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China und das iPhone X: Im Herzen der Ausbeutung

Eingereicht on 4. Dezember 2017 – 17:45

Simon Leplâtre. Am Ausgang der Metro-Station bei der riesigen Fabrik von Foxconn machen sich vier Personalvermittlungsfirmen die Besucher von «iPhone city» streitig; dies der Spitzname dieses neuen Quartieres am Aussenrand von Zhengzhou, das von und für eine der grössten Elektronikfabriken der Welt gebaut wurde. «Keine Interviews, beeilt euch mit Einschreiben» plärren die Lautsprecher. Drinnen fordert uns eine Frau in den Vierzigern mit fahler Haut auf, auf den Faltstühlen Platz zu nehmen. «Wenn Sie uns einen Praktikanten für 45 Tage zuführen, so bekommen Sie 3000 Yuan!», gibt sie zum Besten. «Wenn Sie uns mehr bringen können, wenn Sie eine ganze Schule kennen, so können wir über die Prämie diskutieren».

Diesen Herbst laufen die Fabriken von Zhengzhou auf Hochtouren für die Auslieferung des iPhone X in die ganze Welt. Foxconn, der Hauptlieferant von Apple in China, hat sich 2012 in der Hauptstadt von Henan niedergelassen, um von den vielen und billigen Arbeitskräften dieser bevölkerungsreichsten Provinz in Zentralchina zu profitieren.

Neben den Arbeitern und Arbeiterinnen sind die Praktikantinnen und Praktikanten, die nur einige Monate bleiben und kaum Sozialabgaben kosten sehr willkommen, um die saisonalen Bedürfnisse abzudecken. Über 3’000 Studenten und Studentinnen arbeiten momentan an den Montagebändern von Foxconn, unter denselben Bedingungen wie die Arbeiterinnen und Arbeiter. Die repetitiven Aufgaben, die sie erledigen, stehen in keinerlei Beziehung zu ihrem Studium. Sie leisten Überstunden und verletzen dabei die gesetzlichen Bestimmungen.

«Wenn wir das nicht tun, gibt die Schule uns kein Diplom»

Die Lage ist bekannt. Nach einer Reihe von Selbstmorden auf dem Areal von Foxconn in Shenzhen (im Südwesten Chinas) im Jahre 2010 hat Apple, sein Hauptkunde, seine Kontrollen entlang seiner Versorgungsketten verstärkt. Aber um 17 Uhr begegnet man am Nordausgang des ungeheuren grossen Geländes der Foxconn-Fabrik zahlreichen sehr jungen Gesichtern. Eine kleine Gruppe von 16-Jährigen vergisst den Ärger des Tages in einem Spielsalon am Fusse der Schlafsäle. «Diese Arbeit ist deprimierend, aber wir sind dazu verpflichtet, seufzt ein junger Mann trocken (sämtliche angetroffenen Studenten wollen anonym bleiben). Wenn wir das nicht tun, gibt uns die Schule im nächsten Jahr kein Diplom».

Den Studentinnen und Studenten ist klar, dass das Praktikum überhaupt nicht gesetzeskonform ist; aber sie können nichts dagegen tun. Momentan arbeiten 2’500 Studierende der Urban Rail Transit School, einer Berufsschule von Zhengzhou, an den Montagebändern von Foxconn. Einige Hundert Andere kommen aus verschiedenen Berufs-Gymnasien in Henan.

Meistenteils haben die übernommenen Aufgaben nichts zu tun mit ihrer Ausbildung. «Ich verbringe meine Zeit mit der Prüfung der Frontalkamera der iPhones, erklärt ein pausbäckiger Junge mit einer von einer schwarzen Franse eingerahmten Stirn. Ich lege sie in eine Maschine, drücke auf einen Knopf und nehme sie dann hinaus. Das ist furchtbar langweilig, gesteht er – im Billardzimmer – mit einer Zigarette schief im Mund. Ich studiere graphische Gestaltung, in meiner Schule gibt es welche, die auf Säuglingspflege machen, andere auf Logistik und wir treffen uns alle beim Zusammenbau von Telefonen!». Seine Klassenkameradin poliert den ganzen Tag Bildschirme. Ein anderer versorgt die Montagebänder mit Material.

Ein eingespieltes System

Als Apple durch die Financial Times bezüglich solcher Praktiken kontaktiert wurde, wurde am 22. November folgende Pressemitteilung publiziert: «Im Verlaufe eines kürzlich durchgeführten Audits stiessen wir bei einem unserer Lieferanten in China auf Studenten, die in einer Fabrik als Praktikanten Überstunden leisten. Wir haben uns versichert, dass sie freiwillig arbeiteten, entlöhnt wurden und Zusatzleistungen erhielten; sie wären aber nicht berechtigt gewesen, Überzeit zu leisten», hat die Firma eingestanden. Wenn es denn zuträfe, dass die Praktikanten fortan vergleichbar wie Arbeiter entlöhnt würden, so trifft weiterhin zu, dass sie für die Anerkennung ihrer Ausbildung in der Tat verpflichtet sind, ein Praktikum zu absolvieren.

Das gut eingespielte System funktioniert in der Zusammenarbeit der Berufsschulen, die die Vermittlungsgebühren einheimsen, aber auch mit der Mithilfe der lokalen Behörden.

Im September, als die Produktion des iPhone X auf Hochtouren lief, hat der Erziehungsminister der Provinz Henan an alle Berufsschulen einen Brief gesandt und forderte diese auf, ihre «Industrie-Praktikanten» zu Foxconn zu schicken, wie die Financial Times berichtet.

Die Schulen rechtfertigen diese Praktika als notwendige «Arbeitserfahrungen». Sie dauern im Normalfall zwei bis drei Monate. Im Laufe des Herbstes sollen bis zu 15’000 Praktikantinnen und Praktikanten an der Produktion des iPhone X beteiligt gewesen sein, wie Arbeiter berichten. Die Fabrik in Zhengzhou beschäftigt bis zu 350’000 Arbeiterinnen und Arbeiter, so dass die Zahl der Praktikanten höchstens 5% der Gesamtbelegschaft beträgt. Das taiwanesische Unternehmen lässt in China ungefähr eine Millionen Lohnabhängige für sich arbeiten.

«Es verändert sich nichts»

Die von uns angetroffenen Studenten und Studentinnen haben uns gesagt, dass sie am 20. November durch ihre vorgesetzten informiert worden seien, dass sie nicht länger Überzeit arbeiten könnten. Eine Massnahme, die mit dem kurz vorher stattfindenden Besuch der Financial Times zusammenzuhängen scheint. Das britische Wirtschaftsblatt hatte Apple in einem Artikel vom 21. November angesprochen. Diese jungen Leute bestätigten ebenfalls, dass sie alle bis anhin Überzeit geleistet hätten: « Man arbeitete zehn Stunden am Tag, gelegentlich elf, an sechs Tagen die Woche», präzisiert ein junger Mann.

Das macht mindestens sechzig Stunden pro Woche, was es den Studenten – wie den neuen Arbeitern – ihr Grundsalär von 1900 Yuan (243,5 Euro) aufzubessern, um auf 3500 Yuan (gegen 450 Euro) im Monat zu kommen.

Wenn auch diese Reaktionen von Apple und Foxconn als Zeichen des guten Willens interpretiert werden könnten, so sind doch Zweifel angebracht, da sich das Problem von Jahr zu Jahr neu stellt. So hat sich im Juli eine Universität in Shenyang, im Nordosten des Landes, dafür entschuldigt, dass sie ihre Studentinnen und Studenten zu Praktika in einer anderen Fabrik von Foxconn, in Yantai an der Ostküste, verpflichtet. «Das ist normal für viele Elektronik-Zulieferfirmen. Die Löhne sind kümmerlich, die Arbeitstage sehr lang, die Arbeitsbedingungen recht schlecht. Die Industrie verbraucht die Arbeitskräfte schnell und stellt laufend neue ein. Für die wenig qualifizierten Stellen werden massenweise Praktikanten und Temporäre eingestellt», erklärt Keegan Elmer, Sprecher der NGO China Labour Bulletin mit Sitz in Hongkong.

In den staubigen Strassen der «Wirtschaftszone vom Flughafen Zhengzhou», der offiziellen Bezeichnung des Distriktes, sind Leute über Dreissig selten anzutreffen. Nach zwei Jahren bei Foxconn ist Liu mit 23 Jahren bereits ein Veteran. Er sieht jedoch keine Verbesserung der Bedingungen. «Die Firma sagt zwar, dass sie sich anstrenge, aber nichts verändert sich. Denn wenn sich etwas verbessern würde, würde die Produktion teurer. Der Bedarf nach Arbeitskräften schwankt saisonal. Es werden Überstunden angehängt und sobald die Aufträge zurückgehen genügt der leiseste Vorwand für die Entlassung. Für sind die Praktikanten, die 45 Tage kommen, perfekt.»

Quelle: alencontre.org… vom 3. Dezember 2017, aus Le Monde vom 24. November 2017. Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

 

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