Lohnabschlüsse 2015 – Der Lohn für den absoluten Arbeitsfrieden
Willi Eberle. Seit Jahren stagnieren die real verfügbaren Einkommen der Lohnabhängigen, ausser für eine dünne Schicht von ihnen. Andererseits steigen die Kapitaleinkommen als Gewinne, Dividenden, Managerlöhne und steigenden Aktienkursen immer stärker an. Eine gute Gelegenheit, dies zu korrigieren, wären die alljährlich stattfindenden Rituale der Lohnverhandlungen zwischen den Unternehmern und den meist betrieblich isoliert verhandelnden Personalkommissionen. Denkste!
Der christliche Gewerkschaftsbund Travail Suisse stellte vor ein paar Tagen fest: «Sowohl die wirtschaftliche Lage als auch die Aussichten fürs Jahr 2015 präsentieren sich durchwegs positiv. Doch die Arbeitnehmenden profitieren nicht oder kaum davon: Die Ergebnisse der Lohnverhandlungen für das kommende Jahr variieren von Nullrunden bis zu Lohnerhöhungen im Bereich von maximal 1.8%. Im Durchschnitt liegen die meisten Lohnerhöhungen unter einem Prozent.» Für Hunderausende Lohnabhängige wird es per 1. Januar 2015 eine Nullrunde geben. Nichts Neues gegenüber den vergangenen Jahren. Obwohl pro Vollzeitstelle umgerechnet ca 170‘000 Franken erarbeitet werden, also von den Lohnabhängigen und kleinen Selbstständigen 2013 geschaffen wurden, erhalten die allermeisten Lohnabhängigen nicht mal zwei Fünftel davon.
Ernüchternde Ergebnisse
Betrachtet man nur mal die Sektoren, in denen solche Verhandlungen mehrheitlich stattfinden, so zeigt sich deutlich, wie wenig erreicht wurde – insbesondere wenn man die Resultate mit den Forderungen den zuständigen Gewerkschaften vergleicht. Dabei wird mal abgesehen von der übergrossen Mehrheit der Lohnabhängigen, die in Sektoren ohne Verträge und ohne Referenzlöhne arbeiten; für diese Lohnabhängigen entscheidet der Unternehmer alleine ohne irgendwelche Verhandlungen über allfällige Lohnerhöhungen.
So etwa forderte Vania Alleva, die Co-Präsidentin der Unia an der SGB-Pressekonferenz vom 2. September: «2015 braucht es eine kräftige Reallohnerhöhung für alle!» Ohne allerdings irgendwelche Massnahmen folgen zu lassen, um diesen Forderungen auch nur symbolisch Nachdruck zu verschaffen, z.B. durch Mobilisierungen und der Schaffung von organisatorischen Strukturen, die die Lohnabhänggien in den Lohnauseinandersetzungen zusammenbinden würden. Es müssen ja nicht gleich eine national koordinierte Arbeitsniederlegung oder andere Kampfmassnahmen sein. Wenn nur schon mal nationale Aktionen verbunden mit grossen Demos aufgebaut worden wären. Aber, auch dies nichts Neues: Nichts von alldem geschah. So ist die nahezu Nullrunde für 2015, auch dies nichts Neues, nicht erstaunlich.
Die Atomisierung der Lohnabhängigen
All dies muss in einem Zusammenhang gesehen werden, wo die unternehmerischen Interessen seit 25 Jahren in Richtung einer Senkung der direkten und indirekten (Sozialversicherungen, Altersvorsorge, Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung, etc) Lohnkosten immer offensiver durchgezogen werden, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stossen. Die Arbeitsrealität der Lohnabhängigen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durchgehend verändert. Und meist zuungunsten der Arbeitenden – ihre Arbeitsbedingungen haben sich zusehends individualisiert und flexibilisiert.
Ursprünglich waren die Gewerkschaften gerade um Kämpfe der Arbeiterklasse entstanden, um kollektiv Einkommen und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es gab diesbezüglich verschiedene geschichtliche Phasen in der Geschichte der Schweizer – wie aller – Gewerkschaften. In der aktuellen Phase seit spätestens den neunziger Jahren ist ein massiver Vormarsch der Warenform in alle Poren auch des Arbeitslebens zu beobachten – meistens gebilligt und unterstützt von den Gewerkschaftsführungen, um damit die Wirtschaft unter der uneingeschränkten Führung der Unternehmer konkurrenzfähiger zu machen.
Dies hat seine Spuren auch in der Lohnstruktur hinterlassen, wo der Lohn immer stärker an die individuelle Leistung – was immer das sei – gebunden wird. Damit wird den Unternehmern eine immer grössere Entscheidungsfreiheit über die Entwicklung der Löhne gegeben und die Lohnabhängigen treten diesen jeweils in wachsendem Masse als Einzelmasken gegenüber. Die Luftgebärden der Gewerkschaftsführungen mit den allfrühherbstlichen Pressekonferenzen um Lohnforderungen ziehen an dieser Alltagsrealität der Lohnabhängigen vorüber wie ein fernes, kaum wahrnehmbares Donnergrollen an dem verdurstenden Kamel inmitten der Wüste Gobi.
Dies wird auch in den kommenden Jahren kaum anders verlaufen. Erst wenn die Lohnabhängigen kollektiv und aktiv in die Auseinandersetzungen um ihre Arbeitsbedingungen eingreifen, wird eine Änderung möglich sein. Und bislang haben die Gewerkschaftsapparate keine Anstalten gemacht, in diese Richtung tätig zu werden. Dies würde nämlich ein Ende des absoluten Arbeitsfriedens, wie er in jedem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) als wichtigste Bestimmung festgehalten wird, bedeuten. Das heisst die Gewerkschaften müssten vollständig umgebaut werden, so dass sie zu einem Instrument in den Händen kampfwilliger Segmente der Lohnabhängigen würden. Und dies zu verhindern, daran haben die Unternehmer und die Gewerkschaftsführungen ein gemeinsames Interesse.
Vorwärts, 16. Januar 2015
Tags: Arbeiterbewegung, Gewerkschaften
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