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In Kuba gibt es eine Sehnsucht nach einem linken Ausweg aus der Krise

Eingereicht on 28. August 2022 – 12:12

In diesem Interview geht Frank García, ein kubanischer marxistischer Soziologe und Mitglied des Comunistas-Kollektivs, ausführlich auf die aktuelle Situation in Kuba ein, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Energiekrise verschärft hat und zu den strukturellen Problemen der Insel hinzukommt, sowie auf die «Landung» des Trotzkismus in Kuba.

In letzter Zeit haben wir in einigen Teilen Kubas kleine Demonstrationen aufgrund von Stromausfällen erlebt. Dies zeigt eine weitreichende Energiekrise im Land, die zu den grossen Problemen hinzukommt, die den Volkszorn am 11. Juli 2021 im Rahmen der Anpassungspolitik der Bürokratie zum Ausbruch gebracht hatten. Kannst du uns etwas dazu sagen?

Ja, das grosse Problem ist, dass die Energiekrise real ist und schon vorher bestand. Man darf nicht vergessen, dass der Funke, der die Proteste am 11. Juli 2021 auslöste, die starken Stromausfälle in den Provinzen waren. Aber zum jetzigen Zeitpunkt dürfen wir nicht vergessen, dass Kuba nach wie vor eine enge Beziehung zu Russland hat, wenn auch nicht mehr so eng wie damals zur Sowjetunion, von der es abhängig war. In dieser Beziehung zu Russland, in diesen wirtschaftlichen Verbindungen, geht es um Öl, um Treibstoff. Um Strom in thermoelektrischen Kraftwerken zu erzeugen, wird zwangsläufig Brennstoff verwendet. Und der Krieg in Russland hat sich natürlich sehr negativ auf die Lieferung von Brennstoff, Lebensmitteln und Krediten an Kuba ausgewirkt. Darüber hinaus hat uns der kubanische Minister für Energie und Bergbau darüber informiert, dass thermoelektrische Kraftwerke eine Nutzungsdauer von etwa 25 Jahren haben. Die meisten der von uns genutzten thermoelektrischen Kraftwerke wurden jedoch spätestens 1991 von der Sowjetunion gekauft und sind seit 31 Jahren in Betrieb.

Dies wirft eine Reihe von Fragen auf. Es stimmt, dass Kuba in den 1990er Jahren eine schwere Wirtschaftskrise durchmachte, die als «Sonderperiode» bezeichnet wurde. Als die Wirtschaft wieder auf die Beine kam, ging es jedoch darum, durch die «Energierevolution», wie Fidel es nannte, «Energiesouveränität» zu erlangen. In Wirklichkeit war Kuba jedoch stark von venezolanischem Öl abhängig. Während sich die Regierung von Hugo Chávez wirtschaftlich und politisch in ihrer besten Zeit befand, fand Kuba im venezolanischen Öl einen sehr starken Rückhalt. Dies führte zu einer Politik, die fast identisch zu der seinerzeitigen mit der Sowjetunion war.

In Kuba gab es jedoch keine «Energiesouveränität» durch die Erschliessung anderer Energiequellen. Man war auslandsabhängig bezüglich Brennstoffen und zudem wurden die Wärmekraftwerke aus dem einen oder anderen Grund nicht mehr repariert. Da stellt sich die Frage, ob ein solches Budget wie für den Tourismus – 2021 wurden mehr als 50 % des Staatshaushalts für den Tourismus ausgegeben, eine Branche, die wegen des Coronavirus und jetzt wegen des russisch-ukrainischen Krieges in der Krise war – nicht besser nicht nur für Lebensmittel und Medikamente, sondern auch für die Reparatur von Wärmekraftwerken hätte ausgegeben werden sollen. Die Spezialisten für Wärmekraftwerke haben das sicher kommen sehen. Sie haben sicher ihre Chefs alarmiert, und diese haben sicher, wie man in Kuba sagt, eine Klage eingereicht. Doch diese blieb irgendwo in der Schublade liegen oder hatte auf höherer Ebene einfach keine Bedeutung.

Die Arbeiterklasse ist daher sehr langen Stromausfällen ausgesetzt. Ein kleines Detail, das man nicht aus den Augen verlieren sollte, ist, dass die längsten Stromausfälle in den Provinzen auftreten, die am wenigsten «regimetreu» sind. In den Provinzen, die während der Proteste am 11. Juli 2021 – die sich an manchen Orten bis zum 12. Juli hinzogen – nicht oder nur sehr wenig mobilisiert hatten, dauerten die Stromausfälle die ganze Nacht hindurch zwischen 6 und 8 Stunden. Am Donnerstag, dem 11. August, teilte die Unión Eléctrica der Provinz Villa Clara mit, dass der Stromausfall 12 Stunden dauern würde. Was will ich damit sagen? Dass die Regierung genau weiss, wo sie den Strom abschalten kann und wo nicht.

Dennoch haben die Stromausfälle bereits Havanna erreicht, wo zwei Tage mit jeweils sechsstündigen Ausfällen geplant sind. Am 5. August ereignete sich ein Unfall in den Öllagertanks in der Nähe von Matanzas, was die Energiesituation verschärfte und zu einem weiteren Tag mit Stromausfällen führte, sodass in Marianao am 10. August bereits ein vierstündiger Stromausfall in der Nacht zu verzeichnen war. Dies, zusammen mit der Wirtschaftskrise und der politischen Krise, die sich in der stetig sinkenden Popularität der Regierung widerspiegelt, führt natürlich zu einer starken Unzufriedenheit. Es gibt eine Bürokratie, die sich immer weiter von der Arbeiterklasse, den Volksmassen und der Jugend entfernt. Die Unzufriedenheit der kubanischen Jugend, die sieht, dass sie keine Möglichkeit hat, die Entscheidungen der Regierung zu beeinflussen, hat zu Kritik und völligem Misstrauen gegenüber der Regierung geführt, aber auch zu einer gewissen Apathie und leider sogar zu einer Form der Rechtsentwicklung.

Dazu gehörten auch die Proteste in der Gemeinde Los Palacios in der Provinz Pinar del Río und die gerade stattgefundenen Proteste in Altamira in Santiago de Cuba. Vom 15. Juli bis zum 9. August fand jede Woche mindestens eine Demonstration statt. Wenn die Blockaden in Havanna weitergehen, könnte auch die Hauptstadt explodieren, und das wäre schlimm. Die Bürokraten müssen erstaunt gewesen sein, denn sie hatten drakonische Strafmassnahmen gegenüber Demonstrationen verhängt. Gegen eine Gruppe von Demonstranten wurden am 11. Juli hohe Strafen verhängt und eine hässliche Propaganda losgelassen, um sie zu diskreditieren. Obwohl sie wissen, dass die Unzufriedenheit allgegenwärtig ist, hatten sie sich vielleicht nie vorgestellt, dass es diese kleinen, peripheren Orte sind, an denen öffentliche Proteste beginnen können. In jedem beliebigen Land könnten vier Demonstrationen in einem Monat mit jeweils 200 Demonstranten alltäglich sein. Aber in Kuba, wo solches immer so stark unterdrückt wurde, dass in der Vorstellung des Volkes Demonstrationen auf der Strasse gleichbedeutend mit dem Einleiten der Konterrevolution sind, ist es anders. Heute, mit dem neuen Strafgesetzbuch und den Präzedenzfällen vom 11. Juli, ist es offensichtlich, dass Kuba ein beispielloses Szenario erlebt. Man darf nicht vergessen, dass die Proteste vom 11. Juli nicht in Havanna, sondern in San Antonio de los Baños, einer Kleinstadt 30 km von der Hauptstadt entfernt, begannen.

In Bezug auf die Knappheitssituation, die sich zu verschärfen scheint: Wie sieht diese derzeit aus?

Zusätzlich zu dieser Energiekrise gibt es eine Knappheit an alltäglichen Gütern, da der russisch-ukrainische Krieg schreckliche Auswirkungen auf die Versorgungssituation hatte, die in Kuba bereits prekär war. Diese Knappheit wird dadurch verschärft, dass der private Wirtschaftssektor wächst – und der Sektor der kubanischen Wirtschaft, in dem er am stärksten vertreten ist, ist der Dienstleistungssektor, die Gastronomie und die Hotellerie. Der private Wirtschaftssektor beginnt also, Lebensmittel anzuhäufen, und der Staat beginnt ebenfalls, ihm Lebensmittel zu verkaufen. Dies trägt zu einer sehr grossen Lebensmittelknappheit bei, die in Havanna deutlich sichtbar ist, im Gegensatz zu den Stromabschaltungen, die die Regierung in der Hauptstadt nicht vorzunehmen wagt, weil sie weiss, dass sie sich damit möglichen Protesten aussetzen würde.

In Havanna kann man daher lange Warteschlangen sehen, die nicht nur einen ganzen Tag dauern können, um ein Grundprodukt zu kaufen, sondern an deren Ende man nicht einmal sicher ist, ob man überhaupt an das Produkt herankommt. Wir reden hier von so grundlegenden Dingen wie Hühnchen, Öl oder Hygieneartikeln, die einem ausgehen können, während man in der Schlange steht. Dieses Zusammenspiel von Knappheit und Wirtschaftskrise führt also dazu, dass man keinen Zugang zu grundlegenden Produkten hat, weil es keine gibt, und wenn es welche gibt, sind sie sehr teuer, weil die Inflation auf einem hohen Niveau bleibt. All dies stellt eine sehr gefährliche Situation dar.

Die Regierung hat die Proteste in Los Palacios nicht niedergeschlagen, sie hat die Proteste in der Zuckerfabrik von Australia nicht niedergeschlagen. Nach den Informationen, die wir bislang haben, wurde keiner der Demonstranten vor Gericht gestellt. Vielleicht lernt die Regierung, mit solchen Protesten umzugehen, solange es sich um kleine Proteste handelt. Vielleicht hat sie aus dem Desaster gelernt, das durch die Handhabung des 11. Juli 2021 verursacht wurde, bei dem die Bürokratie versuchte, das Feuer mit Benzin zu löschen. Wenn Díaz-Canel im Radio sagt «Revolutionäre und Kommunisten auf die Strassen, der Befehl zum Kampf ist gegeben», dient dies als allgemeine Warnung auf nationaler Ebene, dass auf den Strassen etwas passiert. Dieses zweite Szenario, in dem eine Reihe von Protesten akzeptiert wird, damit der Druck nachlassen kann, in dem es der Bürokratie gelingt, die Spannung so lange zu verwalten, bis sie allmählich verschwindet, ist möglich. Die Bürokratie kann intelligent verwalten, ohne Unterdrückung und ohne selbst eine grosse soziale Explosion herbeizuführen, was am 11. Juli 2021 praktisch geschehen ist.

Wir haben ein drittes Szenario: einen nationalen Aufstand. In dieser Hinsicht haben wir Kommunisten immer verstanden, dass dieser nicht von der Konterrevolution, dem US-Imperialismus oder irgendeiner Opposition ausgehen würde, so wie es am 11. Juli 2021 auch nicht auf diese Weise geschehen ist. Keine Organisation hat die Macht, die Massen zusammenzurufen, um eine Mobilisierung wie am 11. Juli 2021 auszulösen. In diesem Szenario müsste man sehen, wer einen solchen Aufstand anführen könnte. An dieser Stelle kommen drei Möglichkeiten in Betracht. Die erste, die eine der wahrscheinlichsten wäre, wäre, dass die Konterrevolution die Führung bei diesen Protesten übernimmt. Wir wissen, was das bedeuten würde: den Sturz des kubanischen Staates und den Aufbau eines entlarvten neoliberalen Kapitalismus, einer dauerhaften Unterwerfung und einer grausamen antikommunistischen Diktatur. Eine andere Variante wäre, dass die kritische Linke diese Demonstrationen mit roten Fahnen und einem sozialistischen Programm anführt, um einen revolutionären sozialistischen Prozess in Gang zu setzen. Dabei handelt es sich um eine sehr schwer zu erreichende Entwicklung. Die dritte Möglichkeit ist, dass es zu einem ähnlichen Szenario wie in Russland in den letzten Zuckungen der Sowjetunion kommt, wo Demonstrationen – die damals natürlich durch einen KGB-Putsch im August 1991 erzeugt wurden – vom rechten Sektor der Bürokratie angeführt wurden. Ein weiteres Detail, das hier berücksichtigt werden muss, ist, dass Boris Jelzin, der derjenige war, der die Proteste anführte, nicht über Nacht auftauchte, sondern einen rechten Flügel innerhalb des Kremls schuf und auftauchen konnte, als der richtige Zeitpunkt gekommen war. Bisher ist dieser Bürokrat in Kuba nicht in Erscheinung getreten. Dieser rechte Flügel, der die tatsächliche Absicht hätte, die Bürokratie zu stürzen und eine neue Bourgeoisie zu werden, ist noch nicht bekannt oder existiert nicht.

Ein viertes Szenario wäre eine Volksrebellion, die schliesslich von einer Art breiter Front angeführt wird, wie es in Rumänien von Militärs, Bürokraten, linken und rechten Oppositionellen, aber ohne Plan, geschehen ist. Politisch ging es schliesslich dirket in Richtung der Restauration des Kapitalismus. Der Unterschied zwischen Rumänien und Russland besteht darin, dass die Bürokratie den Fall des Sozialismus – oder dessen, was es in der Sowjetunion gab – förderte, und als Proteste ausbrachen, übernahm der reaktionärste Sektor die Führung und benutzte die Massen, um den Kapitalismus wiederherzustellen. In Rumänien kam es zu einer offenen sozialen Explosion, bei der die Mobilisierung Ceaucescu vertrieb und eine provisorische Regierung gebildet wurde. Die Streitkräfte wurden gespalten und nach einigen Tagen des Kampfes stürzte die Regierung. Aber in diesem Szenario gibt es ein sehr gefährliches Muster, und das ist der Grund, warum die Rechte in diesen Fällen triumphiert, nämlich dass es keine Organisation gibt, die die Proteste anführt, geschweige denn eine revolutionäre Organisation. Die antikommunistische Propaganda und gleichzeitig die Propaganda der Bürokratie haben dazu geführt, dass eine aus Hafenarbeitern bestehende Gewerkschaft wie Solidarnosc, ich beziehe mich auf Polen, schliesslich von der Rechten kontrolliert wurde, die, als sie triumphierte, eine ganze Reihe neoliberaler Reformen einführte.

Wenn jetzt in Kuba nicht nur die Regierung stürzt, sondern auch der Staat, weil die Regierung aufgrund von Protesten der Bevölkerung wechseln kann, ohne dass sich der Staat ändert (was in Osteuropa nicht geschah, weil dort die Regierung so sehr mit dem Staatsapparat verschmolzen war, dass der Sturz der Regierung den Sturz des Staates bedeutete), wird es für die kubanische Arbeiterklasse äusserst schwierig sein, die Macht zu übernehmen und mit dem Aufbau einer sozialistischen Revolution zu beginnen. Wir laufen dann in die Gefahr, dass diejenigen die dann an die Macht kommen, die reaktionärste Rechte mit Unterstützung der USA sein wird. Gleichzeitig als gegeben anzunehmen, dass eine sozialistische Revolution nicht beginnen kann, wenn der kubanische Staat aufgrund von Volksmobilisierungen fallen sollte, hiesse, kein Vertrauen in die Arbeiterklasse zu haben.

Kommen wir zurück zu dem Punkt, an dem du von der Ausweitung des Privatsektors gesprochen hast. Du hast eine aufstrebende Bourgeoisie oder Proto-Bourgeoisie erwähnt, wie manche sie nennen. Was ist ihr Ursprung? Woher kommen diese Sektoren und welchen Stellenwert haben sie in der Wirtschaft selbst?

Zunächst einmal, wenn wir uns an Marx‘ klassisches Konzept der Bourgeoisie halten, ist die Bourgeoisie jene soziale Klasse, die, da sie Produktionsmittel jeglicher Art besitzt, Arbeitskraft kauft, um diese Produktionsmittel in Bewegung zu setzen und Mehrwert zu erzeugen. (…) Diese Bourgeoisie in Kuba, sagen wir, der Besitzer eines Kiosks, der Besitzer eines sehr kleinen Lebensmittelgeschäfts, diese Bourgeoisie war nur eine Klasse «an sich», ohne Selbstbewusstsein, d.h. sie erzeugte keine eigene Kultur, kein eigenes Verhalten, keine eigenen Gewohnheiten, keine eigene Ideologie. Von einer an sich existierenden Bourgeoisie kann man in Kuba bereits ab 1994 sprechen, als Fidel Castro die ersten Reformen einleitete. Doch erst mit dem Beginn der Wirtschaftsreformen, die Raul Castro 2010 einleitete und die sich ab 2014 beschleunigt haben, wurde diese Bourgeoisie zu einer eigenständigen Klasse, die sich ihrer Interessen bewusst ist und diese aktiv wahrt.

Diese kubanische Bourgeoisie kann in drei Gruppen unterteilt werden: Es gibt eine periphere Bourgeoisie, die in den Vororten von Havanna und im gesamten Landesinneren und auf dem Land anzutreffen ist. Es ist eine überwiegend konservative, zum Christentum neigende Bourgeoisie, die aus der reichen Bauernschaft, aus den Betrieben des Lumpenproletariats und aus den Kubanern, die ausgewandert sind und aus Miami zurückkehren, hervorgegangen ist.

Es gibt eine zweite, kosmopolitische, gebildete Bourgeoisie, die hauptsächlich in Havanna ansässig ist. Es sind diejenigen, die Geschäfte gemacht haben, die Künstler sind, die durch den Verkauf ihrer Bilder Reichtum angehäuft haben, Europäer, die mit der Intelligenz verbunden sind, die nach Kuba gekommen sind und ihre Unternehmen gegründet haben, die mit dem Designsektor verbunden sind, im Bereich des Kleidungsdesigns, aber auch in der Gastronomie, und die den ästhetischen Kanon der «trendigen» Bourgeoisie reproduzieren, die mit den Generationen der Millennials verbunden ist. Eine Bourgeoisie, die man sowohl in Mexiko in den angesagten Vierteln von Mexiko-Stadt, wie dem Viertel La Roma, als auch im kosmopolitischsten Europa findet. Dies ist ein Phänomen, das in ganz Lateinamerika zu beobachten ist und mit der Globalisierung zusammenhängt. Sobald Kuba begann, sich in diese Globalisierung einzufügen, sobald diese Ausländer in Kuba landeten und diese Unternehmen gründeten, begann eine liberale bürgerliche Kultur zu entstehen: Bildende Künstler, Sänger, Regisseure oder Personen, die mit dem Film oder den bildenden Künsten im Allgemeinen zu tun hatten, tauchten auf. Dies sind also einige der wichtigsten Ursprünge der Bourgeoisie in Kuba.

Wir haben auch einen dritten Kern, von dem viele von uns persönliche Beispiele kennen. Es sind Kinder oder Verwandte von kubanischen Bürokraten und politischen Führern, die überraschenderweise das nötige Kapital aufgebracht haben, um Luxusbars, teure Süsswarengeschäfte, Spas usw. zu errichten. Das zieht immer viel Aufmerksamkeit auf sich, denn das Gehalt eines kubanischen Führers entspricht nicht dem Geldbetrag, der nötig ist, um eine grosse Investition zu tätigen und alle Inputs zu unterhalten, die für diese Art von privatkapitalistischer und unternehmerischer Tätigkeit nötig sind. Ich will nur einen Vergleich anstellen: Das Gehalt des Präsidenten beträgt 25.000 Pesos, was beim derzeitigen Kurs etwa 250 US-Dollar entsprechen würde. Damit können Sie keine Luxusbar gründen, Sie können kein Luxusrestaurant gründen und Sie können keine Luxus-Süsswarenfabrik gründen. Und ich spreche vom Gehalt des Präsidenten, und zwar von einem Gehalt, das er nach den von der Tarea Ordenamiento eingeführten Reformen der Gehaltsskala erhält. Das heisst, davor, im Jahr 2019, 2018 oder 2019, als viele Bürokraten oder ihre Verwandten bereits diese Art von Unternehmen besassen, lag das höchste Gehalt, das sie verdienen konnten, bei etwa 50 Dollar, 60 Dollar, keiner erreichte 100 Dollar. Hier stimmt also offensichtlich etwas nicht.

Sie sprechen von einer Bourgeoisie, aber wenn Sie sie mit kapitalistischen Ländern vergleichen, würde sie dort eine Kleinbourgeoisie oder eine mittlere Bourgeoisie darstellen. Es ist kein bürgerlicher Sektor, der eine Hotelkette besitzt, der Industriezweige besitzt, grosse Dienstleistungssektoren, d.h. grosse Produktionsmittel, Sektoren, die akkumulieren. Können Sie uns dazu etwas mehr sagen?

Ja, ja, das ist ein sehr guter Punkt. Der vom Privatsektor erwirtschaftete Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt beträgt nicht mehr als 20%, aber der Privatsektor beschäftigt bereits fast 30% der Bevölkerung und die Unternehmen des Privatsektors sind keine kleinen Unternehmen mit 3 oder 4 Angestellten. Dies ist eine der Massnahmen, die die Regierung kürzlich ergriffen hat: Das KMU-Gesetz erkannte nicht nur Unternehmen mit 100 Beschäftigten an, sondern auch Ketten mit mehreren Restaurants, die von 100 bis zu 200 Beschäftigten reichen. Ich erinnere mich noch genau, dass der Sekretär des Staatsrats, Homero Acosta, während der Verfassungsdebatte sagte, dass es kein Problem mit der Anhäufung von Reichtum gebe, aber was verboten war und in der Verfassung verboten ist, ist die Anhäufung von Vermögen. Und da denkt man sich, dass dieser Mann zynisch oder naiv ist, dass er die Geschichte des Klassenkampfes nicht kennt, denn es ist ja die Akkumulation von Kapital, die die Bourgeoisie hervorbringt.

Wir haben es nicht mit einer Bourgeoisie zu tun, die Fabriken besitzt, was noch verboten ist, die Minen besitzt, was verboten ist, die Zuckerzonen besitzt, die Hotels besitzt, sondern es ist eine Bourgeoisie, die Restaurants besitzt, die sehr gut laufen, die verschiedene Miethäuser besitzt, die aufstrebende Unternehmen mit 100, 200 Arbeitern besitzt, die immer mächtiger wird. Was die technokratischen Generäle betrifft, die vielleicht Vermögen angehäuft haben, ist das sehr unsicher, da es keine Möglichkeit gibt, zu beweisen, dass sie Eigentümer von Unternehmen und Produktionsmitteln sind. Hier kommt die grosse Debatte mit den Cliffisten [englische trotzkistische Strömung, benannt nach Tony Cliff, Gründer der britischen SWP, und Verfechter der Theorie des «Staatskapitalismus»] ins Spiel, und man kann ihnen antworten: Nun, diese Leute sind offensichtlich Bürokraten. Neulich fragte mich jemand: «Jetzt benutzt ihr Comunistas den Begriff der kapitalistischen Bürokratie», und wir sprechen von kapitalistischer Bürokratie, nicht weil wir zum Cliffismus übergegangen sind, sondern weil es eine Tatsache ist, dass diese Bürokratie bereits private Unternehmen besitzt. Tony Cliffs Begriff des «Staatskapitalismus» postuliert, dass die Bürokratie alle Produktionsmittel eines Arbeiterstaates besitzt.

Unter Berücksichtigung all dessen, was du entwickelst, der Elemente des Fortschritts bei der Entfaltung dieses sozialen Sektors, über den wir diskutieren, glauben wir, dass er weiterhin eine Minderheit darstellt und den Charakter des Staates nicht verändert, obwohl er ihn untergräbt und sich im Feuer der restaurativen Politik entwickelt. Was wir sehen, ist unserer Meinung nach die Bildung einer wichtigen sozialen Basis für eine viel offensivere Restaurationspolitik, woraus sich die Gefahr ergibt, die sich anbahnt. Wie siehst du das?

Es gibt ein sehr wichtiges Detail, das uns naive Leute manchmal von den verschiedenen Mitgliedern von Comunistas fragen: Was ist das Problem mit kubanischen Führern mit Privatunternehmen, wenn sie weiterhin den Sozialismus aufbauen? Hier kommt die Frage ins Spiel, wer an der Macht ist. Denn es ist klar, dass eine Person, die ein Privatunternehmen besitzt, Gesetze zum Vorteil ihres Privatunternehmens und nicht zum Vorteil der Arbeiterklasse erlassen wird. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Die kubanische Regierung hat – wie wir alle erwartet haben – die Coronavirus-Krise von März 2020 bis Dezember 2021 sehr gut bewältigt. Im Dezember setzte sich offensichtlich der chinesische Flügel, sozusagen der restaurative Flügel der Bürokratie, durch, was sich deutlich zeigte, nicht so sehr in der Lockerung der Massnahmen in Bezug auf das Coronavirus, sondern in der Art der Massnahmen, die sie einsetzte. Unter anderem ordnete der Staat die Wiedereröffnung des privaten Gastronomiesektors an. Hier könnte jemand denken: «Vielleicht hat er das getan, um den Beschäftigten des Privatsektors zu helfen». Nur hatten die Beschäftigten des Privatsektors keinerlei Unterstützung. Viele verloren ihren Arbeitsplatz. Im Gegensatz dazu gab es einige Bürokraten, die private Unternehmen in der Gastronomiebranche hatten und Gesetze zu ihren Gunsten erliessen. Die Arbeiterklasse im Stich zu lassen, um die Unternehmen zu retten, ist also ein einfaches Beispiel dafür, warum es wichtig ist zu wissen, wer regiert, die Arbeiter oder die Bourgeoisie.

Dies war eine der Debatten, die ich mit den Mitgliedern der aufgelösten Band 27N führte, die später der Band Archipelago weichen musste. Ich pflegte ihnen zu sagen: «Angenommen, due gewinnst, welches Wirtschaftssystem schlägst du vor, welches politische System wirst du einführen. Ist es der Kapitalismus, oder wirst du versuchen, den Sozialismus aufzubauen?» Sie antworteten: «Nein, Frank, das ist sehr dogmatisch, was du da sagst». Ich antwortete ihnen: «Es gibt im Wesentlichen zwei Systeme, eines, das man als nichtkapitalistisch bezeichnen kann und das vielleicht zum Sozialismus führen kann, und eines, das kapitalistisch ist. Es ist mathematisch: Wer hat die Kontrolle über die Produktionsmittel? Wer wird mindestens 50 + 1 Prozent der Produktionsmittel besitzen, die Arbeiterklasse oder die Bourgeoisie? Das ist eine Tatsache und keine Frage der Interpretation. Nun, genau hier versuchten diese Leute, der Antwort auszuweichen, denn sie hatten keine andere Antwort, als zu sagen, dass es nicht die Arbeiterklasse sein wird, also wird es die Bourgeoisie sein.

Ich habe kürzlich Lenins Der Staat und die Revolution gelesen, und man muss sich sehr deutlich über Lenins Satz äussern, der besagt, dass «der Staat eine Klasse ist, die eine andere unterdrückt». Natürlich unterdrückt hier die Arbeiterklasse nicht die Bourgeoisie, unterdrückt nicht die Konterrevolution. Wir haben ein System, in dem die Bürokratie, die theoretisch die Arbeiterklasse verteidigen soll, diese in der Praxis bekämpft, während sie sich aufgrund ihrer eigenen Existenz der Konterrevolution stellen muss. Wie es mit der Bourgeoisie im Laufe der Geschichte geschehen ist, hat auch die kubanische Bürokratie heute keinen revolutionären Charakter mehr. Aber durch ihre eigene politische und wirtschaftliche Existenz konfrontiert sie sich mit der Konterrevolution. Während wir also sagen, dass die kubanische Bürokratie heute nicht reformierbar und praktisch nicht zu verteidigen ist, werden wir niemals die Konterrevolution verteidigen.

So bin ich erstaunt, dass es revolutionäre Marxisten gibt, die das Amnestiegesetz für alle kubanischen politischen Gefangenen vom 11. Juli verteidigen. Auch wenn die Mehrheit der Gefangenen Arbeiter sind, die ihr legitimes Recht auf Protest wahrgenommen haben, ohne von irgendeiner rechten Gruppe unterstützt zu werden, gibt es unter ihnen auch Leute wie Luis Manuel Otero Alcántara, um nur ein Beispiel zu nennen. Letzterer ist ein überzeugter Antikommunist mit direkten Verbindungen zu den USA. Eine Stiftung der härtesten Rechten in Argentinien, Cadal genannt, unterstützt Alcántara und seine Organisation, die San-Isidro-Bewegung, offen. Daher frage ich mich: Wie kann man die Freilassung dieser Personen fordern? Gleichzeitig ist es eine revolutionäre Pflicht, die Freilassung der am 11. Juli verhafteten Arbeiterinnen und Arbeiter zu fordern.

Wenn die Bürokratie nicht reformierbar ist, impliziert dies ein politisches Programm, für das gekämpft werden muss. Kannst du uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wie ihr diese Frage mit dem politischen Programm in Verbindung bringt, das in Kuba derzeit umgesetzt werden muss?

Einer unserer Genossen, der in einer der Provinzen im Zentrum des Landes lebt, sagt uns Genossen in Havanna immer, dass die offizielle Propaganda zum 11. Juli sehr effektiv war. Die Haltung der kubanischen Regierung zu den Demonstrationen vom 11. Juli war unterschiedlich. Zunächst schlug sie versöhnliche Töne an und versuchte, die kubanische Gesellschaft zu versöhnen. Dann begann sie darauf zu bestehen, dass die Demonstrationen zwar nicht konterrevolutionär, aber eine Folge von Unzufriedenheit seien, dass sich unter den Demonstranten jedoch  verwirrte Revolutionäre befänden und dass sie hauptsächlich durch die Propaganda in den sozialen Netzwerken ausgelöst worden seien. Diese Theorie fällt jedoch sofort in sich zusammen, da die aktuelle Situation praktisch dieselbe ist wie zum Zeitpunkt der Explosion am 11. Juli. Und obwohl es mehrere Versuche gab, von den sozialen Netzwerken aus zu Demonstrationen aufzurufen, hat dies nicht funktioniert. Schliesslich verwenden die kubanische Bürokratie, die kubanische Regierung, Díaz-Canel und die Ermittler des Innenministeriums im Laufe der Zeit nun den Begriff «weicher Putsch» und spielen damit auf den Maidan in der Ukraine an. Diese politische Propaganda ist also insofern sehr effektiv, als dass die kubanische Bürokratie zusätzlich einen Teil des politischen Kapitals, das sie von der kubanischen Revolution geerbt hat, für sich beansprucht und behält.

Das hat verheerende Folgen: Eine davon ist die Demobilisierung und sogar der Antikommunismus eines Grossteils der Jugend. Mehr als 145.000 Kubaner sind über die mexikanische Grenze in die USA eingereist, seit Nicaragua das Visum für Kuba aufgehoben hat, d. h. seit Dezember 2021. Die meisten von ihnen sind junge Leute. Dies ist unter anderem auf die Hegemonie der kubanischen Regierung über den sozialistischen Diskurs zurückzuführen. Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Regierung trotz allem immer noch einen starken Einfluss hat. Auf dieser Grundlage geht die aktuelle Lügenpropaganda der Regierung sogar so weit, dass sie behauptet, Millionen von Arbeitern hätten die Demonstrationen vom 11. Juli niedergeschlagen. In den Videos können Sie jedoch genau sehen, dass dies nicht der Fall war. Wir haben also diesen sehr komplizierenden Faktor. Die kubanische Regierung hält die Oberhoheit den sozialistischen Diskurs, hegemonisiert einen Teil des von der Revolution geerbten politischen Kapitals und schafft neue Instrumente wie diese angeblich regimekritischen Jugendlichen, die den vollen Schutz der Bürokratie erhalten. Sie sind allesamt Kinder von Bürokraten, Berater von hohen Beamten oder Leute, die beispielsweise im Aussenministerium arbeiten.

Das Regime befördert also junge Menschen in neue Positionen. Diese Jugendlichen verfolgten junge kritische Intellektuelle, die bei denjenigen von uns, die am 11. Juli verhaftet wurden, eine Verfolgerrolle spielten, die in meinem Fall kämpften und meine Entlassung erwirkten. In der Regel waren diese jungen Opportunisten, die in Positionen befördert wurden oder bestimmte Vorteile genossen, zu einem fernen Zeitpunkt, den sie am liebsten ungeschehen machen würden, Kritiker des Regimes und der beste Weg, eine revolutionäre Vergangenheit zu verleugnen, ist die Verfolgung ihrer ehemaligen Genossen. Sie stellen die Aktualisierung der politischen Degeneration der Bürokratie dar. Es handelt sich um einen gescheiterten Versuch eines Faceliftings, da die Jugendlichen wissen, dass diese nicht wirklich kritisch und die treuesten Anhänger des Regimes sind. Inmitten dieses Szenarios ist es für die kritische Linke jedoch sehr schwierig, politische Arbeit zu leisten, da wir mit einer doppelt komplexen Situation konfrontiert sind. Paradoxerweise glauben Tausende junger Menschen nicht an den Sozialismus, weil sie der Propaganda der Bürokratie geglaubt haben: Sie glauben, dass Kuba sozialistisch ist, und sehen alle Fehler und die politische Degeneration der Bürokratie als Sozialismus. Deshalb antworten sie oft, wenn wir mit jungen Arbeitern sprechen, dass sie nichts vom Kommunismus wissen wollen.

Ich habe mich persönlich mit den Arbeitern eines sehr erfolgreichen Restaurants in Havanna angefreundet, dessen Namen ich nicht nennen möchte. Diese Arbeiter arbeiten mehr als 12 Stunden, ohne Recht auf Urlaub, ohne Recht auf Gewerkschaften, ohne Recht, krank zu werden, ohne Recht, schwanger zu werden. Für sie hängt alles nur vom «guten Willen» des Unternehmers, der Geschäftsleitung ab. Und als ich ihnen vor Augen führte, dass sie die Macht haben und die Kapitalisten rauswerfen und eine Gewerkschaft gründen können, bekamen sie schnell Angst und sagten: «Du kommst mit deinem kommunistischen Gerede». Das ist eines der erfolgreichsten Restaurants in Kuba und der Wirt gibt ihnen nicht einmal etwas zu essen. Sie geben ihnen nicht einmal einen Teller mit Essen, sie müssen alles bezahlen. Und dem Rest der Angestellten des Restaurants geht es genauso.

Soweit zur politischen Situation. Kommt hinzu, dass wir, wenn wir auf die Strasse gehen und die gleichen Artikel verteilen, die wir auf Comunistas veröffentlicht haben, ein hohes Risiko eingehen, ins Gefängnis zu kommen, weil wir etwas verbreiten, das als «Feindpropaganda» bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um einen typischen Artikel des Strafgesetzbuches, nicht des neuen Strafgesetzbuches, das verschärft wurde, um Proteste zu bestrafen, sondern desselben Strafgesetzbuches, das seit der Verfassung von 1976 in Kraft ist. Das war einer der Artikel, mit denen sie die trotzkistische Revolutionäre Arbeiterpartei verboten haben, darunter auch den letzten Aktivisten der POR-T, Juan León Ferrera. Ich sage oft über ihn, dass er viel mehr Anerkennung verdienen würde, denn alles, was wir heute tun und was wir in Comunistas sagen, hat sie Gefängnis gekostet, jahrelange Haft, jahrelange Unterdrückung.

Weder die politische Unterdrückung noch die politische Repression von Linksabweichlern sind etwas Neues. Das gibt es seit den 1960er Jahren. Wie ist die Situation heute?

Schauen Sie, nicht wir als Kommunisten, aber ich im Besonderen, wurden politisch marginalisiert. Viele werden direkt von der Bürokratie verfolgt. Allerdings werden wir nicht eingesperrt wie Juan León und Idalberto Ferrera, Genossen, die jahrelang im Gefängnis sassen, weil sie die gleichen Dinge sagten, die wir sagen – obwohl die POR-T eine Partei war, während wir eine kleine Gruppierung sind, die sich in einem Redaktionsausschuss zusammengeschlossen hat.

Das macht die Situation der kritischen Linken heute sehr komplex, ebenso wie die Aufgabe, wieder ein Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu schmieden. All das macht den Klassenkampf immer komplizierter, während diese kritische Linke selbst vom Ausland aus schwer zu fassen ist. Tatsächlich finden sich in ihren Reihen republikanische Sozialisten, offene Sozialdemokraten und Sozialisten, die sich dem Marktsozialismus à la Deng Xiao Ping verschrieben haben, der in Wirklichkeit ein von einer Kommunistischen Partei geführter Kapitalismus ist. Es gibt auch Anarchisten, und es gibt uns Marxisten sowie andere kleine linke Kollektive, die ebenfalls Sozialisten sind.

Unter Ausnutzung der Tatsache, dass Sie über Trotzkisten in den 1960er Jahren sprechen, haben Sie in einem kürzlich erschienenen Artikel von einer «Landung» des Trotzkismus in Kuba gesprochen, was meinen Sie damit?

Ich habe diese kritische Linke nach den Demonstrationen vom 11. Juli erwähnt.  Davor existierte sie, es gab zum Beispiel Anarchisten, die immer noch organisiert waren, aber die Konsolidierung und Internationalisierung dieser kritischen Linken kam nach dem 11. Juli. Der Sprung zur Internationalisierung der kritischen Linken hat seinen Ursprung auch in der Leo Trotzki Veranstaltung vom 6. bis 8. Mai 2019, bei der es dem Trotzkismus gelang, in Kuba Fuss zu fassen und sich dort zu verankern. Ab 1973 waren sie in Kuba abwesend. Natürlich war Genossin Celia Hart da, aber das Aufkommen eines Sektors, der an der Präsenz von Leo Trotzkis Gedankengut interessiert ist, von Studenten, die nach dem Buch «Die verratene Revolution» fragen, um es zu lesen, das hatte es seit 1973 nicht mehr gegeben. Und die von mir erwähnte Leo Trotzki-Veranstaltung bewirkte die Verankerung des Trotzkismus, der sich mit der Gründung von Comunistas am 10. Juni 2020 und den Ereignissen vom 11. Juli konsolidierte. Comunistas diente somit als Brücke für die Fussfassung des Trotzkismus, aber vor allem – mehr als die Organisationen – von Trotzkis Ideen. Diese sind das wichtigste Werkzeug, um den Untergang der Sowjetunion zu verstehen. Wenn wir uns mit Lenin begnügen, ist es fast unmöglich, die Degeneration des Arbeiterstaates zu verstehen.

Niemand, kein Marxist vor Trotzki, hatte den Untergang der Sowjetunion, der in Die verratene Revolution meisterhaft dargelegt wird, so gut und so genau angekündigt und beschrieben. Rosa Luxemburg hatte in ihrem Text Die russische Revolution einen Punkt gemacht, sehr schnell, aber nur in zwei oder drei Sätzen. Trotzki seinerseits widmet der Frage ein ganzes ausgezeichnetes Buch mit dem Titel Die verratene Revolution, zusätzlich zu all den anderen Texten, die wir bereits kennen. Es ist ein Buch, um das wir Kommunisten immer häufiger gebeten werden: «Ein Exemplar von Die verratene Revolution, ein Exemplar von Die verratene Revolution». Und wir haben immer allen trotzkistischen Genossen gesagt, dass sie, wenn sie nach Kuba kommen, ein Exemplar von Die verratene Revolution mitbringen sollen. Nicht, um es uns zu geben, sondern um es der Person, dem jungen Menschen, den sie an dem Ort, an dem sie sich aufhalten, treffen, zu schenken, der sieht, dass sie links sind und Meinungsverschiedenheiten haben, dass sie die Bürokratie kritisieren. Man muss ihnen sagen: Nun, lest dies und dann, wenn ihr Comunistas kontaktieren wollt, aber lest zuerst dies, Die verratene Revolution.

In der kritischen Linken und der Jugend haben es viele junge Leute, die noch keine Verbindung zu uns hatten, geschafft, trotzkistische Publikationen und verschiedene Organisationen zu sehen. Es gibt sogar ein interessantes Phänomen von jungen Leuten, die trotz der bürokratischen Propaganda eine positive Einstellung zum Trotzkismus haben. Wir sehen also, dass wenn man nach einer revolutionären marxistischen Perspektive sucht, die eine Alternative zum Diskurs der Bürokratie darstellt, notwendigerweise auf trotzkistische Ideen stösst. Und es war und ist sehr interessant zu sehen, wie die Trotzkisten eine marxistische Antwort auf die Krise entwickelt haben. Und das ist etwas, was auf das Bröckeln der politischen Hegemonie der Bürokratie hinweist, was sich auch in der Praxis – und das ist es, was sie fürchten – mit dem 11. Juli gezeigt hat, als Tausende junger Arbeiter ausgingen, um gegen sie zu protestieren. Denn in Kuba gibt es eine Sehnsucht nach einem linken Ausweg aus der Krise. Übrigens spreche ich immer von Trotzkismen, weil ich nicht glaube, dass alle Strömungen gleich sind. Die internationale trotzkistische Strömung, die die FT-CI vertritt, die morenistischen Gruppierungen, einige posadistische Gruppierungen, die Cliffisten, das Vereinigte Sekretariat, die Partido Obrero oder Política Obrera vertreten unterschiedliche Positionen.

Um auf die Frage nach einem politischen Programm für Kuba zurückzukommen: Wie wird sie in der kritischen Linken behandelt?

Wir müssen auch verstehen, dass dieses breite Spektrum der kritischen Linken den Kampf auch komplexer macht. Aber es ist normal, dass innerhalb der kritischen Linken neue Kollektive und neue Medien entstehen, innerhalb einer linken Opposition gegen die Bürokratie, denn das ist der natürliche Zyklus des Klassenkampfes. Die Bürokratie wird immer mehr verschlissen, die Kommunisten klopfen an unsere Tür, Studenten aus allen Provinzen sprechen mit uns. Nach und nach, aber es werden weiterhin andere Kollektive entstehen, es werden weiterhin andere Medien entstehen, weil es offensichtlich ist, dass die Bürokratie immer unhaltbarer wird.

Was ist passiert? Wie ich bereits erwähnt habe, hat die Bürokratie beispielsweise kürzlich 75 Massnahmen angekündigt, die lediglich die Tarea Ordenamiento stärken. Dazu gehört auch das Ende des konvertiblen Peso (CUC), der mit dem Höhenflug des Dollars nur Inflation erzeugt. Im Jahr 2003, als die kubanische Wirtschaft sehr stabil war und Chávez uns mit all dem Öl und den Lebensmitteln versorgte, die wir brauchten, kündigte Genosse Juan León Ferrera bereits an, dass die Inflation die Peitsche der Arbeiterklasse sein würde, weil diese nicht die Kontrolle über die Produktionsmittel habe.

Diese Massnahme kommt noch dazu, dass derselbe Minister in diesem Massnahmenpaket ankündigt, dass der budgetierte Sektor [presupuestado], also alle Institutionen, die Geld direkt vom Staat erhalten und nicht direkt produzieren, analysiert und die Sozialhilfeprogramme überprüft werden sollen. Es handelt sich dabei offensichtlich um einen Einschnitt in die Sozialpolitik und in die öffentliche Beschäftigung. Das wird geschehen, der private Wirtschaftssektor wird gestärkt. Ein solches Programm kann von der kritischen Linken nicht verteidigt werden. Ausserdem werden gleichzeitig die politischen und sozialen Freiheiten eingeschränkt.

Welches Programm ist also angesichts dieser Situation zu verteidigen? Die Kontrolle der Arbeiter über die Produktionsmittel und die Arbeiterdemokratie. Die kubanische Arbeiterklasse kann nicht über den wirtschaftlichen und politischen Kurs Kubas entscheiden. Daher besteht das Programm der Kommunisten – und es ist das Programm, das jeder konsequente und kohärente Marxist in Kuba haben sollte – darin, zu fordern, dass die Arbeiterklasse direkt die Kontrolle über die Produktionsmittel übernimmt und über die zu verfolgende Wirtschafts-, Aussen- und Inlandspolitik entscheiden kann, dass sie direkt entscheiden kann. Die Frage, wie das zu tun ist, was zu tun ist? wie Lenin sagen würde, ist aufgrund all dessen, was ich Ihnen erklärt habe, komplizierter. Denn wie kann man die Arbeiterklasse dazu bringen, die Macht zu übernehmen? Denn selbstverständlich muss sie die Macht übernehmen.

Die Bürokratie wird ihre politischen Vorteile, ihre politische Macht nicht zurücknehmen, sie wird sie nicht der Arbeiterklasse übergeben, sie wird ihr nicht die Macht geben, über die Unternehmen zu entscheiden, die sie kontrolliert, die sie nicht besitzt, aber kontrolliert; über ihre privaten Unternehmen. Sie wird der Arbeiterklasse nicht die Möglichkeit geben, wirtschaftlich zu entscheiden, denn die Arbeiterklasse wird keine Gesetze gegen sich selbst erlassen, sie wird nicht sich selbst in die Arbeitslosigkeit treiben, sie wird keine Unternehmen schliessen, sie wird die Sozialpolitik nicht kürzen, welche Arbeiterklasse würde das tun, welche Person wird davon betroffen sein, in wessen Namen?

Es handelt sich also offensichtlich um eine unreformierbare Bürokratie, aber wir stehen auch vor einem anderen Dilemma. Wenn jetzt die kubanische Bürokratie fällt, wer wird dann an die Macht kommen, wer ist entsprechend organisiert, wer hat Geld? Die Konterrevolution. Wenn die Bürokratie jetzt aufgrund der Proteste der Bevölkerung stürzt, ist es am wahrscheinlichsten, dass diese Gruppen, die von der Konterrevolution mit direkter Unterstützung der USA organisiert wurden, in Ermangelung der Macht, die sie erzeugen würde, Fuss fassen in Kuba. Was wir dann erleben würden, wäre eine antikommunistische und neoliberale Diktatur. Das wissen wir alle. Wir müssen erkennen, welche Rolle die kritische Linke in diesem Kampfprozess spielen kann, und zwar genau in dem Moment, in dem er stattfindet.

Trotzki befand sich in einem ganz ähnlichen Dilemma wie wir, so sehr, dass selbst als Stalin in Finnland einmarschierte, Trotzki immer wieder sagte, wir müssten den Arbeiterstaat verteidigen, das Wenige, was von der Sowjetunion übriggeblieben ist. Zu diesem Punkt fand die erste grosse Diskussion zwischen Schachtman und Trotzki statt. Wir befinden uns also in der gleichen Situation. Bereits in Verteidigung des Marxismus sagt er offen, dass es eine Revolution geben muss, er sagt, dass wir den Zweiten Weltkrieg dafür nutzen müssen. Aber während er den Arbeiterstaat gegen die Konterrevolution, den Imperialismus, verteidigt, argumentiert er gleichzeitig, dass es eine politische Revolution gegen die Bürokratie geben muss, die Arbeiter müssen diese Revolution durchführen. Wir durchleben also hier in Kuba das gleiche Dilemma.

Quelle: revolutionpermanente.fr… vom 26. August 2022; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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