Gegen die zionistische Aggression! Solidarität mit der Jugend in Sheikh Jarrah!
Dilara Lorin und Martin Suchanek. Seit Montag, den 10. Mai, bombardiert die israelische Luftwaffe Gaza. Mindestens 24 Menschen, darunter 9 Kinder, wurden nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums bis zum Morgen des 11. Mai getötet, 109 wurden verletzt. Insgesamt flogen die israelischen Streitkräfte 150 Angriffe.
Die Regierung Netanjahu und die Armeeführung präsentieren und rechtfertigen die Bombardierungen einmal mehr als Akt der Selbstverteidigung – und in ihrem Gefolge auch die westlichen imperialistischen Schutzmächte und Verbündeten Israels. Die Aktion wird als Reaktion auf den Abschuss von über 100 Raketen aus Gaza dargestellt, als Vergeltung auf eine vorhergehende Aktion der Hamas und des palästinensischen Widerstandes, die als „TerroristInnen“, „IslamistInnen“ oder blutrünstige „AntisemitInnen“ diffamiert werden.
Kurzum, der ideologischen Rechtfertigung der zionistischen Regierung wie ihrer westlichen UnterstützerInnen gelten die PalästinenserInnen als AggressorInnen. Die Vergeltungsschläge sollen bloß „verhältnismäßig“ bleiben und, so das stillschweigende Kalkül, nach einigen Tagen verebben.
Verschwiegen wird, worum es im „Konflikt“ eigentlich geht, worin seine Ursachen eigentlich bestehen. Dabei verdeutlicht der Kampf gegen die Räumung palästinensischer Wohnungen und Häuser im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah exemplarisch, worum es sich dreht: um die fortgesetzte, systematische Vertreibung und nationale Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung. Ostjerusalem soll die nächste Etappe der Vertreibung und Annexion durch den zionistischen Staat darstellen – eine fortdauernde, die mit der Gründung Israels und dessen Expansion untrennbar verbunden ist.
Sheikh Jarrah
Auch wenn mittlerweile die internationalen Meiden voll sind mit Berichten über Sheikh Jarrah, die Zusammenstöße von Polizei, zionistischen, rechten SiedlerInnen und palästinensischen Jugendlichen, so dienen diese wohl eher dem Einschwören auf die israelische und westliche politische Linie denn der Information.
Es wird nicht erwähnt, dass der zionistische Staat seit seiner Gründung unablässig fortfährt, PalästinenserInnen aus ihren Wohnungen und Häusern zu vertreiben und dadurch in die Flucht zu zwingen. Es werden die ultraorthodoxen und rechten Gruppierungen nicht erwähnt, die friedlich Fasten brechende oder protestierende PalästinenserInnen angreifen, sie aus ihren Häusern werfen und tatkräftig von den staatstragenden Parteien hofiert und unterstützt werden. Es wird beim Lob für Israels Impfkampagne nicht erwähnt, dass in den vom Staat besetzten israelischen Gebieten die Bevölkerung nicht nur keinen Zugang zum Impfstoff erlangt, sondern auch das gesamte Gesundheitssystem permanent vor dem Zusammenbruch steht. PalästinenserInnen sind faktisch Menschen zweiter Klasse. Ihnen werden gleiche bürgerliche Rechte vorenthalten, Westbank und Gaza werden immer mehr von der Außenwelt abgeschottet.
Die rechte Regierung Netanjahu setzt seit Jahren auf einen aggressiveren Kurs der Vertreibung und der Annexion von Land in der Westbank infolge des Siedlungsbaus. Unter der Administration Trump und deren „The Deal of the Century“ wurde Jerusalem offiziell als Hauptstadt Israels anerkannt, eine Einladung an die zionistische Regierung, an Behörden und Gerichte sowie an rechte SiedlerInnen, die Annexion Ostjerusalems voranzutreiben.
Was hat all dies mit Sheikh Jarrah zu tun?
Sheikh Jarrah ist ein Viertel in Ostjerusalem, welches auch nach 1948, der Gründung des israelischen Staates, mehrheitlich von PalästinenserInnen bewohnt war, während im Westen mehrheitlich israelische StaatsbürgerInnen wohnen und PalästinenserInnen diesen Teil der Stadt nicht einfach so betreten dürfen. Diese Aufteilung und das Verbot für die palästinensische Bevölkerung sind Teil einer bewussten Politik, die immer mehr versucht, den Wohnraum und die Existenz von PalästinenserInnen einzuschränken. Zwischen 2004 bis 2016 wurden 685 palästinensische Häuser in Jerusalem zerstört. 2513 Menschen wurden obdachlos.
Heute leben mehr als 700.000 israelische SiedlerInnen in illegalen Siedlungen in Palästina und Ostjerusalem. Aber damit leider nicht genug, denn die Situation um Sheikh Jarrah hat kein Alleinstellungsmerkmal. Diese Zwangsräumungen der dort seit Jahrhunderten ansässigen PalästinenserInnen hat israelische Tradition und ist tragische Geschichte von mehr als 538 Städten und Dörfern. Den BewohnerInnen dieses Stadtteils droht Vertreibung und die damit einhergehende Flucht – entweder auf „legalem“ Weg, indem israelische Gerichte Ansprüche von SiedlerInnen auf Häuser legitimieren, die seit Jahrzehnten von PalästinenserInnen bewohnt wurden, oder auf „illegalem“, indem der Bau von Häusern und Wohnungen durch SiedlerInnen nachträglich anerkannt wird. Die Besatzungsbehörden planen außerdem den Bau von 200 Siedlungseinheiten auf dem Land und in den Häusern der Bevölkerung von Sheikh Jarrah. Diese Vertreibung ist seit mehr als 40 Jahren ein Teil des israelischen Siedlungsplans, um auf diesen Flächen Siedlungen zu errichten, so wie es im Westjordanland tagtäglich geschieht.
Al-Aqsa, Jerusalem und der Widerstand
Gegen die Räumung palästinensischer Häuser und Wohnungen wehren sich seit Tagen vor allem Jugendliche in Ostjerusalem. Dagegen ging die Polizei mit äußerster Brutalität, mit Blendgranaten und Wasserwerfern vor. Hunderte wurden zum Teil schwer verletzt, um Unrecht und die Ordnung der Herrschenden aufrechtzuerhalten.
Anlässlich des „Jerusalem-Tages“, an dem in Israel die Annexion Ostjerusalems im Zuge des 6-Tage-Krieges von 1967 gefeiert wird, eskalierten rechte SiedlerInnen am 10. Mai bewusst die Lage, indem sie trotz der Spannungen ihren jährlichen reaktionären Fahnenmarsch durchführten. Diesmal wurde aus der gezielten Provokation faktisch ein Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee. Diese befindet sich auf der Westseite Jerusalems in der Altstadt und bildet für die Muslime/a eines der 3 wichtigsten Heiligtümer. Tage zuvor schon hingen Plakate an den Wänden der Stadt, welche diese Angriffe seitens rechter SiedlerInnen propagierten und dazu aufriefen, sich daran zu beteiligen.
Während sich ein Teil der PalästinenserInnen noch im Fastenmonat Ramadan befindet, kämpfen diese und andere gegen die Angriffe und Attacken. Es verbreiteten sich Bilder wo in der Al-Aqsa-Moschee Jugendliche Steine sammeln, Barrikaden bauen, um dem angekündigten Angriff entgegenzuwirken, und ein wütender Mob SiedlerInnen an den Türen und Toren der Altstadt rüttelt. Die Situation dauert schon seit mehreren Tagen an und es wurden mehr als 300 PalästinenserInnen verletzt.
Der Angriff auf die Al-Aqsa-Moschee stellt dabei eine gezielte Provokation nicht nur der PalästinenserInnen, sondern aller Muslime/a, ja aller Unterdrückten im Nahen Osten dar.
Dabei wurden bewusst und provokant religiöse Gefühle verletzt. Im Kern geht es aber um keine Glaubensfrage, sondern darum, den national und rassistisch Unterdrückten ihre Ohnmacht, ihre Chancenlosigkeit vorzuführen.
Der Widerstand gegen die Räumungen bildet daher nur einen Aspekt eines größeren Kampfes gegen ein System der Unterdrückung, der Vertreibung, der fortgesetzten Kolonisierung und imperialistischen Ausbeutung. An vorderster Front bei den Demonstrationen und Kämpfen steht dabei oft die palästinensische Jugend.
Flächenbrand
Der Kampf um Sheikh Jarrah und um Al-Aqsa wirkt wie der berühmte Funken, der das Pulverfass zu entzünden droht. In zahlreichen Städten in der Westbank gingen Jugendliche, ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und die verarmten Massen auf die Straße. in Nazareth, Kafr Kana oder Schefar’am brachen in der Nacht vom Montag zum Dienstag lokale Aufstände aus. In Gaza marschieren Hunderte, wenn nicht Tausende, an die von der israelischen Armee hermetisch abgeriegelte und hochmilitarisierte Grenze.
Hamas und verschiedene Gruppen des palästinensischen Widerstandes feuern Raketen auf Israel, wohl wissend um die blutige Antwort von dessen Luftstreitkräften. Doch diese verzweifelten Aktionen in einem asymmetrischen Krieg verdeutlichen auch die Entschlossenheit des palästinensischen Volkes, dessen Würde und Existenz untrennbar mit dem Widerstand gegen die Besatzung verbunden ist.
Dieser Widerstand gegen die Besatzung ist in all seinen Formen legitim. Auch wenn die taktische und strategische Nützlichkeit von Raketenangriffen auf Israel fraglich ist, so unterscheiden wir als RevolutionärInnen klar zwischen der Gewalt der UnterdrückerInnen, des israelischen Staates und seiner Armee, und der Unterdrückten und solidarisieren uns mit dem Widerstand.
Eine neue Intifada liegt in der Luft. Die entscheidende politische Frage ist jedoch, wie sich diese ausweiten, wie sie siegen kann. Die zionistische Vertreibung und Expansion und die offene Unterstützung durch Trump haben schon in den letzten Jahren die PalästinenserInnen in eine immer verzweifeltere Lage gebracht und auch die politische Führungskrise in der Linken und ArbeiterInnenklasse massiv verschärft. Auch wenn die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas die Bewegung in Ostjerusalem unterstützen, so kollaboriert erstere nach wie vor mit dem zionistischen Staat und jagt einer Verhandlungslösung nach. Auch die Hamas verfügt über keine Strategie zum Sieg und bietet eine reaktionäre, religiöse und keine fortschrittliche, demokratische oder gar sozialistische Perspektive im Interesse der ArbeiterInnenklasse.
Die zentrale Frage besteht daher darin, wie die fortgesetzten Bombardements Israels gestoppt und die lokalen Aufstände der Jugend verbreitert werden können und in diesem Zug auch eine neue, revolutionäre Kraft in Palästina aufgebaut werden kann. Dies ist nicht so sehr eine organisatorische, sondern vor allem eine programmatische Frage.
Um den Widerstand gegen die zionistische Aggression voranzutreiben, braucht es eine neue Intifada, die die Form eines Generalstreiks in den Werkstätten und auf den Feldern sowie der Einstellung jeder Kooperation mit den Institutionen der Besatzungsmacht annimmt. Die Möglichkeiten des rein ökonomischen Drucks in Palästina sind aufgrund der Ersetzung palästinensischer Arbeitskraft in vielen israelischen Unternehmen erschwert, wenn auch nicht unmöglich.
Von entscheidender Bedeutung könnte und müsste die Solidarität der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten in den Ländern des Nahen Ostens sein, indem sie Israel und seine militärische Maschinerie durch Streiks und Weigerung, Waren zu transportieren oder Finanztransaktionen durchzuführen, unter Druck setzt. Dies könnte in Verbindung mit massenhaften Solidaritätsdemonstrationen auch die reaktionären arabischen Regime in Ägypten und Saudi-Arabien oder die vorgeblichen FreundInnen der PalästinenserInnen wie Erdogan oder Chamenei entlarven und die ArbeiterInnenklasse zur führenden Kraft im Kampf gegen den Zionismus machen.
Dieser Druck kann auch die klassenübergreifende Einheit zwischen Kapital und jüdischer ArbeiterInnenklasse in Israel unterminieren und damit die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von palästinensischer ArbeiterInnenklasse und Bauern-/Bäuerinnenschaft mit der jüdischen ArbeiterInnenklasse gegen Zionismus und für einen gemeinsamen, multinationalen Staat unter Anerkennung des Rückkehrrechts aller PalästinenserInnen eröffnen.
Schließlich müssen die ArbeiterInnenklasse und die Linke in den imperialistischen Ländern selbst in Solidarität mit dem palästinensischen Volk auf die Straße gehen und mit Streik und Boykott von Transporten den Druck auf Israel erhöhen, die Luftangriffe auf Gaza und die Repression in Ostjerusalem einzustellen. Solidaritätskundgebungen und die Unterstützung von Demonstrationen zum Nakba-Tag wären dazu ein erster Schritt.
Die Bombardements seitens Israel, die Belagerung Gazas und die Siedlungsbauten in der Westbank haben auch jede Hoffnung auf die Zwei-Staaten-Lösung begraben. Angesichts der Vertreibung, der Aggression und Unnachgiebigkeit der israelischen Regierungen erweist sie sich nicht nur als reaktionär, sondern schlichtweg auch als komplett illusorisch, als diplomatische Farce. Die einzig mögliche demokratische Lösung besteht in der Zerschlagung des Systems der Apartheid und der rassistischen Grundlage des zionistischen Staates, im Recht auf Rückkehr für alle PalästinenserInnen und in der Errichtung eines binationalen Staates auf der Basis vollständiger rechtlicher Gleichheit aller. Die imperialistischen Staaten wie die USA, Deutschland, Britannien und die EU müssen dazu gezwungen werden, die Kosten für diese Rückkehr und den Aufbau der nötigen Infrastruktur und Wohnungen zu tragen. Damit diese ohne nationalistische Gegensätze erfolgen kann, muss diese demokratische Umwälzung mit einer sozialistischen, mit der Enteignung des Großkapitals und Großgrundbesitzes verbunden werden.
- Schluss mit der Besatzung! Keine Bomben auf Palästina!
- Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand!
- Für einen binationalen Staat, in dem alle StaatsbürgerInnen gleiche Rechte haben unabhängig von ethnischer Herkunft und Religion!
- Für ein sozialistisches Palästina als Teil Vereinigter Sozialistische Staaten des Nahen und Mittleren Ostens!
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 12. Mai 2021
Tags: Imperialismus, Palästina, Rassismus, Repression, Widerstand, Zionismus
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