Covid-19 und die Grenzen des Systems – Das Leben als Krankenpfleger
«Die Krise schlägt sich hauptsächlich auf unsere Moral nieder und manifestiert sich gleich wie im Rest der Gesellschaft, nämlich durch Stress, Unsicherheit, Angst, etc. Diese Sorgen sind bei uns aber noch realer, da wir direkt mit von der Epidemie betroffenen Menschen zu tun haben. » Wir publizieren ein Interview mit einem Angestellten aus dem Gesundheitsbereich.
Welche Auswirkungen hat die Gesundheitskrise auf das Krankenhauspersonal?
Ich bin Krankenpfleger und werde daher nur über meine eigenen Erfahrungen und die Aussagen meiner Kollegen aus anderen Einheiten berichten. In der Zeitung kann man lesen, dass die Lage sehr angespannt ist – so muss man es sich auch bei uns vorstellen.
Die Krise schlägt sich hauptsächlich auf unsere Moral nieder und manifestiert sich gleich wie im Rest der Gesellschaft, nämlich durch Stress, Unsicherheit, Angst, etc. Diese Sorgen sind bei uns aber noch realer, da wir direkt mit von der Epidemie betroffenen Menschen zu tun haben. Hinzu kommt, dass wir quasi kein Privatleben mehr haben, da wir keinen Urlaub machen dürfen, zusätzliche Schichten übernehmen müssen und jederzeit auf Abruf sind. Das ist natürlich unser normaler Job während einer Pandemie, führt bei uns aber zu Dauerstress. Alles geht viel schneller und ändert sich jeden Tag – was morgen sein wird, weiss keiner.
Fühlst du dich ausreichend geschützt?
Derzeit gibt es im Genfer Unispital relativ wenige Fälle von COVID. Wie es weitergeht, hängt von den Studien ab, die wir in Betracht ziehen. Es ist verrückt, dass wir uns der Art der Übertragung des Virus nicht besser bewusst sind. Wenn es sich um eine Kontaktübertragung handelt, sind wir mit Masken, Handschuhen und Desinfektionsmittel relativ gut geschützt. Handelt es sich jedoch um eine Luftübertragung, wie einige Professoren behaupten, sind wir eindeutig gefährdet. Wir bräuchten dann zum Beispiel Atemschutzmasken, Hygienehauben und Kittel.
Halten Sie die getroffenen Maßnahmen für ausreichend?
Es ist ein Anfang, aber wir können nicht alle Symptome heilen, bevor wie die Ursache bekämpft haben. Es ist unmöglich, die Betroffenen zu behandeln, ohne die Übertragung einzudämmen. Das Krankenhaus wird ohnehin bald überfordert sein, aber ohne eine rasche Eindämmung wird die Anzahl der Fälle dramatisch zunehmen. Die Aussicht ist alarmierend, obwohl wir über die technischen Mittel verfügen, um alle Betroffenen zu heilen, lassen unsere materiellen und personellen Ressourcen dies nicht zu. Ich möchte daran erinnern, dass COVID selber nicht sehr tödlich ist. Es ist dieses Fehlen von Material und Personal, das diese Todesfälle verursachen wird. Wir werden Menschen aus Mangel an medizinischer Überwachung sterben lassen.
Wie hat sich aus deiner Sicht das Schweizer Gesundheitssystem in den letzten Jahren entwickelt?
Die neoliberale Politik in der Schweiz ist für den desolaten Zustand der öffentlichen Krankenhäuser direkt verantwortlich. Ihre verheerenden Auswirkungen sind in Frankreich und Italien in noch dramatischeren Ausmassen beobachtbar. Die Budgets schrumpfen, obwohl die Bevölkerung wächst und überaltert. Beispiele für Sparmassnahmen sind der Victoria-Plan 2007 (80 Millionen Budgetkürzungen für das Krankenhaus) und der Per4rmance-Plan von 2012 (75 Millionen). Wir werden ständig aufgefordert, mit weniger mehr zu erreichen. Diese liberale Politik zielt darauf ab, die Kosten zu senken und die Rentabilität des öffentlichen Dienstes zu steigern – Krankenhäuser sollen wie Unternehmen geführt werden. Wir spüren im Arbeitsalltag auch den Druck von Privatversicherungen und des Krankenversicherungsgesetzes. Diese Entwicklungen sind falsch und jetzt in der Pandemie für alle erkennbar.
Kannst du das erklären?
Diese COVID-Krise kommt zu einer Zeit, in der alle Teams just-in-time arbeiten. Menschen, die in den Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. Es gibt auch eine Jagd nach Fehlzeiten ohne echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Wir müssen unsere Ferien abbrechen, wenn unsere Kollegen krank werden, weil keine Temporäre mehr verfügbar sind. Die Teams der Notfall- und Intensivstation (die zusammen mehr als 400 Pflegekräfte umfassen) leiden schon seit Jahren: Die Rate an Burn-outs, Überlastung und Abgängen ist extrem hoch. Massive Überstunden sind auf diesen zwei Stationen Alltag. Die Arbeitsumgebungen sind hier auch ohne COVID bereits unerträglich – dieser Virus enthüllt hier die Grenzen des Systems.
Quelle: derfunke.ch… vom 27. März 2020
Tags: Covid-19, Gesundheitswesen, Service Public, Steuerpolitik
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