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Kriegspropaganda: Experten von „Denkfabriken“ steuern den politischen Diskurs

Eingereicht on 13. Juni 2023 – 10:12

Florian Rötzer. Experten und Berichte von „Denkfabriken“, die Lobbyorganisationen des militärisch-industriellen Komplexes sind, beeinflussen über Medien die Politik und die Öffentlichkeit.

In Kriegen gibt es immer Profiteure, allen voran die Rüstungskonzerne und ganz allgemein der militärisch-industrielle Komplex mitsamt der Sicherheitsbranche und seinem politischen und gesellschaftlichen Beeinflussungs- oder Lobbyapparat. Natürlich verdient der Rüstungs- und Sicherheitssektor nicht nur dann, wenn Kriege ausgebrochen sind, sondern auch im Vorfeld oder im Nachhinein.  Dazu muss die Sicherheitslage mit ihren Gefahren und Bedrohungen geschildert werden. Das machen die Verteidigungsministerien, Geheimdienste und andere Behörden, die ihr Budget und ihren Einfluss sichern und verstärken wollen, aber auch zahlreiche Organisationen und Interessenverbände mit ihren „Experten“, die angeblich unabhängig ihre Einschätzungen in die Öffentlichkeit tragen, so dass Politiker und Konzerne sich darauf berufen können.

In Deutschland ist die enge Verbindung zwischen Abgeordneten, Kriegsbefürwortung und Forderungen nach immer mehr Waffenlieferungen und Interessenverbänden nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine anhand der FDP-Politikerin Strack-Zimmermann in den Blickpunkt gerückt. Sie war womöglich wegen oder ungeachtet ihrer Verbindungen von der Ampel-Regierung zur Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses gemacht worden. Sie ist Mitglied im Präsidium des „Förderkreis Deutsches Heer“ des Bundestags, in dem auch Vertreter von Rüstungskonzernen, Sicherheitsfirmen und anderen Unternehmen sind, der von der Bundesregierung geförderten Deutsch-Atlantischen Gesellschaft und vor allem in der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“, wo sie bis Mai im Präsidium tätig war, wie auch weitere Abgeordnete, die im Verteidigungsausschuss sitzen. Verräterisch ist auch, dass sie auch im  Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ist, wo auch die Experten Carlo Masala, Sönke Neitzel, Joachim Krause oder Peter Neumann zu finden sind, die man oft in Talkrunden sieht, und dessen Sprecher Roderich Kiesewetter (CDU) ist.

Es spielt keine Rolle, ob Strack-Zimmermann – und andere Abgeordnete im Verteidigungsausschuss – etwa direkt von Rüstungsaufträgen profitiert – darauf gibt es keine Hinweise -, sondern dass sie sich in einem Netzwerk bewegt, das die Bundeswehr, die Rüstungskonzerne und überhaupt die militärische Positionierung Deutschlands verstärken will und eben daraus auch ihr Einfluss auf die Politik, Medien und Öffentlichkeit erwächst. Für sie ist es karrierefördernd, wegen ihrer Verbundenheit mit dem militärisch-sicherheitspolitischen Netzwerk kann sie als Expertin ausgegeben werden. So können Rüstung als Friedensleistung und Waffenlieferungen als Beitrag zum Frieden dargestellt werden. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wirbt: „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“.

Scheinbar unabhängige Experten

Für die USA, Hauptunterstützer und Hauptwaffenlieferant der Ukraine, hat Ben Freeman vom Quincy Institute einen Bericht über den Filz von Rüstungskonzernen und den von ihnen finanzierten „gemeinnützigen“ „Denkfabriken“ veröffentlicht, die an der Schnittstelle zwischen – auch vom Pentagon geförderten – Universitäten und Politik stehen. Deren Experten treten häufig in Anhörungen vor dem Kongress auf, da sie eingeladen werden, um eine bestimmte Politik zu stärken, und werden als scheinbar unabhängige Organisationen in Medien zitiert, können Kommentare schreiben oder treten als Interviewpartner auf. Dabei gibt es eine Drehtüre zwischen Politik, Wirtschaft und „Denkfabriken“, deren Experten einen Job im Kongress oder in der Regierung erhalten, während umgekehrt Politiker oder Pentagon-Mitarbeiter in diese wechseln, was den Filz verstärkt.

Schon der Ausdruck „Denkfabrik“ (think tank) ist eine groteske Verschleierung der Wirklichkeit. Die „tanks“ denken vor allem an das Wohl ihrer Finanziers, wofür sie auch gegründet wurden. Es sind in Wahrheit Lobby-Organisationen. Das hat sich auch im Ukraine-Krieg gezeigt. Die größten außenpolitischen „Denkfabriken“ erhalten Gelder von der Rüstungsbranche, sie dominierten die Medienberichterstattung, aber sagen in der Regel natürlich nicht, dass die Waffen, die unbedingt in die Ukraine geliefert werden sollen, von ihren Geldgebern stammen.

„Die überwiegende Mehrheit von Hinweisen auf Think Tanks in Artikeln über US-Waffen und den Ukraine-Krieg stammen von Think Tanks, deren Geldgeber von US-Militärausgaben, Waffenverkäufen und in vielen Fällen auch direkt von der US-Beteiligung am Ukraine-Krieg profitieren“, schreibt Freeman. Bekanntlich geht es um eine massive Unterstützung von bislang fast 40 Milliarden US-Dollar nur an Waffenhilfe, davon 21 Milliarden durch Presidential Drawdown Authority, die letzte und 39. am 31. Mai in Höhe von 300 Millionen. Nicht vergessen, dass der Rüstungshaushalt wieder auf ein neuen Rekordhoch auf dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und des erwarteten Konflikt mit China gestiegen ist.

Ein Beispiel ist Jeremy Bash, der unter Präsident Obama als Stabschef im Pentagon und in der CIA tätig war, hat danach 2013 gleich die Beraterfirma Beacon Global Strategies gegründet und tritt als Experte für nationale Sicherheit in Medien auf. Am 27. Februar 2022 sah er nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine darin eine günstige Gelegenheit: „Ich denke, dass dies eine Gelegenheit für die Vereinigten Staaten und den Westen sein könnte, Russlands Ambitionen auf der Weltbühne einen sehr tödlichen Schlag zu versetzen. … Ich denke, die Ukraine zu schlucken, ein Land von der Größe von Texas mit 40 Millionen Menschen, ist seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellos. Und wenn die Vereinigten Staaten die Ukrainer ausbilden und ausrüsten können und, so denke ich, in einen zweiten Charlie Wilson’s War eintreten, im Grunde die Fortsetzung des Films und des Buches, d.h. eine entschlossene Truppe bewaffnen und ausbilden, die russische Flugzeuge vom Himmel schießt, diese Panzer mit Dosenöffnern wie den Javelins öffnet und Russen tötet, was unsere Ausrüstung tut, dann ist das meiner Meinung nach eine riesige Chance, Putin sehr hart zu treffen.“

Von den 27 think tanks, deren Unterstützer überhaupt herausgefunden werden konnten, erhielten 22 oder 77 Prozent Gelder aus dem Verteidigungssektor. Da die Nennung der Geldgeber freiwillig geschieht, könnte der Anteil des Sektors an der Förderung noch höher sein. Ein Drittel der wichtigsten außenpolitischen „Denkfabriken“ veröffentlicht keine Informationen über ihre Geldgeber.

Bedenklicher aber ist, dass in 85 Prozent der Artikel in den großen Medien wie der New York Times, der Washington Post oder dem WSJ über die amerikanische Beteiligung  der USA an der Ukraine „Denkfabriken“ mit finanzieller Unterstützung aus der Verteidigungsindustrie zitiert werden, also, wie Freeman sagt, sieben Mal mehr als solche, die keine Gelder vom Pentagon akzeptieren. Und die haben im Regelfall für eine starke militärische Politik und wie etwa der Atlantic Council (Beim Ukraine-Krieg geht es nicht um die Ukraine) diplomatische Lösungen abgelehnt, während dies bei „Denkfabriken“, die kein Geld von Rüstungskonzernen oder dem Pentagon erhalten, ausgewogener zugeht. In den untersuchten Artikel wurden am meisten CSIS und Atlantic Council zitiert. Überdies weisen die Medien kaum auf die Interessenkonflikte der Experten hin, wenn es um deren Meinung zu politischen Entscheidungen geht,  die für die Rüstungsbranche von Vorteil ist.

Neocon-Beeinflussungsorganisation: Institute for War Studies

Seltsamerweise taucht das Institute for War Studies (ISW) in dem Bericht nicht auf, das 2007 von Necons während des Irak-Kriegs gegründet in enger Beziehung zum Pentagon gegründet wurde und derzeit mit seinen täglichen Berichten zum Stand des Kriegs in der Ukraine vielen Medien als verlässliche, jedenfalls viel zitierte Quelle dient. Auch das ISW wird von Rüstungskonzernen wie General Dynamics, früher Raytheon, Palantir, Northrop Grumman und CACI, weniger bekannte Rüstungs- und Sicherheitsfirmen wie Avantus und Konzernen wie General Motors, die Aufträge von Rüstungskonzernen erhalten, finanziert. ISW berichtet nicht falsch, aber oft mit einem Dreh zugunsten der Ukraine als dem Stellvertretermilitär der USA und der Nato.

Schon zu früheren Gelegenheiten vertrat ISW, gegründet von Kimberly Kagan  kriegerische Positionen, im Irak-Krieg und im Afghanistan-Krieg wurde die Truppenaufstockung (surge) unterstützt, in Syrien wurde ein stärkerer militärischer Einsatz und Waffenlieferungen an „gemäßigte“ Rebellen gefordert, ebenso weitere Raketenangriffe und militärisches Vorgehen gegen Assad. Die propagierte aggressive Militärpolitik führt die Position des von William Kristol and Robert Kagan 1998 gegründeten berüchtigten Project for the New American Century (PNAC) fort, das den Irak-Krieg propagierte und für Interventionismus sowie die Vormachtstellung der USA eintrat. Kristol ist im Beirat des ISW ebenso wie Ex-General David Petraeus, der als ISAF- und später als Central-Command-Kommandeur Kimberley und ihren Mann Frederick Kagan zu seinen Beratern machte. Er vertritt die Position, Verhandlungen mit Russland abzulehnen, bis die Ukraine mit westlicher Unterstützung militärische Erfolge erzielen kann.

Frederick Kagan ist ein militanter Neokonservativer wie sein bekannterer Bruder Robert Kagan, Fellow bei der „Denkfabrik“ Brookings Institution, seit 1983 in der Politik tätig, und verheiratet mit Victoria Nuland. Sie wurde bekannt als Unterstützerin der Maidan-Bewegung und Bildung der neuen Regierung nach dem Sturz von Janukowitsch („Fuck the EU“). Sie war Beraterin von Vizepräsident Dick Cheney (ebenso bei PNAC wie Paul Wolfowitz, Donald Rumsfeld oder John Bolton), unter Obama/Biden Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs, Vorsitzende des Center for a New American Security (CNAS), Beiratsmitglied des National Endowment for Democracy, Fellow bei der Brookings Institution, Beraterin der Albright Stonebridge Group  und jetzt unter Biden Staatssekretärin im Außenministerium für politische Angelegenheiten. Sie ist und war eine entscheidende Figur in der ukrainischen und antirussischen Politik von Washington, sie befürwortet die Aufrüstung des US-Militärs und sieht die USA als führende Nation der Welt (Biden will Victoria Nuland wichtigen Posten im Außenministerium verschaffen; Victoria Nuland: Die USA werden die Ukraine bei einem Atomwaffenangriff nicht alleine lassen).

Quelle: overton-magazin.de… vom 13. Juni 2023

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