STAF: NEIN und NEIN zum 4 Milliardenbschiss an der Arbeiter*innenklasse!
STAF: NEIN und NEIN zum 4 Milliardenbschiss an der Arbeiter*innenklasse
Willi Eberle. 2017 war ein Jahr der politischen Rückschläge für die Schweizer Bourgeoisie. In zwei zentralen Projekten erlitt sie an der Urne eine Niederlage: Im Februar wurden die Unternehmenssteuerreform III (USR III) und im September die Altersvorsorge 2020 (AV2020) zurückgewiesen, zwei der wichtigsten Projekte aktueller bürgerlicher Politik. Mit der Steuervorlage 17 und der AHV-Finanzierung (STAF) werden nun beide Projekte in einem kombinierten Angriff auf die Arbeiter*innenklasse verbunden. Was steckt dahinter?
Mit der STAF-Vorlage versucht die politische Elite in der Schweiz, auf zwei zentralen politisch-sozialen Achsen die seit Jahrzehnten dauernden Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse weiterzutreiben.[1] Bei dieser Offensive sind Erpressungen und Lügen wichtige Mittel. Bei der Steuervorlage wird angeführt, dass nur eine massive Senkung der Unternehmenssteuern die Abwanderung grosser Konzerne verhindern könne, während bei der AHV auf eine angeblich kommende Finanzierungslücke hingewiesen wird. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsführungen erzählen diese beiden lügenhaften und erpresserischen Untergangsepen brav nach – auf Kosten der Lohnabhängigen.
Steuervorlage 17: Über 2 Milliarden für die Unternehmer*innen
Die Steuervorlage 17 wurde im September 2018 vom Parlament verabschiedet. Dagegen haben verschiedene linke Gruppierungen am 9. Oktober 2018 das Referendum ergriffen. Dazu gehören Sektionen der BFS/MPS (Bewegung für den Sozialismus), einzelne Sektoren aus den Gewerkschaften, darunter insbesondere der VPOD/SSP (Gewerkschaft im Service public), verschiedene NGOs, die Grüne Partei, die sich auf die Wahlen 2019 hin ein Profil links der SPS verschaffen will, solidaritéS, die PdA/POP, sowie einzelne Zusammenhänge in der SPS, vor allem die Juso. Falls dieses Referendum mit mindestens 50’000 gültigen Unterschriften bis zum 17. Januar 2019 zustande kommt, wird darüber am 19. Mai 2019 abgestimmt werden.
Die Steuervorlage 17 unterscheidet sich kaum von der USR III. Der einzige wichtige Unterschied ist, dass an ihrer Ausarbeitung die SPS massgeblich beteiligt war, während dies bei der USR III 2016/2017 nicht der Fall war. Dies ist auch der Grund, weshalb 2017 das Referendum gegen die USR III auch von der SPS mitgetragen wurde, während sie heute die STAF massiv unterstützt. Wie auch bei der USR III werden die Unternehmen und Aktionär*innen vor allem auf kantonaler Ebene mit insgesamt 2 bis 4 Milliarden Steuerreduktionen rechnen können. Insgesamt rechnet man mit Steuersätzen von unter 10 % bis ca. 16 % auf Gewinnen je nach Kanton und politischer Dynamik. Am anderen Pol des Klassenkonfliktes müssen die Lohnabhängigen damit rechnen, dass der finanzielle Druck auf das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen und andere öffentliche Bereiche in der Folge mit Sparpaketen und Privatisierungen weiter verschärft wird.
Es ist nicht einzusehen, weshalb nun alle ca. 550’000 Unternehmen in der Schweiz, insbesondere auch diejenigen ca. 50’000 mit über 10 Beschäftigten, die steuerlichen Privilegien der etwa 24’000 multinationalen sogenannten Statusgesellschaften übernehmen können, statt dass diese Privilegien einfach abgeschafft würden. Schliesslich bezahlen die Lohnabhängigen bereits zwischen 20 und 30% direkte Steuern auf ihren Einkommen, abgesehen von der Mehrwertsteuer und anderen indirekten Steuern, sowie der Kopfsteuer bei den Krankenkassen. Wie die Steuerstatistik zeigt, haben die Unternehmen und Aktionär*innen über die vergangenen zehn Jahre ihre Gewinne insgesamt mehr als verdoppelt, während die Lohneinkommen stagnierten. Denen, die haben, wird gegeben – dies entspricht ja geradezu der Definition von Klassenpolitik.
Die Begründung für diese Gegenreform baut auf Lügen und Erpressung: Es wird ins Feld geführt, dass die Schweiz von der OECD und von der EU zunehmend unter Druck gerät aufgrund der Steuerprivilegien für die Multis (die oben genannten 24’000 sog. Statusgesellschaften) und diese in der ersten Hälfte 2019 abgeschafft werden müssten, ansonsten würden Sanktionen drohen. Dies mag stimmen. Aber dass diese Privilegien einfach auf alle Unternehmen und Aktionär*innen ausgedehnt werden, steht nirgends. Es wird vielmehr so getan, auch von der SPS (und die Grünen übernehmen dieses Argument), als ob die Schweiz im internationalen «Steuerwettbewerb» keine andere Alternative hätte und für die Statusgesellschaften um jeden Preis attraktiv bleiben müsste!
Immerhin taucht die Besteuerung unter den sogenannten «12 Säulen der Wettbewerbsfähigkeit»[2], wie sie vom WEF kürzlich veröffentlicht wurden, nicht auf. Und trotzdem drehen alle in den kantonalen und lokalen Regierungen vertretenen Parteien an der Schraube des Steuerwettbewerbs und heizen damit eine international verhängnisvolle Dynamik noch weiter an; so wird geschätzt, dass dem globalen Süden 2016 durch den globalen Steuerwettbewerb bis zu 200 Milliarden[3] Steuereinnahmen entzogen wurden. Hierzulande jedoch werden von den Regierungsparteien diejenigen Konzerne gehegt und umsorgt, die dort an der Generierung von Hunger, Elend, Landvertreibungen, Wasserknappheit und -verseuchung, Seuchen, Bodenerosion und Krieg verdienen und damit gerade die Ursachen schaffen, die die Menschen in die Flucht treiben.
AHV-Finanzierung: Die Arbeiter*innenklasse bezahlt 2 Milliarden für ein Pseudoproblem
Die Bourgeoisie erhöht den Druck auf die Arbeiter*innenklasse in allen Bereichen. Sie kommt damit in einer Referendumsdemokratie – die wir glücklicherweise immer noch haben – nur weiter, indem die SPS und die Gewerkschaftsführungen politisch stärker eingebunden werden, als dies beispielsweise bei der USR III der Fall war. Entsprechende Erfahrungen wurden z.B. in Basel-Stadt und in der Waadt gemacht. Durch die Verbindung der massiven Unternehmenssteuersenkung mit «sozialen» Massnahmen unter «Führung» der SPS wurden diese Steuersenkungen in den kantonalen Abstimmungen akzeptiert.
Desgleichen mit der STAF: Durch das «giftige Zückerchen» der Zusatzfinanzierung der AHV von über 2 Milliarden sollen die Steuersenkungen zugunsten der Unternehmer*innen und Aktionär*innen für die Arbeiter*innenklasse akzeptabel gemacht werden. Die SPS lässt dabei die Lohnabhängigen die Zusatzfinanzierung auch noch gleich selbst bezahlen. Denn sie wird durch höhere Lohnabzüge (Anstieg von 8.4 auf 8.7%), eine Erhöhung der Mehrwertsteuer (bis zu 1%) und mehr Bundesbeiträge an die AHV finanziert.
Das ganze Paket soll den Wähler*innen mit der allseits geteilten Annahme einer systematischen Finanzierungslücke bei der AHV glaubhaft gemacht werden. Doch dieses Argument blendet die wirkliche Ursache für die Probleme im Rentensystem aus. Das Problem ist weniger die «Überalterung» der Gesellschaft als das System der Zweiten Säule, wo in den vergangenen 30 Jahren aufgrund verschiedener Gegenreformen und der Finanzkrisen zwischen 33 und 40% der Rentenansprüche verloren gegangen sind. Gleichzeitig steht die AHV immer noch auf vergleichsweise soliden finanziellen Füssen.
Die Gründe für eine mögliche Finanzierungslücke bei der AHV liegen weniger im Anstieg der Lebenserwartung als bei den stagnierenden Reallöhnen. Während zwischen den 1950er und 1970er Jahren die AHV in mehreren Schritten ausgebaut wurde und gleichzeitig die Lebenserwartung bis in die 1990er Jahre anstieg, um dann einem Plafond zuzustreben, wurde nie eine Finanzierungslücke sichtbar. Kompensiert wurde nämlich dieser Ausbau bis in die 1970er Jahren durch Lohnerhöhungen von jährlich 3-6% sowie eine beinahe Verdoppelung der Zahl der Lohnabhängigen. Die Gewerkschaftsführungen wollen aus Angst, das «Erfolgsmodell Schweiz» zu gefährden, seit Jahrzehnten keine Kampagne zur Durchsetzung von substantiellen Lohnerhöhungen mehr führen, und die Bourgeoisie greift zunehmend die Substanz des Einkommens der Arbeiter*innenklasse an, um die Sozialwerke zu finanzieren (Lohnbeiträge, Mehrwertsteuern), ohne auf einen ernst zu nehmenden Widerstand der SPS oder der Gewerkschaftsführungen zu stossen. Ja, diese werden vielmehr in die Gegenreformen eingebunden mit sogenannten «Deals» wie bei der aktuellen STAF oder der AV2020 von vergangenem Jahr.
Das Hauptargument der SPS und der Gewerkschaftsführungen für die Unterstützung der STAF liegt in der Hoffnung, damit einer weiteren Gegenreform in der AHV etwas die Luft wegzunehmen. Insbesondere die Erhöhung des Rentenalters soll damit abgewendet werden. Mittlerweile ist aber klar, dass der Bundesrat im ersten Halbjahr 2019, also ungefähr zum Zeitpunkt einer allfälligen Referendumsabstimmung über die STAF, ein entsprechendes Projekt zur «Reform» der AHV vorlegen wird, wo eine Erhöhung des Rentenalters gefordert wird. Dies wird aber die SPS nicht weiter beeindrucken: Hauptsache, sie bleibt im Geschäft mit der Bourgeoisie.
[1] Siehe für eine gute Zusammenfassung: K-Tipp Nr. 17 vom 17. Oktober 2018; online: https://www.ktipp.ch/artikel/d/steuerdeal-kostet-die-bevoelkerung-vier-milliarden/
[2] Siehe z.B. NZZ vom 17. Oktober 2018: Die Schweiz stürzt vom Podest; online: https://www.nzz.ch/wirtschaft/die-schweiz-ist-weniger-wettbewerbsfaehig-als-bisher-angenommen-angeblich-ld.1428508
[3] Siehe z.B. Alliance Sud: http://www.alliancesud.ch/de/politik/steuer-und-finanzpolitik/steuervorlage-17-absage-globale-verantwortung
Tags: Altersvorsorge, Gewerkschaften, Neoliberalismus, Politische Ökonomie, Service Public, Sozialdemokratie, Steuerpolitik, Widerstand
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