Nordkorea: Kommunismus oder Monarchie?
Andrew Salmon. Vergesst, was ihr über Nordkorea wisst, das meiste davon ist falsch. Es ist allerdings auch nicht leicht, das Land in eine Schublade zu stecken. Ist die isolierte, hoch gerüstete Nation mit 25 Millionen Einwohnern kommunistisch oder eine Monarchie? Ist sie eine sozialistische Kommandowirtschaft oder eine aufstrebende kapitalistische Marktökonomie? Ist sie ein starker oder ein schwacher Staat?
Eine häufige Fehlbeschreibung Nordkoreas ist die, es sei ein «kommunistischer» Staat. Das ist er weder de facto noch de jure. Der Bezug auf den Kommunismus in der Verfassung wurde schon 2009 fallen gelassen. Heute ist Nordkorea ein Sammelsurium verschiedener, oftmals gegensätzlicher Konzepte. Andrei Lankow, ein russischer Nordkorea-Experte, der in Pjöngjang studiert hat und jetzt an der Kookmin-Universität in Seoul unterrichtet, nennt Nordkorea eine «erbliche postkommunistische Diktatur». «Ein Erbe des Kommunismus ist die Fähigkeit, jede Person im Land zu kontrollieren, angefangen mit wem sie schläft, bis zu was sie isst. In diesem Sinn ist Nordkorea ein stalinistischer Staat.»
Der Personenkult um die Kim-Dynastie ist allerdings bedeutend ausgeprägter als der um Stalin oder andere Diktatoren. Ähnliche wie die japanische Kaiserfamilie werden die Kims in die Nähe von Göttern gerückt. Nordkorea ist jedoch der erste «kommunistische» Staat, der eine Erbnachfolge eingeführt hat: Auf den 1994 verstorbenen Staatsgründer Kim Il-sung folgte dessen Sohn, Kim Jong-il, und auf diesen dessen Sohn Kim Jong-un. Lankow bezeichnet das Regime deshalb auch als «unerklärte Monarchie» mit allen Charakteristika eines dynastischen Systems.
Tatsächlich war Nordkorea von Anfang an nicht wirklich kommunistisch. Die dominierende Ideologie, eng verwoben mit den Legenden um Kim I, Kim II und Kim III, ist der Nationalismus. Kim I war beteiligt am Guerillakampf gegen die japanische Besatzung in der Mandschurei und in Nordkorea in den 30er Jahren. Der Propaganda nach blickte er auf eine lange Ahnenreihe koreanischer Krieger zurück. «Seine Eltern und Großeltern waren lupenreine Nationalisten, die stets gegen Invasoren gekämpft und das Nationalbewusstsein hochgehalten haben», schreibt Go Myung-hyun vom Asian Institute in Seoul. «Nordkorea ist eine Monarchie mit einer rigiden nationalistischen Ideologie.»
Kriegerischer Nationalismus
Elemente des vormodernen Korea stützen das System. So der Konfuzianismus, eine Lehre mit sehr klaren Vorschriften, wie die Beziehungen zwischen dem König und seinen Untertanen, Mann und Frau usw. auszusehen haben, das sehr detailliert die Verhaltensregeln vorschreibt, die zu befolgen sind. Das bestehende Machtgefüge wird durch diese traditionellen kulturellen Werte gestärkt.
Während aber das letzte Königreich Koreas nicht militaristisch war, ist Nordkorea dies in potenziertem Maße. Die Leitlinie Kim Jong-ils, des Vaters des derzeitigen Machthabers, lautete «songeun», das heißt «das Militär zuerst». Nordkoreas Armee ist 1,1 Millionen Mann stark und hat die knappen Ressourcen für die Entwicklung strategischer Waffen ausgegeben. Die permanente militärische Bedrohung durch die USA erlaubt dem Regime, sich als Verteidiger des Volkes darzustellen, was manchmal paranoide Züge annimmt.
Gibt oder gab es vergleichbare Systeme? Die hervorstechenden Merkmale des nordkoreanischen Staates – eine Herrscherdynastie, sein aggressiver Nationalismus, die militarisierte Gesellschaft, die autoritäre Überwachung – machen ihn vergleichbar mit der Nation, die es stets gefürchtet und verachtet hat: das kaiserliche Japan.
Ökonomisch sieht die Sache anders aus. Die Kommandowirtschaft brach in den 90er Jahren zusammen, als die kommunistischen Partner in Europa zum Kapitalismus übergingen; dabei wütete eine fürchterliche Hungersnot, die Hunderttausende das Leben kostete, einige sprechen von über einer Million. Das staatliche Zuteilungssystem brach zusammen und es entstanden Schwarzmärkte für Nahrungsmittel und Medikamente. Die Wende der 90er Jahre Seitdem sind die Märkte ein fester Bestandteil der nordkoreanischen Wirtschaft. Andray Abrahamian, nordkoreanischer Forscher am Pacific Forum CSIS, hält Nordkorea für eine «gemischte Wirtschaft, die sich von ihren Kommandostrukturen weit entfernt hat». «Besser, man stellt sich eine Marktwirtschaft mit einem riesigen Staatssektor vor, der teilweise in die Wirtschaft integriert ist, teilweise nicht.
Große Staatsunternehmen sind zu marktwirtschaftlichen Kriterien übergegangen um zu überleben und florieren im Großen und Ganzen. Es werden aber auch kleine Unternehmen gegründet, die ebenfalls konkurrieren. Offiziell wird das Privateigentum nicht anerkannt, so spielt sich vieles in der Grauzone ab.» In dieser Grauzone operieren die Akteure offen, so kann der Staat sie kontrollieren. Der Staat hält zwar das Eigentum an den Produktionsmitteln, doch betreiben viele Menschen die Produktionsanlagen für ihren persönlichen Gewinn – so etwa die Fischereiflotte im Nordosten, deren Crew den Fang nach China verkauft.
Viele sind in solchen öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekten aktiv. Kims Frau, Ri Sol-ju, wird das auch nachgesagt, und viele von Kims ökonomischen Vorzeigeprojekten sind in Freizeitbereichen für die Wohlhabenden angesiedelt, wie etwa Skifahren oder Feriensiedlungen am Strand. Die meisten Güter auf den Märkten stammen aus China, darüber ist ein anderer, quasi legaler Markt entstanden: ein grenzübergreifendes Netzwerk von Schmugglern, die die Ware verteilen und in dem die Grenzbeamten eine aktive Rolle spielen. Dank dieser vielen Grauzonen haben Bestechung und Korruption stark zugenommen.
Doch der Staat besteht weiterhin auf seiner Kontrolle über das Wirtschaftssystem und will es mit eigenen Vorgaben beeinflussen. Die Marktöffnung hat Nordkorea einen Puffer gegen die internationalen Sanktionen beschafft; heute kann man alles dort finden, bis hin zu elektronischen Gütern. Experten schätzen, dass Nordkorea, das keine Wirtschaftsdaten veröffentlicht, ein Wachstum des Bruttosozialprodukts um jährlich 3 Prozent hat. Wenn das stimmt, wäre der Durchschnittskoreaner heute wohlhabender als je zuvor seit den 60er Jahren, der Hoch-Zeit der Kommandowirtschaft.
Das erklärt die marktfreundliche Haltung von Kim Jong-un. Es scheint, dass er derjenige ist, der bestimmt, wer das Recht erhält zu kaufen und zu verkaufen.
Quelle: Asia Times, 11.?Juni 2018, www.atimes.com/article/what-really-is-north-korea/
Quelle: sozonline.de… vom 2. Juli 2018
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