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Der Imperialismus heute

Eingereicht on 1. Oktober 2024 – 11:27

Netzwerk antiimperialistische Solidarität (NAS). Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die produktiven Kapazitäten des Kapitalismus soweit entwickelt, dass die Kapitalisten für ihren ständig wachsenden Bedarf an Rohstoffen, billiger und williger Lohnarbeit und Absatzmärkten weit über die Grenzen ihrer Nationalstaaten ausgreifen mussten. Dies das treibende Element des Imperialismus. Es etablierte sich ein Hauen und Stechen, das in letzter Konsequenz oft in radikalen Nationalismus, Faschismus und grosse Kriege führte. Die Bourgeoisien der industrialisierten Nationalstaaten mussten ihre Interessen sowohl gegenüber den konkurrierenden Bourgeoisien der anderen Nationalstaaten, wie auch gegenüber der sich politisch formierenden Arbeiterklasse behaupten. Dabei wird die Herrschaft über die Gebiete der kolonialisierten Peripherie zunehmend auch über Marktbeziehungen geprägt und nicht mehr nur durch direkte militärische Herrschaft, wie dies für den Kolonialismus typisch ist. Es bildeten sich gleichzeitig in Europa und den USA Strukturen der Sozialpartnerschaft und der politischen Integration der Organisationen der Arbeiterklasse heraus, wobei deren kämpferischen Segmente immer wieder marginalisiert wurden. Zudem bildete sich innerhalb der Lohnabhängigen ein Segment heraus, das sich im Klassenkonflikt stark mit den Interessen der imperialistischen Bourgeoisie identifizierte: die lohnabhängigen Mittelschichten.

Mit der Russischen Revolution von 1917 und der Chinesischen Revolution von 1949 wurde ein grosser Teil der eurasiatischen Landmasse dem direkten Einflussbereich der imperialistischen Bourgeoisie entzogen. Deren Bauern und Arbeiter arbeiteten nicht mehr für die imperialistische Mehrwertproduktion. Dasselbe gilt für die antikolonialistischen Revolutionen der 1940er bis Ende der 1970er Jahre. Die aus diesen Umwälzungen hervorgegangenen Regimes behielten fortan über weite Strecken mehr oder weniger die Kontrolle über den Produktionsapparat ihres Landes.

Der Erste und der Zweite Weltkrieg waren zugespitzte Konflikte unter den imperialistischen Mächten um die Vorherrschaft im globalen Kapitalismus; aus diesen Konflikten gingen die USA als unbestrittene imperialistische Hegemonialmacht hervor. Diese Kriege waren Resultat des systemisch notwendigen Drucks, den Einflussbereich der jeweiligen Bourgeoisien mit allen Mitteln auszuweiten. Die imperialistischen Mächte versuchten im Kalten Krieg, der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, die eigentliche Besiegerin des deutschen Faschismus, die Sowjetunion, zurückzudrängen. Die am Boden liegenden Ökonomien Westeuropas wurden nach anfänglichem Zögern aufgebaut, ebenso in Japan, nach zwei Atombombenabwürfen und einer rigorosen Disziplinierung der Arbeiterklasse.

Die Gründung der Nato, das Abkommen von Bretton Woods, die Gründung des IWF und die Eröffnung des äusserst brutalen Koreakrieges festigte die politische und ökonomische Hegemonie der USA, schärfte die Front im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion und gegen die antikolonialen Befreiungsbewegungen in der Peripherie. Das stalinistische Regime in der UdSSR nutzte seinen Einfluss auf diese Befreiungsbewegungen oft als Pfand, um in einer Illusion der «friedlichen Koexistenz» die imperialistische Bourgeoisie wohlwollend zu stimmen, ähnlich der Sozialpartnerschaft in den imperialistischen Zentren. Sollten sich die Führungen dieser Befreiungsbewegungen für einen eigenen Weg aussprechen, so verloren sie die Gunst der Führung der UdSSR, wie z.B. China ab den 1960er Jahren.

Die Wirtschaftshilfe der USA für Europa und Japan hatte zusammen mit der Einrichtung von US-Militärbasen den Zweck, diese Regionen für das US-amerikanische Kapital sicher zu machen. Mittlerweile gibt es über 1‘000 US-amerikanische Militärbasen weltweit, die überwiegende Mehrheit in Europa und in unmittelbarer Nachbarschaft zu China.  Die USA gibt für ihren Militärapparat mehr aus als die zehn nächsten Länder zusammen, sie führte seit dem zweiten Weltkrieg weit mehr Kriege als alle anderen. Es setzte eine Periode aussergewöhnlichen Wirtschaftswachstums in den imperialistischen Zentren – v.a. in Europa und Japan – ein, mit sehr hohen Profitraten über die gesamte Wirtschaft. Die Arbeiterklasse innerhalb des imperialistischen Zentrums wuchs entsprechend, wie auch deren Lebensstandard.

Mitte der 1960er Jahre begannen das Wachstum und die Profitraten abzunehmen. Die Bourgeoisie versuchte, die Profitraten auf Kosten Arbeiterklasse zu halten, was vor allem ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zu grossen Arbeiterkämpfen führte. Doch diese Kämpfe führten zu wenigen oder keinen nachhaltigen Erfolgen – meistens lenkten die Führungen der Gewerkschaften und der reformistischen Parteien – Kommunisten wie Sozialdemokratie – vorschnell ein und demobilisierten die in Bewegung geratene Arbeiterklasse. Ende der 1970er Jahre hatte sich die Lage für die imperialistische Bourgeoisie an der Front des Klassenkampfes einigermassen beruhigt.

Bis Ende der 1970er Jahre hatte sich die antikoloniale Befreiung weitgehend durchgesetzt. Der durchschlagendste Erfolg war die Niederlage der USA in Vietnam von 1975. In vielen Ländern der Peripherie kam es in der Periode des Kalten Krieges zu brutalen Unterdrückungswellen gegen Bewegungen und zu Putschen gegen demokratisch gewählte Regierungen, die sich aus der Umklammerung des Imperialismus befreien wollten: Korea, Guatemala, Vietnam, Iran, Brasilien, Chile, Indonesien, Philippinen, Algerien, Kongo, Argentinien, Honduras, … Diese Repressionen und Staatsstreiche wurden von dem Imperialismus, allen voran dem US-Imperialismus, meistens aktiv unterstützt oder dann aufgebaut.

Die US-Bourgeoisie hatte im Kalten Krieg die politische, militärische, kulturelle und ökonomische Führung über 30 Jahre halten können – nun war diese gefährdet. Einerseits hatten die Europäer und Japaner ökonomisch gegen die USA schwer aufgeholt und geboten nun über einen grösseren Anteil der Weltproduktion. Dies spiegelte sich im wachsenden Zahlungsbilanzdefizit der USA gegenüber diesen Ländern wider. Andererseits war die Autorität des Imperialismus in der Peripherie entscheidend geschwächt. Zudem hatte sich die UdSSR stark entwickelt und ihre Autorität in der Peripherie war weiterhin gross, neben China die Hauptmacht, um die sich die Peripherie gruppierte. Dieser Machtabnahme wurde auch von einer massenweisen Schaffung von militärischen Basen und Rüstungsprogrammen vor allem der USA zu begegnen versucht.

Überhaupt hatte in vielen Ländern, die sich vom Kolonialismus befreit hatten, eine tiefe wirtschaftliche Veränderung eingesetzt, die die Bauern vom Land in die Städte trieb. Diese Länder brauchten Geld, um eine wirtschaftliche Entwicklung anzugehen und verschuldeten sich zusehends beim IWF und anderen imperialistischen Kreditgebern. Mittlerweile waren die technischen und organisatorischen Voraussetzungen gegeben, den Produktionsprozess im Hinblick auf eine globale Arbeitsteilung neu aufzustellen und die Warenform weltweit in die meisten Lebensbereiche vorzutreiben. Eine wesentliche Waffe der imperialistischen Bourgeoisie dabei sind die Strukturanpassungsprogramme der internationalen Finanzorganisationen, bei denen es um Privatisierungen, Beseitigung von Sozialsystemen und Marktöffnung geht.  Das Ziel war, den Produktionsprozess in Länder auszudehnen, in denen die Lohnarbeit viel wohlfeiler und wehrloser war, als in den imperialistischen Zentren. Unter der Hegemonie des US-Imperialismus ging es darum, US-Standards im Rechtssystem und vielen Belangen des gesellschaftlichen Lebens zu etablieren. Dies abgesichert durch eine hohe Präsenz des imperialistischen Militärs.

Diese Periode des Neoliberalismus führte bereits um 1991 zur Auflösung der Sowjetunion. In der heutigen Weltlage stellt sich somit unweigerlich die Frage, woher die sich zuspitzende kriegerische Entwicklung kommt. Die UdSSR war bis dahin in der imperialistischen Propaganda des Kalten Krieges die eigentliche Ursache allen Übels, insbesondere der Kriege. Spätestens Ende der 1970er Jahre kam es zu grundsätzlichen Veränderungen in den politischen Strategien des Imperialismus, vor allem in den angelsächsischen Ländern: Einerseits zu einer offensiveren Linie im Kalten Krieg (Nato Doppelbeschluss), andererseits eine offensivere Linie gegenüber der Arbeiterklasse mit dem Neoliberalismus und dem Aufbau globaler Wertschöpfungsketten.

All dies führte zur Zerstörung vieler Strukturen des sozialen Ausgleichs und ab der Finanzkrise von 2008/2009 zu weitverbreiteter Verarmung vor allem in der Peripherie mit entsprechenden Fluchtbewegungen; dazu trugen auch die sich ab den 1990er Jahren ausweitenden Kriege mit den zugehörigen Zerstörungen und der Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen bei. Da die Führungen der Arbeiterbewegung in den Zentren keine emanzipatorische Antwort auf die wachsende Krise des „verfaulenden Kapitalismus“ haben, fanden xenophobe reaktionäre Formationen Auftrieb und wandten sich an die unter Druck geratenen Massen. Die politische Landschaft in den  imperialistischen Zentren rückt seit 30 Jahren scharf nach rechts.

Nach dem schweren ökonomischen Einbruch von 2008/2009 fiel der US-Imperialismus sowohl gegenüber seinen Konkurrenten wie gegenüber China weiter zurück, wie auch die soziale Krise in den Ländern der Peripherie drastisch zunahm und zu Erhebungen führte („arabische Revolutionen“). Zudem stärkten China, Russland und der Iran ihre Position im weltpolitischen Gefüge. Die Länder der Peripherie rücken immer näher zusammen (BRICS+), vor allem seit der Eröffnung des Ukraine-Krieges 2014.

Bereits im Vietnamkrieg gingen die USA in den sich eröffnenden Kriegen zu einer Strategie der Vietnamisierung über: sie bauten in den angehenden Konfliktzonen Stellvertreter auf, die in einem kommenden Krieg als Rammbock gegen allfällige Gegner eingesetzt werden konnten. So etwa die Ukraine, in der spätesten seit der Mitte der 2000er Jahre gezielt rechtsextreme Kräfte gefördert werden, die nun den Krieg gegen Russland führen; desgleichen Israel, das seit Jahrzehnten als imperialistischer Kettenhund im Nahen Osten, insbesondere gegen den Iran, gemästet wird. Allem Anschein nach ist Taiwan und Japan eine ähnliche Rolle gegen China zugedacht.

Doch dieselbe Krise, die den Ausbruch imperialistischer Kriege hervorruft, führt auch überall auf der Welt zu einer Welle von Aufständen und Kämpfen von Arbeitern und Bauern. Nur durch den Aufbau einer mächtigen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse kann ein Rückfall in die Barbarei des 20. Jahrhunderts – dieses Mal unter Gebrauch von Atomwaffen – verhindert werden. Die sozialen Forderungen, die Arbeiter in den Kampf treiben, müssen auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive mit dem Aufbau einer mächtigen Antikriegsbewegung verbunden werden.

we/ sep-2024

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