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Polizeistaat gegen Gaza-Proteste

Eingereicht on 6. Dezember 2023 – 10:30

Marianne Arens. Die Reaktion des deutschen Staats auf pro-palästinensische Proteste verrät die Angst der Herrschenden vor einer Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg und Ausbeutung. Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen, ja sogar Texte und Karikaturen, die Israels Genozid im Gazastreifen beim Namen nennen, werden verboten und gewaltsam unterbunden.

Einen besonders krassen Fall erlebte Piter Minnemann, ein Überlebender der Morde von Hanau, der es gewagt hatte, auf Instagram eine israelkritische Karikatur zu posten. Der Staat reagierte darauf mit einer Polizeirazzia in der Wohnung des 22-Jährigen.

Piter Minnemann hatte beim Attentat vom 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen erschossen wurden, als Gast der Arena-Bar in Hanau-Kesselstadt nur knapp überlebt. Er war Augenzeuge geworden, wie ein behördenbekannter Rassist vier seiner Freunde kaltblütig erschoss. Seither kämpft er unermüdlich für die vollständige Aufklärung der Hintergründe. Der notorisch rechtslastige Polizeiapparat Hessens hat ihn dabei von Anfang an mehr behindert als unterstützt.

Wie Piter dem Portal TRTDeutsch berichtete, drangen am Mittwoch, den 22. November, um sechs Uhr früh mindestens fünf Polizisten in seine Wohnung ein. Sie fixierten ihn und öffneten der Kripo die Tür. Diese präsentierte ihm den Beschluss des Amtsgerichts Hanau zur Hausdurchsuchung, durchwühlte seine Wohnung und beschlagnahmten sein Handy.

Als Grund wurde eine Karikatur genannt, die Piter nach dem Einmarsch der israelischen Streitkräfte im Gaza im Internet geteilt hatte, und die angeblich den „Verdacht auf Volksverhetzung“ nährte. Die Karikatur zeigt einen IDF-Soldaten, der sein Gewehr auf eine Palästinenserin mit Kopftuch richtet. Gleichzeitig sieht er im Spiegel einen Nazi-Schergen mit Hakenkreuz, der auf einen ausgemergelten (jüdischen) Menschen zielt. Der Text dazu: „The irony of becoming what you once hated“ (Die Ironie, das zu werden, was man einst hasste).

Die mittlerweile überall verbotene Darstellung macht auf künstlerische Weise klar, wie sehr das aktuelle Vorgehen der israelischen Armee gegen die Palästinenser an das Vorgehen von SS-Schergen bei der Räumung des Warschauer Ghettos im Jahr 1943 erinnert. So hat die IDF allein am Wochenende nach Beendigung der Waffenruhe im Gaza mehr als 1000 Menschen getötet und ganze Stadtzüge von Chan Yunis bombardiert. Insgesamt 2,25 Millionen Menschen werden dort ausgehungert, erschossen und Richtung Wüste Sinai getrieben.

Aber hierzulande ist es verboten, darüber zu sprechen, zu schreiben zu zeichnen, oder gar gegen den Genozid zu protestieren. Demonstrationen werden immer wieder verboten, oder sie werden polizeilich behindert und schikaniert, Plakate konfisziert und Teilnehmer mit Verfahren wegen „Verdachts auf Volksverhetzung“ überzogen.

Im Bonner Hauptbahnhof muss ein Laden, der ein Pro-Palästinaschild im Schaufenster hatte, mit einer Anklage wegen „Volksverhetzung“ rechnen; das Schild wurde ohne Gerichtsbeschluss von der Polizei beschlagnahmt. Das Geschäft hat nun ein Plakat mit dem Aufschrei: „Gibt’s noch den Rechtsstaat?!!!“ in sein Schaufenster gestellt.

Im Grundgesetz heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…) Eine Zensur findet nicht statt.“ Es heißt dort auch: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“, und auch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Grundgesetz ausdrücklich festgeschrieben.

Diese Grundrechte werden mittlerweile mit Füßen getreten. Sie gelten nicht, wenn palästinensische und jüdische Aktivisten und ihre Unterstützer ein Ende des Genozids im Gaza fordern.

Auch die Sozialistische Gleichheitspartei war schon mehrfach von Polizeiverboten betroffen. Am letzten Samstag sollten beispielsweise Plakate mit der Forderung „Stoppt den Genozid in Gaza“ in Düsseldorf verboten werden. Sie wurden zuletzt aufgrund einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zugelassen. SGP-Flyer mit dem Aufruf: „Stoppt den imperialistisch-zionistischen Völkermord in Gaza!“ wurden immer wieder bei Demonstrationen konfisziert.

Ein heftiges Beispiel von Polizeiwillkür fand am 22. November an der Universität Köln statt. Hier war vor dem Universitätsgebäude eine pro-palästinensische Kundgebung unter dem Titel: „Frieden für Palästina – stoppt die Vertreibung! Zusammen gegen Repression und Hetze!“ angekündigt.

Schon im Vorfeld hatte die Unileitung angekündigt, sie werde „auf unserem Campus keinerlei antisemitische und israelfeindliche Äußerungen dulden“ und stehe in „engem Kontakt mit Polizei und Stadt Köln“. Gleichzeitig verbreiteten die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Köln und die lokalen Medien Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau völlig grundlose Gerüchte von einer angeblichen „Einschüchterung“ jüdischer Studierender und bevorstehenden „strafbaren Handlungen auf dem Campus“.

Dabei hatten die Initiatoren der Kundgebung sich ausdrücklich gegen den Vorwurf des „Antisemitismus“ verwahrt. In ihrer Stellungnahme hatten sie nicht nur „Palästina-solidarische Aktive, Palästinenserinnen und Palästinenser“ und „Araber und Muslime“, sondern ausdrücklich auch „Jüdinnen und Juden“ gegen die Repression und Hetze in Schutz genommen.

Trotz alledem überzog die Polizei die Kundgebung, die etwa 200 Teilnehmer umfasste, mit peniblen Kontrollen, willkürlichen Schikanen und Strafanzeigen. Jegliche Schilder, Spruchbänder und Flyer mussten der Polizei zuerst vorgelegt werden, ehe sie gezeigt werden durften.

Eine Presseerklärung der Organisatoren listet zahlreiche Übergriffe während der Kundgebung auf, darunter „schikanöse Maßnahmen“ wie das Verdrängen der Versammlung auf eine Stelle „abseits des Haupteingangs zwischen Bauzäunen und Beton“, sowie die Beschlagnahme vieler Flyer und Plakate, teilweise ohne Begründung. Gegen den Anmelder der Versammlung wurde Strafanzeige gestellt, weil er eine Parole anstimmte, die den Satz „Solidarität bis zum Sieg“ enthielt.

Beschlagnahmt wurden Flugblätter und Banner mehrerer Organisationen, darunter auch diejenigen der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP). Ihre WSWS-Erklärung „Mobilisiert die Arbeiterklasse gegen den vom Imperialismus unterstützten Genozid im Gaza“ wurde ohne Begründung konfisziert, wobei ein Polizist dem Verteiler einen ganzen Stapel Flyer kurzerhand entriss. Etwas später wurde abseits der Kundgebung auch ein weiteres SGP-Flugblatt beschlagnahmt. Das Flugblatt enthielt einen anderen WSWS-Artikel mit dem Titel „Israels Krieg gegen Krankenhäuser und die Normalisierung von Kriegsverbrechen“.

Auch Druckerzeugnisse und Banner anderer Organisationen, so zum Beispiel der Kommunistischen Organisation (KO) und der Sozialistischen Alternative (SAV), wurden konfisziert. Das SAV-Banner trug die Aufschrift: „Gaza – Stoppt das Massaker. Für die Einheit der Arbeiter*innenklasse gegen Besatzung, Armut & Kapitalismus“. Weiter wurden Fotos, „die zum Stopp des Krieges aufriefen oder etwa die Umrisse Palästinas im Laufe der Geschichte zeigten“, sowie ein Schild mit der Aufschrift „Stop G*n**de“, polizeilich beschlagnahmt, alles mit der pauschalen Begründung, es bestehe ein „Anfangsverdacht der Volksverhetzung“.

Die Beispiele illustrieren deutlich, wie brüchig die demokratische Fassade Deutschlands ist, und wie rasch der Staat bereit ist, das Grundgesetz fallen zu lassen. Sie zeigen vor allem, welche panische Angst die Herrschenden davor haben, dass der Widerstand gegen Krieg und Unterdrückung mit dem internationalen Klassenkampf zusammenfällt. Die Ampel-Koalition und sämtliche Bundestagsparteien versuchen, um jeden Preis zu verhindern, dass eine Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen Entlassungen und soziale Angriffe sich mit dem Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg verbindet.

Eine solche Bewegung reift deutlich sichtbar heran. Das zeigt sich bereits in den unmittelbaren Nachbarländern: In Frankreich wird ein neuer Eisenbahnerstreik vorbereitet, die spanischen Pflegekräfte und belgischen Flughafenarbeiter wehren sich gegen Lohnraub und übermäßige Arbeitslast, und mit den gewaltigen Palästina-Protesten in London kündigt sich eine europaweite Antikriegsbewegung an. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Bewegung auch auf die von Entlassungen und Kürzungen bedrohten Autoarbeiter, die Galeria-Verkäuferinnen und die Eisenbahner und Lokführer in Deutschland übergreift.

Dazu braucht es jedoch eine internationalistische, sozialistische Führung. Unabhängige Aktionskomitees müssen in den Betrieben aufgebaut werden, und die Proteste gegen Krieg und Genozid müssen sich mit den sozialen Kämpfen verbinden. Das erfordert den bewussten Kampf gegen die DGB- und dbb-Gewerkschaften, die den Kriegskurs der Herrschenden unterstützen. Es erfordert vor allem den Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei, die als einzige Partei gegen Krieg und Kapitalismus kämpft.

#Titelbild: Pro-palästinensischer Protest vor der Universität Köln, 22. November 2023

Quelle: wsws.org… vom 6. Dezember 2023

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