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USR III: «Willkommenskultur» im Imperialismus

Eingereicht on 21. Juli 2016 – 15:18

Willi Eberle. Mit der am 17. Juni 2016 im Parlament beschlossenen Unternehmenssteuerreform III (USR III) will die helvetische classe politique den Unternehmern und Aktionären weitere 4 bis 8 Mia jährliche Steuererlasse schenken.

Währenddessen wird der Sozialabbau und die fremdenfeindliche Politik verschärft, z.B. mit den Angriffen auf unsere Altersvorsorge in der ersten und zweiten Säule, beziehungsweise immer weiteren Verschärfungen der Asylgesetzgebung. Dies ist die Willkommenskultur nach dem Geiste der Reichen und der Unternehmer!

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Das Bundesparlament hat am 17. Juni 2016 die sogenannte Unternehmenssteuerreform III (USR III) beschlossen. Die Aktionäre und Unternehmer konnten für ein weiteres Mal über ein grosses Steuergeschenk auf Kosten der breiten Bevölkerung jubeln; diese wird nämlich für den Verlust von 4 bis 8 Mia Fr Steuersubstrat früher oder später aufkommen müssen, sei es in Form von höheren Mehrwertsteuern, sei es in Form von weiteren Angriffen auf die Sozialversicherungen, die Altersvorsorge und die öffentlichen Dienstleistungen und in Form steigender Krankenkassenprämien. Ganz abgesehen davon, dass die Schweiz fortan über ein Steuersystem verfügen würde, das noch grösseren politischen Druck der breiten Bevölkerung erfordern würde, um wieder ins Lot zu kommen.

Diese Steuerreform beinhaltet ein Bündel von Massnahmen, um die steuerliche Sonderbehandlung von sogenannten «Spezialgesellschaften» zu beseitigen. Diese Sonderbehandlung hat in der Schweiz eine lange Tradition und geht in einzelnen Kantonen bis in die frühen 1920er Jahre zurück.[i] Mit der Durchsetzung des neoliberalen Akkumulationsmodelles ab den 1990er Jahren verschärfte sich der internationale und vor allem auch der interkantonale Steuerwettbewerb zugunsten der Reichen und der Unternehmer. Diese Sonderbehandlung wurde 1998 mit der Unternehmenssteuerreform I (USR I) auch im eidgenössischen Steuerrecht institutionalisiert. Die Schweiz geriet jedoch ab den 2000er Jahren von den anderen imperialistischen Ländern zunehmend unter Druck, diese Sonderbehandlung ausländischer Unternehmen einzustellen; denn dadurch verlieren diese Länder jährlich zwei bis drei Dutzend Milliarden an Steuereinnahmen.

Die Schweizer Bourgeoisie ergriff die Gelegenheit gleich beim Schopf und – anstatt einfach die Steuern für alle Unternehmen auf dieselbe Höhe zu heben wie für die breite Bevölkerung (20 bis 35 %, je nach Berechnungsart) -, versucht sie mit der USR III, die Unternehmensbesteuerung so anzugleichen, dass alle Unternehmen gleich tief wie die 24’000 «Spezialgesellschaften» besteuert werden. Dieser neue durchschnittliche Steuersatz für Unternehmen dürfte je nach Standort zukünftig bei 13 % bis 18 % liegen. Je nach Schätzung muss damit jährlich beim Bund, in den Kantonen und Gemeinden insgesamt mit 4 bis 8 Mia Franken Steuerausfällen gerechnet werden.

Zu oft schon hatte die helvetische Bourgeoisie im 20. Jahrhundert mit ihren Vorstellungen über eine unternehmerfreundliche Steuerpolitik Erfolg, so dass sie auch diesmal zuversichtlich ans Werk gehen konnte. Dass die aktuelle Reform auf Druck des «Auslandes» zustande kam, kam ihr bei diesem neuesten Steuercoup sehr zupass: So konnte gleich noch der immer wieder nützliche Nationalismus als propagandistische Nebelpetarde eingesetzt, und der Raubzug auf die Staatsfinanzen hinter diesem Rauchvorhang des bösen Auslandes versteckt werden….

Steuerpolitik im Paradies des Kapitals

Die USR II, die 2008 in einer Referendumsabstimmung mit 50,5 % nur knapp obsiegte, bescherte den 17 % der Bevölkerung aus Aktionären und Unternehmern Milliarden an Steuerreduktionen[ii]; so belief sich diese 2011, dem Jahre des Inkrafttretens, auf 1,2 Milliarden. Bislang kostet die USR II pro Jahr vermutlich um eine Milliarde Steuereinnahmen; seit 2011 wurden über 380 Milliarden Franken an Kapitalreserven steuerfrei oder zu einem sehr tiefen Steuersatz an die Aktionäre ausgeschüttet. Und dies, obwohl der Bundesrat anlässlich der Referendumskampagne 2008 von Steuerausfällen von maximal «etwa 84 Millionen Franken» gesprochen und damit das Stimmvolk «irregeführt» hat, wie später das Bundesgericht in einem Urteil festgehalten hat.

Mit der USR III sollen Unternehmen die steuertechnische Berechnung ihres Gewinnes bis auf 20 % reduzieren können, so dass deren Steuern letztendlich nur noch 1,5 % des Gewinnes betragen würden.[iii] Die damalige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat anlässlich der Eröffnung der politischen Kampagne für die USR III im Frühjahr 2015 auch angekündigt, das Budget des Bundes um 1,1 Milliarden Franken zu kürzen, denn «die Unternehmenssteuerreform kostet uns etwas».[iv]

Laut dem Schweizer Wirtschaftsmagazin «Bilanz» besassen im Jahr 2013 die 300 Reichsten der Schweiz 564 Milliarden Franken, damit hat sich ihr Vermögen in den letzten 25 Jahren mehr als versechsfacht. Und wer reich ist, bleibt reich: Von den 40 Milliarden Franken, die im 2010 vererbt wurden, flossen mehr als die Hälfte an bestehende Millionäre. Ein wichtiges Element dieser Konzentration der Vermögen in der Schweiz ist die Steuerpolitik: Eine sehr tiefe Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen (die nationale Erbschaftssteuer wurde 2015 abgelehnt), keine Besteuerungen der Kapitalgewinne – die Initiative zur Besteuerung der Kapitalgewinne ist 2001 an der Urne gescheitert -, die Reichensteuer, die Abschaffung der Pauschalbesteuerung wurden 2010 bzw. 2014 verworfen. Wie auch die USR II, wie erwähnt, 2008 nur äusserst knapp durchkam. Zudem wiesen die Umfragewerte Anfang Mai 2016 noch auf «ein günstiges Klima für die Steuerreform» hin.[v]

Die verschiedenen Sektoren der classe politique, insbesondere deren Einflüsterer am Zürcher Paradeplatz und in den Unternehmerverbänden und bei avenir suisse, machen sich trotz ihrer bisherigen Erfolge in Sachen Steuerpolitik Sorgen, ob die USR III, dieses bislang grösste Steuergeschenk an die Reichen und Unternehmer, in einer allfälligen Referendumsabstimmung (beispielsweise im Februar 2017) eine Mehrheit finden könnte. Denn es geht «neben dem Verhältnis zu Europa um das wichtigste Dossier für den Wirtschaftsstandort Schweiz».[vi] Sie fordern von der Bevölkerung, durch eine Zustimmung zum «Maximalpaket» der USR III, «eine Willkommenskultur … für international mobile Firmen» zu schaffen.

Wo steht die Regierungslinke?

Diese Argumente werden auch von der Sozialdemokratie, den Grünen und den Gewerkschaften nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Für sie ist einfach «das Fuder überladen», deshalb haben sie, nach langem Zögern, als unmissverständlich klar war, dass ihre Forderungen in den parlamentarischen Ausmarchungen nicht im Geringsten berücksichtigt wurden, definitiv das Referendum ergriffen. Sie hofften lange und vergebens auf eine «Korrektur der Fehler der USR II, den Erhalt des Steuersubstrates und auf internationale Konformität». [vii] Nur die letzte Forderung lag – notgedrungen – im Interesse der Unternehmer und Reichen, nur diese wurde in der USR III Vorlage umgesetzt. Und die SPS steht erneut mit verlorenen Illusionen da – und ruft nun das Volk zu Hilfe.

Das Referendum wurde bereits im Frühjahr 2014 von einigen linken Organisationen angekündigt. Die SPS schloss sich widerwillig an und benutzte die Drohung mit dem Referendum als – offenbar wirkungslose – Waffe, um von ihren bürgerlichen Kumpanen Zugeständnisse (z.B. eine Kapitalgewinnsteuer und eine Korrektur der USR II) zu erhalten.

Die Sozialdemokratie, die Grünen, solidaritéS, die AL und die PdA sitzen im Bund, in den Kantonen und / oder in den Gemeinden in den Regierungen und in den einschlägigen Spezialgremien, z.B. den Kommissionen für Sozialpolitik oder Finanzpolitik; sie setzen dort die Steuerpolitik und die aus ihr folgende Abbaupolitik national, kantonal und in den Gemeinden durch. Die SPS selbst ist gespalten zwischen einem vor allem institutionellen Flügel, der die USR III offen unterstützt und dem Teil der Basis, der sie bekämpfen will. So hat Pierre-Yves Maillard, Galionsfigur der SP-Linken und Regierungsrat im Kanton Waadt, einem Pionierkanton in Sachen Steuerdumping, die USR III anlässlich des kantonalen Referendums im März 2016 offensiv unterstützt und ihr damit zum Durchbruch an der Urne verholfen.[viii] Dies wurde von den Verfechtern der USR III auch immer wieder lobend vermerkt, wie auch die Äusserungen und Praktiken von anderen Regierungsmitgliedern und Parlamentsmitgliedern der Regierungslinken.[ix]

Steuerpolitik im Imperialismus

Das Steueraufkommen aus Einkommen der natürlichen Personen beträgt (2013) beim Bund, in den Kaantonen und Gemeinden insgesamt ca 130 Mia Fr ca 60 Mia, die Konsumsteuern, insbesondere der MwSt ca 35 Mia; die Gewinnsteuer, Verrechnungssteuer, die Stempelsteuer, die Vermögenssteuer und Kapitalsteuer machen weniger als 20 Mia aus. Und trotzdem versucht die classe politique die Bevölkerung mit der Angst vor einem Wegzug von Firmen hinter den Steuerwettbewerb, insbesondere die USR III zu scharen. Ihr Argument: Die Unternehmer und die Reichen würden unser Steuersubstrat garantieren; dazu wird wie immer mit dem Arbeitsplatzargument rumgefuchtelt. Auch hier scheint nur die blanke Lüge zu helfen, wie dies schon bei der USR II und bei allen bisherigen Steuervorlagen der Fall war. Dass dies auch anlässlich der USR III funktionieren könnte, ist eine Folge des kaum ausgebildeten politischen Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse in diesem Land und einer Führung, die sich auf jeden faulen Handel einlässt, nur um ihren Platz im politischen System in diesem Lande sichern zu können.

Die Veröffentlichung der sogenannten Panama-Papers im Frühjahr 2016 zeigte, dass etwa 3’200 Schweizer Firmen die Eröffnung von 34’000 der 215’000 Offshore-Gesellschaften in Panama-City initiiert haben. Auch dies verweist auf die besondere Funktion der Schweiz im imperialistischen System hin: eine Traumdestination für grosse Vermögen und international tätige Firmen zu sein, die ihre Steuern minimieren oder gar umgehen wollen. Die Aufgabe der helvetischen classe politique ist, diese Funktion mit der Schaffung einer «Willkommenskultur» für die Reichen und Unternehmer zu schützen, auszubauen und zu rechtfertigen.

Diese Praxis fügt sich gut zusammen mit einer Austeritätspolitik, wo die staatlichen Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Altersvorsorge, öffentlichen Verkehr etc. zusammengestrichen werden, wie in Zürich, Basel, in der Waadt, im Tessin – ja in beinahe allen Kantonen, Gemeinden und beim Bund. Man rechnet in etwa 14 Kantonen mit unmittelbaren Sparfolgen aufgrund der USR III!

Doch dies geht nicht überall glatt über die Bühne. Im vergangenen November und Dezember haben im Kanton Genf grosse Mobilisierungen von über 10’000 Personen mit sieben Streiktagen gegen die Auswirkungen der USR III stattgefunden. Sie richteten sich gegen die Sparmassnahmen der Genfer Regierung, darunter eine Lohnsenkung von 5 Prozent und eine Verlängerung der Arbeitszeit für Teile der Lohnabhängigen beim Kanton, welche als Kompensation der Senkung der Unternehmensbesteuerung auf 13 Prozent vorgesehen waren. Daraufhin musste die Regierung die Massnahmen teilweise korrigieren.[x]

Die Genfer Arbeiterklasse hat den Weg gewiesen – folgen wir ihr!

[i] Siehe dazu beispielsweise Michael van Orsouw: Das vermeintliche Paradies. Eine historische Analyse der Anziehungskraft der Zuger Steuergesetze. Zürich, 1995. Ferner den Beitrag von Gian Trepp: Hundert Jahree Steuerparadies, in: ATTAC, 2006: Kassenkampf. Argumente gegen die leeren Staatskassen.

[ii] Zur USR II: Bruno Fässler: Die Unternehmenssteuerreform II unter der Lupe, in ATTAC, 2006 (siehe oben unter i)

[iii] Siehe dazu z.B. Work 30. Juni 2016. Die meisten übrigen Zahlen und Angaben in diesem Beitrag stammen – sofern nicht anders ausgewiesen – aus der Tagespresse, insbesondere der Neuen Zürcher Zeitung.

[iv] Tages Anzeiger, 3. April 2015.

[v] NZZ 8. Mai 2016, gestützt auf eine Umfrage von GfS Bern.

[vi] NZZ 18. Juni 2016

[vii] Auf dieser Seite vom 20. Juli 2016 unter USR III: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…

[viii] Kanton Waadt: In vorauseilendem Gehorsam für die USR III auf http://maulwuerfe.ch vom 29. März 2016

[ix] NZZ 4. Juli 2016

[x] Über den Stand der Dinge im Genfer Budgetstreit auf http://maulwuerfe.ch vom 16. März 2016

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