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Wie weiter in Brasilien?

Eingereicht on 19. November 2018 – 15:04

Miguel Sorans. In Brasilien hat die politische und soziale Krise, nach Venezuela, in Lateinamerika den höchsten Punkt erreicht. Das schockierende Wahlergebnis des rechtsextremen Bolsonaro ist Ausdruck dieser Krise und des Scheiterns der lateinamerikanischen reformistischen Linken. Insbesondere der Politik von Lula, Dilma und der PT, die mehr als 15 Jahre lang eine Regierung mit Anpassung und Korruption führten. Der Triumph von Bolsonaro wirft alle möglichen Fragen und Debatten über die Ursachen für den Vormarsch der Rechtsextremen auf: Warum haben Millionen, darunter die Arbeiterklasse und andere Sektoren der Bevölkerung, ihm die Stimme gegeben? Ist Brasilien auf dem Weg zu einer Diktatur oder zu einem neuen Faschismus?

Die Debatte dreht sich um die Tatsache, dass jemand wie Bolsonaro, eine rechtsextreme, neofaschistische Figur, mit einem Team triumphiert, das von ehemaligen Militärs umgeben ist, die sich auf die Diktatur von 1964 berufen. Bolsonaro triumphiert nicht nur, weil er eine traditionelle rechtsgerichtete Abstützung in der Bourgeoisie und in der oberen Mittelschicht hat, sondern auch, weil er sich auf eine breite Unterstützung in Teilen der Arbeiterklasse und bei den Armen in städtischen Slums berufen kann. Bolsonaro erhielt 57.800.000 Stimmen und Haddad, von der PT, 47.000.000.000. Es waren dies 10 Millionen Stimmen Unterschied.

Die Wahl von Bolsonaro brachte, wenn auch völlig falsch, den Hass und den Bruch von Millionen von Arbeitern gegenüber Lula und der PT zum Ausdruck. Dahinter steckt eine Abscheu gegenüber Dutzenden von Jahren der PT-Regierung, die gegen die arbeitende Bevölkerung und zum Wohle der multinationalen Unternehmen, des Finanzkapitals und der großen Grundbesitzer gewirkt hat. Gleichzeitig drückt sich darin auch der Unglauben und der Bruch mit allen traditionellen bürgerlichen Parteien aus. Die Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB), die historische Partei der Bourgeoisie, die die Zeit der Postdiktatur verkörperte und mit der der PT (Temer war Vizepräsident von Dilma) verbündet war, erhielt in der ersten Runde 2% der Stimmen. Die Brasilianische Sozialdemokratische Partei (PSDB), bestehend aus dem ehemaligen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, gewann 4,5%. Sie wurden geradezu pulverisiert. Gleichzeitig steckte die PT in der ersten Runde, obwohl sie die zweite Runde erreichte, deutliche Schläge ein. Dilma wollte als Senatorin zurückzutreten, verblieb aber auf dem vierten Platz und trat nicht in den Senat ein.

Bolsonaro gewann in den meisten Gliedstaaten, insbesondere in den großen, industriellen und am stärksten politisierten. Er gewann in São Paulo, Mina Gerais, Rio Grande do Sul und Rio de Janeiro mit durchschnittlich 65% der Stimmen. Er gewann im Industriekordon des ABC von Sao Paolo, der historischen Klassenbasis von Lula und der PT. Die PT gewann in den ärmsten und am dünnsten besiedelten Gliedstaaten des Nordostens.

Die Politik der Klassenzusammenarbeit der PT ist für diesen schwindenden Rückhalt in der Arbeiterklasse verantwortlich.

Das Votum von Millionen von Arbeitern für Bolsonaro ist Ausdruck eines klaren politischen und ideologischen Rückschlags. Dies hat in der globalen politischen Avantgarde der Arbeiterklasse eine Debatte über deren Ursachen ausgelöst.

Die Führer der PT und der lateinamerikanischen Linken, die in den letzten Jahren die pseudoprogressiven Regierungen von Chávez-Maduro, den Kirchners, Evo Morales und Daniel Ortega unterstützt haben, führen diese Niederlage auf eine vermeintliche „konservative Welle“ der Massen zurück, die im Falle Brasiliens mit den Tagen im Juni 2013 begonnen hätte, als sich Millionen gegen die Einführung eines Transporttarifs und einer Erhöhung der Lebenshaltungskosten mobilisierten. Dies geschah unter der Regierung Dilma-Temer-PT. Die PT beschuldigte dann die Rechte, diesen Protest „ermutigt“ zu haben und öffnete den Weg zum sogenannten „Staatsstreich 2016“, während die Volksrebellion 2013 in Wirklichkeit ein echter Massenprotest gegen die Austeritätsregierung von Dilma war.

Die PT hungerte die Menschen aus und führte Tarife ein, während sie pharaonische Fußballstadien für die Weltmeisterschaft mit korrupten Verträgen mit Odebrecht baute. Vor dem Hintergrund des Volkszornes gegen Dilma führte das bürgerliche Parlament das Manöver durch, um sie abzusetzen. Es gab keinen „Staatsstreich“. Und die politische und soziale Krise hörte nicht auf. Temer erreichte nur 2% Popularität und 2017 kam es zu einem Generalstreik. Das Bolsonaro-Phänomen entstand aus dieser Ablehnung durch die Massen.

Mit diesen Argumenten wollen sich die PT und die lateinamerikanische reformistische Linke ihrer Verantwortung für den Aufstieg von Bolsonaro entziehen, indem sie die Schuld den angeblich „konservativen“ Menschen zuschieben. Aber es war das Scheitern der falschen „nationalen und populären“ Modelle oder des so genannten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von Chávez-Maduro, die zu dieser Verwirrung bei der Abstimmung von Millionen aus der Arbeiterklasse und den populären Sektoren führten. Regierungen, die nicht mit multinationalen Unternehmen und dem Finanzkapital brechen und sich nicht auf die Bedürfnisse der Menschen orientieren. Bolsonaro lässt sich nur durch den Hass und die Ablehnung der Bevölkerung erklären, die von den PT-Regierungen erzeugt wurde. Die Massen werden nicht einfach „konservativ“ oder „rechts“, sondern wegen ihrer Ablehnung der Parteien des kapitalistischen Systems, seien diese nun liberal oder falsch links, versuchen sie fälschlicherweise, mit ihrer Stimme zu bestrafen; sie werden so Opfer der Wahlfallen der populistischen Ultrarechten. Ähnliches geschah mit der Wahl von Salvini in Italien oder von Le Pen in Frankreich.

Von nun an können wir diese falschen und gefährlichen Wahlen nicht mehr kleinreden. Aber im Falle Brasiliens glauben wir nicht, dass es sich um ein konsolidiertes und stabiles Votum für die extreme Rechte handelt. Die Dinge sind widersprüchlicher. Die Arbeiter, die für Bolsonaro gestimmt haben, haben die Erwartung, dass Korruption und Unsicherheit beendet werden und sich ihr Lebensstandard verbessert. Nichts davon wird passieren. Was wird passieren, wenn diese Erwartungen erfüllt sind? Das erste, was zu berücksichtigen ist, ist, dass in Brasilien die Arbeiterklasse nicht besiegt wird. Das Volk, so wie es die PT bestraft hat, kann am Ende Bolsonaro mit Mobilisierungen bestrafen.

Geht Brasilien auf ein diktatorisches oder neofaschistisches Regime zu?

Bolsonaro ist ein rechtsextremer oder neofaschistischer Politiker. Aber eine andere Sache ist es, zu definieren, um was für ein Regime es sich ab dem 1. Januar 2019, wenn Bolsonaro sein Amt antritt, handeln wird, diktatorisch oder neofaschistisch. Bolsonaro will der politischen und sozialen Krise ein Ende setzen, indem er einen Plan der Ausbeutung durchsetzt, der über die gegenwärtige hinausgeht, mit Unterdrückung und Missachtung der demokratischen Freiheiten; wird ihm das gelingen? Wir müssen sehen, ob die Massenbewegung dies zulässt. Die Arbeiterklasse und die populären Sektoren wurden bislang auf den Straßen nicht besiegt. Bolsonaro gewann nur eine Wahl. Im Jahr 2017 führte die brasilianische Arbeiterklasse einen historischen Generalstreik durch, und es gab Hunderte von Streiks im Land. Die Bewegung der Frauen und Jugendlichen mit ihrer Mobilisierung durch Ele Não zeigte ihre Entschlossenheit zum Widerstand. Damit es einen Wechsel des diktatorischen Regimes geben kann, müssen sie den Werktätigen eine große Niederlage aufzwingen. Und das zeigt sich erst in den kommenden Kämpfen. Wir setzen auf die Arbeiterklasse und die Mobilisierung der breiten Bevölkerung, um die Pläne von Bolsonaro zu besiegen.

Quelle: laclase.info… vom 18. November 2018; Übersetzung aus dem Spanischen durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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