Österreich: Neue Regierung mit rechtem Programm
Markus Salzmann. Fünf Monate nach der Nationalratswahl wird in Österreich erstmals eine Dreierkoalition vereidigt, bestehend aus der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos. Regierungschef wird Christian Stocker (ÖVP), den Posten des Vizekanzlers übernimmt SPÖ-Chef Andreas Babler.
Bereits im November hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen der konservativen ÖVP den Regierungsauftrag erteilt. Diese ersten Verhandlungen mit Sozialdemokraten und Neos scheiterten aber, weil die Neos wegen Unstimmigkeiten in Finanzfragen ausstiegen. Anschließend beendete die ÖVP auch die Gespräche mit der SPÖ. Beide zusammen verfügen nur über eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Parlament.
Danach beauftragte Van der Bellen Herbert Kickl, den Chef der rechtsextremen FPÖ, mit der Regierungsbildung. Die ÖVP war umgehend zu Verhandlungen mit den Rechtsextremen bereit, und man einigte sich in nahezu allen Bereichen sehr rasch.
Die Bildung einer Koalition scheiterte letzten Endes an der Forderung der FPÖ, das Innenministerium zu übernehmen. Damit hätte sie die Kontrolle über den Sicherheitsapparat und die Geheimdienste erhalten, was bei der ÖVP, aber vor allem auch bei europäischen Regierungen aufgrund der Nähe der FPÖ zur Regierung in Moskau auf Widerstand stieß.
In eilig einberufenen Krisengesprächen verständigten sich Van der Bellen und die Parteichefs von ÖVP, SPÖ und Neos dann auf erneute Koalitionsverhandlungen. Gleichzeitig erklärten die Grünen, die ebenfalls als Koalitionspartner bereitstanden, sie würden der Regierung aus der Opposition heraus den Rücken freihalten und bei möglichen Misstrauensanträgen keinesfalls gemeinsam mit der FPÖ stimmen.
Auch wenn die FPÖ nun nicht in der Regierung ist, trägt das Regierungsprogramm eindeutig ihre Handschrift. Große Teile fanden sich bereits in den Vereinbarungen von FPÖ und ÖVP und stammen aus der Feder der Rechtsextremen um Kickl. Es handelt sich um die rechteste österreichische Regierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Programm sieht umfassende Kürzungen, umfangreiche Aufrüstung, die Beschneidung demokratischer Rechte und Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten vor.
Die Parteien einigten sich auf massive Kürzungen im Haushalt. In diesem Jahr werden 6,4 Milliarden Euro und im nächsten Jahr mindestens nochmals 2 Milliarden eingespart. Die Kürzungen treffen vor allem die Bereiche Renten, Gesundheit, Soziales und Bildung.
Vorgesehen ist ein Generalangriff auf die Renten. Durch einen „Maßnahmenmix“ soll das Renteneintrittsalter erhöht werden. Hinter verschiedenen Schlagworten wie „Teilpension“ und „Altersteilzeit“ verbergen sich schlichtweg Rentenkürzungen, bzw. ein Anstieg des Renteneintrittsalters. Deutlich wird dies anhand des sogenannten „Nachhaltigkeitsmechanismus“. Sollten die Ausgaben für Renten höher sein als im Budget vorgesehen, wird es weitere „verpflichtende“ Maßnahmen geben.
Darüber hinaus steigt der Krankenversicherungsbeitrag für Rentner ab 1. Juni von 5,1 auf 6 Prozent. Zudem werden Rentenerhöhungen gesetzlich gebremst. Im ersten Rentenjahr wird die Inflation lediglich zur Hälfte berücksichtigt.
Grundlegende Einschnitte soll es auch in der Gesundheitsversorgung geben. In Anlehnung an die jüngsten „Reformen“ in Deutschland, die zu einem beispiellosen Kliniksterben führen, wollen die Koalitionsparteien in Österreich die Versorgung abseits der Kliniken fördern. Um drastische Einschnitte konkret zu planen, soll es eine „Expertengruppe zur Erarbeitung neuer Formen der Finanzierung“ geben.
Auch die Kürzungen bei den ärmsten Schichten, auf die sich FPÖ und ÖVP geeinigt hatten, finden sich nun im Regierungsprogramm wieder.
Für einen nicht näher bezeichneten Personenkreis soll die Sozialhilfe empfindlich gekürzt werden. Statt bisher 1209 Euro soll ein einzelner Bezieher nur noch 950 Euro im Monat erhalten. Betroffen davon sind vor allem Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte, die beispielsweise in Wien rund 44 Prozent aller Sozialhilfebezieher ausmachen. Sie sollen währen einer bis zu dreijährigen „Integrationsphase“ nur eine reduzierte Unterstützung erhalten.
Bezieher staatlicher Unterstützungsleitungen sollen außerdem zur Arbeit oder zu gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichtet werden. Gleichzeitig soll die Familienbeihilfe künftig mit der Sozialhilfe verrechnet werden, was faktisch eine Kürzung der Leistungen für arme Familien bedeutet.
Sämtliche auch noch so geringen Maßnahmen, die den Klimawandel abmildern könnten, fallen den Kürzungen zum Opfer. So wird der Klimabonus ersatzlos abgeschafft. Sogenannte Öko-Förderungen werden ebenfalls gestrichen oder radikal gekürzt.
Für die sozialen Angriffe ist unter anderem Korinna Schumann als Sozialministerin zuständig. Die Tatsache, dass die Frauenvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) diesen Posten übernimmt, deutet darauf hin, dass die Regierung die Gewerkschaften eng einbinden wird, um die Kürzungen durchzusetzen.
Während breite Schichten von den massiven Kürzungen betroffen sind, werden Reiche, Unternehmen und Banken geschont. Bei der viel diskutierten Bankenabgabe einigten sich die Regierungsparteien auf einen Beitrag von 500 Millionen Euro über die nächsten zwei Jahre. Hier von einem symbolischen Betrag zu sprechen, wäre maßlos übertrieben. Allein 2023 machten die österreichischen Banken einen Gewinn von 12,6 Milliarden Euro.
Bei den Themen Innere Sicherheit sowie Asyl und Migration ist das Regierungsprogramm nahezu identisch mit dem der FPÖ. So soll der Familiennachzug für Migranten mit sofortiger Wirkung ausgesetzt und ein „Kontingentsystem“ erarbeitet werden. Offizielles Ziel ist es, „die Asylanträge im Inland auf null zu reduzieren“. Der bisherige und auch künftige Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nannte seine Devise: „Einsperren und abschieben.“
Die von Menschenrechtsorganisationen kritisierte Schubhaft in Rückführungszentren soll länger und öfter angewendet werden. Die Grundversorgungsregeln sollen vereinheitlicht, sprich, nach unten angepasst werden. Schon geringe Verstöße sollen zu empfindlichen Strafen und zur Abschiebung führen.
Mädchen bis 14 Jahren soll es verboten werden, in Österreich ein Kopftuch zu tragen. Ein entsprechendes Verbot werde erarbeitet, um Mädchen „vor Segregation und Unterdrückung“ zu schützen, erklärten Vertreter der zukünftigen Regierung zynisch.
Weiterhin ist vorgesehen, dass Migranten und Flüchtlinge eine Erklärung gegen Antisemitismus unterzeichnen müssen. Dies ist besonders bemerkenswert, bedenkt man, dass bei der FPÖ, mit der die Partei des künftigen Regierungschefs eine Koalition anstrebte, der Antisemitismus quasi das Fundament bildet. Der gegenwärtige Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ), der auch mit Stimmen aus den jetzigen Regierungsparteien gewählt wurde, hat eine Liste von „Leistungsträgern“ aus den 1930er Jahren verfasst, auf der sich mehrere bekennende Antisemiten und Mitglieder der damals illegalen Nazi-Partei finden.
Während in allen Bereichen radikal der Rotstift angesetzt wird, werden die Mittel für Polizei und Geheimdienstapparat massiv erhöht. Damit einher gehen drastische Angriffe auf demokratische Grundrechte.
Im Koalitionsvertrag ist unter anderem eine finanzielle und personelle Aufstockung der Budgets des Sicherheitsapparates vorgesehen. So sollen flächendeckend Bodycams und zusätzliche Waffen wie Taser eingeführt werden.
Unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung sollen mehr Video- und Drohnenüberwachung an den Grenzen sowie „umfassendere Datenanalysen“ zum Einsatz kommen. Ebenso ist die verpflichtende Einsicht in Mobiltelefone von Asylsuchenden vorgesehen.
Auch sogenannte Bundestrojaner sollen zum Einsatz kommen, was im Koalitionsvertrag als „verfassungskonforme Gefährder-Überwachung“ bezeichnet wird. Dadurch kann faktisch jede Person ausgespäht werden.
Während die reale Gefahr des Rechtsterrorismus ausgeblendet wird, sind weitere Maßnahmen gegen islamischen Terrorismus vorgesehen. So soll es neue Strafbestände und erweiterte Befugnisse für die Nachrichtendienste geben. Nicht konkretisiert ist auch eine Reform des Parteiengesetzes, das das Verbot von Parteien erleichtern soll.
Die Gelder aus den Kürzungen fließen vor allem in die Aufrüstung. Die neue Koalition bekennt sich ausdrücklich zur weiteren Aufrüstung des Bundesheers und zur Teilnahme an der europäischen Luftverteidigungs-Initiative Sky Shield.
Das Regierungsprogramm hält fest, dass der „Aufbauplan 2032+“, der bis 2032 rund 17 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in die Streitkräfte vorsieht, weiterhin verfolgt wird. Darüber hinaus soll nach dem Willen der Regierung eine neue Bereitschaftstruppe aus Berufssoldaten und Teilen der Miliz aufgebaut werden. Österreich soll sich auch verstärkt an Auslandseinsätzen und internationalen Friedensmissionen beteiligen.
Mit der Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger übernimmt eine Hardlinerin das Außenministerium der Regierung. Die Neos treten, neben den Grünen, am vehementesten für Aufrüstung und Krieg ein. Sie fordern ein Ende der österreichischen Neutralität und befürworten eine eigenständige, aggressive Kriegspolitik der EU.
Zuletzt schimpfte Meinl-Reisinger im Parlament über die Verhandlungen von US-Präsident Donald Trump mit Russland. Die EU müsse nun selbst für ihre Sicherheit sorgen. Es sei viel geredet worden von Weckrufen und einer Zeitenwende, nun müssten „den Worten Taten folgen“, forderte sie.
#Titelbild: Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit den Vertretern der neuen Regierung Christian Stocker (ÖVP), Andreas Babler (SPÖ) und Beate Meinl-Riesinger (Neos) [Photo by Peter Lechner/HBF]
Quelle: wsws.org… vom 3. März 2025
Tags: Arbeitswelt, Europa, Imperialismus, Neoliberalismus, Neue Rechte, Österreich, Politische Ökonomie, Rassismus, Repression, Russland, Sozialdemokratie, Ukraine, USA
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