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Fünf Elemente der Krise des Spanischen Staates

Eingereicht on 18. Februar 2019 – 19:24

Diego Lotito & Santiago Lupe. Vergangene Woche endete mit dem x-ten Kapitel der langen Krise des politischen Regimes Spaniens. Am Dienstag begann der politische Prozess gegen die katalanischen Unabhängigkeitsführer. Ein Prozess, der durch die systematische Verletzung der Verteidigungsrechte der Angeklagten gekennzeichnet ist. Mit Vorwürfen der «Rebellion» und des «Aufruhrs», die auf Berichten eines Offiziers der Guardia Civil fussen, einem anerkannten Rechtsextremen, die Demonstrationen, Tweets und Reden in schwere Straftaten verwandeln und Anträge auf Freiheitsstrafen von bis zu 25 Jahren beinhalten können.

Die Regierung von Pedro Sánchez amtet aufgrund der Rechtsordnung des Staates als Klägerin. Sie tut dies zusammen mit der Generalstaatsanwaltschaft – deren Staatsanwälte von derselben PSOE und PP gewählt wurden – und der Volksanklage, vertreten durch die ultrarechte Vox-Partei. All dies als eine Demonstration, dass der einzig akzeptable Weg für alle Akteure des Regimes, die katalanische Frage zu lösen, darin besteht, sie durch Repression zu zerschlagen.

Die territoriale Krise ist nach wie vor das dynamischste Element der Krise des 78er-Regimes, aber sie verschlimmert eine weitere ihrer grundlegenden Komponenten, die Fragilität des parlamentarischen Regimes und seine Unfähigkeit, eine ausreichende Mehrheit zu erreichen, um stabil zu regieren.

Einen Tag nach Beginn des Prozesses gegen die katalanische «Unabhängigkeit» wurde die PSOE im Parlament besiegt. Die Stimmen der katalanischen Independentistas, die zusammen mit Unidos Podemos den Misstrauensantrag unterstützt hatten, mit dem Pedro Sánchez Mariano Rajoy im Juni vertrieben hat, haben den vorgeschlagenen Staatshaushalt zu Fall gebracht.

Die Antwort war der Aufruf zu vorgezogenen Wahlen am 28. April, kaum 10 Monate nach der Bildung der Regierung. Die Prognosen sehen wieder einmal ein atomisiertes Parlament voraus. Während am Horizont die Möglichkeit einer Regierung der Rechten und der extremen Rechten – wie in Andalusien aus der PP und von Ciudadanos gegeben hat – drohend auftaucht, verschärft sich angesichts einer schwachen Abstützung der PSOE und der tiefen Krise von Podemos die Krise des spanischen Regimes unaufhaltsam. Wir schlagen hier fünf Schlüssel vor, um uns in diesem Labyrinth nicht zu verlieren.

  1. Organische Krise

Der spanische Staat befindet sich seit 2011 in einer so genannten organischen Krise. Eine wirtschaftliche, politische und soziale Krise, in deren Angesicht die üblichen Mechanismen der Bourgeoisie zur Lösung dieser Krise nicht mehr nützlich sind. Das aus dem Übergang von 1978 entstandene politische Regime war für die iberische Bourgeoisie durchaus erfolgreich. Dieses ermöglichte ihr, unter Mitwirkung der Arbeiterführung siegreich aus der Krise der Franco-Diktatur hervorzugehen, die Krise der 70er Jahre auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, durch den Staat eine Lösung für die nationale Frage der regionalen Autonomien zu finden und vor allem seit Ende der 90er Jahre Raten für wirtschaftliches Wachstum, Integration in die EU und imperialistische Expansion zu erreichen, die noch nie zuvor erreicht wurden.

Aber dieses «spanische Wunder» endete mit der Krise von 2008, die den spanischen Kapitalismus besonderes stark getroffenen hatte. Obwohl sich die Unternehmensgewinne und das BIP ein Jahrzehnt später wieder auf dem Niveau vor der Krise befinden, sind alle sozialen Indikatoren nach wie vor sehr weit davon entfernt, von der Arbeitslosigkeit, die weiterhin 15% beträgt, den Löhnen, die bis zu einem Drittel an Kaufkraft verloren haben – insbesondere in den unteren Bandbreiten –, der Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und anderen Krisen wie der Energiepreise oder der Preise für Wohnen und Mieten.

Die materielle Basis, die den Konsens von 1978 «eingeölt» hat, hat sich trotz der letzten Ansätze einer Wachstumspolitik nicht erholt, während sich die politische Krise weiter verschärft hat. Die Krise der Repräsentation, die das Parteiensystem mit dem 15. Mai 2011 getroffen hat, wird mit der Atomisierung der Rechten und dem Scheitern der PSOE und dem Neoreformismus von Podemos wiedereröffnet.

In der letzten Zeit haben sich zentrale Institutionen wie das Rechtssystem und die Krone dieser Krise angeschlossen. Wenn die «repräsentieren uns nicht» im Jahr 2011 die Wahrnehmung zum Ausdruck brachten, einer Demokratie für die Reichen unterworfen zu sein, befindet sich die Judikative nun ebenfalls in dieser Vision. Die Justiz hat Urteile zugunsten korrupter Politiker und Geschäftsleute sowie anderer skandalöser Straftaten erlassen, die Vergewaltiger mit Seidenhandschuhen behandeln und deren Opfer kriminalisieren. Darüber hinaus ist es durch die Unterdrückung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zum Hauptinstrument der Eskalation von Unterdrückung und Verfolgung geworden, sowohl gegen die Unabhängigkeit als auch gegen Journalisten, Künstler und Aktivisten im ganzen Staat.

Und kam dazu noch die Krise um die Monarchie. Die Abdankung von Juan Carlos I. zugunsten seines Sohnes Felipe VI. ermöglichte dem Regime eine gewisse Waffenruhe, begünstigt durch die Weigerung Podemos‘, die Debatte über die «Staatsform» in seine Agenda aufzunehmen. Das Engagement des Königs für die Unterdrückung in Katalonien und die jüngsten Skandale, die den abgedankten König betreffen, haben seine Diskreditierung jedoch verstärkt. Vor allem bei den jüngeren Generationen, wie die Referendumskampagne über die Monarchie zeigt, die sich auf mehr als 60% der Universitäten ausgebreitet hat und an der bereits mehr als 70.000 Studenten teilgenommen haben.

In einem zerfallenden Regime gibt es eine Unzahl von Vorschlägen für seine «Neuzusammensetzung». Es scheint denn auch, dass jeder seine eigenen hat – mit der obersten Priorität, sich selbst zu retten. Dies erklärt denn auch, zusammen mit den bestehenden Hindernissen für eine unabhängige Entwicklung des Klassenkampfes, die Situation der «katastrophalen Bindung», die sich seit acht langen Jahren hinzieht.

  1. Die nationale Frage

Wenn es noch ein völlig offenliegendes Scheitern gibt, dann betrifft das die katalanische Frage. Die offene Krise im Jahr 2011 hatte in Katalonien ihren besonderen Ausdruck mit dem Wiederaufleben einer massiven Bewegung für das Recht auf Selbstbestimmung. Seit 2012 hat die Bewegung massive Demonstrationen von Hunderttausenden zustande gebracht, eine symbolische Konsultation im Jahr 2014, an der fast 2 Millionen Menschen teilnahmen, und die Verteidigung des Entscheidungsrechts wird laut verschiedenen Umfragen von 80% der katalanischen Bevölkerung unterstützt.

Die historischen Parteien der katalanischen Bourgeoisie – Convergencia y ERC – gelang es, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Einerseits mit der Absicht, damit eine Neuverhandlung des autonomen Paktes zu erzwingen – 2010 vom Verfassungsgericht beschnitten und von den zentralisierenden Absichten des Zweiparteiensystems bedroht –, andererseits zu verhindern, dass die Autonomie-Bewegung einen unabhängigen Kurs einschlägt, sich den sozialen Forderungen der 15M anschließt und droht, ihre eigene Führung zu überwinden.

Trotz der Verzögerungstaktik der bürgerlichen Führung wurde am 1. Oktober 2017 schließlich der das Referendum zur Selbstbestimmung durchgeführt, das durch die massive Mobilisierung von Hunderttausenden, die die Wahlkollegien besetzten und verteidigten, gewährleistet war. An diesen Tag folgte zwei Tage später ein Generalstreik von 24 Stunden mit historischen Folgemaßnahmen und Mobilisierungen, die in Barcelona 700.000 Teilnehmer erreichten.

Der «katalanische Herbst» war der größte Affront gegen den spanischen Staat, das Regime von 1978 und die Krone seit der Tansición. Das Regime sprach sich offen für die polizeiliche Unterdrückung des Referendums und die vorläufige Aufhebung der katalanischen Autonomie aus. Die katalanische Bourgeoisie hat jedoch verhindert, dass die Mobilisierung und die Elemente der Selbstorganisation der Mehrheit vom 1-O wirklich Nachachtung verschafften, und eine unabhängige Republik bildeten. Nachdem sie eine solche symbolisch verkündet hatten, entschieden sie sich für den Rückzug und ein großer Teil der bürgerlichen Führung, angefangen mit dem Präsidenten der Generalitat, Carles Puigdemont, ging ins Exil.

Auf diese Kapitulation folgte die Anwendung von Artikel 155 der Verfassung, der das Eingreifen des Zentralstaates und die Unterdrückung der Unabhängigkeit ermöglichte, der mehr als 1.000 Menschen vor Gericht zog und dessen skandalösester Fall – der Prozess gegen die nicht vertriebenen Mitglieder der Regierung, der Präsidentin des Parlaments und die Führer der souveränen Einheiten – in diesen Tagen über die Bühne geht.

Diese Krise war ein Schlüsselfaktor für Podemos, das zu jeder Zeit in einer erstaunlichen Gleichgewichtigkeit zwischen der demokratischen Bewegung und der Repression durch den Spanischen Staat stand. Podemos lehnte das 1-O-Referendum mit seinem Vorschlag für ein unmögliches Referendum ab, das mit dem gleichen Staat vereinbart wurde, der mehr als 6.000 Polizisten entsandte, um zu versuchen, die Wahllokale gewaltsam zu schließen. Und obwohl Podemos diese Repression und die Anwendung von Artikel 155 formell ablehnte, weigerte es sich, in diesem Sinne auch nur die geringste Mobilisierung im Rest des Staates zu unterstützen. Aktuell hält Podemos weiterhin an seiner Position der Loyalität gegenüber der Justiz fest und weigert sich, an den Aktionen zur Ablehnung des politischen Prozesses gegen die Führer der Unabhängigkeitsbewegung teilzunehmen.

In Katalonien verlaufen diese Konfliktlinien, vertreten durch Catalunya en Comú und die Bürgermeisterin von Barcelona, in etwa ähnlich. Die Linke, die sich für die Unabhängigkeit einsetzt und sich an der CUP (Candidatura de Unidad Popular) beteiligt, hat während dieser Zeit eine Politik der Unterordnung unter die bürgerliche Führung beibehalten; das hinderte sie 2017, angesichts der angekündigten und vorhersehbaren Kapitulation der katalanischen Regierung eine unabhängige Alternative auf der Grundlage der Mobilisierung der Arbeiterklasse und Bevölkerung vorzulegen.

In den letzten Monaten hat dies in den verschiedenen Sektoren der CUP eine Reflexion über die in diesen Jahren verfolgte Politik und eine stärkere Trennung von der Führung des «procés [katalonischer Unabhängigkeitsprozess]» eröffnet, wenn dabei auch noch nicht mit der Logik der «nationalen Einheit» gebrochen wurde. In der nächsten Periode steht die unabhängige Linke vor der Herausforderung, die Lehren aus dem «katalanischen Herbst» zu ziehen, dessen grundlegende Schlussfolgerung darin besteht, dass der Prozess unter einer bürgerlichen Führung nur in einer Sackgasse enden kann. Nur durch eine auf Klassenkampf basierende Politik, die von den Parteien der katalanischen Bourgeoisie und der Kleinbourgeoisie unabhängig ist, ist es möglich, den Kampf um Selbstbestimmung wieder aufzunehmen.

Die katalanische demokratische Bewegung befindet sich heute in einer Sackgasse. Aber dies sollte nicht mit dem Verschwinden der tiefen demokratischen Bestrebungen verwechselt werden, durch die sie seit sieben Jahren getragen wurde. Die katalanische Führung sehnt sich danach, sich mit dem Spanischen Staat versöhnen zu können und sich hinzusetzen, um nach einer vereinbarten Lösung zu suchen. Aber dieser von der Regierung Sanchez eingeschlagene Weg ist angesichts der Weigerung des Regimes und seiner verschiedenen Flügel, Zugeständnisse zu machen, gerade gescheitert, auch in Bezug auf die Gefangenen.

Der Ausgang der Krise bleibt offen. Und auch die Möglichkeit, dass die Bewegung wieder reaktiviert wird, auch mit anderen Formen von grösserem «Widerstand», vor allem aber könnte sich die Politik des härtesten Sektors des Regimes durchsetzen, der eine langfristige Aussetzung der Autonomie befürwortet, um Katalonien zu «erobern». Ein Angriff nicht nur auf die elementaren demokratischen Rechte, sondern auch auf die katalanische Schule, ihre Sprache und ihre Institutionen der Selbstverwaltung.

  1. Krise des „extremen Zentrums“ und Entstehung der extremen Rechten

Der Spanische Staat wurde, wie die meisten europäischen Regierungen, in den letzten Jahrzehnten durch den Wechsel von konservativer und liberalsozialer politischer Macht als Teil eines Blocks mit der gleichen neoliberalen Agenda regiert, den Tariq Ali das «extreme Zentrum» nannte.

Der Ausbruch der kapitalistischen Krise im Jahr 2008, die Anwendung harter antipopulärer Anpassungen und die Unterbrechung der Bewegung der Empörten führten zur Krise des parteiübergreifenden spanischen Systems, das von der PSOE und der Volkspartei (ehemals Volksallianz) seit dem Ende der Transición mit Unterstützung konservativer baskischer und katalanischer Nationalisten verwaltet wird.

Mit dem Aufkommen von Podemos (aus dem linken Populismus) und Ciudadanos (von der liberalen Rechten) wurde eine neue politische Konstellation, ein Vierparteiensystem, eingeleitet, die in den letzten fünf Jahren zu schwachen Regierungen auf der Grundlage instabiler politischer Koalitionen geführt hat.

Die spanische Zweiparteiengesellschaft schien sich nach dem Misstrauensantrag, der Pedro Sánchez mit Unterstützung von Podemos und unabhängigen Formationen in die Regierung brachte, zu erholen. Es gab keine Rückkehr zu einem Zweiparteiensystem, sondern von zwei klar definierten Blöcken Mitte-Rechts und Mitte-Links. Die Unterordnung der Partei von Pablo Iglesias unter ein Programm lauwarmer Reformen mit der PSOE hat ihre Existenz immer überflüssiger gemacht. Das PP-Ciudadanos-Tandem wurde jedoch durch den Einbruch von Vox von rechts außen erschüttert, ein Element, das dieser Dynamik der Wiederbelebung des Zentrums Grenzen gesetzt hat und neue Tendenzen zur Polarisierung entstehen lässt.

Vox, eine radikalisierte Version der Ideologie der nachfranquistischen Rechten, ist ein Phänomen des Endes der Hegemonie der PP, aus der sie hervorgeht, und der nationalistisch-spanischen Welle, die vom monarchischen Block angesichts des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses ausgelöst wird. Mit ihrer Entstehung wurde ein neues Kapitel in der Krise des «extremen Zentrums» aufgeschlagen, ein Phänomen, das weit davon entfernt ist, ein Knotenpunkt zu sein, sondern organisch und global ist. Deshalb ist es mit der internationalen Dynamik verbunden, die von Trump, Salvini, Orban, Bolsonaro und Le Pen skizziert worden ist.

Vox stellt die rechtsextreme Lösung für die organische Krise des spanischen Regimes dar. Diese Formation hat eine Verschiebung des politischen Spektrum nach rechts erzwungen, sowohl des PP – in einer neokonservativen Rechtswende à la Aznar – wie auch von Ciudadanos – in einer Verschärfung das antikatalansichen Kreuzzuges; die extreme Rechte erscheint damit als potenzielles Vehikel, um die «katastrophale Verbindung» zu lösen, die keinen Ausweg aus der Krise des Regimes ermöglicht hatte: weder die «progressive Wiederbelebung» von der PSOE und Podemos, noch die unterbrochene «reaktionäre Wiederherstellung» des 155er Blocks gegen Katalonien.

Die Zeichen des Charakters dieser Alternative könnten jedoch nicht widersprüchlicher sein: den Status der Autonomen Regionen zu liquidieren, die Unabhängigkeitsparteien zu verbieten, die neoliberalen Strukturreformen oder ein offenes LGBT-phobes und Macho-Programm im Land mit einer der wichtigsten Frauenbewegungen der Welt, wird VOX nicht in der Lage sein, eine geordnete und friedliche Lösung der aktuellen Krise zu finden.

In diesem Zusammenhang ist der Ausgang der nächsten Wahlen am 28. April noch ungewiss. Auf der einen Seite wächst der soziale Druck, für das «kleinere Übel» – Pedro Sánchez – zu stimmen, das bereits auf der linken Seite als zentrales Argument aufgebaut wird, um «die Rechte zu stoppen». Strategisch sehnt sich die PSOE nach der Rückkehr des «extremen Zentrums», seiner natürlichen Umgebung in den letzten 30 Jahren, um sich von der Unterstützung durch Podemos und den Stimmen der katalanischen Unabhängigkeit zu trennen. Auf der anderen Seite wird Ciudadanos versuchen, die stärkste Partei der Rechten zu werden. Aber wenn dies nicht gelingt, ist nicht klar, ob Albert Rivera bereit ist, sein Projekt durch den Beitritt zur PP und Vox zu liquidieren. Nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern aus simplem Pragmatismus.

Während die Möglichkeiten einer dreigliedrigen Rechtsregierung zunehmen, erweisen sich die Tendenzen zur politischen Polarisierung als grundlegendes politisches Zeichen der Situation. Eine Dynamik, die das Establishment zutiefst betrifft, von den faktischen Kräften des spanischen Kapitalismus bis hin zur Europäischen Union und der Monarchie selbst. Was sie befürchten, ist diese politische Polarisierung von oben nach unten.

  1. Ende des Zyklus des Neoreformismus

Der Bruch zwischen den beiden Hauptführern von Podemos, Pablo Iglesias und Iñigo Errejón, war die letzte Episode des Endes des Zyklus des Neoreformismus. Errejóns politisches Engagement für sein eigenes Projekt zusammen mit der Bürgermeisterin von Madrid, Manuela Carmena, ist vielleicht der aufrichtigste Ausdruck dessen, was Podemos mittlerweile geworden ist: ein Rammbock zur Stärkung einer neuen Mitte-Links-Achse durch eine strategische Allianz mit der PSOE, weit entfernt von jeglicher Verunglimpfung des Regimes, während es sich intern aufgrund der Kämpfe im Apparat zersetzt: Aber könnte es anders sein?

Der schillernde Aufbruch von Podemos im Jahr 2014 war letztlich das Ergebnis der Fehlleitung und der anschließenden Blockade des Aufwärtsprozesses des nach 2008 begonnenen Klassenkampfes. Podemos stellte sich als Erbe und politische Überwindung des 15M dar. Überwindung des Moments der von einer «soziale Illusion» getragenen Mobilisierung, der autonomen Idee, dass man die Welt «verändern» könne, ohne in das politische Terrain vorzustossen. Dieser vermeintliche Fortschritt führte jedoch zu einer neuen Illusion, der «politischen Illusion», dass es möglich war, im Rahmen des kapitalistischen Systems und der liberalen Demokratie aus der Krise herauszukommen.

Mit einem Diskurs über die «Wiederherstellung der Demokratie», während die «Dogmen der alten Linken» und die «Gewissheiten über die Welt der Arbeit, der Parteien und der Gewerkschaften» aufgegeben werden, kann die soziale Unzufriedenheit unterschiedslos in die Institutionen gelenkt werden. Aber wie dies bei Syriza geschah, ging es bei weitem nicht um die politische Überwindung des vorherigen Mobilisierungsprozesses, da es gewesen wäre, seine fortschrittlichsten Aspekte zu radikalisieren (beginnend mit einer Herausforderung des gesamten Regimes), sondern um seine Verhinderung.

Die politisch-ideologischen Grundlagen des neuen Projekts «weder rechts noch links» basierten auf der Überzeugung, dass eine revolutionäre Überwindung des gegenwärtigen Regimes unmöglich ist. Die «Podemos-Hypothese» entstand aus einer eklektischen Mischung von Errejóns Lektüre von E. Laclau mit der eurokommunistischen Nostalgie von Iglesias, die darauf abzielte, eine Organisation zu schaffen, die «die zentralen Positionen der Politik besetzt» und die «verlorenen Werte» der Sozialdemokratie wiederherstellen sollte. Das Politische wurde so in einen absolut autonomen Bereich der gesellschaftlichen Produktionsbeziehungen verwandelt, der jede Klassenzentralität leugnete, um einem neuen politischen Subjekt Platz zu machen: dem «Volk», dessen einzige aktive Rolle darin bestehen würde, bei Wahlen zu wählen.

Im Gegensatz zu den alten reformistischen Parteien der Vergangenheit erwarb der Neoreformismus all seine Mängel (Erhöhung der Führung, Bürokratismus, Versöhnung mit den kapitalistischen Mächten, reiner Parlamentarismus) und keine seiner «Tugenden», wie z.B. die Freude an organischen Beziehungen zur Arbeiterklasse, die durch Absprachen mit den Gewerkschaftsbürokratien ersetzt wurde.

Das übermässige Wachstum der Partei nach ihren außergewöhnlichen ersten Wahlerfolgen, die kapitalistische Verwaltung der sogenannten «Stadtverwaltungen des Wandels», die interne Bürokratisierung zur Mobilisierung einer Wahlmaschine, die an ihrer ursprünglichen Strategie scheiterte, kurz gesagt, ihre politische Assimilation als Teil des Regimes, wich ihren ersten internen ausgewachsenen Krisen. Heute drohen diese Krisen das gesamte Gebäude niederzureißen.

Wenn es seit seiner Entstehung ein grundlegendes Merkmal in Podemos gab, dann war es sein übermäßiger Optimismus in Bezug auf die Möglichkeiten der Demokratisierung der Institutionen des kapitalistischen Staates, der direkt proportional zu seinem Pessimismus in Bezug auf das transformierende und revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse und den Klassenkampf war.

Fünf Jahre nach seiner Geburt hat sich Podemos – zusammen mit seinen Partnern von Izquierda Unida – als neue «Kaste» der Linken in das Regime integriert, deren Strategie darauf reduziert ist, das Regime von 78 zusammen mit der PSOE in einer unwahrscheinlichen Koalitionsregierung neu zu beleben.

Der Niedergang des podemistischen Zyklus schreitet auf die Weise voran, wie sie seine Strategie eigentlich vorhersehbar gemacht hat. Versuche, «an die Regierung zu gelangen», ohne das Regime durch Klassenkampf herauszufordern, sind immer einer der wichtigsten Formen des Überlebens des Kapitalismus erlegen: den Herausforderungen, die «von unten» kommen wird mit Assimilation «oben» begegnet, um schließlich den Weg nach rechts zu öffnen. Sie ist eine der großen Lektionen des 20. Jahrhunderts und die wichtigste Lektion am Ende des Zyklus des Neoreformismus.

Auf der Grundlage dieser Erfahrung, die für die Linke, die behauptet, antikapitalistisch und revolutionär zu sein, sehr kostspielig ist (insbesondere für diejenigen, die sich dem Projekt unterworfen haben und noch keine Lehren gezogen haben), entsteht der dringende Bedarf einer neuen politischen Hypothese.

  1. Tendenzen zu Extremen, Klassenkampf und revolutionärer Hypothese

Wenn organische Krisen stattfinden, schreiben Antonio Gramsci, öffnen sie das Feld für «kraftvolle Lösungen». Die Krise des spanischen Regimes steht dieser Perspektive gefährlich nahe. Der Weg zu einer neuen Hegemonie der Rechten (und der extremen Rechten) öffnet sich jedoch nicht ohne Widersprüche. Da die Krise nicht das Handeln der Parteien ersetzt, setzt sich der Klassenkampf fort. Diese zwei Elemente, die zudem nicht im Vakuum, sondern in einem bestimmten Kontext agieren, neigen immer mehr zu Extremen.

Die nationale Frage ist noch lange nicht abgeschlossen und kann auf den Kopf gestellt werden. Die Monarchie wird von immer breiteren Bevölkerungsschichten abgelehnt. Und vor allem hält die soziale Krise an und die Arbeitslosigkeit verschärft sich, in der Superausbeutung und in der wachsenden Unsicherheit der grossen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, in dem Mangel an Zugang zu grundlegenden Gütern wie Wohnen oder Essen, in der obszönen sozialen Ungleichheit.

Die tiefen Spannungen, die in dieser Situation gründen, sind die Grundlage für den Einbruch von «antisystemischen» sozialen und politischen Tendenzen. Aber nicht nur für rechte und rechtsextreme Populisten. Auch für «Gelbe Westen» in Frankreich, Generalstreiks in Belgien, Streiks von Beamten in Portugal, progressive Massenphänomene wie die Frauenbewegung. Trends, die bereits im spanischen Staat zum Ausdruck kommen – wie die Forderung nach einem 24-Stunden-Generalstreik am 8. März –, werden eher früher als später voll zum Ausdruck kommen.

Wenn nun eine Regierung der «dreiphallischen Rechten» – wie die spanische Justizministerin es nannte – oder ein seniler Versuch, das «extreme Zentrum» zwischen PSOE und Ciudadanos neu zu beleben, oder gar die unwahrscheinliche Hypothese einer neuen «fortschrittlichen» Regierung der PSOE und Unidos Podemos kommt, kann eine solche kaum erfolgreich sein, wie wir es mit Macron in Frankreich sehen.

Angesichts dieses Szenarios eröffnet das Scheitern des Neoreformismus einen Raum für die Entwicklung einer alternativen politischen Hypothese: die Konstruktion einer extremen, antikapitalistischen und revolutionären Linken:

Ein solches Projekt tritt in einen Dialog mit den demokratischen Bestrebungen der Massen, aber ohne vor den Versuchen einer Neubelebung des Regimes von 1978 zu kapitulieren, indem es ihnen den Kampf für freie und souveräne Verfassungsprozesse entgegensetzt, die es ermöglichen, alle anstehenden demokratischen Forderungen, wie das Recht auf Selbstbestimmung oder das Ende der Monarchie, zu erfüllen, und die gleichzeitig für ein gemeinsames Programm kämpfen, um die Kapitalisten für die Krise bezahlen zu lassen.

Ein solches Projekt lässt sich von den fortschrittlichsten Fakten des Klassenkampfes inspirieren, entwickelt die Selbstorganisation und Mobilisierung der Arbeiterklasse und der populären Sektoren und bekämpft die Gewerkschaftsbürokratie. Sie sollten nicht zögern, radikale und antikapitalistische Ansätze zur Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit (wie die Verteilung der Arbeitszeiten ohne Lohnkürzung) oder des Wohnungsbaus (wie die Enteignung aller leeren Wohnungen in den Händen von Banken und Spekulanten) vorzuschlagen.

Eine extreme Linke behauptet «ohne Komplexe», dass die Überwindung der organischen Krise des spanischen Regimes nur durch «Enteignung der Enteigner» zugunsten der Arbeiterklasse, der Frauen, der Jugend und der Bevölkerung gelöst werden kann. Das heißt, das monarchische Regime zu beenden und für eine wirklich demokratische, arbeiter- und sozialistische Perspektive zu kämpfen: eine freie Föderation der iberischen Sozialistischen Republiken, die auf neuen Organen der Arbeiter- und Volksselbstorganisation als Teil des Kampfes für ein Europa der Arbeiter basiert.

Viele behaupten, dass es nicht realistisch sei, für diese Ziele zu kämpfen. Aber was gerade nicht realistisch ist, ist eine Humanisierung des Kapitalismus. Dies ist die große Debatte, die von der gesamten Linken angegangen werden sollte, die behauptet, antikapitalistisch zu sein, offen für alle Sektoren von Jugendlichen, Frauen und Lohnabhängigen, die eine Erfahrung sowohl mit dem Neoreformismus von Podemos als auch in Katalonien mit der bürgerlichen Führung der Unabhängigkeitsbewegung gemacht haben. Der Aufbau einer radikalen antikapitalistischen Linken, einer Arbeiterklasse als bewusstem politischen und gesellschaftlichen revolutionären Subjekt und unabhängig von allen Parteien des kapitalistischen Regimes, ist eine Aufgabe, die über Wahlen hinausgeht. Es ist die wichtigste strategische Aufgabe des Augenblicks.

Quelle: laizquierdadiario.com… vom 18. Februar 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

 

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