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Frankreich: 1. Mai 23 v.a. in der „Provinz“ stark, Polizeigewalt flächendeckend

Eingereicht on 3. Mai 2023 – 16:13

Bernard Schmid. Beteiligung am 1. Mai 23 fiel relativ stark aus, vor allem in kleineren und mittleren Städten – doch historisch sieht anders aus – Zahlreiche Zusammenstöße, Verletzte (auch Polizisten) und Festnahmen, vor allem doch nicht nur in Paris; neuerliche Diskussionen um „Missbrauch von Polizeigewahrsam“ – Urteil des Verfassungsgerichts über zweite Referendumsinitiative wird am heutigen Mittwoch erwartet, voraussichtlich negativ – Nach einem Treffen der intersyndicale am gestrigen Dienstag: nächster, vierzehnter Aktionstag am 06. Juni d.J. im Vorgriff auf die parlamentarische Befassung mit dem Rückholantrag einer Oppositionsfraktion (LiOT) bei der geplante Debatte vom 08. Juni – politische Krise bleibt bestehen, Legitimitätskrise erscheint intensiv; Emmanuel Macron musste bei seinem Auftritt am Samstag Abend im Fußballstadion zurückstecken, Ministerbesuche werden nicht länger angekündigt – doch Perspektivproblem zeichnet sich ab – Die CFDT strebt explizit zurück an den Verhandlungstisch mit der Regierung (zu anderen Themen), die Position der CGT erscheint noch unschlüssig – Auch der rechtsextreme RN versuchte den 1. Mai, nach mehrjähriger Pause, zu okkupieren und hielt in der Arbeiterstadt Le Havre eine zentrale Veranstaltung ab

Wie geht es nun weiter? Die Beteiligung am diesjährigen 1. Mai in Frankreich fiel stark aus. „Historisch“ ist jedoch anders. Am Montag dieser Woche beteiligten sich zum internationalen Arbeiter/innen/feiertag laut Angaben des französischen Innenministeriums „768.000“ und laut CGT „2,3 Millionen“ Menschen (vgl. und https://www.humanite.fr/social-eco/1er-mai/23-millions-de-manifestants-dans-toute-la-france-un-1er-mai-historique-793108 sowie https://www.francebleu.fr/infos/economie-social/retraites-les-syndicats-appellent-a-une-mobilisation-massive-suivez-la-journee-du-1er-mai-7544969) an den Demonstrationen und Protestzügen, die zugleich den dreizehnten „Aktionstag“ in Folge (seit dem 19. Januar dieses Jahres) ausmachten. Dadurch fiel die Beteiligung am ersten Mai wesentlich stärker aus als im Vorjahr, als bei den Demonstrationen nichts sonderlich Aktuelles auf dem Spiel stand – damals am 01.05.2022, nahmen unter 100.000 Menschen insgesamt teil -, doch laut Angaben beider Seiten, Innenministerium und Gewerkschaften, auch niedriger als an mehrerer der vorausgegangenen „Aktionstage“ wie etwa am 07. Februar oder auch am 07. März dieses Jahres (beim Letztgenannten: „1,28 Millionen“ laut behördlichen Angaben und „3,5 Millionen“ laut gewerkschaftlichen Zahlen (vgl. https://www.leparisien.fr/economie/retraites/greve-du-7-mars-35-millions-de-manifestants-en-france-selon-la-cgt-128-million-pour-le-ministere-de-linterieur-07-03-2023-YQ3J53L625ANRBCPXZYP5SSQS4.php).

Mehrere gewerkschaftliche Stimmen hatten im Vorfeld einen „historischen, eine Ausnahme darstellenden und außerordentlichen“ ersten Mai angekündigt (vgl. bspw. https://www.midilibre.fr/2023/04/30/manifestations-du-1er-mai-inedit-exceptionnel-historique-promet-sophie-binet-11167684.php und auch https://www.youtube.com/watch?v=QY5WHmUmlFg ). Unterschiedliche Medien hatten zunächst übereinstimmend berichtet, es habe sich um den dritten, zusammen durch alle wichtigen französischen Gewerkschaften begangenen 1. Mai, seit dem von 1936 (Jahr des Generalstreiks sowie des Wahlsiegs des linken Front populaire-Bündnisses) und dem gegen den damals noch überraschenden Präsidentschaftswahl-Teilgewinner und Stichwahlkandidaten Jean-Marie Le Pen gerichteten 01.05.2002 gehandelt. Nuancierend könnte man dem noch hinzufügen, dass es auch im Krisenjahr oder Krisenfolgenjahr 2009 – also während der, zu dem Zeitpunkt allerdings bereits abflauende, Proteste gegen die Abwälzung der sich aus der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 ergebenden Krisenlasten auf die Lohnabhängigen – einen gemeinsamen Aufruf aller relevanten Gewerkschaften zum 1. Mai gegeben hat, jedenfalls in Paris; während jedoch in „Provinz“städten damals der drittstärkste Dachverband Force Ouvrière (FO), wie oft, Extrawürste briet. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/actualite-france/2009/05/01/01016-20090501ARTFIG00077-defiles-du-1er-mai-une-mobilisation-unitaire-.php und im Vorfeld: http://archiv.labournet.de/internationales/fr/generalstreik09.html) (Nun blieb jedenfalls der 1. Mai 2009 in nicht gar so guter Erinnerung haften, weil zuvor die Gewerkschaftsverbände die abhängig Beschäftigten zwei mal zu Millionen spazieren führten – mit jeweils rund zwei Millionen Menschen umfassenden Demonstrationen am 29. Januar sowie 19. März jenes Jahres -, ohne aber darüber hinaus eine einzige zentrale Initiative zu ergreifen.)

Eine rekordträchtige Mobilisierung wurde am vorgestrigen Montag vor allem in, verglichen zu Paris, Marseille oder Lyoner, kleineren (und mittleren) französischen Städten verzeichnet. Vgl. dazu Dax, Rochefort, die Normandie, die Départements Drôme und Ardèche (Rhône-Tal):

In der Hauptstadt Paris demonstrierten lt. Innenministerium „116.000“ und laut Zahlen der CGT „555.000“ Menschen. Dies ist zwar beträchtlich, liegt jedoch unterhalb des Niveaus, das an mehreren vorausgehenden Aktionstagen gegen die Renten„reform“ im Februar und März dieses Jahres erreicht worden war. Hingegen fiel jene beim zuvor letzten, zwölften „Aktionstag“ am 14. April dahinter bereits zurück. (Die Redaktion von Labournet schrieb damals, dies könne auch „mit den Schulferien“ zusammenhängen. Dies stimmt so nicht, denn die Schulferien hatten damals im Raum Paris gar nicht begonnen. Hingegen befindet sich die „Zone C“, in welcher auch Paris liegt – eine von drei Schulferienzonen in Frankreich (vgl. https://www.vacances-scolaires-gouv.com/carte-zones-scolaires – derzeit tatsächlich in den Schulferien; dies dauern in diesem Frühjahr vom 24. April bis zum 08. Mai an.)

Glasscherben dominieren Berichterstattung; frankreichweit 540 Festgenommene

Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit zog, neben dem durchaus erwarteten, doch relativ (!) hohen Mobilisierungsniveau, das Ausmaß von Zusammenstößen zwischen wahlweise aktivistischen Kleingruppen und/oder Teilen der Demonstration und den „Sicherheitskräften“, Sachschäden, Tränengaseinsätzen auf sich.

Diese dürften bis zu 90 % der visuellen, also über Bilder vermittelten Berichterstattung ausgemacht haben; in der Wortberichterstattung (gesprochen oder geschrieben) nahmen sie hingegen keine dermaßen zentrale Rolle ein.

Am Abend des 1. Mai wurden von staatlicher Seite zunächst rund 200 verletzte Angehörige von Polizei und Gendarmerie verkündet; am darauffolgenden Vormittag wurde diese Zahl jedoch auf „406“ hoch korrigiert, „unter ihnen 259 in Paris“ (vgl. dazu u.a.: https://www.leparisien.fr/faits-divers/manifestation-1er-mai-406-policiers-et-gendarmes-blesses-annonce-gerald-darmanin-02-05-2023-OOVG3YUFCZC4RGB434JEY4CR2E.php, zunächst hieß es noch 108 unter Bezug auf Paris: https://www.20minutes.fr/societe/reforme_des_retraites/4035025-20230501-manifestation-1er-mai-direct-intersyndicale-appelle-mobilisation-exceptionnelle). Diese Angabe ist für uns nicht zu überprüfen; ist in einigen Einzelfällen nicht auszuschließen, dass Polizist/inn/en oder Gendarmeriebeamte zu viel Reizgas einatmeten – in einem Fall scheint sich herauszuschälen, dass sich ein Gendarm durch einen Granatenschuss von Kollegen Rückenverletzungen zuzog ( https://www.liberation.fr/checknews/manif-du-1er-mai-a-paris-un-gendarme-a-t-il-ete-blesse-par-lun-de-ses-collegues-avec-une-grenade-20230503_3CUCQ5QMVRCAXAXU5TC5YWQHFQ/) -, so widerspiegeln sie jedoch auch eine gewisse Realität. In Paris wurde ein Polizist infolge des Wurfs eines Molotow-Cocktails mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert. (Vgl. https://www.midilibre.fr/2023/05/01/video-manifestations-du-1er-mai-un-policier-gravement-brule-a-paris-darmanin-denonce-ceux-qui-veulent-tuer-du-flic-11169028.php und https://rmc.bfmtv.com/actualites/police-justice/le-visage-et-les-bras-brules-un-policier-gravement-blesse-par-un-cocktail-molotov-a-paris_AV-202305020212.html sowie https://www.bfmtv.com/paris/manifestation-du-1er-mai-a-paris-le-policier-brule-par-un-cocktail-molotov-toujours-hospitalise_AV-202305020290.html)

Neben Paris kam es u.a. in Lyon (von polizeilicher Seite wurden dort wiederum 800 Gasgranaten innerhalb von acht Stunden verschossen ( https://tribunedelyon.fr/societe/1er-mai-a-lyon-plus-de-800-grenades-lacrymogenes-en-8-heures/), Grenoble und Montpellier zu nicht geringfügigen Sachschäden.

An entsprechenden Aktivitäten waren mutmaßlich Menschen mit unterschiedlichen Beweggründen beteiligt. Zunächst gibt es Personen, die regelmäßig an Aktionen des so genannten schwarzen Blocks teilnehmen – bei diesem handelt es sich nicht um eine festgefügte Organisation, sondern im Kern eher um eine Methode – und u.U. glauben, dessen Vorgehensweisen seien in irgendeiner Weise zur Veränderung der Gesellschaftsordnung am besten geeignet. Diese Personengruppe fühlt sich dadurch bestätigt, dass in ihren Augen ein Dutzend massiver, bis Mitte März d.J. überwiegend friedlich verlaufener, doch bislang politisch ergebnisloser Demonstrationen „nichts gebracht“ (vgl. einen Bericht dazu in Leitmedien: https://rmc.bfmtv.com/replay-emissions/apolline-matin/je-soutien-le-black-bloc-marre-des-manifs-gentilles_VN-202305020186.html) habe; was man bis zu dem Punkt nachvollziehen kann, jedoch nicht im Umkehrschluss bedeutet, dass die Freundinnen-und-Freunde-der-Glasscherben durch das Zerdeppern von Bankautomaten oder manchmal auch Bushaltestellen unvergleichlich viel mehr erreicht hätte. Einem solchen harten Kern gesellt sich nun eine wachsende Anzahl von Personen ohne entsprechende Vorerfahrung oder Vorlauf in vergleichbaren Gruppen hinzu, die ihrerseits zu der Auffassung kamen, es helfe ja sonst nichts mehr, und hier werde wenigstens etwas unternommen. (Vgl. wiederum in Leitmedien: https://www.lefigaro.fr/vox/societe/desormais-des-gens-lambda-rejoignent-les-activistes-du-black-bloc-ou-le-soutiennent-20230502 sowie https://www.sudouest.fr/justice/manifestation-du-1er-mai-anatole-22-ans-un-etudiant-sans-histoire-juge-pour-violences-sur-policiers-15010244.php und https://www.lalibre.be/etudiant/2023/05/03/je-me-suis-laisse-emporter-par-le-groupe-anatole-22-ans-un-etudiant-francais-sans-histoire-juge-pour-violences-sur-policiers-PAFKSVSKINC7LGAPHD7QMINFXQ/) Und, nicht zu vergessen, auch lebensorientierte Jugendliche oder Jungmänner auf Adrenalin-Suche dürfen sich mitunter angesprochen fühlen.

Im Vorfeld hatten Regierungsquellen in den Medien bereits beschworen, zum diesjährigen 1. Mai werde in Paris das Zusammenkommen eines ein- bis zweitausendköpfigen schwarzen Blocks erwartet. Aus diesem Grunde würden 5.000 Polizei- und Gendarmerie-Bedienstete in Paris zusammengezogen, frankreichweit ihrer 12.000 mobilisiert. Dadurch, und in Verbindung mit den Ankündigungen, wirkte das Ganze aber erst recht wie ein Magnet auf ein entsprechendes Publikum. Journalist/inn/en bürgerlicher Leitmedien berichteten von Spanisch sprechenden Menschen, welche sie im schwarzen Block beobachtet hätten. Der Autor dieser Zeilen hörte zwar aus diesem Anlass kein Spanisch, wohl aber schwarzgekleidet-eingemummte Menschen – der Stimme zufolge junge Männer – an vorderster geographischer Stelle (kurz vor dem Eintreffen der Demonstration am Abschlussort, die „heißen“ Stellen befinden sich meist vor der offiziellen Demo) auf Deutsch in Telephone hineinsprechen. Revolutionstouristen ohne Revolution… Na, danke auch…

Zu den wohl dümmsten Aktionen am Rande des diesjährigen 1. Mai zählte die Demontage des Stands der Französischen kommunistischen Partei – des PCF -, bei der auch zwei Personen verletzt wurde. Auch wenn an der betreffenden Partei derzeit vor allem ihr Name „kommunistisch“ sein dürfte, verbietet sich solches Tun politisch und moralisch von selbst.

Polizeiliche Übergriffe, Festnahmen, auch die eines Gewerkschaftsprominenten

Im Kontext desselben Tages kam es selbstredend auch zu den erwarteten Polizeibrutalitäten. Eine Praktikantin aus der Kanzlei des Verfassers dieser Zeilen verfügte am Tag nach dem 1. Mai selbst über einschlägige Aufnahmen, in denen man Polizisten auf der place de la Nation – dem Abschlussort, welcher jedoch über längerer Zeiträume hinweg in Teilen in dichten Tränengasnebel eingehüllt war, so dass Menschen seitlich von ihm ankamen und aus der Demo ging, was i.Ü. quantitative Schätzungen zusätzlich erschwert – auf bereits am Boden liegende Personen einprügeln sah.

Allem Anschein nach wurde von staatlicher Seite erneut auf das Mittel massiver Aufgriffe und In-Gewahrsam-Nahme auch bei Personen, die mit den vorgenannten Ereignissen schlicht nichts zu tun hatten, zurückgegriffen. Insgesamt wurden frankreichweit 540 Festnahmen im Laufe dieses 1. Mai verzeichnet.

Was die Anzahl verletzter Demonstrant/inne/en und Protest-Teilnehmer/innen betrifft, gibt wiederum die Staatsmacht ihrerseits an, dass diese für sie nicht überprüfbar sei. In den Worten v. Innenminister Gérald Darmanin, welcher erneut mit nicht zu belegenden Vorwürfen um sich warf, wonach „Linksradikale“ mit unzweideutiger „Tötungs-, Mord-Absicht“ unterwegs gewesen seien.

Eine vorläufige Zählung verletzter Personen aus der Demonstration durch die street medics kam laut einer Nachricht auf der „Anti—Repressions-“Mailingliste vom Dienstag, den 02. Mai zu folgenden Ergebnissen für Paris (Stand am Montag um 20 Uhr): „200 verletzte Teilnehmer/innen und Passanten, darunter dreißig Schwerverletzte; 2.000 Personen wurden wegen Tränengasschädigungen behandelt.“

Unter den Festgenommenen befindet sich auch der frühere CGT-Streikführer bei Continental (vgl. https://archiv.labournet.de/branchen/chemie/conti/contiurteil2.html) und nunmehrige Comedian, Xavier Mathieu; für ihn findet am heutigen Mittwoch Vormittag eine Solidaritätskundgebung vor dem Pariser Justizhochhaus statt. Von staatlicher Seite verlautbarte, gegen ihn solle wegen „tätlicher Angriffe au Polizisten“ sowie „Vermummung“ ein Strafprozess eröffnet werden. Der Betreffende selbst bestreitet sämtliche Vorwürfe. (Vgl. https://www.leparisien.fr/faits-divers/le-comedien-et-ex-syndicaliste-xavier-mathieu-sera-juge-pour-des-violences-sur-des-policiers-02-05-2023-MDD7JR4VPRFDFOEKIRB3XXJDZ4.php)

Gewerkschaftsbeschlüsse und Sonstiges

Am heutigen Mittwoch, den 03. Mai d.J. wird der Beschluss des französischen Verfassungsgerichts zur zweiten Referendumsinitiative, auf dem Hintergrund der Verfassungsbestimmungen aus dem Jahr 2008 zur (schwer zu erreichenden) „Abstimmung durch Volksinitiative“, erwartet.

Ein erster Referendumsvorschlag – ein solcher muss vom Verf.gericht genehmigt werden, soll er durch eine Volksinitiative (durch das Sammeln von zwischen 4,5 Millionen und fünf Millionen Unterschrifte, also denen von zehn Prozent aller Stimmberechtigten) zur Abstimmung gebracht werden – war vom Conseil constitutionnel am 14. April diese Jahres abgeschmettert worden, zeitgleich zu seiner Entscheidung, die Renten„reform“ in weitesten Zügen als „verfassungskonform“ einzustufen. Dieses erste Referendumsprojekt hatte einen Satz zum Gegenstand, welcher so formuliert war, dass er die Festlegung eines höher als 62 liegenden gesetzlichen Renten-Mindestalters verboten hätte. Das Verfassungsgericht lehnte dies ab mit der Begründung, dies sei ja bereits Gesetzeslage (…während es quasi im selben Atemzug den Text durchwinkte, welcher ihr ein Ende setzt und eine Anhebung auf 64 bewirkt).

Bei der zweiten Vorlage von Abgeordneten der Linksopposition ginge es um einen Satz, welche zur Anhebung des Rentenalters alternative Finanzierungsmethoden für die Rentenreform begünstigt, mittels Anhebung von Steuern auf Reiche respektive Unternehmen. In breiten Kreisen wird mit einer Ablehnung durch das Verfassungsgericht gerechnet. (Auch vom Verfasser dieser Zeilen, da der Verfassungstext von 2008 es verbietet, fiskalpolitische/steuerliche Fragen einem Referendum zu unterziehen.)

Laut jüngsten Veröffentlichungen gewannen die französischen Gewerkschaften im Zusammenhang mit den aktuellen sozialen Auseinandersetzungen gewachsen. Die CGT gewann demnach seit Januar dieses Jahres 30.000 Mitglieder hinzu, die CFDT ihrerseits gibt ihren Zuwachs etwas präziser mit gut 31.500 an. (Vgl. https://www.francebleu.fr/infos/societe/retraites-les-syndicats-enregistrent-une-hausse-des-adhesions-depuis-le-debut-du-mouvement-5589686 oder https://www.francetvinfo.fr/economie/syndicats/ni-morts-ni-out-ni-has-been-les-syndicats-recuperent-des-dizaines-de-milliers-de-nouveaux-adherents-grace-au-mouvement-contre-la-reforme-des-retraites_5800124.html)

Im Übrigen spricht auch die linke Wahlplattform LFI, „Das unbeugsame Frankreich“, ihren Mitgliederzuwachs seit Jahresbeginn mit „30.000“ an. Allerdings waren es in zentralen Jahren der Arbeiterbewegung, 1936 oder 1968, zu einem ähnlichen Zeitpunkt Hunderttausende gewesen.

Die entscheidende Frage lautet allerdings, was strategisch denn nun von ihrer Seite her passiert.

Auf Seiten der CFDT verkündete ihr zum 21. Juni dieses Jahres aus dem Amt scheidende Generalsekretät am 30. April – just am Vorabend des ersten Mai -, es sei nicht durchzuhalten, Treffen mit der amtierenden Premierministerin Elisabeth Borne länger zu boykottieren. Auch ohne die übrigen Dachverbände, wie CGT und FO, werde die CFDT im Falle einer Einladung hingehen. Hingegen erscheint die Position des Dachverbands CGT bislang zögerlicher und schwankt zwischen Ablehnung (aufgrund bleibender Opposition gegen die durchgedrückte Rentenreform) und notwendiger Akzeptanz, falls es um eine Anhebung der Löhne gehen solle.

Am Vormittag des 02. Mai traf sich die intersyndicale, das Aktionsbündnis der Gewerkschaften gegen die Rentenreform, und einigte sich auf einen kommenden vierzehnten Aktionstag am 06. Juni dieses Jahres. Das ist erst in circa sechs Wochen, jedoch am Vor-Vortag des 08. Juni. An jenem Tag möchte eine kleinere Oppositionsfraktion, LIOT – ein Zusammenschluss von Liberalen-, Regional- und Überseeparteien – in die Nationalversammlung einen Rückholantrag einholen, um die (durch Rückgriff auf den inzwischen berühmte Verfassungsartikel 39 absatz 3) ab dem 16. März d.J. verhinderte Abstimmung der Abgeordneten über die Anhebung des Rentenalters durch Artikel 7 des «Reform»gesetzes doch noch durchzuführen.

Näheres folgt, ebenso wie zum zurückliegenden 1. Mai der französischen Rechtsextremen in Le Havre – und zu den politischen Schwierigkeiten für Emmanuel Macron und Umgebung!

Quelle: labournet.de… vom 3. Mai 2023

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