beschreiben, wie ernst die Bedrohungen sind, denen wir gegenüberstehen“, so von der Leyen mit Blick auf die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, mit Russland ein Abkommen zur Beendigung des Ukraine-Krieges aushandeln zu wollen.

Als Kollateralschaden des Versuchs eines eigenständigen Stellvertreterkrieges darf die NATO gelten. Zwar ist die Existenz des Militärpakts trotz Austrittsforderungen von US-Regierungsmitgliedern wie Elon Musk auf absehbare Zeit gesichert, doch der Kern der Allianz, die Versicherung, sich nach Artikel 5 gegenseitig beizuspringen, ist brüchig geworden. Die USA sind nicht bereit wie die Europäer für den NATO-Beitritt der Ukraine ins Risiko eines Dritten Weltkrieges zu gehen.

Unklar ist, wer alles in Europa den französisch-britischen Alleingang unterstützen wird. Es scheint am Ende fragwürdig, ob beispielsweise Polen mit Ministerpräsident Donald Tusk bereit ist, die Beziehungen zu den USA aufs Spiel zu setzen. Auch Ungarn und die Slowakei, Slowenien und Kroatien dürften nicht willens sein, einen Feldzug Kerneuropas gegen Russland auf Dauer zu unterstützen.

Wilhelminische Selbstüberschätzung

Die deutsche Außenpolitik gefällt sich derweil geradezu in einer wilhelminischen Selbstüberschätzung der eigenen Kräfte und will es mit allen Großmächten gleichzeitig aufnehmen. Das wird den Niedergang Europas nur noch beschleunigen, während ein Frieden in der Ukraine in weite Ferne zu rücken scheint.

Die Zukunft für die Gesellschaften im Herzen Europas scheint damit aber vorgezeichnet. Instabilität und soziale Verwerfungen werden das Bild immer mehr prägen. Das ist der Preis von Aufrüstung und Ukraine-Hilfe. Auf die wachsende Unzufriedenheit wird man dann wie in Rumänien heute nur noch reagieren können, indem die demokratischen Spielregeln selbst ausgesetzt werden, um eine liberale Autokratie etablieren zu können, die allein kriegstüchtig erscheint und Kriege fernab der eigenen Grenzen zu führen bestrebt ist.

Die Gefahr bei diesem Vabanquespiel ist, dass man am Ende den Dritten Weltkrieg riskiert, um die eigenen Verluste zu kompensieren. Bezeichnend ist, dass von den deutschen Militärexperten, deren analytische Trefferquote zu wünschen übriglässt, die sich aber doch tapfer mit der 150-prozentigen Unterstützung der Mainstreammedien im Spiel halten, jetzt auch schon die Kriegskredite des Ersten Weltkrieges gefeiert werden, weil es ja schon seinerzeit gegen Russland ging. So können zumindest die Niederlagen der Vergangenheit in Siege verwandelt werden – den Tagträumereien deutscher Militärprofessoren sei Dank. Allein: wir wissen, wie die Sache endete.

Frieden, Entspannung und Abrüstung gelten als Verrat, als würde man förmlich die Katastrophe als Befreiung bürgerlicher Zwänge herbeisehnen. Die Europäer scheinen wie im Rausch, der zum Krieg drängt. Folgerichtig sind da dann erste Rufe nach Wiedereinführung der Wehrpflicht noch in diesem Jahr. Von einstiger Weltmacht träumend, taumeln sie dem beschleunigten Niedergang entgegen, als Pausenclowns der Geschichte.

Quelle: overton-magazin.de… vom 5. März 2025

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