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Die russische «Linke» ist ob dem Ukraine-Krieg gespalten

Eingereicht on 12. Juni 2022 – 15:50

Ilja Budraitkis. In seiner Rede vom 22. Februar, kurz bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, legte Wladimir Putin seine ideologische Rechtfertigung für den Krieg dar. Er stellte die Ukraine in ihren heutigen Grenzen als ein von den Bolschewiki geschaffenes, künstliches Gebilde dar, das heute «zu Recht ‚Wladimir Lenins Ukraine’« genannt werden könne.

Putin, der bei seinem Amtsantritt vor 20 Jahren den Zerfall der UdSSR als «grosse geopolitische Katastrophe» bezeichnete, ist heute der Ansicht, dass die eigentliche Tragödie die Gründung der Sowjetunion war: «Der Zerfall unseres vereinten Landes wurde durch historische, strategische Fehler der bolschewistischen Führer herbeigeführt», sagte er und kritisierte Lenin dafür, dass er jeder Republik das verfassungsmässige Recht gab, die Sowjetunion zu verlassen. Mit dem Krieg in der Ukraine, den er als «echte Dekommunisierung» bezeichnet, will Putin die sowjetische Geschichte endgültig hinter sich lassen und zu den Prinzipien des vorrevolutionären russischen Imperiums zurückkehren.

Dieser unverhohlene Antikommunismus hat die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) – oder besser gesagt, ihre Führung – nicht davon abgehalten, Putins «Spezialoperation» in der Ukraine vorbehaltlos zu unterstützen. Denn die Partei, die zweitgrösste in der Duma, hat in den letzten Jahren einen tiefgreifenden Wandel ihrer Aktivistenbasis und vor allem ihrer Wählerschaft vollzogen, von denen einige nun unter Repressionen zu leiden haben, weil sie Teil der Antikriegsbewegung sind.

Obwohl die KPRF in der Einleitung ihres Manifests behauptet, ein direkter Nachfahre der bolschewistischen Partei zu sein, geht ihre wahre Geschichte auf das Jahr 1993 zurück. Zwei Jahre zuvor, nach dem Untergang der UdSSR, hatte Präsident Boris Jelzin die Kommunistische Partei der Sowjetunion aufgelöst, die daraufhin eine Vielzahl linker politischer Gruppen hervorbrachte, die sich gegen die «Schocktherapie» wehrten, die Jelzin der russischen Wirtschaft verordnet hatte. Um sie ins Abseits zu drängen, förderte die Regierung eine neue, gemässigte Opposition, die bereit war, nach den Regeln des neuen politischen Spiels zu spielen. Jelzin genehmigte daher die Neugründung einer kommunistischen Partei, da er beschlossen hatte, die «kriminelle kommunistische Ideologie» nicht zu verbieten, wie es einige osteuropäische Länder getan hatten.

Im Februar 1993 wählte der Gründungskongress der KPRF Gennadi Sjuganow zum Vorsitzenden (ein Amt, das er immer noch innehat). Nach der gewaltsamen Auflösung des Obersten Sowjets (russisches Parlament) im Oktober 1993, die den Auftakt zur Einführung eines autoritären Präsidialsystems bildete, erhielt die KPRF praktisch ein Monopol auf den linken Flügel des neuen Parteiensystems. Im Gegenzug unterwarf sich die Partei einer stillschweigenden Regel: Egal, wie viele Stimmen sie gewann, die Kommunisten durften die strategische Ausrichtung des Landes nicht gefährden. Dies bedeutete insbesondere, dass sie ihren Widerstand gegen weitere Privatisierungen und den Aufbau einer Marktwirtschaft aufgeben mussten. Indem sie die Unzufriedenheit kanalisierten, trugen sie für lange Zeit zur Stabilität des Landes bei.

Die grösste Aktivistenbasis

Während der gesamten 1990er und 2000er Jahre blieb die KPRF die Partei mit der grössten Aktivistenbasis (500.000 Mitglieder auf ihrem Höhepunkt) und die einzige Partei, die Zehntausende von Demonstranten mobilisieren konnte. Dank des Enthusiasmus ihrer Mitglieder konnte sie trotz begrenzter finanzieller Mittel und fast ohne Zugang zum Fernsehen erfolgreiche Wahlkämpfe führen. Bei den Dumawahlen 1995 belegte die Partei den ersten Platz, und 1996 erreichte Sjuganow die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen, wo er nur knapp gegen Boris Jelzin verlor. Obwohl diese Wahl durch erhebliche Manipulationen gekennzeichnet war, erkannten die Kommunisten das Ergebnis an.

Nachdem Putin im Jahr 2000 an die Macht gekommen war, wurde das politische System Russlands immer härter und der Kreml war zunehmend nicht mehr bereit, den Erfolg und die relative Autonomie der KPRF zu tolerieren. Die Präsidialverwaltung zwang die kommunistischen Führer, alle radikalen Elemente auszuschliessen, und übte eine stärkere finanzielle Kontrolle über sie aus. Während Anfang der 2000er Jahre noch mehr als die Hälfte der Einnahmen der Partei aus Mitgliedsbeiträgen stammte, waren es 2015 nur noch 6 %. Die staatliche Finanzierung machte inzwischen 89 % aus.

Die Fügsamkeit, mit der die KPRF ihre Rolle als «konstruktive» Opposition erfüllte, führte dazu, dass sie Mitglieder verlor (2016 waren es nur noch 160.000) und an den Wahlurnen unterlag. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Verpflichtung, dem Kreml gegenüber loyal zu bleiben, und dem Bedürfnis nach neuen Anhängern. Obwohl die Kommunistische Partei 2011 am meisten unter den Wahlfälschungen zu leiden hatte, hielt sie sich von Demonstrationen gegen Wahlbetrug fern und überliess es der liberalen Opposition, die Fackel für die öffentliche Freiheit zu tragen.

Bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 unternahm die KPRF jedoch einen ersten ernsthaften Schritt in Richtung Wahlkampf. Sie stellte als Kandidaten Pawel Grudinin auf, einen Unternehmer an der Spitze einer privatisierten ehemaligen Sowchose (Staatsbetrieb), dessen Rhetorik von den üblichen kommunistischen Tropen abwich. Grudinin, der in der breiten Öffentlichkeit praktisch unbekannt ist, konzentrierte sich auf die aktuellen sozialen Probleme und nicht auf die Errungenschaften der sowjetischen Vergangenheit.

Trotz der Aufrufe des «systemfremden» Oppositionellen Alexej Nawalny, die Wahl zu boykottieren (bei der er nicht kandidieren durfte), wurde Grudinin in der ersten Runde mit 11,7 % der Stimmen (8,6 Millionen) Zweiter – ein Erfolg in einer Präsidentschaftswahl, die traditionell von Putin dominiert wird. Dieses Ergebnis veranlasste Nawalny, einen anderen Weg einzuschlagen und im Herbst 2018 eine Kampagne für eine «intelligente Wahl» zu starten. Nawalny forderte seine Anhänger auf, für die Kandidaten zu stimmen, die am ehesten in der Lage waren, «Einiges Russland» (die Partei Putins) zu schlagen (was im Allgemeinen die Kommunisten bedeutete).

Dieser Kurswechsel erfolgte kurz nach den Demonstrationen im Sommer 2018 gegen die Entscheidung der Regierung, das Rentenalter zu erhöhen. Die Massnahme war so unpopulär, dass sie die Opposition, insbesondere die Kommunisten, stärkte. Im September 2018 gewann die KPRF die Wahlen in den Regionen Irkutsk und Chakassien sowie in einigen Städten der Regionen Uljanowsk und Samara. Im Herbst 2019 konnte sie diesen Schwung beibehalten und ein Drittel der Sitze im Moskauer Stadtparlament erringen (13 von 45 Sitzen).

Veränderte Wahlkarte

Es zeichnete sich eine paradoxe Situation ab: Ein Teil der liberalen städtischen Mittelschicht hatte begonnen, gegen ihre eigenen Prinzipien und ideologischen Neigungen zu stimmen. Die Wahlkarte der KPRF-Unterstützung veränderte sich. Während in den 1990er und 2000er Jahren die Wähler der Kommunistischen Partei vor allem aus dem landwirtschaftlich geprägten Süden Russlands kamen, waren sie gegen Ende des Jahrzehnts vor allem in den Industrieregionen und in den Grossstädten zu finden. Bei den letzten Parlamentswahlen im September 2021 gewann die KPRF viele Stimmen in Jekaterinburg, Irkutsk, Chabarowsk und Tscheljabinsk, obwohl keine dieser Millionenstädte zum «roten Gürtel» der 1990er Jahre gehörte. In Moskau und St. Petersburg, die traditionell liberaler sind als andere Städte, erhielt die KPRF 22 % bzw. 17,9 % der Stimmen, während die liberale Oppositionspartei Jabloko eine vernichtende Niederlage erlitt. Die Kommunistische Partei hat den Rest der Opposition deutlich überflügelt: Sie lag mehr als 10 % vor der rechtsextremen Liberaldemokratischen Partei Russlands von Wladimir Schirinowski, mit der sie bei den Parlamentswahlen 2016 gleichauf gelegen hatte (bei rund 13 %).

Ideologisch unverändert

Trotz ihrer neuen Unterstützerbasis hat sich die Partei in ihrer Ideologie und Struktur nicht wesentlich verändert. Ihr offizielles Wahlprogramm ist nach wie vor geprägt von Stalinismus, Nationalismus und der Verteidigung eines paternalistischen Wohlfahrtsstaates im Geiste der letzten Jahre der UdSSR. Darin bekennt sich die Partei zur «dynamischen marxistisch-leninistischen Doktrin» und fügt hinzu, dass «mit der Restauration des Kapitalismus die russische Frage äusserst akut geworden ist», verurteilt den «Völkermord an einer grossen Nation» und bekräftigt die Notwendigkeit, die russische Zivilisation vor dem Angriff des materialistischen, seelenlosen Westens zu schützen.

In diesem Sinne war die kommunistische Fraktion sogar ein aktiver Unterstützer der Aggression gegen die Ukraine: Am 19. Januar, als die russischen Truppen Manöver an der Grenze abhielten und die westlichen Staats- und Regierungschefs ihren Dialog mit Putin fortsetzten, brachten elf kommunistische Abgeordnete, darunter Sjuganow, in der Duma eine Entschliessung ein, in der sie Putin aufforderten, die Unabhängigkeit der «Volksrepubliken» in der Ostukraine anzuerkennen und den «Völkermord» an ihrem Volk zu beenden.

Diese Forderung kam einer Beendigung der Verhandlungen über die Minsker Vereinbarungen (mit denen Donezk und Luhansk als Teil der Ukraine anerkannt wurden) und dem sofortigen Beginn eines militärischen Konflikts gleich. Zunächst lehnte «Einiges Russland», das über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, diese Forderung mit der Begründung ab, sie sei zu radikal. Aber es war dieser Antrag, der einen Monat später mit absoluter Mehrheit im Parlament angenommen wurde, der später als Grundlage für die Invasion diente.

Am ersten Tag des Krieges gab die Kommunistische Partei eine offizielle Erklärung ab, in der sie ihre volle Unterstützung für Putins Politik gegenüber der Ukraine bekräftigte, wobei sie die Worte «Krieg» und «militärische Operationen» sorgfältig vermied. In dieser Erklärung wurde die offizielle Rhetorik über die Notwendigkeit der «Entmilitarisierung und Entnazifizierung» der Ukraine wiederholt und die Dringlichkeit bekräftigt, den Plänen der «Vereinigten Staaten und ihrer NATO-Satelliten zur Versklavung der Ukraine» entgegenzutreten. In einer weiteren Erklärung vom 12. April, sechs Wochen nach Beginn des Krieges, bezeichnete die KPRF die Ukraine als «Weltzentrum des Neonazismus» und rief dazu auf, «die geistigen und wirtschaftlichen Ressourcen Russlands zu mobilisieren, um den liberalen Faschismus zurückzudrängen» und angesichts der Konfrontation mit dem Westen den Ausnahmezustand und eine strenge staatliche Regulierung der Wirtschaft einzuführen.

Die einzigen drei russischen Abgeordneten, die den Mut hatten, den Einmarsch in die Ukraine öffentlich zu kritisieren, gehören ebenfalls der kommunistischen Fraktion an. Einer von ihnen, Oleg Smolin, der für seinen langjährigen Kampf gegen die Privatisierung des Bildungswesens bekannt ist, sagte zu Beginn des Krieges: «Militärische Gewalt sollte in der Politik nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Alle Militärexperten sagen uns, dass eine gross angelegte Militäraktion in der Ukraine alles andere als einfach wäre. Ich bin traurig über all diese Menschenleben, unsere und die anderer.

Wjatscheslaw Markschajew, der Burjatien vertritt, sprach sich ebenfalls nachdrücklich gegen den Krieg aus und sagte, dass «die gesamte Kampagne für die Anerkennung der DNR [Donezker Volksrepublik] und der LNR [Luhansker Volksrepublik] eine versteckte Agenda hatte … ganz anders [als der ursprüngliche Plan der kommunistischen Abgeordneten] … Und jetzt befinden wir uns in einem ausgewachsenen Krieg zwischen zwei Staaten». Seit Beginn der Militäroperationen sind mehr Soldaten aus dem von ihm vertretenen Gebiet in Sibirien im Kampf gefallen als aus jedem anderen.

Mehrere lokale Vertreter der KPRF aus den Regionen Woronesch, Wladiwostok, der Republik Komi und Jakutien haben sich ebenfalls gegen den Krieg ausgesprochen. Einer der talentiertesten Vertreter der jüngeren Generation der Partei, der Moskauer Stadtrat Jewgeni Stupin, ist Mitbegründer einer linken Antikriegskoalition, in der mehrere in der Duma nicht vertretene politische Gruppen zusammengeschlossen sind. Für diese Aktivisten bedeutet ein offenes Auftreten gegen den Krieg, dass sie sich der Linie der KPRF-Führung widersetzen und bereit sind, die Reihen der Partei zu verlassen. Mehrere von ihnen wurden ausgeschlossen, noch bevor sie ihre Karte abgeben konnten.

Andere Organisationen, die links von der KPRF stehen, haben sich aktiv an den Friedensprotesten beteiligt. Die Russische Sozialistische Bewegung (die Verbindungen zur Neuen Antikapitalistischen Partei Frankreichs hat) gab eine gemeinsame Erklärung mit der ukrainischen Linken Sotsіalniy Rukh (Soziale Bewegung) heraus, eine seltene russisch-ukrainische Initiative. In der Erklärung wird der verbrecherische und imperialistische Krieg Russlands verurteilt, und es werden alle Massnahmen zur Beendigung des Konflikts unterstützt, einschliesslich Sanktionen gegen Öl und Gas und Waffenlieferungen an die Ukraine zur Selbstverteidigung. Diese Erklärung ist besonders wichtig, da die ukrainischen Sicherheitsdienste die einheimische Linke ins Visier genommen haben, die sie als unpatriotisch verdächtigen. Die russischen Anarchisten von Avtonomnoe Deistvie (Autonome Aktion) haben «russische Soldaten aufgerufen, zu desertieren, kriminelle Befehle zu missachten und die Ukraine sofort zu verlassen».

Der Krieg mit der Ukraine hat die Spaltung zwischen denjenigen, die sich nach der Ära der Staatsmacht der UdSSR sehnen, und denjenigen, für die Linkssein ein Engagement für ein demokratisches, antiautoritäres und zukunftsorientiertes Projekt bedeutet, nur bestätigt. Heute, wo jeder Aufruf zum Widerstand gegen die imperialistische Aggression der russischen Regierung Repressionen und Feindseligkeit seitens der übrigen Gesellschaft riskiert, steht die Antikriegslinke isoliert da. Aber es lohnt sich, daran zu erinnern, dass 1917, während des Ersten Weltkriegs, diejenigen, die russische Soldaten dazu aufriefen, die Befehle ihrer Offiziere zu missachten, wider Erwarten an die Macht kamen. Und sie legten die heutigen international anerkannten Grenzen der Ukraine fest – ein weiterer Grund für Putin, Lenin zu hassen.

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Oppositionsströmung in der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation

  1. Juni 2022 – Appell an die Mitglieder der KPRF und der LKSM, an die Abgeordneten und Abgeordnetenkandidaten der KPRF auf verschiedenen Ebenen, an die politischen und gewerkschaftlichen Aktivisten und an die Bürger, die für die KPRF gestimmt haben, an die Mitglieder der KPRF und die Abgeordneten der KPRF auf allen Ebenen.

Genossinnen und Genossen, Mitglieder der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und Abgeordnete der KPRF, wir wenden uns mit einer freundlichen Bitte an Sie. Wir bitten Sie, öffentlich die sofortige Beendigung des Bruderkrieges zwischen den Völkern Russlands und der Ukraine zu fordern und ein Übergangsprogramm zur Veränderung des Nachkriegs-Russlands und der Welt zu erarbeiten. Und diese Position auch in innerparteilichen Diskussionen zu vertreten.

Wir sind überzeugt, dass Sie und ich kein Recht haben, zu der Katastrophe, die sich in der ehemaligen Sowjetunion abspielt, zu schweigen. Eine Katastrophe, wie sie seit dem Grossen Vaterländischen Krieg nicht mehr vorgekommen ist. Vor allem, wenn der Tod von Kindern und Erwachsenen in Donezk, Luhansk, Odessa oder die Verbrechen der ukrainischen Ultrarechten nicht als Rechtfertigung für Putins militärisches Abenteuer hingenommen werden können.

Dieser Krieg ist unverhohlen imperialistisch[1]. Dahinter stehen die Ideologen des imperialen Nationalismus, die von einer Dekommunisierung nach ihrem eigenen Drehbuch träumen. Russische und ukrainische Soldaten, zumeist aus sozial schwachen Verhältnissen, sterben in ihm, Hunderttausende Ukrainer sind gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, und Millionen leben in Angst vor Bombardierungen und Beschuss. Der Krieg wird die Lohnabhängigen beider Länder treffen, sie sind es, die für dieses blutige Treiben bezahlen müssen. Wenn die Ukraine «entnazifiziert» werden muss, kann diese Aufgabe nur von den Ukrainern selbst gelöst werden. Im Gegenteil, die Aggression des Kremls wird nur dazu führen, dass rechtsextreme und antirussische Stimmungen zunehmen und in den Augen vieler die früheren Verbrechen der ukrainischen Neonazis legitimieren. Heute bezeichnen Hunderttausende, ja Millionen russischsprachiger Ukrainer, die nichts mit dem Neonazismus zu tun haben, Russland als Besatzer und die Ereignisse als ukrainischen Vaterländischen Krieg. Gefallen uns solche Analogien? Alle brüderlichen Beziehungen oder Bündnisse mit den Ukrainern nach diesem Abenteuer des Putin-Regimes können für immer vergessen werden.

Russland wird nach diesem Abenteuer ohnehin nicht mehr dasselbe sein. Aber es hängt von Ihnen und mir ab, von unseren Handlungen oder unserer Untätigkeit, wie diese Veränderungen aussehen werden.

Wenn wir den Krieg unterstützen, werden wir uns selbst, die Partei und die gesamte kommunistische Idee für Jahrzehnte in Ungnade fallen lassen. Aber wenn wir den sich abzeichnenden Antikriegskonsens in der Gesellschaft nutzen, um einen radikalen Wandel im Interesse der Mehrheit herbeizuführen, werden wir die Glaubwürdigkeit der Kommunisten enorm steigern. Dazu müssen wir einer Handvoll von Oligarchen und Militaristen die Macht entreissen, damit eine solche Tragödie nie wieder möglich wird. Solche Kriege werden aufgrund eklatanter Ungleichheiten geführt. Weil ein winziger Prozentsatz von Menschen, die in Luxus und Sicherheit hinter den Mauern ihrer Paläste und Bunker leben, willkürlich Entscheidungen treffen kann, die das Leben von Hunderten von Millionen Menschen zur Hölle und zu einem schlechten Traum machen. Unter allen Sanktionen werden die Eliten einen Weg finden, ihr Geld und ihren Besitz zu behalten – auf Kosten des Volkes.

Als grösste parlamentarische Oppositionspartei in Russland muss sich die KPRF, die bei den letzten Dumawahlen die Unterstützung der Öffentlichkeit erhielt, aktiv am Antikriegsprotest beteiligen und ihn mit Forderungen nach einer sozioökonomischen Umstrukturierung des Landes verbinden.

Die Duma-Abgeordneten der KPRF Smolin, Markhaev, Matveev, der Abgeordnete der Moskauer Stadtduma Stupin, eine Reihe regionaler Komsomol-Organisationen und viele andere haben sich bereits für ein sofortiges Ende dieses Krieges ausgesprochen, eine Initiative «KPRF/MLKSM-Mitglieder gegen den Krieg» ist entstanden[2], aber das reicht nicht aus.

Wir fordern Sie, unsere Genossinnen und Genossen, Partei- und Komsomolmitglieder, KPRF-Abgeordnete auf allen Ebenen auf, Schritte zu unternehmen:

  1. Unterstützen Sie offen den Appell und verbreiten Sie Informationen über Ihre Mittel.
  2. Schreibt oder ruft eure KPRF-Abgeordnetenkollegen an und bittet sie persönlich, sich dem Aufruf anzuschliessen.
  3. Diskutieren Sie den Appell in den Sitzungen und Versammlungen ihrer Parteiorganisationen, in den Sitzungen der KPRF in den Parlamenten auf allen Ebenen und verabschieden Sie auf der Grundlage dieser Diskussionen Entschliessungen.

Fordern Sie auf allen Tribünen, einschliesslich der parlamentarischen Tribüne, sowie bei Strassenversammlungen mit den Wählern die gleichzeitige Beendigung des Krieges zwischen brüderlichen Nationen und den sozialen Wandel in unserem Land.

Fussnoten

[1] «Der europäische und weltweite Krieg hat den klar definierten Charakter eines bürgerlichen, imperialistischen, dynastischen Krieges. Der Kampf um die Märkte und die Ausplünderung fremder Länder, das Bestreben, die revolutionäre Bewegung des Proletariats und die Demokratie innerhalb der Länder zu unterdrücken, das Bestreben, die Proletarier aller Länder zu täuschen, zu spalten und abzuschlachten, indem man die Lohnsklaven der einen Nation gegen die Lohnsklaven der anderen zugunsten der Bourgeoisie ausspielt – das ist der einzige wirkliche Inhalt und Sinn des Krieges».

W.I. Lenin, «Sozialismus und Krieg. Die Stellung der SDAPR zum Krieg» (Werke, Bd. 26, S.1)

[2] «Die Mitglieder der KPRF und der LKSM RF aus verschiedenen Regionen lehnen die russische Invasion in der Ukraine ab. Jetzt ist es sehr wichtig, die Anstrengungen zu vereinen und zu zeigen, dass wir viele sind. Schliesst euch uns an!»

#Bild: Gedenkfeier zu Lenins Geburtstag: KPRF Vorsitzender Gennady Zyuganov (links der Mitte), April 2022, Konstantin Zavrazhin/Le Monde diplomatique

Quelle: links.au… vom 12. Juni 2022; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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