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Corona-Proteste: Willkommen im Mainstream

Eingereicht on 11. Mai 2020 – 10:30

Peter Schaber. In den letzten Jahren kommt es öfter mal zu Demonstrationen, in denen Anliegen thematisiert werden, die völlig legitim sind, aber so bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden, dass am Ende irgendwas Reaktionäres bis Faschistisches rauskommt. In der Spaltung der Friedensbewegung war das der Fall, bei den jetzigen Corona-Protesten verhält es sich ähnlich. Bei vielen, die da mitlaufen, spielt das vage Gefühl eine Rolle, dass die da oben uns hier unten nichts Gutes wollen; dass die auflagenstarken Medien auch nicht „objektiv“ berichten; und dass man irgendwie verarscht wird. Dass derlei Eindrücke im Kapitalismus entstehen, ist völlig normal und korrekt. Die Frage bleibt aber dann immer: Wie erklärt man sich, was einen stört? Wen oder was macht man als Schuldigen aus? Und wie will man´s ändern?

Die aktuellen Erklärungen der Corona-Krise gehen zum Teil ins Skurrile bis Pathologische über, aber sie haben einen gemeinsamen Kern. Der lässt sich nicht so gut verstehen, wenn man die ganze Zeit die Facebook-Seiten irgendwelcher Leute nach den schrägsten Fundstücken durchforstet, sondern die Frage ist ja vielmehr: Was ist denn das materielle Interesse, das die Leute jetzt auf die Straße treibt.

St. Paul (Minnesota): „Wenn Wahlen uns nicht befreien, werden Waffen es tun“ steht auf dem Plakat (rechts) eines Demonstranten. Foto: Evan Frost / AP Photo / dpa. Quelle: bild.de

Und das ist recht simpel: Die Teilnehmer der Demos wollen schnell zurück zur „Normalität“, an die Gefährlichkeit von Corona glauben sie nicht, oder wenn ja, ist sie ihnen egal. Sie meinen, dass der Staat über Corona ein Regime der politischen Kontrolle einführt, eine Diktatur. Und manche von ihnen meinen, dieses Vorgehen des Staates (oder von Bill Gates etc.) folge einem langfristigen Plan. Dazu kommen dann noch individuell sehr unterschiedliche Grade an Verwirrung, bis hin zu quasi-religiösen und antisemitischen Verschwörungstheorien.

Das mag alles schräg aussehen. Aber es kommt zutiefst aus der „Mitte“ dieser Gesellschaft. Es ist genauso wenig „alternativ“ wie die „Alternative für Deutschland“. Es ist nicht rebellisch, sondern zutiefst konservativ. Das Fundament dieser Proteste ist ein liberaler Freiheitsbegriff, der den Einzelnen gegen die Gesellschaft richtig: ICH will dieses und jenes tun, da darf MICH keiner hindern, auch wenn es allen anderen schadet. Das hat nicht Ken Jebsen erfunden. Das ist das Credo kapitalistischer Ideologie seit eh und je. Es ist Mainstream schlechthin.

Komplementär dazu geht man genau für den Zweck auf die Straße, den eine Fraktion des Kapitals gegen die Statthalterin des ideellen Gesamtkapitalisten Staat, Angela Merkel, schon seit Wochen mittels diverser Medien durchdrücken will – allen voran in den Schmutzblättern des Springer-Verlags. Dort werben die Reichen und Mächtigen für die Öffnung „der Wirtschaft“ und nun hat man endlich – wie in Trumps USA, wo der verarmte White Trash gegen die eigene Krankenversicherung zum Sturmgewehr greift – Leute gefunden, die auch willig sind, für „den Standort“ die eigene und die Gesundheit aller anderen zu opfern. Wo ist das “alternativ”. Wer könnte mehr “Mainstream” sein als Springer, die diversen Konzernchefs und Lobbyisten oder jemand wie Ulf Poschardt?

Dass genau die, die ständig „cui bono“ fragen, nicht in der Lage sind, zu verstehen, wem sie denn hier grade bono machen, dafür darf man getrost den Verschwörungsideologen aller Couleur danken. Diese reaktionären Kleinbürger sind es, die diejenigen, die nach Antworten suchen per total undergroundigen Telegram-Kanälen und Facebook-Gruppen eine einfache Erklärung bieten. Die abgefahrenen Stories haben dann mit der Wirklichkeit gerade noch so viel zu tun wie nötig ist, um jemanden zu verblöden. Die Sprecherinnen und Sprecher dieser Proteste sind Unternehmer, Journalisten, B-Promis, Anwälte, gelegentlich mal ein Arzt oder ein Hipster-Fraß-Unternehmer. Es ist eine typische Kleinbürger-Nummer und eigentlich, ja eigentlich sollte es ein Leichtes für die Linke – parlamentarisch wie nicht – sein, dem etwas auf der Straße und in den Köpfen entgegenzusetzen.

Aber die Geschichte endet ja hier leider nicht. Denn das Komplement zu dieser Art Mainstream ist der andere, der linksliberale Mainstream. Eine Menge an Leuten aus Medien, Stiftungen, Parteien und Jugendorganisationen, deren täglich Brot in nichts anderem besteht, als sich in der Abgrenzung zu dieser wild zusammengewürfelten Masse zu suhlen. Eigene politische Strategie? Fehlanzeige. Wenn die sagen, Deutschland wird Diktatur, dann sagen wir: Deutschland ist das beste Land der Welt genauso wie es ist. Wenn die auf die Straße gehen, dann fragen wir die Polizei, warum sie das dürfen! Und wenn wir dann noch Zeit haben, dann erklären wir denen, die genauso emanzipiert sind wie wir selber, warum wir die Gebildeten und die anderen die Dummen sind.

Wenn Studium und gewählte Ausdrucksweise nicht Eintrittskarte zum Linkssein wären, könnte man sich vielleicht eine eigene Strategie gegen diesen Staat, gegen Kapital und meinetwegen gegen Bill Gates überlegen. Aber als „linkster“ Teil des liberalen Establishments will man einfach, dass der Staat für einen die Aufgabe übernimmt, die Gesellschaft emanzipatorischer zu gestalten. Weil selber machen geht nicht. Und darüber hinaus will man mit dem Schmutz nichts zu tun haben, weil am Ende würde man noch selber dreckig.

Quelle: lowerclassmag.com… vom 11. Mai 2020

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