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Ziemlich extrem…

Eingereicht on 8. November 2018 – 10:31

Henri Ott (BFS Jugend Zürich). …sei ein Teil der Jugendlichen in der Schweiz. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dabei wirft sie Islamisten, Neonazis und linke Aktivist*innen in einen Topf.  Doch das ist längst nicht der einzige Kritikpunkt, den man an dieser gänzlich missratenen Studie äussern muss.

Ziemlich extrem ist auch, wie man zu solchen Ergebnissen kommt und sogar voll extrem ist, dass man für so eine schwachsinnige Studie 347‘000 CHF zur Verfügung gestellt bekommt. Aber der Reihe nach.

Wie es auf der Seite der ZHAW heisst, war das Ziel der Studie mit dem Titel politischer Extremismus unter Jugendlichen in der Schweiz (Publiziert am 6. November 2018), folgendes zu untersuchen: „Die Verbreitung und die Einflussfaktoren von drei Extremismus-Formen unter Jugendlichen: Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamischer Extremismus. […] Damit können Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei betrachteten Formen herausgearbeitet werden.

Mal wieder werden Nazis, Antifas und der IS in einen Topf geworfen, die gute alte Extremismustheorie. Nazis, der IS und die Antifa sind also nur drei extreme Abweichungen, aber von was überhaupt? Damit etwas extrem sein kann, muss auch definiert werden, was denn nicht-extrem wäre, bzw. was der Status quo sei und das ist natürlich – ihr ahnt es schon – der bürgerliche Staat mit allem Drum und Dran. Auf Seite sechs der Studie heisst es dann auch „Politischer Extremismus kann daher wie folgt definiert werden: Es handelt sich um Einstellungsmuster und Verhaltensweisen, die durch eine Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates, seiner Grundwerte und Verfahrensregeln gekennzeichnet sind und die anstreben, diesen – unter Anwendung von Gewalt – zu überwinden.“ Rechtsextremismus, Linksextremismus und islamistischer Extremismus sind zwar irgendwie verschieden, allerdings wollen alle drei den Status quo verändern, wenn nötig auch mit Gewalt.

Gewalt gleich Gewalt gleich schlecht

Gewalt wird oft so behandelt, als sei sie ein immer gleicher, unveränderlicher Akt. Gewaltanwender*innen unterscheiden sich vielleicht ideologisch, aber nicht in der Praxis. Ob Nazi oder Kommunistin, das Resultat ist dasselbe, so die gängige Auffassung. Diese Ansicht hat zwei grosse Vorteile, man kann erstens jede Rebellion gegen die momentane Situation als illegitim und extremistisch einstufen, sobald nur schon eine Scheibe zu Bruch geht. Zweitens muss man nicht zu lange nachdenken, denn das strengt auch sooo an. Natürlich sind wir als Sozialist*innen für eine freie, friedliche Gesellschaft und dass für dieses Ziel in bestimmten Situationen Gewalt angewendet werden kann, erscheint nur an der Oberfläche als Paradoxon. Wenn man mehr als zwei Sekunden überlegt, gibt es aber durchaus Unterschiede, Gewalt ist nicht gleich Gewalt, das versteht sogar das bürgerliche Recht. Wenn mich jemand gewaltsam angreift, darf ich mich ebenfalls mit dem Einsatz von Gewalt zur Wehr setzen, das nennt sich dann Notwehr.

Wann und wie Gewalt angewendet wird, hängt von den Zielen ab, die damit verbunden sind. Nazis wenden Gewalt an, weil ihr Ziel die Tötung anderer „Rassen“ ist. Gewalt ist integraler Bestandteil faschistischer Weltanschauung, Faschismus ist nicht mal in der Theorie ohne Mord zu haben und natürlich in der Praxis noch weniger. Im Gegensatz dazu ist Gewalt kein zentraler Pfeiler von kommunistischen Gedanken, im Gegenteil. Wir Sozialist*innen wollen eine gerechte Welt, in der alle genug zum Leben haben. Doch die Kapitalisten verwehren sich einer solchen Welt, sie werden ihre Reichtümer niemals freiwillig aufgeben, man wird sie wahrscheinlich gewaltsam enteignen müssen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man sie deshalb vierteilen sollte (denn es gibt nicht nur unterschiedliche Arten Gewalt anzuwenden, sondern auch eine unterschiedliche Intensität, wie viel Gewalt angewendet wird). Gewalt von „Linksextremen“ ist also kein Selbstzweck, sondern kann unter sehr speziellen Bedingungen gerechtfertigt sein, als Mittel um eine bessere Zukunft für alle zu erreichen.

Wie dem auch sei, die aufgeklärte Mitte der Gesellschaft, verabscheut jegliche Gewalt – jetzt mal abgesehen davon, dass man mittellose Menschen zwingt, auf der Strasse zu schlafen, obwohl es leere Wohnungen gibt – ja Gewalt ist wirklich schlecht, so was tut man nicht – also mal abgesehen davon, dass man Menschen gewaltsam in Krisengebiete ausschafft – ja die rechtschaffenen Bürger*innen sind wirklich gewaltfrei unterwegs. Wie auch der Waffenexport und die Rüstungsindustrie. Der CEO des Schweizer Waffenherstellers RUAG hat bspw. noch nie jemanden erschossen, wahrlich ein Vorbild.

Aber lassen wir all diese Gründe hinter uns, warum man bemängeln könnte, dass „Linksextreme“, Nazis und der IS in einen Topf geworfen werden und wenden uns endlich der Studie zu.

Linksextremismus – Sachbeschädigung, Mord, Gulag

Sieben Prozent der befragten Jugendlichen seien linksextrem, das ist ein Ergebnis der Studie. Ich – ebenfalls Extremist – habe mich natürlich erstmal etwas gefreut, nur um dann zu merken, dass die Studie auf eine ziemliche schräge Art auf dieses Ergebnis gekommen ist. Ja, ich bin etwas enttäuscht, in Wahrheit sind wahrscheinlich nicht 7% linksextrem, sondern haben einfach gemerkt, dass unser Wirtschaftssystem nicht so einwandfrei funktioniert wie in der Theorie. Also jetztmal konkret: Um zu erheben, ob die befragten Jugendlichen linksextreme Ansichten vertreten, wurde unter anderem nach der Zustimmung zu folgendem Satz gefragt:

„Ich finde es in Ordnung, wenn Gewalt gegen die Polizei eingesetzt wird“

Aha. Also ist jeder Hooligan schon mal verdächtig ein Linksextremer zu sein, aber natürlich reicht das nicht, man muss schon mehrere Antworten richtig haben, um so ein echter Linksextremer zu sein. Zum Beispiel muss man für Gewalt gegen Kapitalisten sein. Und wie erhebt man, ob jemand für Gewalt gegen Kapitalisten ist (das sind übrigens Menschen)? Mit der grossartigen Frage:

„Ich finde es in Ordnung, wenn die Gebäude oder Luxusautos der weltweiten Grossunternehmen und Wirtschaftsbosse beschädigt werden.“

Der Tesla ist dem ordinären Kapitalisten so wichtig, dass man einen aufgestochenen Reifen eigentlich schon als Gewalt gegen einen Menschen werten könnte. Wer eine Sachbeschädigung in Ordnung findet, erschiesst schon bald einen Menschen. Aus Sachschaden wird Mord, wer einmal kifft wird Heroinjunkie, usw. Eigentlich müssen wir glücklich sein, sind die Autor*innen dieser Studie keine Richter*innen. Also unser Hooligan, der sich mit der Polizei anlegt und im Suff einen Tesla-Rückspiegel zerdeppert, erhält schon fast einen Leninorden.

Quelle: sozialismus.ch… vom 8. November 2018

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