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Imperialistische Rivalitäten eskalieren: Russland, Kapitalexport & Weltmacht

Eingereicht on 8. September 2022 – 15:05

Revolutionäre haben ein Arsenal von Instrumenten, um auch in turbulenten Perioden wie der aktuellen Orientierungslinien für eine revolutionäre Politik herauszuarbeiten: die Tradition des revolutionären Marxismus in Verbindung mit revolutionären Strömungen in der Arbeiterklasse. Treten diese vereint und mit der notwendigen breiten Verankerung auf, so – und nur so! – wird ein befreiender Ausgang aus dem zunehmend verfaulenden Kapitalismus möglich. Dieser Zusammenhang wurde sicher am weitesten getrieben durch die bolschewistische Revolution 1917 in Russland. Diese hat über Jahre revolutionäre Wellen bis in die Zentren der grossen imperialistischen Mächte geworfen und für Dutzende Millionen von Menschen einen Kern von Hoffnung gepflanzt, der aber aus verschiedenen Gründen ab der Mitte der 1920er Jahre allmählich versiegte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war sicher ein tiefer historischer Einschnitt, da damit die letzten entscheidenden Errungenschaften der Oktoberrevolution – die zentrale Planung und das staatliche Eigentum im grössten Land der Erde – untergingen. Siehe dazu z.B. die interessante Aussatzsammlung in «Michael Ellman and Vladimir Kontorovich: The Destruction of the Soviet Economic System. An Insiders’ History». Die daraus hervorgehenden Staaten waren alle äusserst reaktionär, allen voran Russland und die Ukraine; letztere wird seit 2014 von der Nato und dem US-Imperialismus in einem grausamen Stellvertreterkrieg als Speerspitze gegen Russland aufgebaut und benutzt.

Mittlerweile gab es viele solcher Ansätze, die zumindest lokal und für eine kurze Periode Quellen von Hoffnung auf Befreiung von Krieg, Krise und Unterdrückung sprudeln liessen. Aber gleichzeitig schwanden auch die organisierten politischen Kräfte, die diese Instrumente und Erfahrungen aufgenommen und versucht hätten, diese einzusetzen. Die «revolutionäre Linke» – die Anführungszeichen sind mittlerweile aufgrund von deren Zustand des weitgehenden Verfalls angebracht – versinkt angesichts der kriegerischen Eskalation im Ukraine-Krieg immer mehr im Morast der Moralisiererei. Dies wird besonders deutlich im Umkreis des ex-Vereinigten Sekretariats (des sogenannten Pablismus), wo eine Solidaritätskampagne mit der Ukraine zu einer impliziten oder gelegentlich gar expliziten Unterstützung der Nato und des US-Imperialismus geführt hat, unter dem Motto, dass Russland den Krieg unter allen Umständen verlieren muss. Identische Aussagen sind von der Deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock, der neuen britischen Regierungschefin Liz Truss, dem US-amerikanischen Verteidigungsminister Austin Lloyd u.v.a. reaktionären Kriegstreibern zu vernehmen.

Damit die Linke diesen sozialpatriotischen Kurs fahren kann, muss jeder Rückgriff auf das revolutionäre Erbe unterbunden werden, wie bei den traditionellen Reformisten. Jede Analyse der historischen und systemischen Einordnung dieses Stellvertreterkrieges zwischen dem US-Imperialismus und dem russischem Imperialismus wird als Parteinahme für Russland, als Putinismus, verunglimpft und die Forderungen nach Sanktionen gegenüber Russland, der Waffenlieferungen an die Ukraine und einer Stärkung der Nato werden eifrig übernommen und deren konsequente Umsetzung gelegentlich gar noch offensiv gegenüber den aktuellen Machtspitzen eingefordert. Die Trivialisierung des Imperialismusbegriffs zu einer moralischen Kategorie gehört zum Repertoire dieser Solidaritätskampagnen.

Zweifellos wäre die weltweite Arbeiterklasse mit einem militärischen Sieg Russlands in der Ukraine weniger schlimm dran als mit einem Sieg der Nato und des (US-)Imperialismus – wenn denn so etwas überhaupt je erreicht werden könnte, bevor die Welt bei der andauernden kriegerischen Eskalation nicht in einem nuklearen Schlagabtausch vollends in die totale Zerstörung geraten wird. Ein Sieg des US-Imperialismus würde zu einer Zerstücklung Russlands und einer Fortsetzung der räuberischen Politik der 1990er Jahre führen, die Ukraine wäre weitgehend zerstört und deren Arbeiterklasse geriete ebenfalls unter die Fuchtel des Währungsfonds und der multinationalen Konzerne. Bei einem militärischen Sieg Russlands hingegen hätten die USA einen weiteren Schlag gegen ihre Versuche der Einmischung in die politischen Prozesse oder gar der militärischen Unterwerfung von fremden Ländern, wie in Afghanistan, Irak, Somalia, Kosovo, Syrien erlitten. Dies würde aber den kriegerischen Kurs der US-Aussenpolitik nicht stoppen, aber es könnte doch hilfreich sein, innere Prozesse in der weltweiten, vor allem in der europäischen und US-amerikanischen Arbeiterklasse auszulösen, die diesen Militarismus in die Schranken weisen können.

Der nachfolgende Beitrag von 2018/19 aus einer internen Debatte der International Bolchevik Tendency ordnet anhand der politischen und ökonomischen Imperialismus Analyse Russland in das imperialistische System ein und entwickelt ein Argument, um Russland selbst als imperialistische Macht innerhalb der zunehmend instabil werdenden globalen kapitalistischen Herrschaftsordnung einzuordnen. Diese Debatte wurde auch als Buch veröffentlicht. Dabei wird in dem Zerfall der Sowjetunion 1991 der Endpunkt der stalinistischen Konterrevolution und die chaotische Restaurierung des Kapitalismus gesehen. Das Regime Putin setzte um 2000 herum dem Raubzug der westlichen Konzerne und der aufstrebenden Oligarchen allmählich ein Ende, bzw. wies diese in geordnete Bahnen – dies der wahre Hintergrund der seit einigen Jahren verschärften Hetzkampagne gegen Russland und speziell gegen Putin. Die aktuelle moralisierende Nachtrabpolitik vieler «radikaler» linker Organisationen gegenüber dem US-Imperialismus bietet wenig Anlass auf Hoffnung und emanzipatorische Orientierung, zumal diese dann die wachsenden Widerstandsansätze in den Massen gegen Inflation, Energieverteuerung und Krieg nicht wirklich aufnehmen kann, da sie nicht in das Schema «Alle gegen Russland» passen. [Redaktion maulwuerfe.ch]

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In dem Vierteljahrhundert seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Rolle des US-Imperialismus als überragende Weltmacht deutlich abgenommen. Der langfristige Abwärtstrend der Profitrate hat die Deindustrialisierung, die Hypertrophie des fiktiven Kapitals und die rasant ansteigende öffentliche und private Verschuldung begünstigt, während die organische Zusammensetzung des Kapitals (das Verhältnis von konstantem Kapital zu variablem Kapital und Mehrwert) durch Insolvenzen nicht in einem Ausmass zurückgegangen ist, wie dies für die Wiederherstellung eines robusten Wachstums notwendig wäre. Stattdessen hat der Staat versucht, nachdem er die Schocks der Finanzkrise und der Rezession von 2008 absorbiert hatte, die Wucht des Schlags in Form von Sparmassnahmen auf die Arbeiterklasse zu übertragen. In Verbindung mit den katastrophalen militärischen Abenteuern in Afghanistan und im Irak (sowie den destabilisierenden Interventionen in Libyen, Syrien, Jemen und anderswo) hat die Erosion der materiellen Grundlagen des mächtigsten Imperiums in der Geschichte der Menschheit neue Möglichkeiten für geopolitische Neuordnungen geschaffen.

In diesem globalen Kontext haben sich China und Russland als Herausforderer der US-Hegemonie erwiesen. China, das nach wie vor das ist, was Marxisten einen deformierten Arbeiterstaat nennen (der bedeutende Marktmechanismen in eine im Wesentlichen staatlich gelenkte Planwirtschaft integriert), stellt ein eigentümliches und historisch einzigartiges Beispiel für ein nicht-kapitalistisches Land dar, das einige der Eigenschaften aufweist, die normalerweise mit kapitalistischen Grossmächten in Verbindung gebracht werden (siehe «Whither China?« 1917 Nr. 31). Trotz der absurden Darstellung Russlands als universelles Feindbild in der amerikanischen Politik hat es sich zu einem bemerkenswert effektiven imperialistischen Hindernis für Washington entwickelt (auch wenn es wirtschaftlich relativ schwächer ist), das das geopolitische Kalkül in Europa und im Nahen Osten verändert und dazu beiträgt, die sich neu herausbildende kapitalistische Weltordnung zu definieren.

Begünstigt durch steigende Ölpreise im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts konsolidierte Russlands kapitalistische Oligarchie unter der Regierung von Wladimir Putin einen starken unabhängigen Staat und schaffte es, den russischen Kapitalismus zu stabilisieren, der nach der Konterrevolution von 1991 unter offener Ausplünderung, Desintegration und massiver Kapitalflucht gelitten hatte. Der russische Kapitalismus, der in vielen Industriezweigen vergleichsweise arm an Technologien ist, stark von natürlichen Ressourcen abhängt und unter einem unterentwickelten Bankensektor leidet, hat dennoch hochgradig oligopolistische Riesenkonzerne entwickelt, die Industrie- und Finanzaktivitäten verschmelzen und unzählige Verbindungen zum Staat haben. Diese Konzerne haben, ausgehend von Russlands neokolonialem «nahen Ausland», enorme Investitionen im Ausland getätigt. Gleichzeitig hat Moskau die russische Staatsmacht mit beträchtlichem Erfolg zum Einsatz gebracht, beginnend mit dem Krieg gegen Georgien im Jahr 2008 und seitdem immer weiter. Russland hat sich von einem schwachen und ausgebeuteten kapitalistischen Land – dessen Wirtschaft von mächtigen ausländischen Konzernen zerlegt und ausgeplündert wurde – zu einem unabhängigen imperialistischen Staat entwickelt, wenn auch zu einem, der von erheblichen Elementen der Rückständigkeit geprägt ist.

Viele Linke im Westen haben, vielleicht aus einer gesunden Antipathie gegen ihre eigenen imperialistischen Herren und die widerliche russophobe Hysterie, die insbesondere Washington erfasst hat, versucht, die Tatsache zu leugnen, dass Russland eine imperialistische Macht ist (siehe den Abschnitt «Russian Imperialism and Other Disputes» auf unserer Website über einen Streit in der IBT über diese Frage). Diese Reaktion ist verständlich, wenn man bedenkt, dass China und Russland häufig als «existenzielle Bedrohung» für die «westliche Demokratie» dargestellt werden, und dass die westlichen Imperialisten, die über die «russische Einmischung» in die Angelegenheiten anderer Länder schimpfen, eine grosse Heuchelei an den Tag legen. Doch Marxisten haben die Pflicht, eine klare und genaue Darstellung der Welt, die wir verändern wollen, zu präsentieren und nicht politisch unbequeme Fakten zu ignorieren.

Methodologie: Lenins Theorie des Imperialismus

In Anlehnung an W.I. Lenin verwenden Marxisten den Begriff «imperialistisch» nicht als Epitheton, sondern als Beschreibung eines Verhältnisses von Ungleichheit und Ausbeutung im Kapitalismus in seinem «höchsten Stadium», das in der materiellen Realität wurzelt. Die ausbeuterischen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen einem imperialistischen Land und den wirtschaftlich rückständigeren Ländern, die es unterdrückt, sind die Grundlage der leninistischen Auffassung des modernen Imperialismus. Auf diesem Fundament stehen Staaten und ein Staatssystem (oder Geopolitik), die die Basis in dialektischer Weise verstärken und formen. Für Marxisten bedeutet Ausbeutung die Gewinnung von Überschuss (im Kapitalismus die Gewinnung des Mehrwerts). Langfristig erhält ein imperialistisches Land einen Nettotransfer von Mehrwert aus den kolonialen und halbkolonialen/neokolonialen Ländern zurück, in die es Kapital exportiert.

Auf seiner grundlegendsten Ebene bezieht sich der Begriff «Imperialismus» auf die kapitalistische Produktionsweise im globalen Massstab in der Ära der sozialistischen Revolution. Mit anderen Worten: Der Kapitalismus ist von seiner historisch progressiven in seine historisch regressive Phase übergegangen, die durch den Übergang vom Wettbewerbs- zum Monopolkapitalismus gekennzeichnet ist, und ist daher reif für eine weltweite Enteignung.

Früher glaubten viele Sozialisten, dass jedes Land dazu bestimmt sei, die Entwicklungsstufen zu durchlaufen, die die ersten kapitalistischen Länder (Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, die USA usw.) durchlaufen haben. Die von Lenin, Leo Trotzki und anderen Marxisten vorgelegte Analyse zeigte jedoch, dass die Entwicklung zum «fortgeschrittenen Kapitalismus» für die Neuankömmlinge durch die kapitalistischen Pionierstaaten blockiert wurde, die versuchten, Wirtschaftskrisen zu überwinden, indem sie ihre materiellen Vorteile zur Superausbeutung schwächerer Länder nutzten. Das Ergebnis war eine deformierte Entwicklung der ausgebeuteten Länder innerhalb eines komplexen und sich entwickelnden Systems, das von direkter kolonialer Ausplünderung zu neokolonialer Ausbeutung in Form von Kapitalexport durch riesige Konzerne und durch die zu ihrer Unterstützung geschaffenen staatlichen Einrichtungen überging (siehe «Imperialism & Global Inequality», 1917 Nr. 31).

Dieses System, der Imperialismus, der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden ist, ist durch zwei Arten von Konflikten zwischen den Ländern gekennzeichnet. Einerseits gibt es die Spaltung zwischen der reichen und mächtigen Minderheit, die von der Weltordnung profitiert (die imperialistischen Länder), und der armen und schwachen Mehrheit, die ausgebeutet wird. Auf der anderen Seite gibt es die Spaltung zwischen den imperialistischen Staaten, da der Wettbewerb um Einfluss- und Ausbeutungssphären zu wirtschaftlichen und schliesslich militärischen Konflikten führt.

Der Imperialismus entstand in Westeuropa und Nordamerika aufgrund der «überreifen» Entwicklung des Kapitalismus, d. h. der Reifung des Systems, die durch eine sinkende Profitrate gekennzeichnet war, die die Kapitalisten dazu zwang, profitable Investitionen in rückständigeren Ländern zu tätigen, deren eigene Entwicklung dadurch verzerrt oder gehemmt wurde. Diese Ursprünge haben einige Linke dazu veranlasst, eine eher mechanische und einseitige Sichtweise der leninistischen Imperialismustheorie einzunehmen, in der die imperialistische Qualität eines Landes durch das Erreichen der «höchsten Stufe des Kapitalismus» nach dem «klassischen» Entwicklungsmuster Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten bestimmt wird. Praktisch gesehen sucht dieser Ansatz nach verräterischen Anzeichen für diese Entwicklung, z.B. eine hohe organische Zusammensetzung des Kapitals oder eine hohe Arbeitsproduktivität, und qualifiziert oder disqualifiziert dann ein bestimmtes Land auf dieser Grundlage. Diese Interpretation der Leninschen Imperialismustheorie steht jedoch im Widerspruch zu Lenins eigenem dialektischen Verständnis, und sie wurde auch vom wichtigsten Entwickler der Theorie, Trotzki, nicht geteilt.

Es ist notwendig, zwischen zwei miteinander verbundenen, aber unterschiedlichen Analyseebenen zu unterscheiden – derjenigen, die sich auf das System oder die Epoche als Ganzes bezieht, und derjenigen, die sich auf einzelne Länder innerhalb des Systems bezieht. Aus der Lektüre von Lenins Imperialismus: Das höchste Stadium des Kapitalismus» wird deutlich, dass sich seine Erörterung des Aufstiegs des imperialistischen Stadiums auf der allgemein-historischen Ebene abspielt. Lenin greift auf Elemente der Entwicklung des Monopolkapitalismus aus verschiedenen Ländern zurück und verknüpft sie miteinander, um die wesentlichen Merkmale der globalen Epoche als Ganzes zu rekonstruieren. Dies ähnelt der Methode, die Marx im Kapital anwendet. Marx analysiert die Entwicklungen in verschiedenen Ländern (vor allem in Grossbritannien, dem damals führenden kapitalistischen Land), um die Essenz der bürgerlichen Produktionsweise herauszuarbeiten. In beiden Fällen verwenden Marx und Lenin Beispiele und liefern Statistiken aus einzelnen Ländern (und erörtern die Unterschiede zwischen ihnen), aber sie suggerieren niemals, dass jedes Land alle Merkmale aufweisen muss, die sie auf der Abstraktionsebene des «Kapitals» oder des «Imperialismus» beschreiben. Tatsächliche kapitalistische Gesellschaften oder imperialistische Länder werden zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad von der allgemeinen Realität abweichen.

In seinem Vorwort zu seinem Imperialismusbuch von 1917 sagt Lenin, dass das Werk «das wirtschaftliche Wesen des Imperialismus» aufzeigen sollte, und er beklagt, dass der zaristische Zensor ihn gezwungen hatte, bei der Erörterung von Annexionen «als Beispiel Japan zu zitieren! Der aufmerksame Leser kann Japan leicht durch Russland und Korea durch Finnland, Polen, Kurland, die Ukraine, Chiwa, Bokhara, Estland oder andere von Nicht-Grossrussen bevölkerte Gebiete ersetzen.» In seinem Pamphlet «Sozialismus und Krieg» von 1915 stellt Lenin fest, dass der vormoderne «militärische und feudale Imperialismus» ein vorherrschendes Merkmal des zaristischen Russlands war, fügt aber hinzu: «In Russland hat sich der kapitalistische Imperialismus neuester Art [Finanzkapital] in der Politik des Zarismus gegenüber Persien, der Mandschurei und der Mongolei voll entfaltet.» In einem Artikel mit dem Titel «Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus» (Oktober 1916) greift Lenin den Vergleich zwischen dem zaristischen Russland und Japan auf und ordnet ihn in den Rahmen der Imperialismustheorie ein, die er in seiner gleichnamigen bahnbrechenden Schrift entwickelt hat: «In Japan und Russland ergänzt das Monopol der militärischen Macht, der ausgedehnten Territorien oder der besonderen Erleichterungen für die Ausplünderung der nationalen Minderheiten, Chinas usw. teils das Monopol des modernen, modernen Finanzkapitals, teils tritt es an dessen Stelle.»

Im Imperialismusbuch gibt Lenin folgende Charakterisierung:

«Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist das höchste Stadium des Kapitalismus, in dem diese Trennung gewaltige Ausmasse annimmt. Das Übergewicht des Finanzkapitals über alle anderen Formen des Kapitals bedeutet die Vorherrschaft des Rentiers und der Finanzoligarchie; sie bedeutet, dass eine kleine Anzahl von finanziell ‚mächtigen‘ Staaten unter allen anderen herausragt.» [Hervorhebung hinzugefügt]

Der Wortlaut dieser Formulierung könnte den Eindruck erwecken, dass nur die «finanzstarken» Staaten imperialistisch sind, aber die Passage befindet sich in einem Abschnitt, in dem die Schwäche und das Vorherrschen ausländischen Eigentums im russischen Bankwesen betont werden. So besass das zaristische Russland nur etwa ein Fünftel so viele Wertpapiere wie Grossbritannien, das damals das führende Finanzland war (Japan hatte weniger als ein Zehntel). Etwa drei Viertel des «Betriebskapitals» im russischen Bankensystem wurden von Tochtergesellschaften ausländischer Banken, vor allem französischer und deutscher, kontrolliert. In diesem Fall passen die spezifischen Merkmale von zwei besonderen Beispielen eines imperialistischen Landes (Russland und Japan) eindeutig nicht zu den Merkmalen, die der Epoche insgesamt zugeschrieben werden. Dennoch waren für Lenin beide Länder imperialistisch im Sinne des «modernen, zeitgemässen Finanzkapitals», wenn auch auf ungleiche und widersprüchliche Weise.

In dem Abschnitt des Imperialismus mit dem Titel «Kapitalexport» spricht Lenin im Zusammenhang mit der Tendenz zur Monopolisierung von «Überschusskapital». Er führt zwar nicht genau aus, in welchem Verhältnis dies zu einer sinkenden Profitrate steht, die durch eine steigende organische Zusammensetzung des Kapitals ausgelöst wird, aber Lenin stellt fest, dass die Monopolkapitalisten es vorziehen, zumindest einen Teil ihrer im Inland erwirtschafteten Überschüsse in «rückständigeren Ländern» zu investieren, «um die Profite zu steigern». Er fährt fort:

«Der Kapitalexport wird dadurch ermöglicht, dass eine Reihe von rückständigen Ländern bereits in den kapitalistischen Weltverkehr hineingezogen worden ist…. Die Notwendigkeit, Kapital zu exportieren, ergibt sich aus der Tatsache, dass der Kapitalismus in einigen Ländern ‚überreif‘ geworden ist und (aufgrund des rückständigen Zustands der Landwirtschaft und der Armut der Massen) das Kapital kein Feld für ‚profitable‘ Investitionen findet.»

Abgesehen von «dem rückständigen Zustand der Landwirtschaft und der Armut der Massen» gibt es bei Lenin keine weitere konkrete Erklärung dafür, warum «überschüssiges Kapital» in wirtschaftlich rückständigere Länder exportiert wird, obwohl er wahrscheinlich an die werttheoretische Erklärung von Marx über die sinkende Profitrate dachte. Lenin selbst führt lediglich eine empirische Erörterung der von den führenden imperialistischen Mächten (Grossbritannien, Frankreich und Deutschland) exportierten Kapitalmengen durch. Das zaristische Russland, das in Bezug auf die kapitalistische Entwicklung kaum als «überreif» bezeichnet werden kann, wird lediglich als Empfänger von Investitionen beschrieben. Nichtsdestotrotz war es für Lenin unbestreitbar imperialistisch im modernen Sinne.

Trotzki über kombinierte und ungleichmässige Entwicklung

Ein wesentliches Stück des methodischen Puzzles liefert Trotzki in seinem Hauptwerk, der Geschichte der Russischen Revolution. In diesem Werk unterstreicht Trotzki bei der Erörterung der Entwicklung des Kapitalismus in Russland dessen kombinierten und ungleichmässigen Charakter:

«Die Ungleichmässigkeit, das allgemeinste Gesetz des historischen Prozesses, zeigt sich am deutlichsten und komplexesten im Schicksal der rückständigen Länder. Unter der Peitsche der äusseren Notwendigkeit ist ihre rückständige Kultur gezwungen, Sprünge zu machen. Aus dem universellen Gesetz der Ungleichmässigkeit leitet sich also ein anderes Gesetz ab, das wir in Ermangelung eines besseren Namens das Gesetz der kombinierten Entwicklung nennen können – womit wir ein Zusammenziehen der verschiedenen Etappen eines Weges, ein Kombinieren der einzelnen Schritte, ein Verschmelzen archaischer mit moderneren Formen meinen.»

Das zaristische Russland war kein «fortgeschrittenes kapitalistisches Land» – zumindest nicht in einem «reinen» Sinne. In der Tat bedeutete die Tendenz zur Kombination von Gesellschaftsformen (die in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern existiert, sich aber in rückständigen Ländern «am deutlichsten zeigt»), dass der fortgeschrittene Kapitalismus im zaristischen Russland mit halbfeudalen Verhältnissen verflochten war, und es ist diese rückständige Seite, die Trotzki wiederholt hervorhob. In «Ergebnisse und Perspektiven» schrieb er, dass «das Hauptmerkmal der russischen gesellschaftlichen Entwicklung ihre vergleichsweise Primitivität und Langsamkeit ist», während er in «Die verratene Revolution» daran erinnerte:

«Russland schlug den Weg der proletarischen Revolution ein, nicht weil seine Wirtschaft als erste reif für eine sozialistische Veränderung war, sondern weil es sich auf kapitalistischer Grundlage nicht weiterentwickeln konnte. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel war zu einer notwendigen Bedingung geworden, um das Land aus der Barbarei herauszuführen. Das ist das Gesetz der kombinierten Entwicklung für rückständige Länder.»

Was also unterscheidet das zaristische Russland von den neokolonialen Ländern, deren Wirtschaft ebenfalls aus der Verbindung von fortgeschrittenem Kapitalismus und bereits bestehenden «rückständigen» Strukturen entstanden ist? Aus marxistischer Sicht ist es natürlich unzureichend, einfach nur wirtschaftliche Kriterien wie die organische Zusammensetzung des Kapitals oder die Arbeitsproduktivität zu isolieren, um den imperialistischen Status eines Landes zu bestimmen. Eine solche Analyse muss Teil einer umfassenderen materialistischen Betrachtung sein, die ein Land in seinen historischen und globalen Kontext stellt. In Die Geschichte der Russischen Revolution stellt Trotzki fest:

«Russlands Teilnahme am Krieg [Erster Weltkrieg] war sowohl in ihren Motiven als auch in ihren Zielen widersprüchlich. Dieser blutige Kampf wurde im Wesentlichen um die Weltherrschaft geführt. In diesem Sinne lag er jenseits von Russlands Möglichkeiten. Die Kriegsziele Russlands selbst (die türkische Meerenge, Galizien, Armenien) hatten provinziellen Charakter und waren nur zufällig zu entscheiden, je nachdem, inwieweit sie den Interessen der Hauptkonkurrenten entsprachen.

«Zugleich konnte Russland als eine der Grossmächte nicht umhin, sich an dem Wettlauf der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder zu beteiligen, so wie es in der vorangegangenen Epoche nicht umhin konnte, Geschäfte, Fabriken, Eisenbahnen, Schnellfeuerwaffen und Flugzeuge einzuführen. Die nicht seltenen Streitigkeiten unter den russischen Historikern der neuesten Schule darüber, inwieweit Russland für die heutige imperialistische Politik reif war, verfallen oft in blosse Scholastik, weil sie Russland in der internationalen Arena als isoliert, als unabhängigen Faktor betrachten, während es nur ein Glied in einem System war.»

Trotzki argumentierte, dass Russland, da es «eine der Grossmächte» sei, «gar nicht anders könne, als sich an dem Gerangel der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder» um die Weltherrschaft zu beteiligen, auch wenn seine geringe wirtschaftliche Basis seinen Bestrebungen enge Grenzen setze. Als kapitalistische Grossmacht im Zeitalter des Imperialismus war es zwangsläufig zu einem Finanzkapitalimperialisten geworden, obwohl es fortgeschrittene kapitalistische Strukturen mit Rückständigkeit verband (einschliesslich dessen, was Lenin «Militär- und Feudalimperialismus» nannte). Wichtig ist, Russland auf der internationalen Bühne nicht «isoliert, als unabhängigen Faktor zu betrachten», sondern die Situation dialektisch, ganzheitlich und in ihrer historischen Entwicklung zu sehen. Aus dieser Perspektive unterscheidet sich das zaristische Russland von China nicht so sehr durch seine Wirtschaft (obwohl die industriellen Zentren Russlands extrem wichtig waren), sondern durch seine Unabhängigkeit von imperialistischer Vorherrschaft und seine Ausbeutung anderer, schwächerer Länder:

«In gewissem Sinne war das zaristische Russland auch ein Kolonialland, was in der vorherrschenden Rolle des ausländischen Kapitals zum Ausdruck kam. Aber die russische Bourgeoisie genoss die Vorteile einer unermesslich grösseren Unabhängigkeit vom ausländischen Imperialismus als die chinesische Bourgeoisie. Russland selbst war ein imperialistisches Land.»

– Trotzkis Einleitung zu Harold R. Isaacs, The Tragedy of the Chinese Revolution, 1938

Diese «grössere Unabhängigkeit vom ausländischen Imperialismus» ermöglichte es Russland, als kleiner Exporteur von Kapital in sein koloniales Hinterland aufzutreten. Es exportierte Kapital nicht, weil der Kapitalismus im Zarenreich «überreif» geworden war, sondern weil seine rückständige Autokratie und die Reste des Feudalismus der Entwicklung eines Binnenmarktes Grenzen setzten und weil es – als unabhängiger Akteur in einer Welt, die von der «höchsten Stufe des Kapitalismus» geprägt war – mit seinen Grossmachtrivalen konkurrieren musste. Ein solcher Wettbewerb bedeutete eine Bereicherung der russischen Industrie durch den Aufbau ausländischer Betriebe. Wie wir in «Imperialism, Tsarist Russia & WWI», 1917 Nr. 39, feststellten:

«In den letzten Jahrzehnten der Romanoff-Dynastie floss russisches Kapital ins Ausland, während gleichzeitig Finanzkapital aus Frankreich und anderen fortschrittlicheren Ländern nach Russland strömte, um Fabriken, Eisenbahnen und andere Komponenten einer modernen industriellen Wirtschaft zu errichten. Laut Professor Alexander S. Bulatov von der Russischen Aussenhandelsakademie in Moskau:

Russische Unternehmen begannen in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts, im Ausland zu investieren. Das Kapital wurde vor allem nach China und Persien sowie in die Mongolei exportiert. Im Zeitraum 1886-1914 beliefen sich die russischen Kapitalexporte auf etwa 2,3 Billionen Rubel (das entspricht 33 Milliarden Dollar zu Preisen von 1996).»

Transnational Corporations, 7(1), April 1998»

Relativ gesehen war das zaristische Russland kein grosser Akteur im Bereich des Kapitalexports, und es exportierte Kapital in schwächere Länder an der Peripherie, zum Teil um Aspekte seiner eigenen Rückständigkeit zu überwinden. Der marxistische Historiker Harold R. Isaacs stellte in The Tragedy of the Chinese Revolution (das von Trotzki in einer lobenden Einleitung befürwortet wurde) eine ähnliche Motivation für den japanischen Imperialismus fest, der im Gegensatz zu seinen fortschrittlicheren Rivalen nicht «in hoch entwickelten Schwerindustrien verwurzelt war, die durch ein mächtiges Finanzgeflecht zu riesigen Einheiten verwoben waren:

«Der japanische Kapitalismus ruht auf einem leichtindustriellen Fundament und einem feudal rückständigen Agrarsystem und hat einen vergleichsweise schwachen, wenn auch hochkonzentrierten finanziellen Überbau. Als Nachzügler in der Familie der imperialistischen Nationen hat Japan vierzig Jahre lang versucht, China zu beherrschen, um einen ungehinderten Kanal für den Abfluss seiner eigenen Produkte zu schaffen und sich die grundlegenden Rohstoffe, hauptsächlich Kohle, Eisen und Baumwolle, zu sichern, an denen es so bedauerlicherweise mangelt. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Schwäche war Japan weniger in der Lage als seine grossen Rivalen, Grossbritannien und die Vereinigten Staaten, dem Druck der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise standzuhalten. Die Schliessung der Weltmärkte für japanische Waren führte direkt zur Invasion der Mandschurei im Jahr 1931».

Es ist schwer, das mit Sicherheit zu sagen, aber es scheint ziemlich wahrscheinlich, dass das zaristische Russland vergleichsweise wenig Mehrwert aus den Ländern zog, in die es Kapital exportierte, und dass es ein Nettokapitalimporteur war, wenn man die Investitionen aus anderen imperialistischen Ländern berücksichtigt. Dennoch war es ein imperialistisches Land im modernen, leninistischen Sinne des Begriffs, weil es eine kapitalistische Grossmacht in der imperialistischen Epoche war – ein Land, das seine Basis an Finanzkapital und seine Unabhängigkeit von anderen Imperialisten nutzte, um im Wettbewerb zu versuchen, schwächere Länder auszubeuten und sie im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise in seiner Epoche des Verfalls wirtschaftlich und militärisch zu dominieren.

Die Schwächen des zaristischen Russlands trugen dazu bei, dass es das erste «Glied» in der imperialistischen Kette war, das durch die sozialistische Revolution zerschlagen wurde. Wäre dies nicht geschehen, könnte man sich vorstellen, dass ein kapitalistisches Russland nach dem Ersten Weltkrieg auf eine Neokolonie reduziert worden wäre. Die Entstehung eines Arbeiterstaates im Oktober 1917 entzog Russland den normalen Mechanismen des internationalen Kapitalismus und ermöglichte ein dramatisches Wirtschaftswachstum. Trotz seiner späteren Degeneration unter dem Stalinismus hatte die Existenz des Sowjetstaates für den grössten Teil des restlichen Jahrhunderts Auswirkungen auf die internationale Arena. Die 74-jährige Existenz des Sowjetstaates hat auch die Entwicklung Russlands, das 1991 wieder zu einem kapitalistischen Land wurde, tiefgreifend geprägt.

Russisches Finanzkapital: Gigantische Monopole

Im Jahrzehnt nach der kapitalistischen Konterrevolution und der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 wurde die russische Wirtschaft im Rahmen einer vom Imperialismus unterstützten «Schocktherapie» privatisiert, die nominell darauf abzielte, die Marktmechanismen in Gang zu setzen, in Wirklichkeit aber darauf ausgerichtet war, das Land zu schwächen und zu unterjochen. Dieser Prozess kam ausländischen Konzernen zugute, schuf aber auch eine neue Schicht wohlhabender «Unternehmer» – Kapitalisten, die sich in vielen Fällen erfolgreich von Managern staatlicher Unternehmen in Eigentümer privatisierter Firmen verwandelten. Die neuen Kapitalisten waren oft nicht von organisierten Kriminellen zu unterscheiden, und sie schleusten grosse Geldbeträge auf Bankkonten im Ausland, von denen sie das Geld abheben konnten, um Luxusgüter zu kaufen. Die Regierung von Boris Jelzin leitete den Abstieg Russlands in diese käufliche Form des Vetternkapitalismus und den Niedergang der russischen Macht auf der Weltbühne ein (siehe «Russia: A Capitalist Dystopia», 1917 Nr. 24).

Mit dem Aufstieg Wladimir Putins zu Beginn des Jahrhunderts begann sich die Lage jedoch zu wenden, da die ultrareichen «Oligarchen» grösstenteils in die Schranken gewiesen wurden und sich das Ausbluten des Kapitals im Land erheblich verlangsamte. Die Neuausrichtung der Regierungspolitik ging mit einer massiven Kapitalkonzentration in einer Handvoll grosser Monopole (oder Oligopole) einher, die sich vor allem auf den Rohstoffsektor, aber auch auf andere Bereiche der russischen Wirtschaft erstreckten. David Collins stellt in seinem 2013 erschienenen Buch «The BRICS and Outward Foreign Direct Investment» fest:

«In den frühen 2000er Jahren kam es zu einem strategischen Wandel im inländischen Geschäftsumfeld, der zu allgemeinen Verbesserungen in [Russlands] Wirtschaft führte und die Gründung staatlicher Unternehmen in Schlüsselindustrien mit sich brachte, entweder mit Hilfe öffentlicher Mittel oder durch effizientere Verwaltungsmassnahmen. Seit dem Jahr 2000 hat sich die russische Wirtschaft weitgehend in den Händen einiger grosser Unternehmen konzentriert. Es wird davon ausgegangen, dass die hohe Einkommenskonzentration in der russischen Wirtschaft einer der Hauptgründe für die Globalisierung russischer Unternehmen war. Im Jahr 2001 berechnete die russische Investmentbank Troika Dialog, dass etwa 70 grosse Finanz- und Industriekonzerne 40 Prozent des russischen BIP kontrollieren.»

Anfang bis Mitte der 2000er Jahre konsolidierte sich die russische Bourgeoisie als imperialistische Macht. Die russische Wirtschaft ist nach wie vor stark monopolisiert, wie Alexander Bulatow feststellt:

                «400 führende Unternehmen (mit einem Umsatz von mehr als 15 Milliarden Rubel, d. h. 700-750 Millionen US-Dollar bei Kaufkraftparität) erwirtschafteten 2014 41 Prozent des BIP…, und viele von ihnen waren Monopole (Gazprom, Norulsky Nikel, Russian Raylways, Aeroflot, Transneft) oder führende Oligopole (LUKOIL, Rosneft, Sberbank, Rostelecom, Megafon) in ihren Branchen.»

Transnational Corporations, 24(2), 2017

Der Entwicklungsstand der heutigen russischen Wirtschaft ist ungleichmässig. In vergleichenden Rankings der Wettbewerbsfähigkeit (die Faktoren wie Innovation, Korruption und Eigentumsrechte berücksichtigen) liegt Russland nicht in der Spitzengruppe. Im Global Competitiveness Report 2017-2018 des Weltwirtschaftsforums belegt Russland beispielsweise Platz 38 von 137 – hinter einigen neokolonialen Ländern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien (aber vor dem imperialistischen Italien). Die Gesamtarbeitsproduktivität in Russland ist im Vergleich zu anderen imperialistischen Ländern niedrig, sie beträgt etwas mehr als die Hälfte des europäischen Durchschnitts und etwa ein Drittel derjenigen der USA (Moscow Times, 10. August 2015). Es gibt nur wenige in Russland hergestellte Konsumgüter, die im Westen bekannt sind, während selbst einige nicht-imperialistische Länder wie Südkorea über Produkte verfügen, die in Europa und Nordamerika gut bekannt sind.

Doch neben dieser relativen Rückständigkeit gibt es auch bedeutende Elemente des fortgeschrittenen Kapitalismus:

«Der Anteil des Dienstleistungssektors an der Gesamtwertschöpfung nähert sich dem Niveau der EU an. Im Jahr 2010 lag der Anteil der Dienstleistungen an der Gesamtwertschöpfung in Russland bei 68 Prozent, verglichen mit dem EU-Durchschnitt von 79,7 Prozent und Quoten von 50 Prozent für China und 49,7 Prozent für Indonesien.

«Es ist also klar, dass über zwei Jahrzehnte wirtschaftlicher Transformation in Russland zu einer Wirtschaft geführt haben, die in ihrer Struktur ihren reichen EU-Nachbarn ähnlicher ist als einigen anderen grossen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.»

-Europäisches Parlament, «Die wirtschaftliche Bedeutung von Russlands Beitritt zur WTO», Juni 2012

Jedes imperialistische Land baut auf den wirtschaftlichen Grundlagen auf, die in seiner vorimperialistischen Phase geschaffen wurden. Russlands Werdegang ist insofern einzigartig, als die Vorgeschichte seines heutigen Imperialismus in der Schaffung eines degenerierten Arbeiterstaates besteht. Der russische Imperialismus des 21. Jahrhunderts liegt weniger weit hinter seinen Gegnern zurück als der zaristische russische Imperialismus vor 1917 – und es ist das materielle Erbe der Sowjetunion, das dies möglich gemacht hat. Der russische Kapitalismus hat nicht nur hochqualifizierte Arbeitskräfte geerbt, sondern auch von Technologien profitiert (und diese weiterentwickelt), die massgeblich in der Sowjetunion entwickelt wurden, darunter Waffen und Luft- und Raumfahrt.

Russland ist nach den USA der zweitgrösste Waffenexporteur der Welt und weltweit führend in der Produktion von Waffentechnologie. Seit seinem Wiederaufschwung nach den wirtschaftlichen Turbulenzen der 1990er Jahre entfallen auf Russland jährlich durchschnittlich 25 Prozent der weltweiten Waffenexporte, fast so viel wie auf Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und China zusammen («Russia’s Role as an Arms Exporter», Chatham House, März 2017).

Die Wirtschaftssanktionen, die Washington 2014 gegen Russland verhängte, zielen nicht nur darauf ab, die Annexion der Krim zu bestrafen, sondern auch darauf, einen wirtschaftlichen Konkurrenten zu untergraben, auch in der milliardenschweren Rüstungsindustrie. Die USA waren jedoch nicht gänzlich erfolgreich darin, Länder vom Kauf von Waffen aus russischer Produktion abzuhalten:

«Indiens Verteidigungsminister besuchte letzte Woche Moskau, um den Kauf von S-400-Raketensystemen im Wert von 6 Milliarden Dollar abzuschliessen. Das Geschäft scheint zustande zu kommen, trotz der Bemühungen der USA, es zu verhindern, einschliesslich eines Angebots von Lockheed Martin, die Produktion von F-16-Kampfjets von Texas nach Indien zu verlegen. Die Türkei, ein Mitglied der Nato, erklärte sich bei einem Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Ankara bereit, das S-400-Geschäft zu beschleunigen. Recep Tayyip Erdogan, der türkische Staatschef, sagte: ‚Das S-400-Geschäft ist abgeschlossen, und diese Angelegenheit ist erledigt‘.»

Financial Times, 13. April 2018

Einer der Gründe, warum selbst traditionelle Verbündete der USA Gefahr laufen, Washington zu verärgern, ist die technologische Raffinesse der russischen Waffen:

«’Das S-400 gehört zu den fortschrittlichsten Luftabwehrsystemen, die es gibt, auf Augenhöhe mit dem Besten, was der Westen zu bieten hat‘, sagte Siemon Wezeman, leitender Forscher des Programms für Waffentransfers und Militärausgaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).»

-Al Jazeera, 8. Oktober 2018

Die jüngste Intervention Russlands in Syrien bot die Gelegenheit, seine fortschrittliche Technologie in der Praxis zu testen. Dies ist zu einem Verkaufsargument für Rosoboronexport geworden, das die Auslandsverkäufe für russische Waffenhersteller kontrolliert:

«Auf der fünften Bahrain International Air Show 2018 (BIAS) wird Rosoboronexport die fortschrittlichsten Waffensysteme Russlands vorstellen, darunter den S-400-Langstrecken-Luftabwehrraketenkomplex, das Pantsyr-Boden-Luft-Raketen/Kanonen-System mittlerer Reichweite, Sukhoi Su-35-Kampfjets, unbemannte Luftfahrzeuge, elektronische Kriegsführungssysteme und die neuesten Iljuschin Il-76MD-90A-Militärtransportflugzeuge.

«Die Waffen «made in Russia» erfreuen sich einer erhöhten Nachfrage, da sie sich im harten Kampf und unter den klimatischen Bedingungen auf See, am Boden und in der Luft bewährt haben. Und diese Nachfrage wächst: Das Auftragsbuch von Rosoboronexport hat kürzlich die Marke von 50 Milliarden Dollar überschritten, wovon ein erheblicher Teil auf Verträge mit arabischen Staaten entfällt‘, sagte [CEO Alexander] Mikheyev.»

-Tass, 12. November 2018

Trotz der relativen Schwäche in einigen Bereichen ist die russische Luft- und Raumfahrtindustrie auch weiterhin weltweit führend. Im September 2018 schrieb Loren Thompson, Chief Operating Officer des Lexington Institute (das teilweise von den Rüstungsunternehmen Boeing und Lockheed Martin finanziert wird), einen Artikel in Forbes, in dem er sich darüber beklagte, dass «US-Satellitenhersteller in Bezug auf eine Technologie, die für die Funktionalität ihrer Produkte unerlässlich ist, zunehmend von anderen Ländern, insbesondere Russland, abhängig werden:

«Die Industrie geht allmählich zur so genannten elektrischen Antriebstechnologie über, und hier ist Russland der wichtigste Offshore-Anbieter. Während der Kongress das Militär drängt, seine Abhängigkeit von russischen Raketentriebwerken zu beenden, werden Amerikas Satelliten immer abhängiger von einer Art des Weltraumantriebs, bei dem Russland weltweit führend ist.»

Auch die russische Nukleartechnologie ist fortschrittlich, und die Reaktorkonzepte des Landes «dominieren alle anderen» in der Exportkategorie:

«Während Chinas interner Ausbau der Kernenergie der grösste der Welt ist, entscheiden sich die Länder, die in der Lage sind, Reaktoren zu kaufen, mit überwältigender Mehrheit für Russland und seinen WWER1200….

«Die Kunden, die den WWER1200 kaufen, reichen von Entwicklungsländern, die ihre ersten Schritte im Bereich der Kernenergie unternehmen, wie Bangladesch, bis hin zu fortgeschrittenen Nationen mit umfassender Erfahrung im Bereich der Kernenergie, die ihre Flotte erweitern, wie Finnland.

«Sogar China mit seinen schnell heranreifenden Fähigkeiten und nuklearen Exportambitionen findet das russische Angebot überzeugend und hat kürzlich dem Kauf von vier weiteren WWER1200 zugestimmt.»

-Forbes, 3. Juli 2018

Anfang 2018 stellte der staatliche Kernenergiekonzern Rosatom einen innovativen schwimmenden Kernreaktor vor und bestätigte damit die Ansicht von Experten, dass die russische Nukleartechnologie weiterhin ein wichtiger Akteur auf dem internationalen Markt ist: «’Sie sind uns Lichtjahre voraus‘, sagte Jacopo Buongiorno, Professor für Nukleartechnik am Massachusetts Institute of Technology, über das russische schwimmende Energieprogramm» (New York Times, 26. August 2018). Der Economist (2. August 2018) beklagt, dass in der Post-Fukushima-Ära «ein Land jetzt den Markt für die Konstruktion und den Export von Kernkraftwerken dominiert: Russland.» Tatsächlich baut Rosatom in mehreren abhängigen Ländern Atomkraftwerke im Wert von mehreren Milliarden Dollar, darunter das erste Atomkraftwerk der Türkei im Wert von 20 Milliarden Dollar (ebd.).

Neben Militärgütern, Luft- und Raumfahrt und Kernenergie können russische Kapitalisten auch in der chemischen und metallurgischen Industrie weltweit konkurrieren (siehe Ye.Yasin et al., «Russian Manufacturing Revisited: Industrial Enterprises at the Start of the 2008 Financial Crisis», Bank of Finland). Der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) zufolge sind Russlands Metallurgie und Chemie bereits auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig und arbeiten ohne grössere Subventionen» (World Investment Report 2012). Russland ist der drittgrösste Stahlexporteur der Welt, und zu seinen grössten Abnehmern gehören die Türkei, Mexiko, Belgien und die Vereinigten Staaten (Global Steel Trade Monitor, November 2018). In einem kürzlich erschienenen Bericht von Deloitte wurde festgestellt, dass «die USA und die EU Antidumpingzölle auf russischen Stahl eingeführt haben, die sich auf die inländischen Akteure des Sektors auswirkten», obwohl die Auswirkungen dieses Wirtschaftskriegs bis zu einem gewissen Grad durch die gestiegene Inlandsnachfrage nach Metallen im Öl- und Erdgassektor ausgeglichen wurden («Russian manufacturing industry overview», Mai 2016).

Die russischen Erdöl- und Erdgasriesen (Rosneft, Lukoil und Gazprom) sind gelegentlich Partnerschaften mit ausländischen Unternehmen eingegangen, um Zugang zu fortschrittlichen Technologien zu erhalten, obwohl es sich kaum um rückständige Unternehmen handelt. Die westlichen Sanktionen haben den Export von Energietechnologie nach Russland behindert, aber russische Kapitalisten haben versucht, die Differenz auszugleichen. Im Oktober 2018 berichtete der Chef von Novatek (einem Hersteller von Flüssigerdgas), Leonid Mikhelson, dass das Unternehmen die Kapazität entwickelt habe, um den aktuellen Bedarf zu übertreffen:

«Wir erleben die Geburt einer neuen Industrie in Russland», sagte Mikhelson und fügte hinzu, dass Novatek eine Technologie zur Verflüssigung von Gas entwickelt habe.

«Bislang hat sich Russland auf Unternehmen wie den französischen Ölkonzern Total verlassen, um neue Anlagen zu bauen und Technologien bereitzustellen.»

Reuters, 3 October 2018

Das russische Unternehmen TMK, das technisch ausgefeilte Pipelines herstellt, hat Russlands Energieunternehmen den Zugang zu enorm profitablen Ressourcen ermöglicht:

«Trotz US-amerikanischer und europäischer Sanktionen und immer höherer technischer Anforderungen, die nach Ansicht einiger Analysten die russischen Produzenten überfordern würden, boomt die Öl- und Gasindustrie des Landes dank steigender Preise und eines schwächeren Rubels und ermutigt durch erste Erfolge in der weitgehend unerschlossenen Arktis.»

Financial Times, 5 June 2018

Als das Unternehmen aufgrund von Sanktionen nicht mehr über die fortschrittliche Technologie verfügte, die für die Erschliessung arktischen Öls erforderlich ist, entwickelte Rosneft einfach seine eigene. Die Ölbohrung Tsentralno-Olginskaya-1 ist «eine der technologisch anspruchsvollsten, die jemals in Russland unternommen wurde. Da sich die Lagerstätten unter den eisigen, häufig zugefrorenen Gewässern der Laptewsee befinden, werden modernste horizontale Bohrtechniken eingesetzt, um bis zu 15.000 m vom Hauptbohrplatz aus zu erreichen» (Financial Times, 19. April 2017).

Gazprom Neft (die Erdölsparte des Erdgasriesen und drittgrösster Erdölproduzent Russlands):

«Als erstes russisches Unternehmen hat Gazprom Neft mit einer 1 km langen Horizontalbohrung in 2,3 km Tiefe auf dem riesigen Bashenov-Feld, dem schätzungsweise grössten Schieferölvorkommen der Welt, sein Know-how im Schieferöl-Fracking unter Beweis gestellt. Gazprom Neft war in der Lage, eine einheimische Technologie zu verwenden, die das Unternehmen entwickeln musste, nachdem seine internationalen Partner aufgrund der Sanktionen aus dem Projekt ausgestiegen waren.»

-Ibid.

Russlands Energiesektor dominiert nicht nur die Rohstoffexporte des Landes, sondern auch den russischen Kapitalexport.

Kapitalexport: Überblick über ausländische Investitionen

Eine der Messgrössen für den Kapitalexport sind die ausländischen Direktinvestitionen (ADI), d. h. die Investitionen eines Landes in einem anderen Land, einschliesslich des Erwerbs von mindestens 10 Prozent der Anteile an ausländischen Unternehmen. Traditionell haben Neokolonien begrenzte ausländische Direktinvestitionen, aber grössere ausländische Direktinvestitionen im Inland, da sie nur geringe Kapitalexporteure, aber bedeutende Kapitalimporteure sind, während imperialistische Länder dazu neigen, sowohl grosse Kapitalexporteure als auch Kapitalimporteure zu sein.

Die Verwendung von ausländischen Direktinvestitionen als Massstab für den Kapitalexport weist ernsthafte Einschränkungen auf, insbesondere vom Standpunkt der marxistischen Analyse aus. In einem Artikel in Finance & Development (veröffentlicht vom Internationalen Währungsfonds [IWF]) vom Juni 2018 berichteten Jannick Damgaard (leitender Ökonom bei der dänischen Nationalbank), Thomas Elkjaer (leitender Ökonom in der Statistikabteilung des IWF) und Niels Johannesen (Wirtschaftsprofessor an der Universität Kopenhagen), dass «atemberaubende 12 Billionen Dollar – fast 40 Prozent aller ausländischen Direktinvestitionspositionen weltweit – völlig künstlich sind: Sie bestehen aus Finanzinvestitionen, die durch leere Firmenhüllen ohne echte Aktivität fliessen:

«Diese Art von Finanzsteuer-Engineering ist ein weltweites Phänomen, das sowohl fortgeschrittene als auch aufstrebende Marktwirtschaften betrifft. In Schwellenländern wie Indien, China und Brasilien fliessen 50 bis 90 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen über ein ausländisches Unternehmen ohne wirtschaftliche Substanz; in fortgeschrittenen Volkswirtschaften wie dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten liegt der Anteil bei 50 bis 60 Prozent. …. Weltweit liegt der Durchschnitt bei knapp 40 Prozent.»

Es ist schwierig, genau festzustellen, wie viel von Russlands ausländischen Direktinvestitionen «round-tripping» sind, d.h. betrügerische Transaktionen, bei denen Kapital ins Ausland geschickt wird, um Steuern zu vermeiden, und dann ins Heimatland zurückgeführt wird. Damgaard, Elkjaer und Johannesen legen auf der Grundlage eines aktuellen IWF-Arbeitspapiers von Damgaard und Elkjaer («The Global FDI Network: Searching for Ultimate Investors», 2017) Zahlen vor, die darauf hindeuten, dass etwa 25 Prozent der russischen ausländischen Direktinvestitionen über ausländische Briefkastenfirmen abgewickelt werden. Der tatsächliche Prozentsatz ist wahrscheinlich viel höher, möglicherweise sogar so hoch wie der Grossbritanniens oder der USA. Der Wirtschaftswissenschaftler Kari Liuhto von der Universität Turku schätzt, dass es zwar «unmöglich ist, den genauen Anteil echter ausländischer Direktinvestitionen am russischen Bestand an ausländischen Direktinvestitionen anzugeben[,]… wenn man Zypern und Steueroasen aus dem russischen Bestand an ausländischen Direktinvestitionen ausschliesst, kann man zu dem Schluss kommen, dass weniger als die Hälfte der russischen ausländischen Direktinvestitionen als echte ausländische Direktinvestitionen bezeichnet werden könnten» («Motivations of Russian firms to invest abroad», 2015).

Die konventionelle Wirtschaftswissenschaft bietet keine wirksamen Werkzeuge an, das marxistische Konzept der Mehrwertgewinnung durch Kapitalexport direkt zu messen. Trotz der sehr realen Einschränkungen der ADI-Daten ist es jedoch aufschlussreich, die allgemeinen Veränderungen der russischen ADI-Zahlen mit denen anderer Länder im letzten Vierteljahrhundert zu vergleichen, da sich Russlands Wandel zu einer imperialistischen Macht Anfang bis Mitte der 2000er Jahre in einer Verschiebung seines ADI-Profils widerspiegelt. Schaubild 1 zeigt die russischen DI-Ströme ins Ausland als prozentualen Anteil an den gesamten ausländischen DI der Welt, die natürlich von imperialistischen Ländern dominiert werden. Zu Vergleichszwecken wird auch die Zahl der ausländischen Direktinvestitionen für Brasilien angegeben, ein neokoloniales Land, das als Regionalmacht in Südamerika einige der kapitalexportierenden Merkmale imperialistischer Mächte aufweist und oft mit Russland verglichen wird. Von Anfang der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre folgten Russland und Brasilien einem ähnlichen Trend: von vernachlässigbaren ausländischen Investoren zu aufstrebenden ausländischen Investitionsmächten. Seit Mitte der 2000er Jahre konnte Russland jedoch seine Stellung halten und ausbauen, so dass es im Zeitraum 2007-2017 durchschnittlich etwa 3 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen der Welt auf sich vereinigte. Im selben Jahrzehnt fiel Brasilien auf seinen früheren Status als marginaler Kapitalexporteur zurück und verzeichnete nur 0,2 % der gesamten weltweiten DI-Abflüsse. Zum Vergleich: Kanada hatte im selben Zeitraum 4,1 %, Italien 2,1 % und Spanien 2,6 %.

Schaubild 1: Russische und brasilianische ADI-Ströme im Ausland in % des weltweiten Gesamtvolumens, 1993-2017 (Daten von UNCTAD)

Die Entwicklung der russischen ADI-Abflüsse seit Mitte der 2000er Jahre zeigt eine Abkehr vom Profil eines neokolonialen Landes und eine Annäherung an das Profil eines imperialistischen Landes. Dieser Wandel wird auch in den Schaubildern 2 und 3 deutlich, in denen die absoluten Zahlen der ausländischen Direktinvestitionen (in Millionen US-Dollar) für Russland und drei vergleichsweise starke Neokolonien (Brasilien, Indien und Saudi-Arabien) sowie für Russland und drei imperialistische Länder der zweiten Reihe (Kanada, Italien und Spanien) dargestellt sind.

Schaubild 2: DI-Abflüsse, Russland und ausgewählte Neokolonien, in Millionen USD, 1992-2017 (Daten von UNCTAD)

Schaubild 3: DI-Abflüsse, Russland und ausgewählte imperialistische Länder, in Mio. USD, 1992-2017 (Daten von UNCTAD)

Untersuchung der russischen Auslandsinvestitionen

Bulatov stellt fest, dass in Russland «ADI-Ströme, Offshore-Einheiten und Durchleitungsländer ein erhebliches Gewicht haben – 90 Prozent der Abflüsse und 97 Prozent der Zuflüsse, mit einem Schwerpunkt auf der Karibik bei den Abflüssen und Westeuropa bei den Zuflüssen» (Transnational Corporations, 24(2), 2017). Das soll nicht heissen, dass 90 Prozent der russischen ausländischen Direktinvestitionen im Umlauf sind – in der Tat ist der Anteil viel geringer. Russische Kapitalisten nutzen Steueroasen und «Zweckgesellschaften» nicht nur, um Geld zurück nach Russland zu transferieren, sondern auch, um Kapital in Drittländer zu exportieren und dort wirklich gewinnbringend zu investieren. Die Praxis, «Conduit»-Länder (oder «Offshore-Hubs») als Vermittler für ausländische Investitionen in Drittländern zu nutzen, wird «Umladung» genannt. Bulatov fährt in seiner Erklärung fort:

«Führende Conduit-Länder sind Luxemburg, Irland, Österreich, die Schweiz, das Vereinigte Königreich und die Niederlande. Die beiden letztgenannten Länder verfügen nicht nur über Zweckgesellschaften, sondern auch über internationale Finanzzentren und ihre eigenen Netze von Offshore-Unternehmen. Das Vereinigte Königreich verfügt über 14 britische Überseegebiete (einschliesslich der Kaimaninseln und der Britischen Jungferninseln) und drei Kronkolonien (Jersey, Guernsey und die Isle of Man), bei denen es sich um Offshore-Gerichtsbarkeiten handelt, die von der Londoner City finanziell betreut werden. Die Niederlande haben ein kleineres Finanzzentrum und ein Netz von Offshore-Gerichtsbarkeiten – die von den Niederlanden abhängigen karibischen Territorien (Curaçao, Bonaire, Sint Maarten, Sint Eustasius, Saba und Aruba).»

Wie kompliziert es ist, das Geflecht russischer Auslandsinvestitionen zu durchleuchten, die oft durch Zwischenhändler getarnt werden, zeigt das Beispiel des Telekommunikationsriesen VEON (ehemals VimpelCom), der seinen Hauptsitz in Amsterdam hat. VEON ist der sechstgrösste Mobilfunknetzbetreiber der Welt (mit Geschäften in Russland, Pakistan, Algerien, Bangladesch, der Ukraine und einigen zentralasiatischen Ländern) und befindet sich mehrheitlich im Besitz von LetterOne Investment, das selbst in Luxemburg ansässig ist, aber von dem in Moskau ansässigen Alfa Group Consortium des russischen Milliardärs Michail Fridman kontrolliert wird (Reuters, 24. Juli 2017). Obwohl die Quelle des Kapitals letztlich nach Russland zurückverfolgt werden kann, würden alle Investitionen, die LetterOne in VEON tätigt, als ausländische Direktinvestitionen aus Luxemburg registriert, während VEON-Investitionen im Ausland als niederländische ausländische Direktinvestitionen verbucht werden.

Ein weiteres wichtiges Durchleitungsland für russische Kapitalisten ist Zypern. Bulatow weist darauf hin, dass:

«…mindestens fünf führende Banken der Russischen Föderation (VTB, Alfa Bank, AvoVAZbank, Privatbank, Promsvyazbank) haben Tochtergesellschaften in Zypern, ebenso wie zahlreiche Finanz- und Investment-Tochtergesellschaften anderer Muttergesellschaften der Russischen Föderation. Dieser Inselstaat ist die attraktivste Offshore-Jurisdiktion für Investoren aus der Russischen Föderation…, und zwar nicht wegen seines Körperschaftssteuersatzes für Offshore-Gesellschaften (der mit 12,5 Prozent höher ist als in vielen anderen Offshore-Einrichtungen), sondern wegen zahlreicher Steuerabkommen mit anderen Offshore-Einrichtungen (die einfache Durchgänge zu Offshore-Einrichtungen mit niedrigeren Steuersätzen bieten) und auch, weil das Zivilgesetzbuch Zyperns auf dem Recht des Vereinigten Königreichs basiert.»

-Ibid.

Bulatow berichtet, dass sich die russischen ADI-Bestände (kumulierte Ströme) in Zypern im Jahr 2014 auf 105 Mrd. USD beliefen, während sich die ADI-Bestände aus Zypern in Russland auf 101 Mrd. USD beliefen (das entspricht etwa 27 % der russischen Gesamtbestände für beide Grössen). Zweifellos war ein Teil des nach Russland exportierten «zypriotischen» Kapitals deutscher und anderer nicht-russischer Herkunft, der grösste Teil war jedoch mit ziemlicher Sicherheit russisch.

Kurioserweise ist «Zypern» der grösste ausländische Investor in der Ukraine mit einem Bestand an ausländischen Direktinvestitionen von knapp 14 Mrd. USD (Stand: Januar 2015). Nominell ist Russland mit einem ADI-Bestand von 2,7 Mrd. USD nur die viertgrösste Quelle für ausländische Direktinvestitionen in der Ukraine, hinter Zypern, Deutschland und den Niederlanden. Unter Berücksichtigung der Umladevorgänge schätzt die OECD den tatsächlichen Umfang der russischen Investitionen jedoch auf rund 9,9 Mrd. USD. Ein Teil dieser Zahl umfasste Investitionen des niederländischen Unternehmens VEON.

Die Eurasische Entwicklungsbank (EDB) hat ihre eigene Datenbank erstellt (unter Berücksichtigung von Umladungen und Round-Tripping), um die tatsächlichen Auslandsinvestitionen von und in eurasischen Ländern besser einschätzen zu können («Monitoring of direct investments of Russia, Belarus, Kazakhstan and Ukraine in Eurasia», EDB Centre for Integration Studies, 2014), und ihre Ergebnisse zeigen, dass Standard-DI-Massnahmen die tatsächliche Situation sowohl übertreiben als auch minimieren können. So zeigt die EDB-Datenbank für das Jahr 2016, dass der tatsächliche Bestand an russischen Direktinvestitionen in Zypern vernachlässigbar ist (50 Mio. USD), verglichen mit den 150 Mrd. USD, die mit herkömmlichen Mitteln ermittelt wurden. Der reale Bestand an russischen Direktinvestitionen in den Niederlanden betrug nur 1,1 Mrd. USD gegenüber den nominalen 60 Mrd. USD («EAEU and Eurasia: Monitoring and Analysis of Direct Investments 2017», EDB Centre for Integration Students, 2017). Umgekehrt werden die russischen Direktinvestitionen in Pakistan und Bangladesch in den Standardkonten mit Null angegeben, während die EDB-Datenbank einen Bestand an Direktinvestitionen von 1,2 Mrd. USD bzw. 1,1 Mrd. USD ausweist. Andere grosse Diskrepanzen, die für Länder mit vermeintlich winzigen russischen Investitionen gemeldet werden, sind der Irak (4,3 Mrd. USD an realen Investitionen, hauptsächlich von Lukoil), Ägypten (3,3 Mrd. USD), Polen (1,1 Mrd. USD) und Rumänien (1,6 Mrd. USD).

Im Jahr 2016 belief sich Russlands Gesamtbestand an realen ausländischen Direktinvestitionen in Eurasien (ohne die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und Georgien) auf 85,7 Mrd. USD. Während Italien, Deutschland und Grossbritannien etwa 40 Prozent dieses Betrags beherbergten, wurde der Rest in Neokolonien wie Bulgarien, Polen, Rumänien, Estland, Lettland, Litauen, Griechenland, Serbien, Türkei, Indien, Vietnam und der Mongolei investiert. Im selben Jahr verfügte Russland über weitere 34,8 Milliarden US-Dollar an ausländischen Direktinvestitionen in Georgien und der GUS (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine und Usbekistan) («Monitoring of Mutual Investments in CIS Countries 2017», EDB Centre for Integration Studies, 2017). Ausgehend von diesen Zahlen hat Russland allein in Neokolonien in Europa und Asien etwa 75 Milliarden US-Dollar investiert.

Dies zeigt, dass die russischen Investitionen in imperialistischen Ländern zwar vergleichsweise gering sind, in Neokolonien jedoch von enormer Bedeutung sein können. Russische Kapitalisten machen nicht nur Gewinne in schwächeren Ländern, sondern oft auch in einem Umfang, der Russland einen erheblichen Einfluss auf diese Länder verschafft. Liuhto stellt fest: «Verglichen mit der EU, den USA und China ist die Bedeutung der russischen Direktinvestitionen in einigen GUS-Ländern gigantisch. Russland deckt zum Beispiel den grössten Teil der tadschikischen ausländischen Direktinvestitionen und etwa 40-60 % der belarussischen und usbekischen ausländischen Direktinvestitionen ab» («Motivations of Russian firms to invest abroad», 2015). Aus der Datenbank der Eurasischen Entwicklungsbank geht hervor, dass russische Investitionen auch 50-75 Prozent des Bestands an ausländischen Direktinvestitionen in Abchasien, Südossetien und Armenien ausmachen, 30-50 Prozent im Irak und in Nordkorea und weitere erhebliche Anteile in Pakistan und der Ukraine. Russland investiert jährlich etwa 1 Milliarde US-Dollar in Kasachstan, wo etwa ein Drittel der ausländischen Unternehmen russisch ist (The Astana Times, 11. September 2017).

Zusammen mit seinem Kollegen Peeter Vahtra argumentiert Liuhto, dass der astronomische Anstieg der russischen ausländischen Direktinvestitionen Anfang bis Mitte der 2000er Jahre zu einem positiven Kreislauf der kapitalistischen Entwicklung in Russland geführt hat:

«Russische Unternehmen haben ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert, indem sie sich einen besseren Zugang zu natürlichen Ressourcen verschafften, weltweit strategische Vermögenswerte erwarben und sich Segmente des Weltmarktes aneigneten. Die hohen Öl- und Rohstoffpreise haben zu steigenden Exporteinnahmen geführt, die wiederum die internationale Expansion russischer Unternehmen unterstützt haben.»

– «Foreign operations of Russia’s largest industrial corporations – building a typology», Transnational Corporations 16(1), April 2007

In The BRICS and Outward Foreign Direct Investment (Die BRICS und ausländische Direktinvestitionen) bestätigt Collins den Zusammenhang zwischen den gestiegenen Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas und dem Anstieg der ausländischen Kapitalausfuhr:

«Moderne russische multinationale Unternehmen weisen heute ein hohes Mass an horizontaler und vertikaler Integration der Produktionskapazitäten auf, zu denen auch Vertriebsnetze und Bankgeschäfte gehören, wodurch Dienstleistungen und nicht-dienstleistungsbezogene ausländische Direktinvestitionen miteinander verbunden werden. Die meisten russischen Unternehmen, die im Ausland tätig sind, sind nach wie vor eng mit den heimischen natürlichen Ressourcen verbunden. Bis vor kurzem waren die meisten russischen multinationalen Unternehmen in den Bereichen Öl und Gas, Metallurgie sowie Stromerzeugung und -verteilung tätig. Russische Unternehmen haben die Verbindungen zu ihren natürlichen Ressourcen als Sicherheit genutzt, um Kredite für ausländische Direktinvestitionen aufzunehmen, insbesondere in Zeiten, in denen die Preise für diese Rohstoffe am höchsten waren.»

Die geografische Ausrichtung der russischen ausländischen Direktinvestitionen hat sich im Laufe der Zeit etwas verschoben. Laut Amar Anwar und Mazhar Mughal aus dem Jahr 2014 («“Why do Russian firms invest abroad? A firm level analysis») tätigten russische Unternehmen zunächst grössere Investitionen in nahe gelegenen postsowjetischen Staaten:

«Diese Investitionen zielten meist auf den Zugang zu natürlichen Ressourcen (z. B. Lukoil in Aserbaidschan oder der russische Stahlhersteller Mechel in Kasachstan) oder auf die Eroberung der Verbrauchermärkte der Länder (z. B. Mobile TeleSystems in der Ukraine und den meisten anderen ehemaligen Sowjetrepubliken oder der Stromerzeuger und -lieferant RAO UES in Armenien, Georgien, Moldawien und der Ukraine). Allerdings hat die Präferenz für diese Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) allmählich nachgelassen.»

Russische Investitionen haben sich inzwischen viel weiter ausgedehnt. Gemeinsam mit dem russischen Investmentfonds United Capital Partners und der in den Niederlanden ansässigen Trafigura-Gruppe hat Rosneft kürzlich 98 Prozent von Essar Oil, dem zweitgrössten privaten Ölraffinerieunternehmen in Indien, für fast 13 Milliarden US-Dollar erworben (The Indian Express, 15. Oktober 2017).

Die Canadian Broadcasting Corporation berichtet:

«Nach Angaben des Lateinamerika-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften hat Russland möglicherweise bis zu 25 Milliarden US-Dollar in Venezuela gebunden, hauptsächlich in Form von Öl und Gold.

Im Vergleich dazu beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen der USA in Venezuela laut dem Büro des US-Handelsbeauftragten im Jahr 2017 auf 6,6 Milliarden US-Dollar, hauptsächlich in der verarbeitenden Industrie und in ‚Informationsdienstleistungen‘.»

cbc.ca, 31. Januar 2019

Wie es für hochriskante imperialistische Unternehmungen typisch ist, gehen nicht alle russischen Energieinvestitionen im Ausland auf:

«In Venezuela ist die bröckelnde Ölproduktion eine Bedrohung für das russische Unternehmen Rosneft, das Milliarden von Dollar in Projekte in dem Land investiert hat und ausserdem rund 1,6 Milliarden Dollar von dem staatlichen Ölproduzenten PDVSA schuldet.

Rosneft sagte in seinem Jahresbericht 2018, dass es erst 2020 eine «endgültige Investitionsentscheidung» darüber treffen werde, ob es zwei Gasfelder, die es im vergangenen Dezember erworben hat, entwickeln wird.

Rosneft, an dem die russische Regierung eine Mehrheitsbeteiligung hält, sieht sich auch mit potenziellen Problemen in der halbautonomen irakischen Region Kurdistan konfrontiert, wo das Unternehmen 1,8 Milliarden Dollar für die Sicherung von Öllieferungen ausgegeben und weitere 400 Millionen Dollar für die Erschliessung neuer Felder zugesagt hat.

Das hat die Zentralregierung in Bagdad verärgert, die darauf besteht, dass alle Ölgeschäfte innerhalb des Landes mit ihr verhandelt werden sollten.»

Financial Times, 5. Juni 2018

Während der Kapitalexport aus dem stark monopolisierten Energiesektor überwiegt, haben russische Unternehmen in anderen Branchen erhebliche Investitionen im Ausland getätigt, sich wichtige Märkte gesichert und eine externe Einkommensbasis geschaffen. Nach Angaben des EDB waren die wichtigsten Sektoren der russischen ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2016 Öl und Gas (34,3 Prozent), Kommunikation und IT (19,7 Prozent), Finanzen (12,9 Prozent) und Maschinenbau (6 Prozent). Collins stellt fest:

«Im Jahr 2004 erwarb Russlands führender Mobilfunkbetreiber MTS einen 74-prozentigen Anteil an Usbekistans führendem Betreiber Uzabunorbita. Russlands zweitgrösster Mobilfunkbetreiber VimpelCom erwarb 2005 eine Beteiligung an Kasachstans zweitgrösstem Betreiber KaR-Tel. VimpelCom ist auch in Tadschikistan und der Ukraine tätig und plant eine Expansion nach Vietnam und Kambodscha. Mobile TeleSystems (MTS) ist ein Marktführer im Bereich der drahtlosen Kommunikation in verschiedenen GUS-Ländern, darunter die Ukraine, Usbekistan, Turkmenistan, Armenien und Weissrussland. Es ist das grösste Unternehmen der Sistema Holdings, die ihrerseits Lizenzen für den Betrieb in Indien erworben hat und plant, in China und Bangladesch tätig zu werden. VimpelCom ist das aktivste global expandierende multinationale Unternehmen unter den russischen Telekommunikationsfirmen.»

                …

«Russische Telekommunikationsunternehmen schliessen rasch zu den auf natürlichen Ressourcen und Schwerindustrie basierenden Konglomeraten auf der globalen Bühne auf.»

«Im Bereich Software und IT-Dienstleistungen liegt Russland bei der Zahl der international tätigen Unternehmen in diesem Sektor nur hinter den USA. Es gibt auch einige weltweit tätige russische multinationale Technologieunternehmen, insbesondere in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die 1997 gegründete Antiviren-Internetfirma Kaspersky hatte bis Ende 2005 eine globale Präsenz aufgebaut und expandierte in zehn ausländische Standorte, darunter in Asien, Europa und den USA. Ein weiteres russisches Hochtechnologieunternehmen, NT-MDT (Nanotechnology-Modular Devices and Tools), gründete 2005 eine Tochtergesellschaft in Irland, die Montage-, Test- und Kundendienstleistungen sowie Forschung und Entwicklung anbietet. Die russische Holdinggesellschaft GIS erwarb 2007 den französischen Mikroelektronikhersteller Altis Semiconductor…. Der russische IT-Sektor gilt heute als äusserst stabil und ist daher in der Lage, Kapital von privaten und institutionellen Investoren anzuziehen, um die Internationalisierung voranzutreiben.»

Wladimir Andreff berichtet:

«…Russische OFDI begannen in den 2000er Jahren in modernisierten Teilen der verarbeitenden Industrie zu boomen, mit der Sistema-Gruppe (zu der MTS gehört) in der Telefonproduktion, Sitronics in der Telekommunikationsausrüstung, Vimpelcom, Altimo, Megafon und Alfa Group in der Telekommunikation, Korolev Rocket and Space Corporation Energia in der Luftfahrt, RTI Systems in der Luft- und Raumfahrt und Raketenproduktion, NPO Mashinostroyenia in der militärischen Ausrüstung. Grosse russische Versicherungs- und Finanzunternehmen sowie Grossbanken haben sich in der früher unterentwickelten (sowjetischen) Dienstleistungsbranche entwickelt und internationalisiert, wie z.B. Sberbank, VTB, Gazprombank, Alfa-Bank und Bank of Moscow.»

—“Outward Foreign Direct Investment from BRIC countries,” The European Journal of Comparative Economics 12(2), 2015

Digital Sky Technologies (DST) Global, mit Hauptsitz in Hongkong, aber im Besitz des russischen Tech-Milliardärs Yuri Milner und teilweise unterstützt von der VTB Bank, hat Milliarden von Dollar in Facebook, Twitter, Spotify, Airbnb, Alibaba und andere Internetunternehmen investiert (New York Times, 5. November 2017). Milner hat auch mehrere hundert Millionen Dollar in Indien investiert (iPleaders.in).

Damit soll nicht behauptet werden, dass Russland wirtschaftlich auf demselben Niveau steht wie imperialistische Länder der ersten Reihe, obwohl es in vielerlei Hinsicht mit weniger bedeutenden, aber gut etablierten Imperialisten vergleichbar ist. Russische Industrieunternehmen haben zwar massiv im Ausland investiert, aber «kein einziger russischer multinationaler Konzern ist bisher in die Liste der 100 grössten multinationalen Konzerne ausserhalb des Finanzsektors aufgenommen worden, die von der UNCTAD nach dem Wert ihrer Auslandsaktiva geordnet wird» (Andreff). Diese Liste wird von den USA, Grossbritannien, Deutschland, Japan und Frankreich dominiert. Wie Russland ist auch Kanada nicht vertreten, und die Niederlande haben nur einen Eintrag (die in Amsterdam ansässige französische Telekommunikationsgesellschaft Altice), ebenso wie Belgien und Australien. Das russische Bankensystem (d. h. das Finanzkapital im engeren Sinne) ist vergleichsweise schwach, da es z. B. nicht auf der UNCTAD-Liste der 50 grössten transnationalen Finanzunternehmen vertreten ist. Auch Belgien ist nicht vertreten, und Italien, Spanien und Kanada haben jeweils nur einen Eintrag.

Die Gründe, warum russische Unternehmen im Ausland investieren, sind komplex, aber es ist klar, dass das astronomische Wachstum der russischen ausländischen Direktinvestitionen Mitte der 2000er Jahre von einer Verlagerung weg von der Kapitalflucht hin zum Gewinnstreben und zur Marktausweitung mit verschiedenen Mitteln begleitet wurde. In einer Studie werden «die sich verändernden Strategien der ins Ausland investierenden russischen Unternehmen erläutert: Anfang der 1990er Jahre handelte es sich zumeist um private TNK, die im Ausland ein ‚Sicherheitsnest‘ suchten, um sich vor der Unsicherheit im Inland zu schützen; heute dominieren staatliche oder staatlich beeinflusste TNK die russischen Kapitalexporte, motiviert durch den Wunsch, die Wertschöpfungskette ihrer Produkte zu kontrollieren» (Kalman Kalotay und Astrit Sulstarova, «Modelling Russian outward FDI»). Die UNCTAD fügt hinzu, dass sich das Profil Russlands von dem der anderen so genannten BRIC-Länder unterscheidet:

«Im Gegensatz zu den TNKs aus anderen BRICS-Ländern ist das Hauptziel russischer TNKs nicht nur die Sicherung der Rohstoffversorgung ihres Heimatlandes, sondern auch die Ausweitung ihrer Kontrolle über die Wertschöpfungsketten ihrer eigenen natürlichen Ressourcen, der Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen und die Stärkung ihrer Marktposition in wichtigen Entwicklungsländern. So hat Rosneft beispielsweise ein Joint Venture mit CNPC (China) gegründet, um Ölförderprojekte in der Russischen Föderation und nachgelagerte Aktivitäten in China zu entwickeln».

Eine andere Studie stellt fest:

«Die typischen ADI-Motive russischer multinationaler Unternehmen, insbesondere bei Fusionen und Übernahmen (M&A), sind die Suche nach Märkten und Ressourcen…. Ihre ADI können auch strategisch ausgerichtet sein, insbesondere für russische multinationale Unternehmen des Maschinenbaus aus der «zweiten Reihe» ….. So erwarb beispielsweise die Borodino-Gruppe 2007-2009 Jobs und einige andere italienische Unternehmen, um ihre Werkzeugmaschinensparte zu stärken. Effizienzorientierte ADI treiben die Investitionen russischer multinationaler Unternehmen im Ausland nur in einigen wenigen Ländern an, in denen die Arbeitskosten niedriger sind als in Russland. Solche ausländischen Direktinvestitionen sind eher für mittelgrosse multinationale Unternehmen typisch. So hat beispielsweise der russische Marktführer in der Bekleidungsindustrie, Gloria Jeans, mehrere Werke in der Ukraine errichtet.»

—“Global Expansion of Russian Multinationals after the Crisis: Results of 2011,” Vale Columbia Center on Sustainable Investment, April 2013

Imperialistische Länder investieren aus einer Vielzahl von Gründen in Neokolonien: um natürliche Ressourcen und Märkte zu erhalten, um sich Einflussbereiche für geopolitische Zwecke zu sichern und um durch die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte Superprofite zu erzielen. Russische Investitionen beruhen auf denselben Motiven, obwohl als Neuling auf der imperialistischen Bühne strategische/geopolitische Berechnungen wahrscheinlich eine grössere Rolle spielen als bei anderen Imperialisten – Russland scheint eine längerfristige Perspektive zu haben, die darauf abzielt, sich weitere Märkte und Einflusssphären zu sichern. Moskau handelt häufig Deals aus, um die Preise für seine Energierohstoffe im Gegenzug für die Vorherrschaft auf lokalen Märkten und den Zugang zu Investitionsmöglichkeiten zu senken. Doch obwohl die Arbeitskosten in Russland im Vergleich zu anderen imperialistischen Mächten sehr niedrig sind, tätigt Russland auch «effizienzsteigernde» Investitionen. Es investiert zwar in imperialistischen Ländern und in neokolonialen Ländern, in denen die Löhne höher sind (z. B. in Polen), exportiert aber auch Kapital in mehrere neokoloniale Länder, in denen die Löhne niedriger sind als in Russland (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Nominale Monatslöhne 2017 (Landeswährung umgerechnet in USD Ende 2018). Daten von ILO, Global Wage Report

Imperialistische Machtausweitung: Eine revolutionäre Antwort

Es ist charakteristisch für imperialistische Mächte, dass sie mehr oder weniger zeitlich begrenzte Bündnisse in einer Reihe von wechselnden und konkurrierenden Blöcken miteinander eingehen. Während der Zeit des Kalten Krieges war dieses Gefüge unter dem «Washingtoner Konsens» bemerkenswert stabil, aber seitdem haben sich deutliche Risse gezeigt. Die USA haben versucht, den Einfluss Russlands in den von ihnen beherrschten globalen kapitalistischen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, der WTO und der G7 (früher G8, einschliesslich Russlands), die ihrerseits ungute Allianzen zwischen den USA und ihren Konkurrenten aus der EU und Japan darstellen, zu minimieren. Aber Russland ist im globalen kapitalistischen System nicht isoliert. Neben der Ausübung seiner geopolitischen Macht im UN-Sicherheitsrat hat Russland konkurrierende Gremien initiiert und/oder sich an ihnen beteiligt, darunter die Eurasische Wirtschaftsunion und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, zusammen mit China. In gewisser Weise spiegeln Moskaus Diplomatie und geopolitische Strategie eine defensive Haltung wider, da sein Einflussbereich in Osteuropa seit dem Zerfall der Sowjetunion vom westlichen Imperialismus bedrängt wird. Wladimir Putin hat mehrfach seine Bereitschaft bekundet, im Wesentlichen als Juniorpartner mit den USA zusammenzuarbeiten; diese haben jedoch seine Annäherungsversuche abgelehnt. In diesem Zusammenhang hat Russland versucht, sich wieder als Weltmacht zu profilieren, die seiner Umwandlung von einem wirtschaftlich zerfallenden Neokolonialreich in den 1990er Jahren in einen lebensfähigen, wenn auch wirtschaftlich schwachen imperialistischen Staat in den 2000er Jahren entspricht. Seine Bemühungen waren unerwartet erfolgreich.

Im August 2008 schlug Russland den Versuch Georgiens, die Kontrolle über Südossetien wiederzuerlangen, rasch nieder und demonstrierte der Welt seine Fähigkeit, seine beträchtliche militärische Macht unabhängig vom Willen des westlichen Imperialismus auszuüben. Die Kriegsfanatiker in Washington, wie z. B. der verstorbene Senator John McCain, bekamen angesichts der Dreistigkeit Russlands, seinen Klientelstaat im Kaukasus anzugreifen, fast Schaum vor dem Mund. In der Ukraine unterstützte Russland 2014 nach dem Sturz der Moskau-freundlichen Janukowitsch-Regierung durch vom Westen unterstützte rechtsextreme Kräfte separatistische Rebellen in der Ostukraine und annektierte die Krim, auf der sich der wichtige russische Marinestützpunkt in Sewastopol befindet.

Der komplizierte Bürgerkrieg in der Ukraine und das ihm zugrunde liegende geopolitische Tauziehen zwischen westlichen und russischen Imperialisten sind Konflikte, in denen Marxisten keine Partei ergreifen. Während wir das Recht aller Nationen auf Selbstbestimmung unterstützen, ist es im Falle der gegenseitigen Durchdringung verschiedener Völker in der Ostukraine unmöglich, diese Frage im Kapitalismus für alle Seiten gerecht zu lösen. Das Vorhandensein eines zwischenimperialistischen Territorialkampfes verkompliziert sogar eher «traditionelle» nationale Fragen. Eine Mehrheit der Krimbewohner hat für den Wiederanschluss an Russland gestimmt, und unter normalen Umständen würden Marxisten deren Recht dazu verteidigen. Im gegenwärtigen Kontext können wir jedoch weder das Recht Russlands, die Krim zu behalten, noch das Recht der vom Imperialismus unterstützten Ukraine, sie zurückzuerobern, bejahen – dies würde bedeuten, die eine oder die andere Seite in dem zwischenimperialistischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen zu unterstützen, in dem revolutionäre Internationalisten doppelte Defätisten sein sollten.

Russlands kühnster Zug auf dem geopolitischen Schachbrett bestand darin, sich im Nahen Osten einzumischen, um bestehende militärische und wirtschaftliche Interessen zu sichern und die Einmischung der USA in der Region zu minimieren. Moskaus Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg auf der Seite von Bashar al-Assad war ein entscheidender Faktor für die Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten des Regimes. Die im Dezember 2018 verkündete Entscheidung Washingtons, aufgrund des militärischen Sieges über ISIS alle US-Truppen aus Syrien abzuziehen, war faktisch eine Erklärung der Niederlage – ein schwerer Schlag gegen den Einfluss der traditionell dominierenden imperialistischen Mächte in der Region zugunsten Russlands.

Die Inanspruchnahme der Krim durch Russland diente in erster Linie dem Schutz des Hafens von Sewastopol und der Passage durch die Strasse von Kertsch ins Schwarze Meer und dann ins Mittelmeer. Russische Schiffe im Mittelmeer sind an der syrischen Küste in Tartus stationiert, wo die Unterstützung Moskaus für die Assad-Regierung im Januar 2018 mit einer Vereinbarung über den massiven Ausbau des bestehenden Marinestützpunkts belohnt wurde; damit kann Russland noch grössere und nuklear bewaffnete Kriegsschiffe stationieren und die Souveränität über das Gebiet sichern. Ein begleitendes Abkommen betrifft den Flugplatz Khmeimim, der 2015 gebaut wurde, um die russische Intervention im Krieg zu erleichtern, nun aber als langfristige russische Basis im Nahen Osten ausgebaut wird (dw.com, 20. Januar 2017).

Zwar verdient derzeit niemand viel Geld mit dem vom Krieg zerrissenen Syrien, aber es gibt ein Potenzial für zukünftige Gewinne. Mit der Einrichtung von Marine- und Luftwaffenstützpunkten ist Russland nun in einer besseren Position, um bestehende Investitionen im Irak und anderswo in der Region zu schützen und auszubauen. Moskau und Damaskus haben lukrative Verträge für russisches Kapital ausgehandelt:

«Gemäss einem Ende Januar unterzeichneten Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit im Energiebereich erhält Russland die Exklusivrechte für die Förderung von Öl und Gas in Syrien.

Das Abkommen geht weit darüber hinaus und regelt die Modalitäten für die Instandsetzung beschädigter Bohrinseln und Infrastrukturen, die Energieberatung und die Ausbildung einer neuen Generation syrischer Ölarbeiter. Der wichtigste internationale Aspekt und das Kernstück dieses Schrittes ist jedoch die endgültige und bedingungslose Konsolidierung der russischen Interessen im Nahen Osten.»

Oilprice.com, 14 February 2018

Russlands Intervention zur Unterstützung der syrischen Regierung spiegelt die Interventionen der rivalisierenden Imperialisten (insbesondere der USA, Grossbritanniens und Frankreichs) zugunsten der regierungsfeindlichen Kräfte wider. Obwohl diese Interventionen weniger erfolgreich und zuweilen weniger direkt waren, ist der Konflikt insgesamt von zwischenimperialistischer Rivalität geprägt. Wie in der Ukraine stehen die Marxisten im syrischen Bürgerkrieg und dem ihn durchziehenden imperialistischen Kampf auf keiner Seite und fordern den Abzug aller imperialistischen Kräfte aus der Region. Wir lehnen alle Angriffe auf die Zivilbevölkerung ab und erkennen das Recht der Gemeinschaften, einschliesslich der Kurden, an, sich gegen völkermörderische Pogrome zu verteidigen.

Das spektakuläre Wiederauftauchen Russlands als imperialistische Macht ist sowohl Symptom als auch Ursache für das zunehmend zerrüttete System der zwischenimperialistischen Beziehungen. Die internationale Lage ist sehr instabil. Eine Annäherung zwischen Russland und den USA ist nicht ausgeschlossen, obwohl der amerikanische militärisch-industrielle Geheimdienstkomplex entschlossen scheint, diese Option auszuschliessen. Da sich Russland nach Osten wendet, um sein Bündnis mit China zu stärken, bleibt auch ein Block zwischen dem russischen Imperialismus und seinen deutschen/europäischen imperialistischen Konkurrenten eine Möglichkeit.

Die deutschen Kapitalisten haben auf die von Washington nach den Ereignissen in der Ukraine im Jahr 2014 geforderten westlichen Sanktionen schlecht reagiert und wurden durch Moskaus Absage der South-Stream-Ölpipeline verärgert. Deutschland ist für etwa die Hälfte seiner Erdgasimporte, 40 Prozent seiner Rohölimporte und 30 Prozent der Kohleimporte von Russland abhängig – etwas mehr als andere westeuropäische Länder (New York Times, 11. Juli 2018). Als Trump Deutschland auf dem NATO-Gipfel im Juli 2018 provozierte, weil es sich «in die Gefangenschaft Russlands begeben hat, weil es einen so grossen Teil seiner Energie aus Russland bezieht», antwortete Bundeskanzlerin Angela Merkel lapidar, dass Deutschland «seine eigene Politik machen und seine eigenen Entscheidungen treffen kann» (ebd.). Nord Stream 2 («vollständig im Besitz von Gazprom»), das verspricht, «die Kapazität der bestehenden transbaltischen Verbindung, Nord Stream 1, die seit 2011 in Betrieb ist, zu verdoppeln», soll bis Ende 2019 fertiggestellt werden (Financial Times, 17. Juli 2018). Deutschlands eifriges Engagement für dieses Projekt hat zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und anderen, eher amerikanisch geprägten europäischen Hauptstädten geführt.

Trotz der unbeständigen Beziehungen zwischen den imperialistischen Grossmächten ist es sicher, dass die Widersprüche des globalen Kapitalismus kurz- und mittelfristig zu erschütternden Veränderungen führen werden. Handelskriege und Schiessereien zwischen den imperialistischen Mächten werden in der kommenden Zeit immer mehr zu einer realen Möglichkeit. In diesem Zusammenhang ist es die Pflicht der Revolutionäre, die Perspektive der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie voranzutreiben und den Defätismus gegenüber allen imperialistischen Mächten zu vertreten. Wie immer steht der Hauptfeind im eigenen Land. Aber für Revolutionäre in den imperialistischen Zentren kann dies nicht bedeuten und hat für Leninisten nie bedeutet, die Grossmachtrivalen der eigenen Imperialisten zu unterstützen. Nur eine proletarisch-sozialistische Revolution, die den Aufbau revolutionärer Parteien auf der ganzen Welt erfordert, kann die Menschheit vor dem Alptraum des Kapitalismus und der imperialistischen Kriege retten. 1934, als sich die Sturmwolken des Zweiten Weltkriegs zusammenzogen, notierten Leo Trotzki und seine Mitdenker in «Der Krieg und die Vierte Internationale»:

«Lenins Formel ‚Die Niederlage ist das geringere Übel‘ bedeutet nicht, dass die Niederlage des eigenen Landes das geringere Übel im Vergleich zur Niederlage des feindlichen Landes ist, sondern dass eine militärische Niederlage, die aus dem Wachstum der revolutionären Bewegung resultiert, für das Proletariat und das ganze Volk unendlich vorteilhafter ist als ein militärischer Sieg, der durch einen ‚zivilen Frieden‘ gesichert wird. Karl Liebknecht hat eine unübertroffene Formel für die proletarische Politik in Kriegszeiten gegeben: «Der Hauptfeind des Volkes steht in seinem eigenen Land». Die siegreiche proletarische Revolution wird nicht nur die durch die Niederlage verursachten Übel beseitigen, sondern auch die letzte Garantie gegen künftige Kriege und Niederlagen schaffen.»

                …

«Es ist jedenfalls unbestreitbar, dass in unserer Epoche nur die Organisation, die sich auf internationalistische Prinzipien stützt und in die Reihen der Weltpartei des Proletariats eintritt, auf nationalem Boden Wurzeln schlagen kann. Der Kampf gegen den Krieg bedeutet jetzt den Kampf für die Vierte Internationale!»

Quelle: bolshevik.org… vom 7. September 2022; Übersetzung durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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