Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » International

US-Tomahawks gegen Terroristen in Nigeria – warum und warum jetzt?

Submitted by on 31. Dezember 2025 – 11:03

Jürgen Hübschen. Am Weihnachtsfest 2025 feuerte ein US-Kriegsschiff im Golf von Guinea 16 Tomahawk Raketen auf zwei Einrichtungen von Terroristen – vermutlich der Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) – im „Sokoto State“ im Nordwesten Nigerias. Sokoto grenzt im Norden an den Niger und gilt als einer der wichtigsten Einfallspunkte für dschihadistische Gruppen in den Nordwesten Nigerias.

Den Angriff hatte US-Präsident Trump angeordnet und dazu auf seinem Kanal „Truth Social“gepostet:

„The United States launched a powerful and deadly strike against ISIS Terrorist Scum in Northwest Nigeria, who have been targeting and viciously killing, primarily, innocent Christians at levels not seen for many years, and even Centuries!”

(„Die Vereinigten Staaten haben einen mächtigen und tödlichen gegen ISIS Terroristen Abschaum im Nordwesten Nigerias geführt, die gezielt und bösartig vor allem unschuldige Christen angreifen in einem Maß, das man für viele Jahre und sogar Jahrhunderte nicht gesehen hat.“)

US-Verteidigungsminister (offizielle Bezeichnung „Kriegsminister“) Pete Hegseth ergänzte in den sozialen Medien:

„The President was clear last month: The killing of innocent Christians in Nigeria (and elsewere) must end.“

(„Der Präsident war letzten Monat klar: Das Töten von unschuldigen Christen in Nigeria (und anderswo) muss aufhören.“)

Der Einsatz in Nigeria erfolgte unter Führung des U.S. Africa Command, das in Stuttgart stationiert ist. Der Führer des Kommandos, General Dagvin Anderson, erklärte in einem Statement:

Our goal is to protect Americans and disrupt violent extremist organizations wherever they are.”

(„Unser Ziel ist es, Amerikaner zu schützen und gewalttätige extremistische Organisationen zu zerstören, wo immer sie sind.“

Aus dem Kommando hieß es in einer ersten Beurteilung, dass mehrere ISIS-Terroristen getötet worden seien. Weiter erklärte das Kommando:

“U.S. Africa Command is working with our Nigerian and regional partners to increase counter terrorism cooperation efforts related to ongoing violence and threats against innocent lives.”

(“Das amerikanische Afrika Kommando” arbeitet mit unseren nigerianischen und regionalen Partnern zusammen, um gemeinsame Maßnahmen gegen Terrorismus zu verbessern im Zusammenhang mit Gewalttaten und Drohungen gegen unschuldige Menschen.“)

Zur Zahl der Toten oder den genauen Zielen gab es weder Angaben aus den USA noch aus Nigeria. Das Pentagon veröffentlichte ein Video, auf dem offensichtlich der Abschuss einer Rakete von einem US-Kriegsschiff zu sehen ist. Präsident Trump dazu: „Frohe Weihnachten an alle, auch die getöteten Terroristen“

Gewalt von Terroristen gegen Christen oder generell gegen unschuldige Zivilisten?

Nigeria ist in einen mehrheitlich muslimischen Norden und einen weitgehend christlichen Süden geteilt. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas ist von zahlreichen Konflikten zwischen verschiedenen Ethnien und Bevölkerungsgruppen geprägt. Christen sowie Muslime sind gleichermaßen von den Konflikten betroffen. Seit Jahren terrorisiert unter anderem die Islamistenmiliz Boko Haram die nigerianische Bevölkerung. Die Gruppe kämpft für die Errichtung eines islamischen Staates.

Boko Haram verübt auch Angriffe in den benachbarten zentralafrikanischen Ländern Tschad und Kamerun. Zehntausende Menschen wurden dabei getötet.

Trotz dieser Fakten unterscheiden sich die Stellungnahmen der US-Regierung zur Begründung des Raketenangriffs von der Einschätzung der nigerianischen Verantwortlichen. Während der amerikanische Präsident ausschließlich von Gewalttaten gegen Christen spricht, erklärt die Regierung von Nigeria, dass alle Bevölkerungsgruppen von terroristischer Gewalt betroffen sind.

Bereits im November 2025 hatte Präsident Trump auf seiner Online Plattform gedroht, falls die nigerianische Regierung nicht gegen das „Töten von Christen durch islamistische Terroristen“ vorgehe, könnte das US-Militär „mit feuernden Gewehren“ einmarschieren. Außerdem würden die USA sofort alle Hilfen für das afrikanische Land stoppen.

Nigerias muslimischer Präsident Bola Ahmed Tinubu hatte Trumps Vorwürfe damals zurückgewiesen. Er erklärte auf „X“, Nigeria als religiös intolerant zu charakterisieren, spiegele nicht die Realität in dem Land wider und berücksichtige auch nicht die Bemühungen der Regierung, die Religions- und Glaubensfreiheit aller Nigerianer zu schützen. Tinubu wörtlich: „Nigeria lehnt religiöse Verfolgung ab und fördert sie nicht. Christen und Muslime sind von Konflikten betroffen.“

Während Präsident Trump nach dem Angriff erklärte: “ Ich habe diese Terroristen zuvor gewarnt, dass sie teuer dafür bezahlen würden, wenn sie nicht aufhören, Christen zu töten, und heute Nacht haben sie dafür bezahlt“. Das „Kriegsministerium“ habe „zahlreiche perfekte Angriffe durchgeführt“.

Der Angriff ist nach US-Angaben auf Bitten Nigerias durchgeführt worden.

Der nigerianische Außenminister Yusuf Maitama Tuggar sagte der BBC, die Anti-Terror-Operation habe „nichts mit einer bestimmten Religion zu tun“. Tuggar schloss weitere Angriffe nicht aus. Der Sprecher des nigerianischen Außenministeriums Kimiebi Ebienfa, postete dazu:

„The precision strikes on terrorist targets in Nigeria were carried out in coordination with the Nigerian government. Terrorist violence in any form — whether directed at Christians, Muslims, or other communities — remains an affront to Nigeria’s values and to international peace and security”

(“Die Präzisionsangriffe auf terroristische Ziele in Nigeria erfolgten in Koordination mit der Regierung Nigerias. Terroristische Gewalttaten in jeder Form- ob gegen Christen oder Muslime oder andere Gemeinschaften- sind ein Affront gegen die Werte Nigerias und gegen internationalen Frieden und Sicherheit.“)

US-Tomahawks gegen Terroristen in Nigeria- warum und warum jetzt?

Es ist offensichtlich, dass US Präsident Trump die Lage anders beurteilt als die Regierung Nigerias und auch keine Beweise dafür anführt, dass sich die terroristische Gewalt in der Hauptsache gegen die Christen in Nigeria richtet, Mit knapp 240 Millionen ist Nigeria das bevölkerungsstärkste Land Afrikas, liegt damit auf Platz 6 der Gesamtbevölkerung der Erde, was einem Anteil von knapp 3% entspricht. Vereinfacht kann man sagen, dass etwa 50% der Bevölkerung Nigerias Christen und die andere Hälfte Muslime sind.

Wenn sich, wie der Präsident Nigerias feststellt, die terroristische Gewalt gleichermaßen gegen Christen und Muslime richtet, stellt sich die Frage, warum Präsident Trump so vehement darauf pocht, dass nur die christliche Bevölkerung terrorisiert wird, er sich deren Schutz verpflichtet fühlt und deswegen den Raketenangriff gegen den IS befohlen hat.

Aus meiner Sicht gibt es dafür in der Hauptsache, wahrscheinlich sogar ausschließlich innenpolitische Gründe. Die Zustimmungsraten für Präsident Trump sind seit seinem Amtsantritt kontinuierlich gesunken und zwar auch bei seinen eigenen Wählern. In den USA gibt es rund 70 bis 77 Millionen Katholiken, was etwa 20 bis 24 Prozent der Bevölkerung entspricht. Ein großer Teil von ihnen sind Latinos, Nach vorliegenden Informationen hat haben 55% dieser Bevölkerungsgruppe bei den letzten Wahlen Präsident Trump ihre Stimme gegeben und gehören jetzt zu denen, die zunehmend auf Distanz zu ihm gehen und zwar vor allem wegen seiner Migrationspolitik. Wesentlichen Anteil an diesem Meinungsumschwung haben der Papst LeoIV. und die katholischen Bischöfe der USA. Papst LeoIV. ist in Chicago geboren und besitzt neben der amerikanischen Staatsbürgerschaft auf die von Peru, wo er lange gearbeitet hat.

Der Papst hat den Umgang der US-Regierung mit Einwanderern scharf kritisiert. Er äußerte Zweifel, ob dieser mit der Position der Katholischen Kirche zum Schutz des Lebens im Einklang stehe.

„Wenn jemand sagt, er sei gegen Schwangerschaftsabbrüche, aber mit der unmenschlichen Behandlung von Einwanderern in den Vereinigten Staaten einverstanden, dann weiß ich nicht, ob das Pro-Life ist“. Auch jemand, der gegen Abtreibung ist, gleichzeitig jedoch die in vielen US-Bundesstaaten erlaubte und zuletzt wieder häufiger vollstreckte Todesstrafe unterstützt, sei „nicht wirklich für das Leben“.

Diese kritische Position des Papstes teilten die rund 270 katholischen Bischöfe und Weihbischöfe der USA auf einer Bischofskonferenz Mitte November 2025 mit einer gemeinsamen „Sonder-Mitteilung“ zu der Papst Leo IV. sie nicht nur ermutigt, sondern sogar aufgefordert hatte. Bischof Mark Seitz aus der texanischen Grenzdiözese El Paso hatte am Rande eines Treffens mit Papst Leo XIV. im Oktober berichtet, dass ihm der Papst gesagt habe, „er würde gerne eine Stellungnahme der Bischofskonferenz sehen“.

Die Bischöfe stellten sich nahezu einstimmig gegen Trumps Migrationspolitik. Sie fühlten sich verpflichtet, ihre Stimme „zur Verteidigung der von Gott gegebenen Menschenwürde zu erheben“, erklärten die Bischöfe auf ihrer Vollversammlung in Baltimore. 216 stimmten für den Text, fünf dagegen, drei enthielten sich.

Die Bischöfe erklärten den Migranten als „Brüdern und Schwestern“ ihren Rückhalt und würdigten deren Beitrag für das Gemeinwesen. Die Bischöfe wörtlich: „Wir lehnen die wahllose Massenabschiebung von Menschen ab. Wir beten für ein Ende der entmenschlichenden Rhetorik und Gewalt, ob sie sich nun gegen Einwanderer oder gegen die Strafverfolgungsbehörden richtet.“

Die Bischöfe zeigten sich beunruhigt über ein „Klima der Angst“, das durch die Art und Weise der Durchsetzung von Einwanderungsgesetzen entstanden sei. Sie wandten sich gegen eine Verunglimpfung von Migranten in der aktuellen Debatte. Weiter äußerten sie sich besorgt über die Bedingungen in Haftanstalten, einen willkürlichen Entzug des rechtlichen Status für manche Einwanderer, aber auch über eine Bedrohung des Status von Kirchen, Krankenhäusern und Schulen als Orten besonderen Schutzes.

Der neu gewählte Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Paul Coakley aus Oklahoma City, sprach sich vor der Abstimmung nachdrücklich für die Annahme des Textes aus.

Zum ersten Mal seit zwölf Jahren nahmen die Bischöfe so konkret Stellung zu einer aktuellen politischen Frage. Ungewöhnlich war auch, wie sehr die Bischofskonferenz das Anliegen durch eine Social-Media-Kampagne pushte, bei der sich viele Bischöfe persönlich sehr kritisch zu Wort meldeten.

Und noch ein Ereignis darf in diesem Kontext nicht vergessen werden: Am 18. Dezember 2025 teilte der Vatikan mit, dass Papst Leo XIV. den Trump-Vertrauten Kardinal Timothy Dolan (75) als Erzbischof von New York abgelöst hat. Nachfolger wird Ronald Hicks (58), bislang Bischof von Joliet unweit von Chicago im Bundesstaat Illinois. Der am 4. August 1967 geborene Hicks stammt wie der Papst selbst aus Chicago; von 2018 bis 2020 war er dort Weihbischof. Mit mehr als 2,5 Millionen Katholiken ist das Erzbistum New York das zweitgrößte des Landes nach Los Angeles. Doch wegen der besonderen Stellung New Yorks als Trendsetter und globale Medien- und Wirtschaftsmetropole nannte Johannes Paul II. den New Yorker Amtsinhaber einmal den „Bischof der Hauptstadt der Welt“.

Die amerikanischen Katholiken sind eher „traditionell“ in ihrem Glauben. Sie glauben an alles, was in der Bibel steht bis hin zur Erschaffung des Menschen durch Gott. Sie glauben im eigentlichen Sinne an „die Heilige Katholische Kirche“ und an alles, was ihre Priester und Bischöfe sagen. Der Papst ist für sie nach wie vor „unfehlbar“. Diese konservative Grundhaltung bringt die amerikanischen Katholiken zunehmen in einen existenziellen Konflikt, weil sie nicht mehr wissen, ob sie ihrem Präsidenten oder den Bischöfen und dem Papst vertrauen sollen/können. Die Migrationspolitik der Republikaner unter Präsident Trump steht dafür lediglich beispielhaft.

Die Gefahr, die aus diesem Konflikt der katholischen Wähler für die Zustimmungswerte des Präsidenten entsteht und damit auch für das Abschneiden der republikanischen Partei bei den „Midterm Elections“ in 2026 hat Präsident Trump mit seinem Machtinstinkt erkannt und ihn veranlasst zu handeln, um diese Entwicklung zu stoppen.

Das ist für mich der entscheidende Grund für die Raketenangriffe gegen die IS-Einrichtungen in Nigeria zum jetzigen Zeitpunkt. Trump weiß, dass dieser „amerikanische Papst“ auch in Zukunft nicht schweigen wird, und deshalb versucht der Präsident durch seinen angeblichen Einsatz für die Christen in Nigeria, die katholischen Wähler in den USA „bei der Stange zu halten“. Wenn es Trump wirklich um die Christen, also um Menschen in Nigeria ginge, hätte er im Juli 2025 nicht USAID für Nigeria gestoppt. Zu dieser menschenverachtenden Maßnahme schrieb der österreichische „Standard“ am 20. Juli 2025:

„Damit endet auch ein Programm für mangelernährte Kinder.

Die kleine Klinik der Organisation Alima hält die Stellung in Maiduguri, einer Stadt im Nordosten Nigerias. Vor rund 20 Jahren bildete sich hier die Terrorgruppe Boko ­Haram. Seither bedrohen sie und jihadistische Splittergruppen die Bevölkerung. Dazu kommen Überschwemmungen, die mit dem Klimawandel zunehmen, ein Mangel an sauberem Trinkwasser und teure Lebensmittel. Hilfsorganisationen warnen: Hunderttausende Kinder im Norden Nigerias sind akut unterernährt. In früheren Jahren erhielten viele von ihnen therapeutische Fertignahrung aus Erdnüssen, Öl, Zucker, Milchpulver, Vitaminen und Mineralien – Tamuwa, wie die Menschen hier sagen. Vor allem in den kargen Sommermonaten bis September retteten die Päckchen viele Leben. Heuer ist alles anders. Die US-Entwicklungsbehörde USAID investierte Jahr für Jahr rund 200 Millionen Euro in Projekte in Nigeria. Neben dem Kampf gegen Malaria­ oder Tuberkulose finanzierte sie auch ein Noternährungsprogramm und verteilte Tamuwa. Doch Anfang des Jahres fror US-Präsident Donald Trump über Nacht die Finanzierung für USAID ein und löste die Organisation Anfang Juli endgültig auf. In Nordnigeria endete die Verteilung der Spezialnahrung. Wie viele Vorräte heute noch vor Ort lagern, ist unklar.“

Fazit

Die amerikanischen Raketenangriffe auf IS-Stellungen in Nigeria waren angeblich mit der dortigen Regierung abgestimmt. Ob das wirklich so war, darf durchaus bezweifelt werden, wenn man sich daran erinnert – wie bereits ausgeführt – dass Präsident Trump andernfalls mit der Streichung der amerikanischen Unterstützung gedroht hat, womit in diesem Fall nicht USAID gemeint war. Die Christen in Nigeria sind dem US Präsidenten egal, so wie ihm grundsätzlich die meisten Menschen, vielleicht sogar alle egal sind, von ihm selbst abgesehen. Ihm geht es um Wähler; denn ohne Wähler gibt es keine Macht und die steht, was die aktuellen, aber knappen Mehrheiten der Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat bei den Midterm Elections auf dem Spiel.

Quelle: overton-magazin.de… vom 31.Deember 2025

Tags: , , , , ,