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Pandemie und Ölkrise – naht ein zweiter arabischer Frühling?

Eingereicht on 13. Juli 2020 – 19:10

Erdöl wird immer günstiger und der aktuelle Preiskrieg könnte für die Herrschenden im Nahen und Mittleren Osten zum Problem werden. Im nachfolgenden Interview vom  6. Mai 2020 spricht der französisch-libanesische Politologe Gilbert Achcar darüber, wie bald ein zweiter arabischer Frühling entstehen könnte. Außerdem fordert er, dass die Linke in den USA die wahre Bedeutung von Internationalismus neu beleben muss.

Junge in Kairo steht einem Heer Polizei gegenüber.

Ashley Smith: Wie werden sich die Pandemie und die weltweite Rezession auf den Nahen Osten und Nordafrika auswirken?

Gilbert Achcar: Es gibt einen Effekt, den diese Region mit dem Rest der Welt gemein haben wird. Dabei handelt es sich natürlich um diese große Wirtschaftskrise, die immer mehr Gestalt annimmt und bereits schlimmer ist als alles, was die Welt seit der großen Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren gesehen hat.

Eine Besonderheit gibt es allerdings für diese Region, und das sind die Vorkommen an Öl und Erdgas. Diese Region ist von diesen Ressourcen wirtschaftlich komplett abhängig. Der Preis dieser Ressourcen ist jedoch so stark eingebrochen, dass er in den USA kurzzeitig bis auf einen Punkt unterhalb von Null gefallen ist; die Verkäufer des Öls bezahlten Käufer dafür, ihnen ihr Öl abzunehmen, weil ihre eigenen Lagerkapazitäten dafür nicht mehr ausreichten.

Die Führer Saudi-Arabiens befeuerten dabei diese Katastrophe, indem sie Anfang März, gerade als die Coronakrise richtig Fahrt aufnahm, ihren sogenannten Ölpreiskrieg starteten. Die Kombination aus Überproduktion und nachlassender Nachfrage aufgrund von Pandemie und Rezession erzeugte diese riesige Ölschwemme und den daraus folgenden Preisverfall.

Natürlich wird sich der Preis mit der Zeit von diesem unterirdischen Level wieder erholen, aber da die Nachfrage aufgrund der während der Pandemie heruntergefahrenen Wirtschaft gering ist, wird er auf niedrigem Niveau stagnieren. Das wiederum wird verheerende wirtschaftliche Auswirkungen auf alle Länder in der Region haben.

Und das gilt nicht nur für Erdöl exportierende Länder, sondern auch für andere Länder in diesem Bereich. Auch deren jeweilige Wirtschaften sind von Öl-Einnahmen abhängig, die sie in Form von Beihilfen und Investitionen von den ölreichen Ländern erhalten.

Allerdings wird es nicht alle Länder gleich hart treffen. Ölreiche Länder mit geringer Bevölkerungszahl oder hohem Pro-Kopf-Einkommen wie Saudi-Arabien werden zwar einige Sparmaßnahmen ergreifen, sie verfügen jedoch über ein gewaltiges Finanzpolster, auf das sie zurückgreifen können.

Erdöl exportierende Länder mit einer zahlenmäßig großen Bevölkerung wie der Iran, der Irak und Algerien werden sich sehr viel größeren Problemen gegenübersehen. Ihre Wirtschaftssysteme sind erheblich schwächer, sie verfügen über viel geringere finanzielle Reserven und sie werden gezwungen sein, strikte Sparmaßnahmen durchzusetzen, was die Wut ihrer jeweiligen Bevölkerung, die ja bereits im Verlauf des letzten Jahres massenhaft revoltiert hat, noch weiter anheizen wird.

Sämtliche Länder in der Region, die von den Ölproduzenten abhängig sind, werden dann in schwere Krisen stürzen. Urplötzlich steht ihnen dieses Geld der Golfstaaten nicht mehr zur Verfügung, Geld, das Wirtschaftssysteme wie z. B. die Wirtschaft Ägyptens über Wasser gehalten hat. Das Ergebnis ist immer striktere Sparsamkeit und immer weiter zunehmende Armut. Und so sieht sich die gesamte Region einer noch schlimmeren sozialen und wirtschaftlichen Krise gegenüber, als die, in der sie sich in den letzten zehn Jahren befunden hat.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie in der Region bisher?

Die Auswirkungen waren nicht so apokalyptisch, wie viele befürchtet hatten. Zumindest bis jetzt waren sie es noch nicht. Einige reiche Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben die Mittel, mit der Pandemie zurechtzukommen. Sie kümmern sich dabei zwar um einige Teile der Bevölkerung, um andere hingegen gar nicht, vor allem nicht um die Masse der Arbeitsmigranten.

Diese Migranten leben bereits unter menschenunwürdigen Bedingungen, es wäre für sie eine Katastrophe, bräche das Virus unter ihnen aus. Der Rest der Bevölkerung jedoch ist erheblich besser geschützt und von diesen Menschen abgeschottet, da er unter mindestens so guten Bedingungen lebt wie die Bewohner der weiter nördlich gelegenen Länder.

Sollte sich das Virus jedoch in Ländern wie Ägypten oder dem Irak, ganz zu schweigen vom Jemen ausbreiten, wo die Lebensbedingungen für den größten Teil der Bevölkerung extrem schlecht sind, wären die Auswirkungen entsetzlich. Der Iran ist bereits stark betroffen, die Türkei scheint als nächstes Land zu folgen.

Was für Auswirkungen werden die Pandemie und der Verfall des Ölpreises auf das geopolitische Gleichgewicht in der Region haben?

Ölreiche Golfstaaten wie Saudi-Arabien verfügen über gigantische Finanzreserven. Daher wird ihr Einfluss in der Region nicht allzu sehr leiden. Der Iran und dessen Einfluss werden hingegen sehr stark betroffen sein. Das Land leidet bereits sehr unter den von den USA verhängten Sanktionen, durch die die Folgen der Pandemie und des Verfalls des Ölpreises noch erheblich verstärkt werden.

Das saudische Öl hat die Wirtschaft des Irans in die Knie gezwungen; genau das war von Anfang an die Absicht der Herrschenden in Riad. Die Kombination all dieser Dinge ist für den Iran eine einzige Katastrophe. Die Möglichkeiten des Irans, seinen regionalen Einfluss in seinen Außenposten Irak, Syrien und Libanon zu festigen, werden dadurch stark beschnitten.

Hinter Saudi-Arabien stehen die USA, und in der Kombination sind die Möglichkeiten dieser beiden Länder, die Region geopolitisch zu gestalten, erheblich größer als die des Irans und dessen halbherzige Freunde Russland und China, die Ereignisse dort sehr viel weniger beeinflussen können.

Allerdings sehen sich alle großen wie auch alle regionalen Mächte aufgrund der Krise mit großen Problemen konfrontiert. Und wenn der Machtkampf nach dem Abflauen der Pandemie wieder Fahrt aufnimmt, könnten Kräfte des Volkes die Initiative übernehmen.

Sprechen wir doch mal über den Zustand des Kampfes von unten. Im Verlauf des letzten Jahres wurden wir Zeugen einer neuen Welle von Aufständen, die von vielen als „zweiter arabischer Frühling“ bezeichnet wurde. Wie sieht es mit diesem Kampf jetzt aus?

Im letzten Jahr sahen wir eine weltweite Welle des Widerstandes von Lateinamerika über den Nahen Osten und Nordafrika bis Hongkong. All diese Kämpfe wurden durch die Pandemie paralysiert.

In Hongkong hat die Regierung mit Peking im Hintergrund die Situation dazu genutzt, die Bewegung niederzuknüppeln. Dieselbe Geschichte im Nahen Osten und Nordafrika. In Algerien hörten die großen wöchentlichen Demonstrationen auf und viele Leute wurden verhaftet. Auch im Sudan, im Libanon und im Irak liegen die Kämpfe auf Eis.

Durch die Pandemie konnten die Staaten Lockdowns verhängen – nicht aus medizinischen, sondern aus politischen Gründen. Das haben sie liebend gern getan, ganz anders als Donald Trump in den USA oder Jair Bolsonaro in Brasilien – und zwar nicht, weil sie sich so sehr um die Gesundheit ihrer Bevölkerung sorgten, sondern weil sie die Gelegenheit beim Schopf ergreifen konnten, sozialen Protesten ein Ende zu machen.

Sobald die Pandemie vorüber ist, dürfte aufgrund der Verschlimmerung der sozialen Krise ein erneutes Aufflammen der Kämpfe in noch größerem Umfang zu erwarten sein. Bereits jetzt beginnt die Bewegung, sowohl im Libanon als auch im Irak erneut ihren Kopf zu erheben. Die Menschen im Libanon wurden durch den Zusammenbruch der Wirtschaft dazu getrieben. Sie können sich nicht einmal mehr so grundlegende Dinge wie Nahrungsmittel leisten.

Im letzten Jahr des Aufstandes war der Sudan eines der zentralen Länder. Wie stellt sich die Situation dort heute dar?

Das Land befindet sich noch immer im selben Zustand des Umbruchs wie seit letztem Juli, als die Bewegung eine Übergangslösung mit dem Militär ausgehandelt hatte. Durch dieses Abkommen entstand etwas, das ich als Dualität der Macht zwischen der Volksbewegung und dem Militär beschreiben würde: Beide existieren nebeneinander innerhalb desselben Staates. Allerdings handelt es sich dabei um einen angespannten und vorläufigen Zustand, der zwangsläufig mit dem Sieg einer der beiden Seiten, also des Militärs oder der Bewegung, enden wird.

Das Militär hat versucht, den Stillstand des Kampfes zu nutzen, um die Umsetzung einiger wichtiger Zugeständnisse, die die Militärspitzen machen mussten, zu verhindern. Natürlich könnten sie auch etwas in der Art eines Putsches versuchen. Die Volksbewegung würde sich jedoch einem solchen Versuch, welcher Art auch immer, vehement entgegenstellen, was das Land erneut in eine offene Konfrontation zwischen den Massen und dem Militär stürzen würde.

Woraus sind die ständigen Wellen von Kämpfen in dieser Region entstanden? Was ist Teil des allgemeinen Musters der globalen Revolten, die wir erlebt haben, und was ist das Besondere an der politischen Ökonomie des Nahen Ostens und Nordafrikas?

Der Neoliberalismus hat sich auf die ganze Welt gleichermaßen ausgewirkt, es gibt jedoch durchaus regionale und nationale Besonderheiten. Global gesehen hat der Drang des Neoliberalismus zu Privatisierung, Deregulierung und Internationalisierung die sozialen Ungleichheiten verschärft und soziale Sicherheitsnetze ausgehebelt. All das hat für Widerstand gesorgt, der sich weltweit Bahn bricht, wenn auch mit unterschiedlicher Stärke.

Aber wie ich schon seit dem arabischen Frühling im Jahr 2011 sage, befindet sich die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas in einem spezifischen, abgegrenzten und revolutionären Umbruch aufgrund der Interaktion zwischen globalem Neoliberalismus, der besonderen absolutistischen Natur vieler Staaten dieser Region und deren wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Öl.

Diese Kombination hat bei der wirtschaftlichen Entwicklung für einen strukturellen Stillstand gesorgt. Die Regime verweigern ihrer Bevölkerung Freiheit und verlassen sich auf Einkünfte durch Öl und Gas. Darüber hinaus fließt privates Geld nicht etwa in wirtschaftliche Entwicklungen, sondern in spekulative Investitionen.

Durch all das ist der Einfluss des Neoliberalismus hier sehr viel größer als anderswo auf der Welt. So verzeichnete diese Region über viele Jahre hinweg die höchste Zahl in puncto Jugendarbeitslosigkeit. Wege, diesem Problem durch demokratische Wahlen beizukommen, sind ausgeschlossen.

Man kann dort weder eine Regierung aus dem Amt wählen noch das Verwaltungsteam ändern oder eine Politik umkrempeln, wie das in Europa oder den USA möglich wäre. Deshalb waren die Aufstände hier weitaus größer als die Proteste in Ländern wie Chile, Spanien oder Griechenland.

In Nordafrika und im Nahen Osten hat ein lange währender revolutionärer Prozess begonnen. Und die gesamte Gegend wird tief in ihrer Krise verwurzelt bleiben, es sei denn, es gäbe eine radikale Transformation der gesamten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Struktur.

Wir haben in der Region zwei Wellen des Aufstands gesehen. Was ist dort unter dem Strich bislang herausgekommen? Und was kann man aus dem revolutionären Prozess lernen?

In diesem Zeitraum kam es in zehn Ländern der Region zu großen Aufständen. Im Jahr 2011 waren es sechs, vier weitere gab es 2019. Fast die Hälfte der dortigen Länder erlebte massive und lang anhaltende Revolten.

Das ist eine revolutionäre Schockwelle auf regionaler Ebene, vergleichbar in etwa dem, was Europa am Ende des ersten Weltkriegs erlebte. Schon allein das Ausmaß des Prozesses beweist, dass diese Aufstände nicht dem normalen Widerstand gegen den Neoliberalismus zuzurechnen sind.

Von der ersten Welle des Aufstands bis zur zweiten ist die Bewegung politisch reifer geworden. Das wiederum ist typisch für langfristige revolutionäre Prozesse, wie wir sie von der Geschichte her kennen. Sie durchlaufen eine Lernkurve, bei der sowohl die herrschenden Klassen als auch die Volksbewegung hinzulernen.

Im arabischen Frühling von 2011 gehörten islamistische fundamentalistische Kräfte zu den Hauptakteuren. Sie machten einen großen Teil der Opposition gegen die Diktaturen aus. Als die Aufstände begannen, sprangen sie auf diesen Zug mit auf und versuchten, die Revolten für ihre reaktionären Ziele zu usurpieren.

Unglücklicherweise waren sie damit in diversen Ländern erfolgreich und drückten die progressiven Kräfte an den Rand, da diese nicht genügend organisiert und nicht unabhängig genug waren, um eine politische Alternative anzubieten. Als Ergebnis wurden wir Zeugen eines Zusammenpralls zweier konterrevolutionärer Pole: die alten Regime auf der einen und die islamischen Fundamentalisten auf der anderen Seite.

In einigen Ländern nahm dies tragische, blutige Formen an: Bürgerkriege. Auf der regionalen Ebene verwandelte sich die ursprüngliche revolutionäre Phase dann mit Beginn des Jahres 2013 in eine konterrevolutionäre Phase. Seit damals gelang es den alten Regimen der Region, in Syrien und Ägypten ihre Macht wiederherzustellen, teilweise auch in Tunesien.

Wie konnte die Bewegung wieder auferstehen? Und wie unterscheidet sich die neue Welle der Aufstände von der ersten?

Die Bewegung war nie völlig verschwunden. Trotz des Rückschlags im Jahr 2013 ging der revolutionäre Prozess weiter. In der ganzen Region, von Marokko bis Tunesien, vom Sudan und Irak bis Jordanien, kam es immer wieder zu sozialen Eruptionen. Dann lösten im Dezember 2018 die Unruhen im Sudan eine neue Welle von Aufständen aus, die dann auch Algerien, den Irak und den Libanon erfasste. Die Medien bezeichneten diese Welle als „zweiten arabischen Frühling“.

In dieser neuen Phase spielten die in der ersten Phase so überaus prominent agierenden islamistischen fundamentalistischen Kräfte überhaupt keine Rolle mehr. Im Sudan hatten sie sich ursprünglich mit der Diktatur verbündet. Im Irak und im Libanon wurden die auf den Iran ausgerichteten fundamentalistischen Kräfte sogar zum Hauptangriffsziel der Aufstände.

In Algerien kollaborierte ein Teil der Fundamentalisten mit dem Regime und die Bewegung gestattete ihnen nicht, dort irgendeine Rolle zu spielen. Unglücklicherweise erwies sich jedoch keine progressive Kraft als fähig, einen nach vorn gerichteten nationalen Weg aufzuzeigen.

In dieser Frage einer progressiven Alternative ist der Sudan ein Vorbild für den Rest der Region. Unter den zehn Ländern, in denen es zu großen Aufständen gekommen war, verzeichnet der Sudan die größten Fortschritte.

Was haben die progressiven Kräfte im Sudan gemacht, das so anders ist?

Sie haben eine organisierte Bewegung aufgebaut, die auf mehreren Ebenen operiert. Die Grundlage bilden Basisorganisationen, die es in jedem Viertel gibt. Dort sind Tausende, vor allem junge Menschen eingebunden, die zumeist keiner politischen Partei angehören, aber durch die Revolution, in der sie die treibende Kraft darstellen, radikalisiert wurden. Sie stellen deren kritisches Bewusstsein dar. Das ist auch der Grund, warum sie unbedingt ihre lokale Autonomie bewahren wollen und sich dem Zentralismus verweigern.

Diese Komitees delegierten das Recht, die Volksbewegung zu repräsentieren, an eine Koalition professionell agierender Vereinigungen, die vor dem Aufstand im Untergrund gebildet wurden und aus Ärzten, Anwälten, Journalisten, Lehrern und Professoren bestanden.

Die „Sudanese Professionals Association“ hat die Aufgabe übernommen, die Kämpfe auf nationaler Ebene zu koordinieren und zu zentralisieren. Sie ist mit politischen Parteien eine Koalition eingegangen, um der Diktatur die Opposition als eine geeinte Front entgegenzustellen. Damit zwang sie der Diktatur eine Vereinbarung ab, mit der die Macht übergangsweise geteilt wurde. Das ist die aktuelle Situation mit dualer Macht, wie ich sie zuvor schon beschrieben habe.

Der Sudan zeigt uns damit die Art von Organisation, die eine progressive Volksbewegung braucht, um größere Ziele zu erreichen. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Bewegung einen endgültigen Sieg errungen hat. Zwischen der Bewegung und der Diktatur besteht weiterhin ein angespanntes Patt.

Was sind nun zusammenfassend für die Linke in der Region als zentrale Lektionen anzusehen? Und welche Haltung sollte die internationale Linke in Bezug auf diese Kämpfe einnehmen?

Es gibt hier zwei Arten von Lektionen. Zum einen gibt es allgemeine Lektionen aus der Region für alle progressiven Bewegungen. So wie der Sudan mit seinem progressiven Kampf, der auf einer massiven Basisbewegung aufbaut, einen Pflock in den politischen Boden schlägt, ist das z. B. nützlich für alle Menschen weltweit. Man stelle sich einfach nur vor, was wohl wäre, wenn die um Senator Bernie Sanders herum entstandene Bewegung dieselbe Form annehmen könnte, wie wir es im Sudan gesehen haben, wenn dort also im ganzen Land in allen Vierteln Basis-Kommitees aktiv würden!

Bei der zweiten Lektion geht es um Internationalismus. Der arabische Frühling konfrontierte die internationale Linke mit der Frage, ob sie sich in Ländern, deren Regime kein gutes Verhältnis zu Washington hatten, auf die Seite der Regime oder auf die der Volksbewegungen schlagen würde. Das entpuppte sich für einige Teile der Linken, die nur an eine binäre Sicht durch die Imperialisten/Antiimperialisten-Brille gewöhnt waren, als echte Herausforderung.

Die Aufstände rüttelten an diesem Gerüst. Sie wandten sich sowohl gegen von den USA unterstützte Regime wie Ägypten, Tunesien oder Bahrain als auch gegen andere Regime, denen die USA feindselig gegenüberstanden, wie Libyen oder Syrien, wobei letzteres von Russland, einer weiteren imperialistischen Macht, unterstützt wird.

In den USA unterstützten viel zu viele vorgeblich links ausgerichtete Leute das syrische Regime, nur weil es von der amerikanischen Regierung bekämpft wird, und weigerten sich, Solidarität mit der syrischen Revolution zu zeigen, selbst in deren anfänglich vom Volk getragenen Phase. Sie verteidigten weiterhin das Regime, trotz all der von ihm begangenen Gräueltaten. Paradoxerweise taten sie das im Namen des Antiimperialismus, als das syrische Regime in Wirklichkeit von einer weiteren imperialistischen Macht, Russland, unterstützt wurde, ein Land, das sehr großen Anteil an den Massakern in Syrien hat.

Das hat absolut nichts mit Internationalismus zu tun, denn Internationalismus bedeutet mehr als alles andere vor allem eins: Solidarität mit den ausgebeuteten und unterdrückten Massen. Die Linke sollte immer auf der Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten stehen, die für Demokratie und soziale Gerechtigkeit kämpfen, ganz gleich, ob der Staat, dem sie sich entgegenstellen, für oder gegen Washington ist.

Internationalismus bedeutete nie, dass man sich mit einem Imperialismus gegen einen anderen stellt, Internationalismus bedeutete immer grenzüberspannende Solidarität zwischen unterdrückten Völkern und Arbeiterklassen. Diese wahre Bedeutung von Internationalisierung müssen wir unbedingt wiederbeleben.

Gilbert Achcar ist Dozent für Entwicklungsstudien und internationale Beziehungen an der SOAS University of London. Zu seinen jüngsten Büchern gehören „Marxism, Orientalism, Cosmopolitanism“ (2013), „The People Want“ (2013) und „Morbid Symptoms: Relapse in the Arab Spring Uprising“ (2016).

Original: https://truthout.org/articles/pandemic-and-oil-crisis-could-make-second-arab-spring-return-with-a-vengeance/

Quelle: intersoz.org… vom 13. Juli 2020

 

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