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Israels „Staat-der-Juden“-Gesetz stößt auf grossen Widerstand

Eingereicht on 10. August 2018 – 9:23

Georg Polikeit. 90.000 bei Massendemonstration gegen „Nationalstaatsgesetz“ ++ Proteste weiten sich aus ++ Vereinte Liste reicht Klage beim Obersten Gerichtshof ein ++ US-amerikanisch-israelischer Geheimplan für die Neubelebung der alten „Greater Middle East“-Pläne der USA

Das von der rechten und rechtsextremen Knesset-Mehrheit am 19. Juli mit knapper Mehrheit verabschiedete „Nationalstaatsgesetz“ hat mehr Widerstand ausgelöst, als dessen Verfechter gedacht haben. Am vergangenen Wochenende (4.8.) fand in Tel Aviv eine der größten Massendemonstrationen statt, die Israel seit Jahrzehnten erlebt hat.

Zehntausende beim von Drusen initiierten Protest

„Wir wollen Gleichheit“ riefen die rund 90.000 Teilnehmer (nach israelischen Medien mehr als 50.000), die sich unter wehenden israelischen und drusischen Fahnen am Samstagabend des 4. August auf dem Rabin-Platz versammelten. Hauptträger waren die sonst zu solchen Demonstrationen eher nicht bereiten Drusen. Das ist eine vor allem in mehreren Gemeinden in Nordisrael wohnende Minderheit arabischer Abstammung (rd. 130.000 Menschen), die sich aufgrund ihrer speziellen Religion aber als eigenständige Volksgruppe verstehen. Eine Besonderheit ist, dass die Drusen Wehrdienst in der israelischen Armee leisten. Teilweise stellen Drusen ganze Einheiten. Drusische Offiziere stiegen bis in die oberste Kommandoebene auf. Neben den Drusen leisten auch Teile der in Israel lebenden Beduinen und andere kleinere Minderheiten Wehrdienst, während die palästinensischen Araber davon ausgenommen sind.

Umso mehr fällt ins Gewicht, dass sich die Mehrheit der Drusen nun durch das „Nationalstaatsgesetz“ zu Menschen zweiter Klassen degradiert und diskriminiert fühlen. Das beruht vor allem auf der Bestimmung in Artikel 1 des Gesetzes, da nur das „jüdische Volk“ das Recht auf Selbstbestimmung im Staate Israel hat, da in Artikel 3 nur die hebräische Sprache zur offiziellen Staatssprache erklärt wird und da in Artikel 7 ausschließlich „jüdische Siedlungen“ als „nationaler Wert“ bezeichnet werden, denen besondere staatliche Förderung zugesichert wird.

Zu der Kundgebung aufgerufen hatten u. a. das „Forum der drusischen Armeeoffiziere“, zu dessen führenden Persönlichkeiten einer der ranghöchsten drusischen Offiziere, der Brigadegeneral in Reserve Amal Assad, ehemaliger Kommandant der Infanterie und Veteran mehrerer Kriege gehört. Außerdem hatten mehrere Bürgermeister drusischer Städte dazu aufgerufen. Als Hauptredner auf der Kundgebung forderte General Assad die Regierung auf, das „Nationalstaatsgesetz“ wieder aufzuheben, von dem er in einem Facebook-Eintrag geschrieben hatte, da es Israel „in einen Apartheid-Staat verwandelt“.

Netanjahu manöveriert

Es war Netanjahu nicht gelungen, in einer noch vor der angesetzten Großkundgebung eiligst einberufenen Zusammenkunft die Drusen zur Rücknahme ihres Aufrufs zu bewegen. Als Assad sich nicht bereit zeigte, von seinem Facebook-Eintrag abzurücken, verließ Netanjahu wütend, aber unverrichteter Dinge die Sitzung.

Inzwischen wurde allerdings von Regierungsseite versucht, doch noch einen „Kompromiss“ zu finden. Das beruht offenbar darauf, dass sich im Unterschied zu den „weltlichen“ Sprechern der Drusen, die zu der Kundgebung aufgerufen hatten, führende drusische Geistliche in ihrer Protesthaltung wesentlich zurückhaltender zeigten. Netanjahu initiierte den Vorschlag, eine gemischte Kommission zu bilden, die bis zum Herbst ein weiteres Gesetz ausarbeiten soll, in dem angeblich speziell die „Rechte der Minderheiten“ und besonders der Status der Drusen im „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ gesetzlich verankert werden soll. Außerdem versprach der Regierungschef den Drusen plötzlich mehr Geld für den Ausbau ihrer Städte und Gemeinden, Schulen und religiöser Einrichtungen.

Letzteres stieß bei den Vertretern der Drusen allerdings eher auf Befremden. Sie erklärten, es gehe ihnen nicht um Vorteile für eine bestimmte Volksgruppe, sondern um die Gleichberechtigung und Gleichstellung aller in Israel lebenden Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit.

Netanjahu erklärte aber inzwischen, da er und seine Regierung auf keinen Fall bereit sind, auf das verabschiedete Nationalstaatsgesetz mit seinen diskriminierenden Bestimmungen zu verzichten. Dieses Gesetz sei unerlässlich, um den „jüdischen Charakter“ des Staates Israel für alle Zeiten festzuschreiben, ließ er verlauten.

Proteste weiten sich aus

Proteste gegen das neue Gesetz gab es neben der Kundgebung in Tel Avis, an der auch Vertreter der sozialdemokratisch-liberalen Opposition und der „Vereinten Liste“ der arabischen Parteien und der Kommunisten teilnahmen, zeitgleich in vielen arabischen Städten in Israel, u.a. in Sakhnin, Rahat und Kufr Kana. Mehrere Hundert demonstrierten auf Initiative der Kommunistischen Partei Israels und der arabisch-jüdischen „Hadasch“-Front vor dem Wohnhaus von Finanzminister Kahlon in Haifa, der sich gern als „liberalerer“ Partner in Netanjahus Rechtsregierung präsentiert.

Für kommenden Samstag (11. August) ist eine weitere Massendemonstration auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv angekündigt, diesmal veranstaltet von dem „High Follow-Up Committee for Arab Citizens of Israel“ („Hohen Vertretungskomitee für arabische Bürger Israels“).

Mitglieder der Vereinten Liste werden Anfang nächsten Monats in Brüssel mit der Leiterin der Außenpolitik der Europäischen Union, Federica Mogherini, und dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres zusammentreffen. Sie wollen diese hochkarätigen Treffen nutzen, um eine internationale Kampagne gegen das Gesetz zu starten und mit Unterstützung führender Schriftsteller, Dichter und Intellektueller weltweite Unterstützung zu mobilisieren.

Hunderte israelische Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle haben Regierungschef Netanjahu in einer Petition aufgefordert, „diese Sünde“ des Nationalstaatsgesetzes zu beseitigen. Es erlaube „radikale und religiöse Diskriminierung“ und „widerspricht der Definition eines demokratischen Staates und der Unabhängigkeitserklärung, auf dessen Basis der Staat gegründet wurde“, heißt es in der Erklärung. Zu den Unterzeichnern gehören die Schriftsteller Amos Oz, David Grossman, Etgar Keret und A.B. Yehoshua. Der Historiker Yuval Noah Harari hat aus Protest seine Teilnahme an einer Veranstaltung des israelischen in Konsulats in Los Angeles abgesagt. Er sei stolz, Israeli zu sein, aber das Konsulat sei ein verlängerter Arm einer Regierungspolitik, mit der er nicht in Verbindung gebracht werden wolle, so Harari.

Ein US-amerikanisch-israelischer Geheimplan

Inzwischen gibt es Anzeichen, da die unnachgiebige Durchsetzung dieses umstrittenen „Nationalstaatsgesetzes“ durch Netanjahus reaktionäre Rechte nicht nur innenpolitische Zwecke verfolgt, sondern Teil eines zwischen Netanjahu und USA-Präsident Trump abgesprochen Planes ist, mit dem eine angebliche „Endlösung“ des Israel-Palästina-Konflikts angestrebt wird.

Innenpolitisch braucht der wegen handfester Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seine Frau angeschlagene Regierungschef die zugespitzte Emotionalisierung um das „Nationalstaatsgesetz“, um angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen die Wähler jüdischer Abstammung mit dem Argument von der „Bedrohung“ der „Juden“ durch die „Araber“ hinter sich zu bringen und eine Wahlniederlage gegen die von Sozialdemokraten und Liberalen gebildete „Zionistische Union“ zu verhindern.

Zugleich ist Netanjahu aber bestrebt, die günstige aktuelle Situation durch die totale Unterstützung von Donald Trump sowie das „Wohlwollen“ der arabischen Golf-Staaten und Ägyptens zu nutzen, um seine Expansionspläne voranzubringen und vollendete Tatsachen hinsichtlich der territorialen Grenzen des Staates Israel zu schaffen. Damit soll Israel zur Hauptdrehscheibe für das Hegemoniestreben der USA im Nahen und Mittleren Osten und für die Neubelebung der alten „Greater Middle East“-Pläne der USA gemacht werden.

Trumps „Friedensplan“: Taktik der vollendeten Tatsachen

Trump hat seinen Schwiegersohn Jared Kushner als „Sonderbeauftragten für den Nahen Osten“ eingesetzt und mit der Ausarbeitung eines „Friedensplanes“ beauftragt. Über diesen Plan wurden bisher zwar immer wieder Gerüchte in Umlauf gebracht, sein Inhalt seit über einem Jahr aber sorgfältig geheim gehalten. Verschiedene Beobachter der Nahostszene sind mittlerweile allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass in Wirklichkeit die stückweise Umsetzung dieses Plans mit einer „Taktik der vollendeten Tatsachen“ bereits im vollen Gang ist.

US-Botschaft nach Jerusalem verlegt

Der Auftakt dafür war die Verlegung der Botschaft der USA von Israels offizieller Hauptstadt Tel Aviv nach Jerusalem. Damit wurde die bedingungslose Unterstützung der Trump-Administration für die Expansionspläne der israelischen Rechten signalisiert.

Nationalstaatsgesetz

Als zweiter Schritt folgte nun das „Nationalstaatsgesetz“ mit seiner Festschreibung der Vorherrschaft des „jüdischen Volkes“ im israelischen Staat. Zugleich wurde damit Jerusalem „vollständig und vereint“, also sowohl West- wie das arabisch besiedelte Ost-Jerusalem offiziell zur Hauptstadt Israels erklärt und damit völkerrechtswidrig in das israelische Staatsgebiet annektiert. Bisher war Jerusalem nach den einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts kein Teil des Staates Israel, sondern als Sitz von drei Weltregionen eine Stadt mit besonderem internationalem Status.

Finanzsperre für das UNWRA und Vorbereitung der vollständigen Annexion der palästinensischen Gebiete

Ergänzt werden diese zwei ersten Schritte der „Salamitaktik“ zur Umsetzung des Kushner-Plans nun durch die Mitteilung, da Kushner als dritten Schritt einen Angriff auf das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNWRA gestartet hat und fordert, ihm die Geldmittel zu streichen, die es bisher zur Betreuung der ca. fünf Millionen palästinensischer Flüchtlinge in den Flüchtlingslager im Gazastreifen und Westjordanland, in Jordanien, Syrien und dem Libanon, zum Unterhalt von Schulen und für Nahrungsmittelhilfe und Medikamente zur Verfügung hatte. Praktisch würde das die Liquidierung dieser UN-Einrichtung bedeuten.

Das ergibt sich aus einem Bericht des renommierten USA-Magazins „Foreign Policy“ vom 3. August. Demnach hatte Kushner in vom 11. Januar datierten internen E-Mails an eine Reihe anderer Mitarbeiter der US-Administration, darunter Trumps Nahostfriedensbeauftragten Jason Greenblatt geschrieben, es sei „wichtig, eine schonungslose und ernstgemeinte Anstrengung zu unternehmen, das UNWRA zu zerstören“. Denn diese Einrichtung verewige den Status quo, sei korrupt und ineffizient und diene nicht dem Frieden.

Laut „Foreign Policy“ sehen viele Unterstützer Israels in den USA das UNWRA als „Teil einer internationalen Infrastruktur“ in, „die das Flüchtlingsproblem künstlich am Leben hält und unter den Palästinensern im Exil Hoffnungen anfacht, da sie eines Tages in ihre Heimat zuückkehren können – eine Möglichkeit, die Israel völlig ausschließt“.

Offenbar meint man in der Trump-Administration, durch die Liquidierung der UNWRA-Lager das Flüchtlingsproblem beseitigen und damit die Frage ihres Rechts auf Rückkehr aus künftigen Verhandlungen über eine „Friedensregelung“ ausblenden zu können.

Nächste Schritte

Es ist abzusehen, da nach Kushner-Plan diesen Schritten weitere folgen werden. Sie dürften im Namen einer „endgültigen Friedensregelung“ die Eingliederung der großen Zahl der inzwischen immer weiter ausgebauten israelischen Siedlungen im Westjordanland in das israelische Staatsgebiet und damit die offene Annexion großer Teile des Westjordanlands zum Inhalt haben. Der verbleibende Rest dürfte unter der Schwindel-Bezeichnung „Autonomiegebiet“ unter israelische Vormundschaft gestellt werden.

Mit dem „Nationalstaatsgesetz“, das die Palästinenser und andere ethnische Minderheiten in Israel zu Einwohnern zweiter Klasse und die Menschen jüdischer Abstammung zu dominierenden Staatsbürgern macht, wird eine Art „Rechtsgleichheit“ auf beiden Seiten der israelischen Grenze hergestellt. Denn auch im Westjordanland sind die Bewohner der jüdischen Siedlungen rechtlich bessergestellt als die dem Besatzungsregime unterworfenen Palästinenser. Insofern ist die Einführung der Apartheid in Israel nur eine Gleichschaltung mit der bereits seit längerem praktizierten Apartheid im Westjordanland. Mit der Apartheid in Israel wir faktisch die Annexion der Palästinensergebiete vorbereitet.

Siedlungsbau, Enteignung und Vertreibung von Palästinensern aus ihren bisherigen Wohngebieten, Apartheid, ethnische Säuberung und Annexion – das alles hat einen inneren Zusammenhang. Es entspricht der Gesamtlogik des Expansionskurses der herrschenden israelischen Rechtskreise.

Quelle: kommunisten.de… vom 10. August 2018

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