#unteilbar in Dresden – 40.000 gegen rechts
Martin Suchanek. Massendemonstrationen beeindrucken durch Masse. Und die war gestern, am 24. August, in Dresden am Start. 40.000 Menschen waren dem Aufruf des Bündnisses #unteilbar gefolgt, um eine Woche vor den Landtagswahlen gegen den Rechtspopulismus der AfD wie den gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck insgesamt zu demonstrieren.
Duzende Trucks und Lautsprecherwagen zogen durch die Dresdner Innenstadt vom Neumarkt zur Cockerwiese, wo Abschlusskundgebung samt Konzert und Chill-Out stattfanden.
Die Trucks und Blöcke brachten im positiven Sinn die Breite und den Massencharakter der Mobilisierung zum Ausdruck. Allein das anti-rassistische Bündnis „Welcome United“ hatte 12 Lautsprecherwagen angemeldet. „Aufstehen gegen Rassismus“, zahlreiche ökologische Bündnisse, aber auch Gewerkschaften, attac, Linkspartei, SPD und Grüne waren mit größeren Blöcken vertreten.
Unter der „radikalen“ Linken war das anti-deutsch/anti-national ausgerichtete Bündnis „Nationalismus ist keine Alternative“ am stärksten vertreten, darüber hinaus aber auch zahlreiche andere Gruppierungen wie die MLPD, diverse maoistische und stalinistische Organisationen.
Die Jugendorganisation REVOLUTION organisierte einen Block im Klima-Block und mobilisierte gemeinsam mit anderen zum Streik von Fridays for Future am 30. August, bei dem die Umweltfrage ebenso wie der Kampf gegen den Rechtsruck thematisiert werden wird. ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION waren darüber hinaus mit einer Reihe von GenossInnen vertreten, die Zeitungen verkauften und Flugblätter verteilten.
Den Erfolg der Demonstration machte aber zweifellos aus, dass weit mehr Menschen mobilisiert wurden, als die verschiedenen Bündnisse, unterstützenden Gruppierungen alleine auf die Straße gebracht hätten. Ein großer Teil, vielleicht die Hälfte der TeilnehmerInnen, war keinen Blöcken zugeordnet, sondern lief entweder zeitweilig in verschiedenen mit oder am Rande der Demonstration. Neben Zehntausenden aus Dresden und Umgebung reisten auch viele Menschen mit Sonderzügen, Bussen aus anderen Bundsländern oder mit dem Regionalverkehr aus der Nähe an. So war die Regionalbahn gefüllt mit Menschen aus sächsischen oder brandenburgischen Kleinstädten und ländlichen Regionen, die bei #unteilbar aufmarschierten.
Konservative Reaktionen
Politisch drückt sich darin eine Polarisierung zwischen rechts und links aus. Auf der einen Seite befinden sich nicht nur die AfD, sondern auch CDU und FDP, auf der anderen die (vorgeblich) auf sozialen und ökologischen Ausgleich bedachten Parteien von SPD, Grünen bis zur Linkspartei. Kein Wunder also, dass neben den Parteivorsitzenden Kipping und Baerbock auch Olaf Scholz an der Demonstration teilnahm.
Aufgrund der politischen Krise der reformistischen ArbeiterInnenbewegung, der Gewerkschaften, aber auch der Schwäche der „radikalen Linken“ drückt sich die Ablehnung von AfD und CDU in einer klassenübergreifenden Allianz von links-bürgerlichen Grünen und reformistischen Parteien wie SPD und Linkspartei aus, die ihrerseits eine ideologisch dominierende Rolle in Bewegungen wie Seebrücke oder Fridays for Future spielen.
Diese Mobilisierung beunruhigt offenkundig nicht nur oder nicht einmal in erster Linie die AfD, sondern vor allem die CDU. Der sächsische Ministerpräsidenten Kretschmer ließ verlautbaren, dass er den DemonstrantInnen Respekt zolle. „Aber ich kann als CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident nicht bei einer Veranstaltung dabei sein, bei der auch Kräfte wie die Antifa mit von der Partie sind.“ (https://www.mdr.de/sachsen/dresden/dresden-radebeul/bericht-unteilbar-100.html)
Außerdem vertrete #unteilbar vieles, das der Position der CDU direkt entgegenstehe, z. B. die Haltung zum sächsischen Polizeigesetz oder zur Seenotrettung. Schließlich fürchtet Kretschmer, dass ein rot-rot-grünes Bündnis gegen die CDU geschmiedet werden könne (was Teile der CDU mit einer „Öffnung“ zur AfD beantworten möchten).
Auch die FAZ zeigte sich über #unteilbar schon vor der Demonstration beunruhigt – und zwar nicht in erster Linie wegen „Rot-Rot-Grün“. Die Zivilgesellschaft – insbesondere SPD und Grüne – machten durch ihre Zusammenarbeit mit „LinksextremistInnen“ im Rahmen des Bündnisses AntikapitalistInnen und Verfassungsfeinde „salonfähig“. Die FAZ fürchtet, dass die mangelnde Distanzierung von „Linksextremen“ bei #unteilbar oder auch bei Fridays for Future Antikapitalismus oder gar Kommunismus wieder eine große Bühne liefern könnte. Sollten die AktivistInnen weiter von SPD und Linkspartei, aber auch von den Grünen z. B. an Regierung desillusioniert werden, könnten sie sich womöglich den „einfachen Rezepten“ der „Linksradikalen“ zuwenden, in Enteignung, Revolution und Planwirtschaft ihr Heil suchen.
Die Befürchtung der FAZ mag angesichts des vorherrschenden kleinbürgerlichen und reformistischen Bewusstseins in den Bewegungen auf den ersten Blick übertrieben erscheinen. Doch mitunter offenbart die Bourgeoisie (oder eines der führenden Blätter des deutschen Kapitals) durchaus eine gewisse Weitsicht, wenn es um mögliche Gefahren für ihr System und dessen Stabilität geht.
Unmittelbar richten sich die Hoffnungen der Masse der DemonstrantInnen, einschließlich eines großen Teils der von den aktuellen Bewegungen mobilisierten Menschen, zweifellos auf eine Reform des Systems durch einen „vernünftigen“, sozialen und ökologischen Umbau, durch eine Wiederbelebung eines um Umweltfragen erweiterten Sozialkompromisses. Diese Hoffnung wird noch zusätzlich dadurch genährt, dass sich bürgerliche PolitikerInnen wie Merkel und Macron als „vernünftige“, die Menschen aller Klassen „mitnehmen“ wollende Alternative zu Trump und Johnson, zu Putin und Xi präsentieren.
Doch diese Schönwetterversprechen bürgerlicher PolitikerInnen müssen in einer Zeit der unausgestandenen ökonomischen Krisen und der immer schärferen Konkurrenz zwischen den Großmächten rasch an ihre Grenzen stoßen. Selbst jede ernsthafte ökologische und soziale Reform erfordert in Zeiten wie diesen Massenmobilisierungen und die Mittel des Klassenkampfes – sie verlangt nicht nur Demonstrationen und alle möglichen „kreativen Aktionen“, sondern vor allem auch politische Massenstreiks, die das Kapital dort treffen, wo es weh tut – im Herzen der kapitalistischen Profitmacherei.
Die aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung selbst offenbart immer wieder die Schranken von Reformismus und kleinbürgerlicher Politik. Menschen können so auch in Richtung klassenpolitischer, revolutionärer Alternativen gedrängt werden – falls RevolutionärInnen diese klar und deutlich formulieren.
Dazu ist es erstens notwendig, für ein über Demonstrationen und symbolische Aktionen hinausgehendes Aktionsbündnis von ArbeiterInnenorganisationen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der „radikalen“ Linken zu kämpfen. Gerade im Anschluss an die Aktionen von #unteilbar, an den globalen Klimastreik, angesichts der drohenden Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, weiteren Rassismus und Kriegsgefahr wäre eine Aktionskonferenz ein Schritt, um die weitere Perspektive und Kampfschritte zu diskutieren und festzulegen. Diese könnte zugleich auch ein Mittel sein, eine drohende Umleitung der Bewegungen auf eine rein elektorale Scheinlösung – eine Regierung aus Grünen, SPD und Linkspartei – wenigstens zu erschweren. Den „radikalen“, anti-kapitalistischen Kräften käme die Aufgabe zu, gemeinsam die Initiative zu einer solchen Aktionskonferenz zu ergreifen, um so überhaupt erst Gewerkschaften oder andere Massenorganisationen zur Aktion zwingen zu können.
Zweitens muss angesichts der vorherrschenden klassenübergreifenden Ausrichtung der Bewegung von RevolutionärInnen immer wieder die Klassenfrage stark gemacht werden. Diese bedeutet sicher auch, dass ein stärkeres Gewicht auf ökonomische, soziale und gewerkschaftliche Fragen gelegt werden muss – zumal und gerade angesichts drohender Massenentlassungen im gesamten Bundesgebiet.
Doch revolutionäre Klassenpolitik geht weit darüber hinaus. Sie muss als Politik begriffen werden, die sich gegen jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung richtet und deren Ziel im revolutionären Sturz des Kapitalismus besteht – der notwendigen Voraussetzung für eine sozialistische Umgestaltung aller Lebensbereichte. Eine solche Politik fällt nicht vom Himmel. Sie bedarf eines klaren, revolutionären Aktionsprogramms und des Kampfes für eine neue revolutionäre Partei und Internationale.
Quelle: Infomail 1066… vom 26. August 2019
Tags: Antifaschismus, Deutschland, Neue Rechte, Rassismus, Strategie
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