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Revolution und Konterrevolution in der DDR

Eingereicht on 5. November 2019 – 11:51

Bruno Tesch. 2019/2020 jährt sich die Todeskrise der DDR, die schließlich in der Restauration des Kapitalismus, Wiedervereinigung und Stärkung des deutschen Imperialismus mündete. In dieser Ausgabe der Neuen Internationale skizzieren wir Entstehung und Niedergang der DDR, also die Ursachen, die 1989/90 zu Revolution und Konterrevolution führten.

Nachkriegsordnung

Bereits vor der Niederwerfung des deutschen Faschismus wurden Pläne zur territorialen Neuordnung in Mitteleuropa entworfen. Nach dem Sieg der Alliierten traten jedoch die grundlegenden Gegensätze zwischen den Systemen, der nunmehr von den USA als zentraler imperialistischen Macht geführten „freien“ Welt einerseits und dem degenerierten ArbeiterInnenstaat Sowjetunion andererseits, hervor.

Die Absichten von Teilen der US-Bourgeoisie zur Zerstückelung und der Morgenthau-Plan von 1944 zur Deindustrialisierung Deutschlands wurden daher recht rasch zugunsten einer modifizierten imperialistischen Strategie fallengelassen: dem Marshallplan (European Recovery Program). Danach sollten die von der Roten Armee besetzten Gebiete durch gezielte Wirtschaftshilfe dem Einfluss der Kreml-Bürokratie entrissen werden. Das gelang jedoch nicht. So wurden die geopolitisch und ökonomisch unverzichtbaren Westzonen Deutschlands mittels Marshallplan zum Bollwerk und Brückenkopf gegen den Stalinismus ausgebaut.

Die stalinistischen Pläne waren von Sicherheitsdenken geleitet: Deutschland sollte als entmilitarisiertes, neutrales, jedoch durchaus bürgerlich geführtes und ungeteiltes Land als Pufferstaat gegen den imperialistischen Westen dienen. Dieser Plan Moskaus wurde aber durch den Aufbau eines westdeutschen Separatstaates durchkreuzt. Folglich blieb auch hier keine Wahl mehr, die Kreml-Bürokratie musste nachziehen und auf ihrem Besatzungsgebiet einen ArbeiterInnenstaat als Schutzzone etablieren.

Somit geriet Deutschland zum zentralen Ort der Blockkonfrontation. Schließlich führte die Teilung des Landes auch zu einer Aufteilung der ArbeiterInnenbewegung unter die Apparate von SED und SPD, die – wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln – ein politisches Monopol über „ihren“ Teil der Bewegung ausübten. Zweifellos hatten beide ein beachtliches Eigeninteresse daran und an der Säuberung der Bewegung von allen widerspenstigen Elementen. Zugleich waren sie aber auch verlängerte Arme der führenden politisch-militärischen Kräfte „ihres“ Blocks zur Kontrolle der jeweiligen ArbeiterInnenklasse.

Degenerierter ArbeiterInnenstaat

Die stalinistische Sowjetbürokratie ging in der späteren DDR nicht wie teilweise in Osteuropa über den Umweg der anfänglichen Mitbeteiligung bürgerlicher Parteien vor. Die Militäradministration der Roten Armee bestimmte direkt die Politik. Sie schob jeglicher freier Entfaltung der ArbeiterInnenbewegung im Osten einen Riegel vor. Die eigenständigen Volkskomitees wurden aufgelöst, das Streikrecht abgeschafft. Als verlängerter Arm dieser Politik diente die bürokratisch kontrollierte Vereinigung der beiden großen ArbeiterInnenparteien SPD und KPD zur SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands). Erst nach dieser politischen Entmündigung der ArbeiterInnenbewegung war die Bahn frei für die Gründung eines degenerierten ArbeiterInnenstaates, der Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Zwar bestanden deren ökonomische Grundlagen in der Unterordnung der Binnenwirkungen des kapitalistischen Wertgesetzes durch die Nichtverfügbarkeit eines freien Arbeitsmarktes, die Enteignung des kapitalistischen Privatbesitzes an den Produktionsmitteln und die Vorgabe eines Wirtschaftsplans und eines staatlichen Außenhandelsmonopols. Doch die DDR-Staatsmaschinerie war und blieb vom Typus her bürgerlich, ein abgehobener allmächtiger Apparat. In ihm bildete sich eine wuchernde Schicht heraus, die sich als unterdrückende Kaste über die ArbeiterInnenklasse erhob. Dieses Gebilde war unreformierbar und stellte, auch wenn es der Wirkung des Wertgesetzes Grenzen setzte, letztlich ein Hindernis beim Aufbau zu einer sozialistischen Gesellschaft dar. Es ist kein Wunder, dass es später keinerlei Widerstand gegen die Restauration des Kapitalismus leistete – vor allem aber entfremdete es die Lohnabhängigen über Jahrzehnte von „ihrem“ Staat und der Planwirtschaft und verhinderte die Entwicklung aller Ansätze proletarischer Selbstorganisation und damit auch die Entfaltung des Klassenbewusstseins.

ArbeiterInnenaufstand und Mauerbau

Trotz dieser Einschnürung der Eigenständigkeit der ArbeiterInnenklasse flammte noch einmal ein Funke auf. Er entzündete sich an der Einführung des Neuen Kurses durch die DDR-Parteiführung 1953. Dieser brachte den nichtproletarischen Schichten Erleichterungen und Vorteile, der ArbeiterInnenklasse hingegen eine Erhöhung der Arbeitsnormen. Dies führte zu einem spontanen Aufstand, der in Berlin ausbrach und sich auf das Gebiet der gesamten DDR ausbreitete. Neben Forderungen nach Rücknahme der Normenerhöhungen wurden auch politische, darunter nach Wiedervereinigung erhoben. Von Teilen der Klasse, z. B. den StahlarbeiterInnen in Hennigsdorf und Velten, wurden auch Losungen wie jene nach einer „MetallarbeiterInnenregierung“ erhoben, die das Streben nach revolutionärem Sturz des Stalinismus zum Ausdruck brachten.

Der Aufstand konnte mit Hilfe der stationierten Sowjetarmee niedergeschlagen werden. Die Westalliierten und deutschen Westparteien hatten das Geschehen eher passiv aus der Entfernung beobachtet oder blockiert, weil sie genau wie die stalinistische Bürokratie nichts mehr fürchteten als eine unkontrollierte Störung des Status quo und die Eigentätigkeit der ArbeiterInnenklasse.

Die Normenerhöhung wurde zwar zurückgenommen, erkauft aber mit einer politischen Friedhofsruhe und Festigung der Macht der SED-Bürokratie.

Nicht zufällig fiel gerade das folgende sinnbildhafteste Ereignis der deutschen Teilung, der Bau der Berliner Mauer, in eine Zeit, als die internationalen Beziehungen auf dem Gefrierpunkt angelangt waren und der Kalte Krieg in einen heißen atomaren (Kubakrise) umzuschlagen drohte.

1961 markierte einen Wendepunkt in den innerdeutschen Verhältnissen. Ende der 1950er Jahre wurde das Auseinanderklaffen des Lebensstandards zwischen Ost und West immer spürbarer und die DDR drohte an qualifizierten industriellen Arbeitskräften, die in die BRD abwanderten, auszubluten. Dagegen unternahm die Parteiführung in bürokratischer Manier eine Grenzschließung des letzten Nadelöhrs, das durch die Viermächtevereinbarung in Berlin bestand.

Auch ein revolutionärer ArbeiterInnenstaat hätte die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse schützen müssen, aber niemals um den Preis, die Bevölkerung in einer geschlossenen Anstalt mit Freigangsregelung nur in die „sozialistischen Bruderländer“ zu verwahren. So aber schien die deutsche Spaltung auf Dauer buchstäblich betoniert zu sein.

Zwar erholte sich die DDR bis Mitte der 1960er Jahre wirtschaftlich auf der Woge einer extensiven Ausdehnung der Planwirtschaft wie einer noch günstigen Weltkonjunktur, doch in den Augen der internationalen ArbeiterInnenbewegung hatte sich das stalinistische Regime politisch endgültig diskreditiert und besonders in der BRD dem Antikommunismus auch unter den Lohnabhängigen immens Vorschub geleistet.

„Normalisierung“ der innerdeutschen Beziehungen

Zugleich wurde im Westen der Antikommunismus praktisch zur Staatsdoktrin. Nach der Niederlage der ArbeiterInnenbewegung im Kampf um die Sozialisierung der Grundstoffindustrien und der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes wurde auch die KPD im Westen politisch an den Rand gedrängt und schließlich verboten. Unter der sozialliberalen Regierung vollzog der deutsche Imperialismus jedoch eine Veränderung seiner Ost-Strategie. Die DDR sollte nicht mehr einfach dämonisiert, sondern der westliche Einfluss durch Verträge und Handel ausgebaut werden.

1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen beiden deutschen Staaten unterzeichnet. Das BRD-Kapital erkaufte sich mittels der neuen SPD-Ostpolitik durch formale Zugeständnisse der politischen Nichteinmischung, die das Sicherheitsbedürfnis der DDR-Bürokratie bedienten, größeren ökonomischen Bewegungsspielraum in der DDR.

Die scheinbare politische Anerkennung war allerdings bald begleitet von einer neuen imperialistischen Offensivstrategie der „Totrüstung“ der ArbeiterInnenstaaten, die zusätzlich die Wirtschaft der DDR neben den abgestumpften bürokratischen Planmechanismen in Mitleidenschaft zog. So ließ sich der Milliarden Swing-Kredit von 1983/1984 als einvernehmliche Hilfe anbahnen und erhöhte damit wiederum die Abhängigkeit von der BRD, da die RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe)-Zusammenarbeit des Ostblocks längst nicht mehr griff, sondern zum Klotz am Bein wurde.

Aus der Schuldenfalle und der damit verbundenen Produktionsspirale für die Erbringung von Devisen auf Kosten der Gütererzeugung für den Inlandsbedarf konnte sich die DDR schließlich mit herkömmlichen bürokratischen Methoden nicht mehr aus eigener Kraft befreien, so dass der BRD-Imperialismus die restaurative Wiedervereinigung über diesen Umweg objektiv vorbereiten half.

Aushöhlung der wirtschaftlichen Grundlagen

Die Existenz der DDR stand und fiel in Wirklichkeit mit zwei Faktoren. Erstens mit der Stabilität der Nachkriegsordnung. Zweitens damit, den ArbeiterInnen in der DDR eine wirtschaftliche und politische Perspektive glaubhaft darlegen zu können. Die stalinistische Herrschaft konnte sich nicht nur auf Repression stützen, sondern enthielt ein Element des Kompromisses besonders mit den oberen Schichten der Angestellten und Staatsverwaltung.

Die DDR fiel jedoch trotz Honeckers Wende 1971 zur Konsumgüterproduktion ökonomisch immer mehr zurück. Gerade die industrielle ArbeiterInnenklasse spürte diese Entwicklung: stetige Verschlechterung des Zustands der Produktionsmittel, immer stärkerer Verschleiß, immer größere Produktion für den Export bei gleichzeitigem Engpass an Gütern im Inneren, Stagnation der Lebensbedingungen, immer stärkeres relatives Zurückbleiben gegenüber dem Westen.

In einem internen Bilanzpapier des Politbüros der SED hieß es: „Die Zinszahlungen … betragen 1989 voraussichtlich 5 Milliarden Mark. Das ist mehr als der gesamte Jahreszuwachs des Warenfonds im Jahre 1989. Das hängt mit nicht realisierbaren Kaufwünschen, besonders nach langlebigen und hochwertigen Konsumgütern zusammen (Pkw, HiFi-Anlage  u. ä.).“

Daraus ergibt sich, dass die Kernschichten der ArbeiterInnenklasse in der DDR mit dem System der bürokratischen Planung schon abgeschlossen hatten, bevor es 1989/1990 geschichtlich zur Disposition stand. Selbst die Bürokratie hatte die Hoffnung verloren, dass dieses System durch eine reformierte Variante der SED-Herrschaft wieder in Schwung zu bringen sei.

1989

Vom Sommer 1989 bis zur Wiedervereinigung erlebte die DDR eine tiefe politisch-revolutionäre Krise, die schließlich in einer sozialen Konterrevolution mündete. Im Sommer hatte eine nicht mehr zu bremsende Massenabwanderung eingesetzt. Im Herbst kam es dann zu Massendemonstrationen, die sich gegen die Untragbarkeit der repressiven Zustände wandten und nach politischen Reformen verlangten. Bis zum November 1989 befand sich die Bewegung in der Offensive. Der Parteiapparat und die Staatssicherheitsorgane mussten Schritt für Schritt zurückweichen. Daran zeigte sich, wie morsch das Regime schon war. Daran konnte selbst die Palastrevolution und die Absetzung Honeckers im Oktober als Parteichef nichts mehr retten. Auch die UdSSR war nicht mehr bereit, das Staatsgefüge zu stützen.

Der Zusammenbruch eines Teils der Nachkriegsordnung im Osten, eine politisch-revolutionäre Krise in der DDR konnte nur zu drei Resultaten führen: bürokratische Konterrevolution, politische Revolution oder soziale Konterrevolution.

Vom Sommer 1989 bis zur Wiedervereinigung erlebte die DDR eine tiefe politisch-revolutionäre Krise, die schließlich in einer sozialen Konterrevolution mündete. Im Sommer hatte eine nicht mehr zu bremsende Massenabwanderung eingesetzt. Im Herbst kam es dann zu Massendemonstrationen, die sich gegen die Untragbarkeit der repressiven Zustände wandten und nach politischen Reformen verlangten. Bis zum November 1989 befand sich die Bewegung in der Offensive. Der Parteiapparat und die Staatssicherheitsorgane mussten Schritt für Schritt zurückweichen. Daran zeigte sich, wie morsch das Regime schon war. Daran konnten selbst die Palastrevolution und die Absetzung Honeckers im Oktober als Parteichef nichts mehr retten. Auch die UdSSR war nicht mehr bereit, das Staatsgefüge zu stützen.

Der Zusammenbruch eines Teils der Nachkriegsordnung im Osten, eine politisch-revolutionäre Krise in der DDR konnte nur zu drei Resultaten führen: bürokratische Konterrevolution, politische Revolution oder soziale Konterrevolution.

Grundfragen

Gerade wenn wir die zentralen Aufgaben der politischen Revolution in der DDR – die Eroberung der Staatsmacht und Reorganisation der Planwirtschaft – betrachten, wird unmittelbar deutlich, dass diese von Beginn aufs Engste mit der ArbeiterInnenklasse und sozialen Revolution im Westen verbunden waren. Wie hätte die DDR-Wirtschaft reorganisiert werden sollen und können, wenn nicht im engen Verbund mit den Klassenbrüdern und -schwestern im Westen?

Daher war die Losung einer Vereinigten Sozialistischen Räterepublik in ganz Deutschland eine zentrale Frage vom Beginn der Massenbewegung in der DDR an.

Sie musste jedoch konkret übersetzt werden in Schritte zum sofortigen Aufbau von direkten Verbindungen zwischen den Gewerkschaften, betrieblichen AktivistInnen in Ost und West, in ein Aktionsprogramm zur Lösung der dringendsten Aufgaben auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, das mit der Losung einer revolutionären ArbeiterInnenregierung verbunden werden musste. Unsere Vorläuferorganisation, die Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale, hat von Beginn an die Frage der revolutionären Wiedervereinigung sehr konkret aufgeworfen und gleichzeitig die Notwendigkeit dargelegt, jede Rekapitalisierung der DDR einschließlich einer kapitalistischen Wiedervereinigung entschieden zu bekämpfen.

Die Frage der Wiedervereinigung war von Beginn an virulent, obwohl sie in den ersten Wochen der Mobilisierung gegen die Bürokratie nicht offen gestellt wurde. Das hing damit zusammen, dass gerade in den Stellungnahmen des Großteils der kleinbürgerlichen „BürgerInnenbewegung“ die Forderungen im Wesentlichen auf demokratische Reformlosungen beschränkt waren. Aber diese Ziele mussten auch von RevolutionärInnen in dieser Phase aufgegriffen und zugespitzt werden. Das trifft besonders auf Losungen wie Organisationsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit zu.

Zugleich zeigte sich von Beginn an auch die politische Schwäche der BürgerInnenbewegung darin, dass ihr größter Teil die Krise in der DDR im Wesentlichen als „Demokratiefrage“ betrachtete und weitgehend blind war gegenüber der Notwendigkeit, gerade auch eine Antwort auf die tiefer liegende Krise der bürokratischen Planung zu geben.

Gründe für konterrevolutionären Umschwung

Wo die BürgerInnenbewegung und besonders ihr linker Flügel ökonomische Konzepte entwickelten, stellten sie der bürokratischen Planwirtschaft jedoch entweder nur eine Spielart des utopischen „Dritten Weges“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus oder eine Form des „Marktsozialismus“ entgegen. Das traf auch auf die linkesten Strömungen wie Vereinigte Linke zu, die in der „Böhlener Plattform“ einer Form der „ArbeiterInnenselbstverwaltung“ nach jugoslawischem Muster das Wort redete.

Hinzu kam, dass die BürgerInnenbewegung insgesamt politisch eine Reformperspektive des SED-Staates vertrat. Der Druck der Massenbewegung führte Ende 1989 zur Installation der sogenannten „Runden Tische“, die der perspektivlosen und konfusen Opposition ein Forum boten, vor allem aber der noch herrschenden SED-Bürokratie zupasskamen.

Sie erlaubten allen um die Tische versammelten Kräften, die Massen zu demobilisieren, auf die Arbeit in den „neuen“ Gremien zu vertrösten. Die zunehmende Orientierung auf bürgerliche parlamentarische Wahlen zur Volkskammer trug ebenfalls dazu bei, die politische Energie von der Straße an die Wahlurnen zu verlagern.

Die BürgerInnenbewegung übergab die Initiative an die teilweise aus ihr, teilweise aus den Blockparteien entstandenen, offen bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie einerseits, an die SED-PDS andererseits.

Die tieferen Ursachen des „Umkippens“ der Bewegungsrichtung bestanden in folgenden Faktoren:

  • Erschöpfung der Potentiale der bürokratischen Planwirtschaft;
  • Fehlen einer politischen Führung, die eine Alternative für die Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung mit der Perspektive des revolutionären Sturzes des SED-Regimes und einer revolutionären Wiedervereinigung hätte weisen können;
  • weitgehende Zerstörung des Klassenbewusstseins des Proletariats

Dennoch entstanden in der Frühphase der Bewegung Strömungen wie die Vereinigte Linke, die sich auf eine landesweite Bekanntheit und einen Anhang unter der Intelligenz und Teilen der bewussten ArbeiterInnenschaft berufen konnte und einige hundert AktivistInnen und zehntausende AnhängerInnen umfasste. Außerdem kam es zu politischer Oppositionsbildung in den Gewerkschaften – z. B. in der Initiative Unabhängige Gewerkschaften – und, vor allem Ende 1989, zu einer tiefen politischen Krise in der SED.

In diesen politischen Bewegungen nach links hätten RevolutionärInnen eingreifen müssen und AnhängerInnen für die Bildung einer wirklich revolutionären Partei finden können. Die Entwicklung wurde noch dadurch erschwert, dass die ArbeiterInnenklasse nicht nur nicht als bewusstes politisches Subjekt auftauchte, sondern auch betriebliche und kommunale Formen proletarischer Selbstorganisation sehr rar blieben.

Revolutionäre Aufgaben 1989

Revolutionäre Agitation und Propaganda musste sich auch stark auf die Notwendigkeit der Schaffung von räteähnlichen Strukturen und Kampforganen der Arbeiter und Arbeiterinnen konzentrieren und diese mit der Notwendigkeit der Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft verbinden. Eine solche wäre jedoch unmöglich gewesen ohne den revolutionären Sturz der SED, die Zerschlagung des Staatsapparates, die Forderung nach Abzug der sowjetischen Armee, nach Entwaffnung von Polizei, Armee, Betriebskampfgruppen und der Übergabe ihrer Waffen in die Hände von ArbeiterInnenmilizen.

Ein zweiter zentraler Punkt war der Kampf gegen demokratische Illusionen. Dazu war es angesichts des fehlenden Klassenbewusstseins des Proletariats unbedingt notwendig, die Kritik des Charakters der bürgerlichen Demokratie und die Propagierung des Rätesystems mit Forderungen zu verbinden, die die Hoffnungen in die bürgerliche Demokratie einem Test unterzogen hätten und gleichzeitig dazu angetan waren, den Schaden dieser Illusionen zu minimieren.

Eine solche Herangehensweise war um so dringlicher, als der politisch-revolutionäre Prozess November/Dezember 1989 seinen Schwung verloren hatte, die spontane Massenmobilisierung mehr und mehr unter die Fuchtel offen restaurationistischer Führungen geriet und auch SED, SED-PDS (später die PDS) unter Krenz, Modrow und Gysi auf den Kurs der kapitalistischen Wiedervereinigung umschwenkten. Sie willigten ein, im März 1990 bürgerliche Parlamentswahlen abzuhalten.

Demobilisierung und  Rechtsentwicklung

Die „Runden Tische“ waren in dieser Hinsicht für alle bürgerlichen, kleinbürgerlichen und bürokratischen Kräfte ein Mittel, sich dem Druck der ArbeiterInnen zu entziehen. In dieser Phase wurde von der westdeutschen Bourgeoisie und der SPD auch die Frage der kapitalistischen Wiedervereinigung offensiver ins Treffen geführt.

Durch die allgemeine Orientierung auf Parlamentswahlen war die Massenbewegung damit von der Straße weg vor die Fernsehschirme verbannt. Anfang 1990 war es noch die SPD, die nun die Hoffnungen der ArbeiterInnenklasse und der Mittelschichten in der DDR auf sich zog. Aber sie vertrat einen Wiedervereinigungsplan, der weder die historisch-strategischen Interessen des deutschen Imperialismus voll befriedigte noch den Werktätigen der DDR eine vernünftige Perspektive bot: Wiedervereinigung in zehn Jahren (womit die SPD in trauter Gemeinsamkeit mit den MonetaristInnen der Deutschen Bundesbank gegen das „Abenteuer Wiedervereinigung“ stand).

Die zögerliche Haltung der SPD hatte nichts mit anti-imperialistischen Überlegungen zu tun, sondern spiegelte ihre soziale Basis in der westdeutschen ArbeiterInnenaristokratie wider, die borniert, aber nicht zu Unrecht fürchtete, die Zeche für die Expansion des deutschen Imperialismus zahlen zu müssen. Statt gemeinsam mit den Klassenbrüdern und -schwestern im Osten in die Offensive zu gehen, blieb die ArbeiterkInnenlasse im Westen gegenüber den Ereignissen passiv, skeptisch, abwartend. Die SPD redete einer Variante der kapitalistischen Wiedervereinigung das Wort, deren Kosten allerdings nur die ostdeutschen ArbeiterInnen hätten begleichen müssen.

Diese sahen sich daher zu Recht von der SPD im Stich gelassen. Dass die DDR-Wirtschaft mit bürokratischer Planung light nicht aus der Krise gebracht werden konnte, wusste auch der/die unpolitischste DDR-ArbeiterIn.

Eine einigermaßen große kämpfende Propagandagruppe revolutionärer KommunistInnen hätte in dieser Phase zumindest der Avantgarde eine politische Orientierung geben können. Es existierte aber kein solcher Kern.

Die Haltung der westdeutschen ArbeiterInnenbewegung, die Politik der SPD, aber selbst die Position eines Teils der „radikalen“ Linken, dass die Revolution (und Konterrevolution) in der DDR ausschließlich eine Angelegenheit der DDR-Bevölkerung sei, führten nicht nur zum stetigen Terrainverlust im Osten, sondern sicherten dem Imperialismus auch ein ruhiges Hinterland.

Kohls Sieg

Andererseits hatte die BRD-Regierung unter Kohl als einzige Kraft die weltgeschichtlichen Potentiale der Situation nicht nur begriffen, sondern auch sehr selbstbewusst im Interesse der langfristigen Perspektiven des deutschen Imperialismus die Initiative ergriffen. Der „ideelle Gesamtkapitalist“ hat in dieser Situation auch ganze Sektoren des deutschen Kapitals, nicht zuletzt die Bundesbank, zur Seite geschoben und Kurs auf eine rasche kapitalistische Wiedervereinigung genommen. Wenige Wochen vor der letzten Volkskammerwahl ging der westdeutsche Imperialismus in die Offensive. Die Ost-CDU, nunmehr Marionette der Bonner Regierung, gewann die Wahl. Der eigentliche Sieger hieß Kohl.

Keine einzige größere Partei, die zur Wahl stand (auch nicht die SED-PDS), hegte auch nur die Absicht, die kapitalistische Wiedervereinigung und Abwicklung der DDR zu verhindern. Entscheidende ökonomische Mechanismen – darunter die Gründung der Treuhand und die Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Juli 1990 – waren schon unter der Regierung Modrow auf den Weg gebracht worden. Nun folgte die endgültige Zerstörung des degenerierten ArbeiterInnenstaats DDR mit der Wirtschafts- und Währungsunion. Die Wiedervereinigung im Herbst war dann bloß der staatliche Nachvollzug dieser Regelung.

Besonders skandalös war das Verhalten des DGB: Im Herbst 1989 verhielt er sich passiv, stumm und gleichgültig gegenüber den Klassengeschwistern in der DDR. Kaum aber war die Vereinigung unter bürgerlich-kapitalistischen Vorzeichen ausgehandelt, vollzog er als Erstes den ‚Vereinigungsprozess‘ durch Übernahme des FDGB (Gewerkschaftsverband der DDR). Der DGB liquidierte dabei kurzerhand alle bestehenden verbrieften Errungenschaften der DDR-ArbeiterInnenklasse und kassierte außerdem klammheimlich gleich noch den letzten Beschluss des FDGB, der ein Vetorecht der Gewerkschaften gegen arbeiterInnenfeindliche Gesetze forderte. Die DGB-BürokratInnen betätigten sich also als willfährige Speerspitze des bundesdeutschen Imperialismus.

Nein zur kapitalistischen Vereinigung!

Zu den letzten Volkskammerwahlen konnten RevolutionärInnen keine der antretenden Parteien unterstützen. Sie waren in einer ganz entscheidenden Stunde einer Wahl, die im Grunde eine Abstimmung über die Existenz der Errungenschaften der DDR war, allesamt auf der falschen Seite der Barrikaden. Die soziale Konterrevolution nahm dadurch auch wie in den meisten osteuropäischen Ländern eine bürgerlich-demokratische Form an.

Im Frühjahr 1990 hätte das Schwergewicht der Intervention revolutionärer KommunistInnen auf folgende Punkte konzentriert werden müssen: die Verteidigung der existierenden Errungenschaften, den Kampf gegen den beginnenden Ausverkauf der DDR-Wirtschaft an das Kapital, ein klares Nein zur kapitalistischen Wiedervereinigung bei gleichzeitiger Herstellung enger Verbindung zu den ArbeiterInnen im Westen (besonders in jenen Konzernen und Banken, die sich anschickten, den Osten zu „erobern“), den Kampf für volle demokratische Rechte für die ArbeiterInnenbewegung und die Schaffung von den Belegschaften verantwortlichen Kampforganen, die bei einer Generalisierung und Zuspitzung der Abwehrkämpfe zu landesweiten räteähnlichen Organen, zu OrganisatorInnen von Massenstreiks gegen Kapital und Bürokratie, gegen NATO und sowjetische Truppen ausgebaut werden mussten.

Solche Organe hätten gleichzeitig die Grundlage für eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung bilden können, für die Zerschlagung der Reste des SED-Staatsapparates und die Errichtung einer proletarischen Räterepublik in Deutschland. Eine solche Entwicklung hätte die revolutionäre Wiedervereinigung mit unzweifelhaft progressiver Dynamik auf die Tagesordnung gesetzt. Vor allem aber hätte der Zusammenbruch der alten Weltordnung mit einem Fanal für die Ausweitung der Revolution nach Ost- und Westeuropa begonnen.

Dass es nicht so gekommen ist, lag zweifellos an ungünstigen politischen Voraussetzungen und der geringen Zeitspanne, die für die Entstehung proletarischen Klassenbewusstseins und für eine grundlegende Umgruppierung der Kräfte in der ArbeiterInnenbewegung genutzt werden hätte müssen. Die kapitalistische Wiedervereinigung war eine historische Niederlage für die ArbeiterInnenbewegung in Deutschland und eine besonders schwere für das Proletariat in der ehemaligen DDR.

Es ist kein Zufall, dass seit den frühen 1990er Jahren fast alle zentralen Angriffe auf die Errungenschaften im Westen durch „Probeläufe“ und „Vorstöße“ im Osten gestartet worden sind. Die Deindustrialisierung und  der Verlust an gewerkschaftlicher Kampferfahrung und -bereitschaft des Proletariats in den neuen Bundesländern haben die ArbeiterInnenklasse in der ganzen BRD geschwächt. Gleichzeitig wurde die weltpolitische Rolle des deutschen Imperialismus gestärkt  Die ArbeiterInnenbewegung in Deutschland steht seit 30 Jahren einem Klassengegner gegenüber, der sich viel besser aufgestellt hat, als es die Betrachtung der rein territorialen Ausdehnung wiedergibt.

Quelle: Neue Internationale 141… vom 5. November 2019

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