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Schweiz: Spitäler weiter geschröpft, Pflegende noch stärker unter Druck

Eingereicht on 15. April 2020 – 9:39

Benoit Blanc. Die Überbelastung zehrt an den Pflegfachkräften und dem Gesundheitspersonal. Durch die Unterfinanzierung der Spitäler wird eine angemessene Behandlung von Patient*innen verunmöglicht. Der Grund hierfür ist die fehlende Wertschätzung für eigentlich essenzielle Arbeit. Die Corona-Pandemie macht diesen Armutszustand lediglich sichtbar. Doch anstatt angemessene Massnahmen zur Unterstützung zu ergreifen, zieht der Bundesrat die finanziellen Daumenschrauben der Spitäler sogar noch enger an. (Red.)

Seit März steht die Stärkung der Kapazitäten der Spitäler zur Bewältigung von Covid-19 im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und scheint einhellig Zustimmung zu finden. Dies hindert den Bundesrat jedoch nicht daran, den Gesundheitsinstitutionen erneut die Luft abzuschneiden, indem man die Schraube der Finanzpolitik enger zieht.

11.Februar:Die Weltgesundheitsorganisation benennt die durch das neue Corona-Virus verursachte Krankheit offiziell Covid-19. Wuhan und die Region Hubei in China standen in den letzten Wochen unter einer brutalen Quarantäne. Der Ausbruch breitet sich rasch aus, vor allem in Italien, wo der erste Fall am 20. Februar offiziell registriert wird.

12.Februar:Der Bundesrat führt eine Vernehmlassung zur Revision der Krankenversicherungsverordnung (KVV) durch. Ziel sei es „die Krankenhausplanung zu verbessern“, kündigt er an. Die wichtigste Änderung dieser Revision ist in Artikel 59c Absatz 1b enthalten, der sich mit der Finanzierung der Spitäler befasst: „Bezugsgrösse sind die Kosten pro Fall oder die Tageskosten, die nach dem Schweregrad der*s Leistungserbringers*in [Ärzt*innen, Spitäler; Anm. d. Red.] angepasst werden. Dieser Schweregrad darf höchstens dem 25. Perzentil der Anzahl Leistungserbringer*innen entsprechen.» Der Erläuterungsbericht hebt explizit hervor: „Das Kriterium der Effizienz ist [schweizweit] einheitlich nach der Perzentilmethode definiert: Ein Perzentil von 25% bedeutet, dass 25% der um den Schweregrad der Spitäler bereinigten Fallkosten unter dem Referenzwert und 75% darüber liegen.»

Auf Deutsch: Der Bundesrat hat sich an Ort und Stelle für die Finanzierung der Spitäler des nationalen Referenzrahmens entschieden. Dieser Referenzrahmen basiert auf dem Vergleich der Spitäler (der bekannte Benchmark). Dieser Benchmark richtet sich nach den 25% der Spitäler, die die niedrigsten Behandlungskosten eines Behandlungstyps X haben und gibt damit einen unzureichenden Wert für die (Behandlungskosten desselben Typs X in den) restlichen 75% der Spitäler an.

Das Ziel lautet: „Wird der Referenzwert auf das 25. Perzentil statt auf das 40. Perzentil festgelegt, kann grundsätzlich eine weitere Kostensenkung für die OKV [Obligatorische Krankenversicherung] von rund 200 bis 250 Millionen Franken für das Tarifjahr 2019 abgeschätzt werden“.

Da die Kantone mindestens 55% der von den Spitälern verrechneten Kosten tragen, bedeutet dies für die Spitäler eine Einnahmeverringerung von mindestens 500 bis 600 Millionen Franken. Der Dachverband H+ Die Spitäler der Schweiz, der sich gegen diese Revision ausspricht, schätzt den Verlust auf 670 Millionen Franken.

Wir können also zusammenfassen. Die Covid-19-Gesundheitskrise hat deutlich gemacht, dass die Spitäler über extrem begrenzte Ressourcen verfügen, was die Betten und vor allem das Personal betrifft. Diese Situation ist nicht einfach vom Himmel gefallen: Sie ist die bewusst in Kauf genommene Folge der neuen Spitalfinanzierung, die 2012 in Kraft getreten ist. Diese ist als eine finanzielle Zwangsjacke konzipiert, die nach und nach immer enger wird und die Krankenhäuser zwingt, immer „effizienter“ zu werden oder zu verschwinden. All dies geschieht im Namen des Kampfes gegen die sogenannte „Explosion der Gesundheitskosten“.

Infolgedessen sinkt die Zahl der Betten, die Verweildauer verkürzt sich, der Personaleinsatz wird so straff wie möglich geplant, die Arbeitsbelastung des Personals nimmt zu, und industrielle Prozesse, bei denen keine Minute verloren gehen darf, werden zum Modell für die Planung der Wege der Patientenversorgung.

Die negativen Auswirkungen auf das Personal liegen auf der Hand: Zwischen 2012 und 2017 ist der Anteil der Beschäftigten im sozialen Gesundheitswesen, die sich sehr häufig oder immer gestresst fühlen, von 18% auf 23% gestiegen. Das ist die deutlichste Zunahme unter allen Branchen in der Schweiz, so die Ergebnisse der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (ESS), die vom Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht wurde. Direkte Aussagen des Personals bestätigen diese Situation der chronischen Überlastung, des Mangels an Zeit für die vollständige Betreuung der Patienten und der grassierenden Erschöpfung.

Aber für den Bundesrat noch nicht Grund genug, um Halt zu machen: Covid-19 hin oder her, es ist an der Zeit für ein weiteres Anziehen der finanziellen Daumenschraube, die die Spitäler schröpft, die Pflegenden auslaugt und die Qualität der Pflege bedroht!

Quelle: sozialismus.ch… vom 15. April 2020  aus alencontre.org

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