Die Schuld für den Aufstieg des Faschisten Bolsonaro in Brasilien
Bill Van Auken. In weniger als einer Woche findet die zweite Runde der brasilianischen Präsidentschaftswahl statt. Der faschistische Kandidat Jair Bolsonaro, der in der ersten Runde nur knapp die Mehrheit verfehlt hat, liegt in Umfragen mit 49 Prozent der Stimmen weiterhin deutlich vor dem Kandidaten der Partido dos Trabalhadores (PT, Arbeiterpartei) Fernando Haddad, dem 36 Prozent vorausgesagt werden.
Der Machtantritt Bolsonaros wäre eine große Gefahr für die Arbeiterklasse Brasiliens und ganz Lateinamerikas. Der langjährige Militär Bolsonaro, heute Reservist im Range eines Hauptmanns, hat angekündigt, dem „Aktivismus“ in Brasilien den Garaus zu machen und die Forderungen des internationalen und brasilianischen Kapitals nach drastischen Angriffen auf den Lebensstandard und die Grundrechte der Arbeiterklasse zu erfüllen. In einem Land, in dem von 1964 bis 1985 eine Militärdiktatur an der Macht war, ist das keine leere Drohung.
Bolsonaros Aufstieg hat offengelegt, dass das politische System, das in Brasilien nach dem Ende der Diktatur entstand, bis ins Innerste verfault ist. Dies zeigt sich vor allem in den Verrätereien, der allgegenwärtigen Korruption und den unablässigen Angriffen der PT auf die Arbeiterklasse. In den dreizehn Jahren ihrer Herrschaft stellte sie das bevorzugte Herrschaftsinstrument der brasilianischen Kapitalistenklasse dar. Sie hat unter Präsident Luiz Inacio Lula da Silva und seiner handverlesenen Nachfolgerin Dilma Rousseff eine Politik betrieben, die ihr den Hass und die Verachtung der breiten Masse der Arbeiter eingebracht hat, die sie doch zu vertreten vorgab. Auf dieser Grundlage konnte sich ein Faschist wie Bolsonaro – der im brasilianischen Nationalkongress mit der PT verbündet war – als rechtspopulistische Opposition inszenieren.
Die Wahl war in jeder Hinsicht ein Referendum über die PT, die der Arbeiterklasse die gesamte Last der schwersten Wirtschaftskrise in der Geschichte des Landes aufgebürdet hatte. Die PT musste eine vernichtende Niederlage einstecken. Bolsonaro gewann mit großer Mehrheit im ABC-Industriegürtel, wo die PT 1980 gegründet wurde, und in fast allen anderen Arbeitergebieten. Allerdings enthielten sich auch sehr viele Arbeiter der Stimme: Mit einem Drittel der Wahlberechtigten war die Zahl derjenigen, die sich enthielten, fast ebenso hoch wie die der Wähler Bolsonaros.
Nach der Wahl haben sich nun sämtliche pseudolinken Organisationen aus dem Umfeld der PT vereint, um zur Wahl Haddads aufzurufen und die Arbeiter erneut vor den Karren dieser zutiefst diskreditierten kapitalistischen Partei zu spannen. Das Ganze findet unter dem Vorwand statt, dass auf diese Weise die Gefahr des Faschismus bekämpft werde.
Die Pseudolinken behaupten, sie würden zwar zur Wahl von Haddad aufrufen, ihn und die Politik seiner Partei aber nicht unterstützen. Entsprechend erklärt die PSTU, die größte morenistische Organisation in Brasilien: „Wir müssen für Haddad stimmen, ohne die PT politisch zu unterstützen oder ihr das Vertrauen auszusprechen.“
Die MRT, der brasilianische Ableger der PTS (der größten morenistischen Gruppe in Argentinien), hat erklärt, sie werde „kritisch für Haddad stimmen, ohne die PT politisch zu unterstützen“.
Das alles ist offenkundiger Unsinn. Wer einen Kandidaten und eine Partei wählt und andere dazu aufruft, es ebenfalls zu tun, der leistet eben dies: politische Unterstützung.
Wenn die Wahl Haddads als einziger Weg betrachtet wird, in Brasilien gegen die Gefahr des Faschismus zu kämpfen, dann muss man auch zwangsläufig seine Regierung (falls er die Wahl gewinnt) gegen die Teile der politischen Rechten und des Militärs verteidigen, die ihn stürzen wollen.
Den gleichen Pfad haben die Vorläufer dieser pseudosozialistischen und ex-trotzkistischen Organisationen in den 1960ern und 1970ern gegenüber den Regierungen von Goulart in Brasilien, Peron in Argentinien und Allende in Chile (der Pinochet in sein Kabinett eingeladen hat) eingeschlagen. Sie alle unterdrückten die Kämpfe der Arbeiterklasse und bereiteten damit den blutigen Militärdiktaturen den Weg, die in diesen Ländern Hunderttausende ermordet, gefoltert und eingesperrt haben. Diese sogenannten „linken“ Gruppen sind unfähig, irgendetwas aus dieser tragischen Geschichte zu lernen.
Eines der absurdesten Alibis für die Unterstützung von Haddad und der PT stammt von Jorge Altamira, dem Parteichef der argentinischen Partido Obrero (PO, Arbeiterpartei). Er gibt zu, dass die PT seit 2002 das „bevorzugte Instrument der Bourgeoisie“ war, und bezeichnet sie als eine „verfaulende Kamarilla“. Dennoch ruft er zur Wahl ihres Kandidaten auf, da die PT als „Brücke zu den Massen“ dienen solle, die „trotz der PT nach einer Möglichkeit suchen, gegen den Faschismus zu kämpfen“.
Von welchen Massen spricht Altamira? Die Arbeiter haben der PT den Rücken gekehrt. Altamira baut keine Brücke zu den Arbeitern, sondern vergrößert die politische Konfusion. Wer die PT unterstützt, führt keinen Kampf, sondern ordnet sich einer kapitalistischen Partei unter.
Um seine Position zu rechtfertigen, erklärt Altamira, die PO rufe nicht wegen der Politik der PT zur Wahl von Haddad auf, sondern wegen der Politik, die „von der ,feministischen Bewegung‘ skizziert wurde“. Damit meint er die Demonstrationen der #elenao (#ernicht)-Bewegung im Vorfeld der Wahl.
Zu diesen Demonstrationen kamen Hunderttausende, allerdings trotz und nicht wegen ihrer kleinbürgerlichen feministischen Führung. Diese wollte alle Frauen gegen Bolsonaro vereinen, darunter auch Kandidatinnen der rechten bürgerlichen Parteien. Darin zeigt sich die wirkliche Orientierung von Altamiras Partei und allen vergleichbaren Gruppierungen. Sie lehnen die Entwicklung einer linken Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus ab und versuchen stattdessen, rechte Bewegungen des Kleinbürgertums zu stärken, die auf verschiedenen Formen von Identitätspolitik beruhen.
Im Falle der PO liegt diese Orientierung auf einer Linie mit ihrem Bündnis mit rechten nationalistischen Parteien in Russland.
Der nackte Opportunismus von Altamiras Haltung trifft innerhalb der PO offenbar auf gewissen Widerspruch. Der Historiker und langjährige PO-Unterstützer Daniel Guido postete auf Facebook eine Schilderung eines Gesprächs mit dem Parteichef. Darin erklärt Guido, die PT sei „verantwortlich für diesen Aufstieg der Rechten und paralysiert die Massen“. Er wies darauf hin, dass man für Hillary Clinton gegen Donald Trump hätte stimmen müssen, wenn man dem Vorbild der Feministinnen folge. Hinzuzufügen wäre noch, dass man dann auch die Peronistin Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien wählen müsste.
Um die Haltung der PO dennoch irgendwie zu rechtfertigen, erklärte Guido, er müsse „die Sache mit Trotzkis Schriften vergleichen“. Der gute Professor kann in noch so viele Bücher schauen, er wird von Trotzki nirgendwo eine Rechtfertigung dafür finden, den Massen die Wahl eines rechten kapitalistischen Kandidaten als Mittel im Kampf gegen den Faschismus zu empfehlen.
Alle diese Organisationen versuchen mit ihrer überstürzten Unterstützung für Haddad, die Schweinereien von heute mit den Schweinereien von gestern zu rechtfertigen.
Bereits bei der Gründung der PT im Jahr 1980 spielte Altamira, der damals im Exil lebte, gemeinsam mit den Anhängern der französischen OCI von Pierre Lambert, der argentinischen Tendenz unter Führung von Nahuel Moreno und dem pablistischen Vereinigten Sekretariat von Ernest Mandel eine wichtige Rolle. Sie alle traten der PT bei und bezeichneten sie als neuen, parlamentarischen Weg zum Sozialismus in Brasilien. Sie verherrlichten den rechten Gewerkschaftsfunktionär Lula, der nach kurzer Zeit engste Beziehungen zum Großkapital und dem Imperialismus aufgebaut hatte. Sie alle tragen die Verantwortung dafür, dass es keine linke Alternative zur kapitalistischen Politik der PT gibt und dass sich der Rechtspopulismus in der abstoßenden Gestalt von Bolsonaro entwickeln konnte.
Die Grundlage für den Bruch der verschiedenen Spielarten des pablistischen Revisionismus mit der – vom Internationalen Komitee vertretenen – trotzkistischen Bewegung bestand darin, dass sie den Aufbau von revolutionären Parteien und den Kampf für sozialistisches Bewusstseins in der Arbeiterklasse ablehnten. Bevor sie sich der PT zuwandten, fanden sie im Castroismus und in den rückständigen Theorien des Guerillakampfs einen Ersatz für die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse. Diese Orientierung führte in ganz Lateinamerika zu katastrophalen Niederlagen.
In der jüngeren Vergangenheit haben diese Tendenzen Hugo Chavez und die venezolanische Regierung mit ihren Wurzeln im Militär und im Finanzkapital gefeiert. Sie bezeichneten sie als „bolivarischen Sozialismus“, als neue revolutionäre Alternative und als „rosa Flut“ oder „Linksruck“, der ganz Lateinamerika erfassen werde.
Die weltweite Krise des Kapitalismus, die im Jahr 2008 einsetzte, hat seither nicht nur die so genannten Schwellenländer verwüstet, sondern auch von dieser „Bewegung“ keinen Stein auf dem anderen gelassen. In Venezuela, Brasilien, Argentinien und anderen Ländern mit angeblichen „linken“ Regierungen musste die Arbeiterklasse verheerende Angriffe über sich ergehen lassen, die die rechten Kräfte gestärkt haben.
Diese Tendenz würde sich durch eine Rückkehr der PT an die brasilianische Regierung nicht umkehren, sondern verstärken. Haddad führt bereits den rechtesten Wahlkampf in der Geschichte der Partei; er appelliert nicht nur an die Unterstützung des Militärs, sondern auch an die des Großkapitals und der katholischen Kirche.
Die Arbeiterklasse wurde völlig entmündigt. Kein Kandidat drückt auch nur im entferntesten die Interessen der brasilianischen Arbeiter aus.
Es stehen große Kämpfe bevor. Die brasilianische Bourgeoisie wird den Faschismus oder eine Militärdiktatur nicht an der Wahlurne durchsetzen können.
Die entscheidende Aufgabe angesichts der Gefahr des Faschismus besteht darin, das politische Bewusstsein der Arbeiter zu entwickeln. Sie müssen die Lehren aus der bitteren Erfahrung mit der PT ziehen und auf dieser Grundlage eine neue unabhängige, revolutionäre und internationalistische Partei aufbauen […].
Quelle: wsws.org… vom 22. Oktober 2018 mit einer kleinen Kürzung durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Brasilien, Breite Parteien, Frauenbewegung, Lateinamerika, Neue Rechte, Strategie, Trotzki, Venzuela
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