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Die Faschisten werden gebraucht: Chef der griechischen Chrysi Avgi frei

Submitted by on 25. September 2025 – 9:06

Katerina Selin. Vor knapp zwei Wochen, am 12. September, wurde der griechische Faschist Nikos Michaloliakos vorzeitig aus der Haft in den Hausarrest entlassen. Das Berufungsgericht von Lamia genehmigte seinen Antrag aus „gesundheitlichen Gründen“. Der berüchtigte Anführer der griechischen Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) wurde 2020 zu 13 Jahren und

sechs Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem seine Partei als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft worden war.

Der Holocaust-Leugner und Hitler-Verehrer ist mitverantwortlich für zahlreiche Gewalttaten gegen Linke und Migranten. Nach nicht einmal der Hälfte seiner Haftzeit darf er den Rest seiner Strafe jetzt im Hausarrest in seinem Heimatort Pefki nordöstlich von Athen absitzen. Flüchtlinge hingegen werden seit der jüngsten Verschärfung des Asylgesetzes mit einer elektronischen Fußfessel überwacht und ins Gefängnis geworfen, wenn sie kein Asyl erhalten. Man kann sicher sein, dass die Neonazis die Polizei beim Aufspüren und gewaltsamen Festnehmen dieser verzweifelten Menschen tatkräftig unterstützen werden.

Schon im Mai 2024 war Michaloliakos erstmals unter Auflagen entlassen worden, musste aber nach einem Monat schon wieder zurück ins Gefängnis, weil er in Online-Artikeln seine faschistische Hetze weiter verbreitet hatte. Da der Verdacht bestand, er könnte neue Straftaten begehen, wurde die Fortsetzung seiner Gefängnishaft angeordnet.

Die erneute Freilassung von Michaloliakos ist eine unmissverständliche Botschaft: Neonazis, die Arbeiter und Flüchtlinge terrorisieren, müssen nicht befürchten, jahrelang hinter Gittern zu sitzen. Im Gegenteil: Die Faschisten werden gebraucht. Je rascher sich die soziale Krise in Griechenland zuspitzt und Streiks und Proteste die Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND) herausfordern, desto stärker wird die herrschende Klasse auf rechtsextreme Kräfte und Schlägertrupps zurückgreifen, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu unterdrücken. Diese gefährliche Logik lässt sich gerade weltweit beobachten, besonders in den USA unter dem Faschisten Donald Trump und in Großbritannien unter der Starmer-Regierung.

Auch der Zeitpunkt von Michaloliakos’ Haftentlassung ist bewusst gewählt. Sie fand fast zeitgleich zum zwölften Jahrestag der Ermordung des linken Hip-Hop-Musikers Pavlos Fyssas statt. Fyssas wurde am 18. September 2013 im Arbeiterviertel Keratsini, einem Vorort von Piräus, von einer Gruppe Neonazis überfallen und von einem Mitglied der Goldenen Morgenröte erstochen. Der Mord löste große Proteste gegen die faschistische Gefahr aus.

Wie die Onlinezeitung ThePressProject berichtet, verurteilten die Anwälte der Familie Fyssas die Entscheidung für die Freilassung von Michaloliakos als „skandalös“ und warnten: „Die Botschaft ist klar: bevorzugte Behandlung bei Verbrechen der extremen Rechten und des Nationalsozialismus. Die kriminelle Organisation wurde nicht beseitigt, sondern besteht fort.“ Auch die Mutter des Opfers, Magda Fissa, brachte gegenüber dem Sender SKAI ihre Wut über den Ausgang des Gerichtsverfahrens zum Ausdruck: „Das ist also Gerechtigkeit. Die Faschisten draußen, die Solidarischen drinnen.“

Der Mord an Fyssas war der Höhepunkt des rechten Terrors, den die Schläger der Chrysi Avgi in den Jahren der Wirtschaftskrise ausübten. Zwei weitere Attentate hatten damals Entsetzen ausgelöst und wurden im Gerichtsprozess gegen die Partei verhandelt:

Im Juni 2012 überfiel ein rechtsradikaler Mob in den frühen Morgenstunden vier ägyptische Fischer in ihrer Unterkunft in Perama, einem Vorort der Hafenstadt Piräus. Sie grölten rassistische Parolen und attackierten die Arbeiter mit Schlagstöcken und Eisenstangen, mehrere Opfer wurden schwer verletzt.

Im September 2013, wenige Tage vor dem Mord an Fyssas, griffen zwei bewaffnete Neonazi-Trupps Gewerkschafter der stalinistischen Organisation PAME in Athen an, neun Verletzte mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Michaloliakos hat die Nazi-Organisation Chrysi Avgi 1980 gegründet und steht seitdem an ihrer Spitze. Hitlergruß, Fackelaufmarsch, Horst-Wessel-Lied und Nazilektüre gehören zum Pflichtprogramm der Partei. Mitgliedsanwärter müssen Hitlers Mein Kampf und Goebbels Schriften lesen. Ihre politischen und ideologischen Wurzeln gehen auf die antikommunistische Metaxas-Diktatur in den 1930er Jahren und die griechische Militärdiktatur von 1967 bis 1974 zurück.

Wie die WSWS aufgezeigt hat, bestehen enge Verbindungen zwischen der Chrysi Avgi und dem griechischen Staat, besonders den Polizei- und Armeekreisen. Nicht zufällig gewann die Partei während der griechischen Finanz- und Schuldenkrise ab 2009/2010 an Einfluss. Sie wurde systematisch politisch gefördert, erhielt Großspenden aus der Wirtschaft und mediale Aufmerksamkeit.

Als die griechischen Regierungen – unter der ND, der sozialdemokratischen PASOK und der pseudolinken Syriza – die Spardiktate der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds mit gnadenloser Härte durchsetzten, wurden zeitgleich demokratische Rechte eingeschränkt und autoritäre Strukturen gestärkt, um den anhaltenden Widerstand der Arbeiter gegen Lohn- und Rentenkürzungen zu unterdrücken. In dieser Situation war Chrysi Avgi für die herrschende Elite von großem Nutzen, weil sie mit ihrer Hetze und ihren paramilitärischen Einheiten die Arbeiter und Flüchtlinge terrorisierte.

Der Durchbruch gelang Chrysi Avgi schließlich, als die rechtsextreme Partei Orthodoxer Volksalarm (LAOS) 2011 auf Vorschlag von EU-Vertretern in die Technokratenregierung aufgenommen wurde. Mit diesem seit dem Ende der Militärjunta einmaligen Schritt wurden rechtsextreme Standpunkte wieder hoffähig gemacht.

Während sich LAOS diskreditierte, zogen die Faschisten von Chrysi Avgi bei den Wahlen im Mai 2012 erstmals ins Parlament ein – mit 6,97 Prozent der Wählerstimmen und 21 Sitzen. Bei der Europawahl 2014 gewannen sie sogar 9,3 Prozent und wurden drittstärkste Kraft.

Ihre wichtigste Bastion hat Chrysi Avgi in der Polizei. Über die Hälfte der griechischen Polizisten stimmte bei den Wahlen von 2012 für die Neonazis. Die Polizisten arbeiten bis heute Hand in Hand mit den Rechtsextremen. Besonders ihre Motorradeinheiten sind bekannt für Übergriffe gegen Flüchtlinge und Demonstranten. Sowohl beim Mord an Fyssas als auch dem Attentat auf die Gewerkschafter waren laut Zeugenaussagen Polizeibeamte in der Nähe, griffen aber nicht ein.

Im Gerichtsprozess gegen Chrysi Avgi, der 2015 begann, wurde die offensichtliche Komplizenschaft der Polizei mit den Neonazis zwar in der Beweisaufnahme thematisiert, blieb jedoch ohne juristische Folgen. Stattdessen wurde der Mythos verbreitet, der Staat gehe nun ernsthaft gegen die Faschisten vor. Der Prozess endete 2020 mit der Verurteilung aller 68 Angeklagten wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung oder unerlaubtem Waffenbesitz. Sie erhielten Gefängnisstrafen zwischen fünf und 13 Jahren. Der Mörder von Fyssas, Giorgos Roupakias, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die vorzeitige Haftentlassung von Michaloliakos entlarvt die Rolle von Syriza (Koalition der radikalen Linken) und anderen pseudolinken Organisationen, die das Urteil gegen Chrysi Avgi vor fünf Jahren als „Meilenstein“ und „Wendepunkt für die Kämpfe der Arbeiterklasse“ bejubelt hatten.

Jetzt lamentiert Syriza, die Haftentlassung verstoße „gegen die demokratischen Überzeugungen der griechischen Bevölkerung und die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit“. Es sei an der Zeit, dass „demokratische Parteien, soziale Bewegungen, Kollektive und alle demokratischen Bürger ihren Kampf gegen den Faschismus in all seinen Formen sowie gegen faschistische Praktiken verstärken“.

Aus dem Mund der Partei, die selbst 2015 eine Regierungskoalition mit der ultrarechten Partei ANEL (Unabhängige Griechen) gebildet und mit ihrer Politik des sozialen Kahlschlags die Rechtsextremen gestärkt hat, ist diese Erklärung nichts als Hohn und Heuchelei. Zugleich schürt Syriza mit ihrem Appell an die „Rechtsstaatlichkeit“ und „demokratischen Parteien“ die gefährliche Illusion, man könne sich im Kampf gegen die Faschisten auf die Justiz und die kapitalistischen Parteien stützen.

Die WSWS warnte 2020, als die Pseudolinken über das Gerichtsurteil jubelten:

Diese Einschätzungen sind nicht nur naiv, sondern politisch kriminell. Sie entwaffnen die Arbeiterklasse gegenüber der faschistischen Gefahr, die mit der Verurteilung von Chrysi Avgi keineswegs gebannt ist. [ND-Ministerpräsident Kyriakos] Mitsotakis und [der ehemalige ND-Premierminister Antonis] Samaras haben sich nicht zu Antifaschisten gewandelt und ihre ‚Blutbande zu den Nazis‘ gekappt, sondern deren Politik übernommen.

Tatsächlich hat die Regierungspartei ND, die seit der Niederlage von Syriza 2019 im Amt ist, immer offener und aggressiver das Programm der extremen Rechten umgesetzt: Sie hat den Sozialstaat ausgehöhlt, grundlegende Arbeiterrechte wie das Streikrecht angegriffen, Geflüchtete kriminalisiert und in den Tod getrieben, nationalistische Hetze verbreitet und die militärische Aufrüstung enorm verstärkt.

Zudem hat die ND in den letzten Jahren mehrere Rechtsextreme in ihre Reihen aufgenommen und in hohe Positionen gehoben, darunter drei Minister, die früher Mitglied der rechtsextremen Partei LAOS waren und aus ihren faschistischen und migrantenfeindlichen Standpunkten keinen Hehl machen: Adonis Georgiadis, derzeit Gesundheitsminister, Makis Voridis, bis Juni diesen Jahres Migrationsminister, und sein Nachfolger Thanos Plevris, erst Gesundheitsminister, jetzt Migrationsminister.

Die Neonazi-Schläger sind mitnichten verschwunden oder politisch besiegt. Die einst rechte Hand von Michaloliakos, der Faschist Ilias Kasidiaris, hat aus dem Gefängnis heraus 2020 eine neue Neonazi-Formation gegründet („Nationale Partei – Die Griechen“). Als dieser 2023 die Teilnahme an den Wahlen gerichtlich untersagt wurde, gab er seine volle Rückendeckung für die rechtsextremen „Spartiates“, die mit zwölf Sitzen ins Parlament einzogen. Die Fraktion musste sich in diesem Sommer wegen Vorwürfen des Wählerbetrugs auflösen, was aber nichts daran ändert, dass die Neonazis als paramilitärische Schlägertrupps bereit stehen.

Die Inhaftierung – und nun die vorzeitige Entlassung – von Faschisten ist für die Herrschenden eine taktische Frage, wie die WSWS erläutert hat:

Wenn der Hitler-Verehrer Michaloliakos und seine engsten Kumpane vorübergehend hinter Gitter müssen, nachdem sie jahrelang mit staatlicher Unterstützung ungestört Migranten verprügeln, Arbeiter terrorisieren und linke Aktivisten ermorden konnten, hat das vor allem taktische Gründe. Die Regierung fürchtet, dass die wachsende Opposition gegen die Nazis zu einer Gefahr für die bürgerliche Herrschaft werden könnte.

Die Frage, ob sie ihre faschistischen Kampfhunde auf Arbeiter und Migranten loshetzt, sie zu deren Einschüchterung an der Leine hält oder sie vorübergehend einsperrt, war für die Bourgeoisie schon immer eine Frage der taktischen Zweckmäßigkeit. In Deutschland wurde die SA, der bewaffnete Arm der Nazis, noch im April 1932 verboten, weil die Gefahr bestand, dass eine bewaffnete Konfrontation mit einem Sieg der Arbeiterklasse enden würde. Nur neun Monate später betraute die herrschende Klasse Hitler mit der Führung der Regierung und stattete ihn mit diktatorischen Vollmachten aus.

Diese Warnung gilt heute mehr denn je – nicht nur für Griechenland, sondern ebenso für Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder die USA.

Wer den Einfluss von Faschisten wie Nikos Michailolakos’ Neonazi-Banden wirklich bekämpfen will, darf sich weder auf den Staat noch auf pseudolinke Parteien wie Syriza oder die Antifa-Aktionen der Anarchisten orientieren. Die Rechten können nur aufgehalten werden, wenn die Ursache des Faschismus beseitigt wird: das kapitalistische System. Dieser politische Kampf erfordert die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse in ihrer eigenen revolutionären Partei – dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale.

#Titelbild: Nikos Michaloliakos, Vorsitzender der faschistischen Partei Goldene Morgenröte, spricht während einer Wahlkampfveranstaltung in Athen am Mittwoch, 16. September 2015. [AP Photo/Lefteris Pitarakis]

Quelle: wsws.org… vom 25. September 2025

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