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Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung. Medienkritik für’s Handgemenge

Eingereicht on 28. November 2024 – 9:48

Manfred Henle. Renate Dillmann ist den Lesern dieser Plattform keine Unbekannte. Erinnert sei an ihre ebenso pointierten wie informativen Artikel zur Berichterstattung der deutschen Medien im Ukraine- und Gaza-Krieg wie die zum Feindbild China. Vielen ist sie zudem bekannt aus ihrer medienkritischen Serie „Der real existierende Wahnsinn“ beim linken Podcast 99:1. Nun hat sie sich ausführlich mit dem Thema „Medien. Macht. Meinung“ auseinandergesetzt und den „Weg in die Kriegstüchtigkeit“ beleuchtet, den die Leitmedien gerade hinlegen.

Vorweg sei gesagt: Im begrenzten Rahmen einer Rezension kann nur versucht werden, ein paar wesentliche Linien dieser umfassenden Studie nachzuzeichnen. Wer sich für Arbeitsweise und Leistungen der 4. Gewalt im demokratischen Staat und das Bewusstsein des Publikums (Nationalismus!) interessiert, sollte das Buch unbedingt zur Gänze lesen.

Die Schrift besteht aus drei Teilen; im ersten werden allgemeine „Methoden und Mechanismen“ der politischen Berichterstattung in Deutschland untersucht. Der zweite Teil widmet sich in „Medien – eine Analyse“ der Erklärung des Befunds, dass von einer halbwegs sachlichen Information bei den Leitmedien nicht die Rede sein kann. Er untersucht das Verhältnis von Medien und Herrschaft allgemein und den Schutz von Meinungs- und Pressefreiheit im demokratischen Staatswesen. Es folgt als dritter Teil die Untersuchung von drei Fallbeispielen aktueller Feindbilder: Ukraine, Gaza und China

Methoden und Mechanismen der politischen Berichterstattung – analytisch zerlegt

In Teil 1 legt die Schrift Schritt für Schritt die grundlegenden, hier und heute zum Einsatz kommenden, vielfach zu „Mechanismen“ (13) verfestigten Methoden und Techniken der politischen Berichterstattung dar. Um etwa spezifische Narrative und darüber eine bestimmte Sichtweise beim Publikum zu erzeugen, kommt dem Wort, kommt der Sprache, kommt der sehr eigentümlichen Sprachregelung („Wording“) in der massenmedialen politischen Kommunikation und Berichterstattung eine überragende Bedeutung zu.

In analytischer Präzision und immer in Bezug gesetzt zum objektiven Inhalt eines politischen Ereignisses oder andauernden (Kriegs-) Geschehens legt Dillmann dar, von welcher Tragweite allein die scheinbar nur reine sprachliche Benennung eines jeweiligen Ereignisses ist. An Beispielen – Einsatz, Mission, Operation, Militärintervention oder Krieg? Regierung oder Regime? Terrorist, Fundamentalist, Oppositioneller, Rebell, Dschihadist, Freiheitskämpfer, Soldat? wird gezeigt: „Namen, Bezeichnungen und Begriffe sind für die Berichterstattung zu einem Thema elementar. Sie stiften Bedeutung und suggerieren Zusammenhänge. Darüber hinaus sorgen sie beim Publikum für Sympathie oder Antipathie und gehen damit deutlich über pure Information hinaus.“ (23)

Untersucht werden darüber hinaus: Schlagzeilen, Fragestellung, Framing – oder: „Wie soll man etwas sehen?“; sogenannte „Geistersubjekte“, die fiktive Gründe vorstellig machen; der „fehlende Zusammenhang“, der ein Begreifen von Ereignissen unmöglich macht; die Rolle von Zitaten, Interviews, Quellen und Statistiken; die personalisierende und emotionalisierende Berichterstattung in Reportagen, die Funktion von Skandalen. „Alarmglocken an!“ – das wird man nach der Lektüre dieser gut nachzuvollziehenden Beispiele mit Sicherheit beim täglichen Nachrichtenkonsum erleben.

Medien-Analyse – eine Wendung ins Grundsätzliche

Teil zwei liefert eine in die Tiefe gehende Medienanalyse. Dillmann betrachtet zunächst das Verhältnis von Medien und Herrschaft allgemein, dann im Besonderen das im demokratischen Staatswesen. Warum gibt es dort Meinungs- und Pressefreiheit als staatlich garantierte Schutzrechte? Und warum werden diese ständig eingeschränkt? Wie ist es zu erklären, dass westliche Journalisten stolz die Trennung von „Information und Meinung“ vor sich hertragen und ihre Kollegen aus „autoritären Staatswesen“ als Propaganda verachten und zugleich diese Grundsätze – wie im ersten Teil gesehen – dauernd verletzen? Warum nimmt das Publikum, trotz ab und an aufscheinender Unzufriedenheit, die miserablen Leistungen seiner Leitmedien im Prinzip geduldig hin?

Diese Fragen werden untersucht und in einer Grundsätzlichkeit beantwortet, die vielen anderen medienkritischen Analysen (selbst Gegenstand eines Kapitels) bisher fehlt. Hier ist viel an Erklärung über das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit und seine immanenten Tücken, über Standpunkt und Funktionieren einer freien Medienlandschaft („ideelle Gesamtnationalisten“) (135) und das „notwendig falsche Bewusstsein“ der Mitglieder einer kapitalistischen Gesellschaft zu finden, das für viele immer wieder ein Rätsel darstellt.

Feindbildanalyse – Drei Fallstudien

Der 3. Teil des Buches widmet sich der Feindbildanalyse und zwar an drei aktuellen Fallbeispielen: Ukraine- und Gazakrieg sowie China. In dieser besonderen Abteilung journalistischer Tätigkeit und Berichterstattung geht es darum, den von der Regierung auserkorenen Gegner dem Publikum als seinen ganz persönlichen, privaten und unmittelbar bedrohlichen Feind auszumalen. In kapitalistischen Staaten mit ihren ausgreifenden Interessen sind Feindbilder insofern notwendig (222). Dillmann untersucht in ihrem letzten Kapitel, wie die nationalen Leitmedien die politischen Entscheidungen in den Fragen von Freund und Feind nachvollziehen und die Bevölkerung jeweils mitnehmen „auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit“.

In der journalistischen Bearbeitung und Berichterstattung zum Ukrainekrieg etwa finden sich die „Verwandlung von Gründen in Schuldfragen“ (163), „moralisierende Sprachregelungen“ (164), die „Dämonisierung des Gegners“ (165), „De-Kontextualisierung“ (167) und eine starke „Emotionalisierung“ (172). Insgesamt konstatiert Dillmann, dass die von der Regierung im Fall Nordstream verordnete Linie „Staatswohl vor Aufklärung“ von den Mainstream-Journalisten klaglos hingenommen wurde, Pressefreiheit hin oder her, und dass die Medien mit ihrer „Pressekampagne für die Leos“ sogar das Feld der Berichterstattung über Politik verlassen haben zugunsten dessen, per Berichterstattung Politik zu machen – nämlich die Regierung zu mehr und schnelleren Waffenlieferungen zu treiben.

Auch die journalistische Bearbeitung und Berichterstattung von Israels Krieg im Gazastreifen läuft sprachlich vordefiniert und sprachgeregelt wie es die Regierung mit den Worten „die Unterstützung Israels ist deutsche Staatsraison“ vorgegeben hatte: „Mit Worten Stimmung machen“ (177), „Den Krieg der Bilder gewinnen“ (180), „Gründe in Schuldfragen verwandeln“ (182). Andererseits: Eine gewisse Schwierigkeit bildet hier der Umstand, dass Israels an Guernica 1937 erinnernder Bomben-Terror auch ausserhalb der westlichen Hemisphäre und der ihr eigenen Sichtweise zur Kenntnis genommen wird, etwa durch den Globalen Süden.

Das hat unter anderem bis hin zur Anklage Israels wegen Genozid vor dem ISTGH geführt. Dem treten innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft insbesondere die USA und Deutschland diplomatisch und durch Waffenlieferung an Israels Kriegsführung entschieden entgegen. Desgleichen mit einer gegenüber der gesamten Weltöffentlichkeit ausdrücklich vertretenen Sprachregelung und Betonung, dass von „Terror“ nur bei der Hamas und Hisbollah einschliesslich der vom Iran gesteuerten „Achse des Terrors“ (Netanyahu) die Rede sein kann.

In diesem sprach- und informationspolitischen Kontext weist Renate Dillmann (178) auch auf das Tagesschau-ARD-Glossar „Berichterstattung Nahostkonflikt zur internen Nutzung, Stand 18.10.2023“ [1] hin, das auf 47 Seiten einen sprachlichen Korpus ausbreitet, dessen sich die journalistische Arbeit und Berichterstattung gegenüber der israelischen Kriegsführung bedienen soll – gleichgültig, wie kontrafaktisch das im Einzelfall sein mag. „Terror“ ist – wie Dillmann analysiert – keine Frage der Grösse oder Brutalität der Gewalt, sondern wird per Definition der ausschlaggebenden Staaten bei unerwünschten, meist nicht-staatlichen Akteuren angesiedelt. Dem Verbündeten Israel ist Solidarität und Sympathie entgegenzubringen – auch angesichts der inzwischen offen zu Tage liegenden katastrophalen Konsequenzen von Tod und Vertreibung in Gaza. Eine vehemente staatliche Repression gegenüber „abweichenden Meinungen“ gehört insbesondere in Deutschland zur Durchsetzung dieser Linie (183).

Im Fall China sehen sich die deutschen wie die Medien der NATO-„Wertegemeinschaft“ vor die Aufgabe gestellt, die geostrategisch-militärische Vorwärtseinkreisung Chinas bis hin zur offenen Kriegserklärung durch die USA und NATO präventiv durch den rechtzeitigen Aufbau eines Feindbilds ins rechte Licht zu setzen. Chinas weltpolitisch relevanter Aufstieg in Richtung führende Weltwirtschaftsmacht nebst militärischer Aufrüstung, gebietet eine zumindest „immer auch latent feindseligen Stellung zu ihm“ (194), die inzwischen angesichts der chinesischen Fortschritte ihrerseits heftig vorangekommen ist.

Für die journalistischen Bearbeitung und Berichterstattung bedeutet dies die Verwandlung Chinas in einen Feind für „uns alle“. Das passiert entlang der vorgegebenen „geistigen Leitplanken bei der Wahrnehmung Chinas“ (191), die Dillmann – selbst Autorin eines Buchs zu China [2] – anhand der gängigen Vorwürfe untersucht: „China bedroht die ›regelbasierte Weltordnung‹“ (194); „Autoritäres Staatswesen“ bzw. „Regime“ (196); „China agiert ›neokolonial‹“ (203); „Hongkong“ (204); „Genozid an Uiguren“ (208) und „Taiwan“ (217).

Zeitenwende: Kriegstüchtigkeit und der Wille zum Krieg

Die Perspektive, die die Regierungen den westlichen Bevölkerungen als Adressat, Empfänger und Konsument der journalistisch kommunizierten politischen Botschaft eröffnen ist, ist die, sich kriegstüchtig zu machen. Denn der Wille zum Krieg seitens derer, die von den Bevölkerungen per demokratische Wahl ermächtigt sind, legitimer- und anerkannterweise über Krieg und Frieden zu bestimmen, ist da. Und ihren Willen zum Krieg haben die im Westen demokratisch Ermächtigten zur „Zeitenwende“ erklärt – darin einhellig begrüsst von ihrer freien Presse.

Im Interesse ihrer weiteren unangreifbaren Weltdominanz und Weltgeltung handeln sie zur Zeit so, notfalls einen auch nuklearen 4-Fronten-Krieg gegen Russland, China, Nordkorea und dem Iran zu riskieren. [3]

Eine Alternative

Das geht, solange sich das Publikum so verhält, wie es im „Dreiecksverhältnis von Politik, Presse und Publikum“ (146) bestimmt ist: „Die Rolle der Bürger: Freie und willige Medienkonsumenten.“ (147)

Das allerdings muss – allem Willen zur Manipulation ihrer Bevölkerung durch Politik und Presse zum Trotz – nicht so bleiben, denn es gilt: „Tatsächlich muss alles, was an Informationen auf die Köpfe des Publikums losgelassen wird (in der Form von Artikeln, Sendungen, Bildern, Zitaten, Interviews, Posts auf Online-Plattformen usw.) von diesen Köpfen aufgefasst, durchdacht, von diesen ernst genommen und für plausibel befunden werden – anders geht die vermittelnde Aktivität zwischen Sender und Empfänger nicht.“ (148).

Das Publikum kann seinen Verstand auch anders gebrauchen als bisher: instrumentell und moralisch-staatsidealistisch und damit leider patriotisch. (149 – 159)

Das würde bedeuten, sich wieder mehr des Verstandes im Sinne einer Wahrheitsfindung zu bedienen – gegen all die rechtfertigenden Darstellungen und „Narrative“, mit denen die politischen Entscheidungsträger ihre kriegsträchtigen Berechnungen kommunizieren. Die derzeitige Macht der Nato-Regierungen beruht letztlich in der Tat auf der loyalen Haltung der Bevölkerungen, die bereit sind, sich für die Ziele ihrer Nationen in Dienst nehmen zu lassen. Und das bis hin zum bitteren Ende im Weltkrieg, den die USA durch die Entscheidung, der Ukraine den Einsatz von Langstreckenraketen zu erlauben, erneut provozieren.

„Ob sich das von Politik und Presse angesprochene Publikum die Anliegen der Nation auch um den Preis eines Weltkriegs zu eigen macht und die dafür verlangten Opfer – materiell wie geistig – erbringt. Oder ob es sich anders besinnt. Die Alternative zur anstehenden Kriegsprogrammatik, d.h. zur »Verteidigung von Recht, Freiheit und (Welt) Ordnung« ist erneut – wie vor 1914 – nur sehr grundsätzlich zu haben.“(229)

Fazit: Kaufen! Lesen!

Quelle: untergrund-blättle.ch… vom 28. November 2024

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