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Starker Franken und Klassenkonflikt. Das Tessiner Beispiel

Eingereicht on 16. März 2015 – 19:18

Der Tessin ist historisch in der Herausbildung der sozialen und ökonomischen Wirklichkeit des helvetischen Kapitalismus ein marginalisierter Kanton. Ohne politisches Gewicht, mit einer schwachen ökonomischen Struktur beruht er auf den zwei Hauptpfeilern: einem Bankenplatz, der als Drehscheibe für die Steuerflucht der reichen  italienischen Bourgeoisie dient und einer Industrie, die sich auf die Verfügbarkeit einer sehr preisgünstigen industriellen Reservearmee abstützt – den Grenzgängerinnen und Grenzgängern; dies begünstigt die Entstehung einer Industrie, die sehr wenig Fixkapital akkumulieren muss. Anders formuliert: einer Industrie, die dank der hohen Ausbeutung der unterbezahlten Arbeit der Grenzgänger existieren kann.

In diesem Zusammenhang haben die Tessiner Unternehmer den Wink von Bundesrat Johann Schneider-Ammann, nach der Aufgabe der Franken-Obergrenze von 1.20 Franken für einen Euro schnell, gründlich und brutal umgesetzt. Dieser hatte bekräftigt, dass man nun «schnell über die Arbeitszeit, Arbeitszeitflexibilität, Löhne, Lohnnebenkosten, Zulagen und Spesen sprechen müsse» (Blick, 23. 1. 2015). Schneider-Ammann hat damit laut und deutlich die Strategie formuliert, die die dominanten Sektoren des Schweizer Kapitalismus nun unter Ausnützung des erwarteten Entscheids der SNB umsetzen wollen. Sie wollen auf diesem Wege und auf Kosten der Arbeiterklasse die Wettbewerbsvorteile und damit die Profite des Wirtschaftsstandortes Schweiz ausbauen.

Die Rezepte der Unternehmer gegen den starken Franken….

Seit Mitte Januar wurden von der Unia Tessin bereits dreissig Unternehmen – vor allem in der Industrie – gezählt, die die Löhne brutal gekürzt oder die Arbeitszeit unentgeltlich verlängert haben. Diese Zahl kann ohne Probleme verdreifacht werden: bei den aufgezeichneten Fällen handelt es sich ausschliesslich um solche, wo überhaupt noch ein minimaler Kontakt mit den Arbeiterinnen und Arbeitern besteht.

Diese Angriffswelle der Unternehmer ist sehr heftig und ihr Ausmass lässt befürchten, dass es um eine weitere Zurückdrängung der bereits sehr überdehnten Grenzen der Ausbeutung der Arbeitskräfte im Tessin, wie übrigens in der ganzen Schweiz geht. Was seit der Aufhebung der Frankenobergrenze vor sich geht, gibt zu einigen Interpretationen Anlass.

Wiederholen wir: Die Tessiner Unternehmer sind drauf und dran, den hohen Frankenkurs gründlich auszunutzen, um ihre Klasseninteressen durchzusetzen. Die Auswahl der eingesetzten Massnahmen ist recht breitfächrig. Die einfachste ist eine Lohnkürzung um 10 bis 20 %, bei Grenzgängern stärker als bei einheimischen Lohnabhängigen. Einige Unternehmer streichen den 13. Monatslohn oder beispielsweise drei Achtel der Zulagen. Oder sie führen zusätzliche Gratisarbeit ein (beispielsweise fünf Stunden die Woche). Und häufig werden diese «Rezepte» gemischt! Immer häufiger werden die Löhne in Euro ausbezahlt, mit einem durch das Unternehmen diktierten Wechselkurs von 1.20 bis 1.30 Franken für einen Euro!

Dann gibt es noch ausgefeiltere Schwindeleien, wie etwa das innovative fluktuierende Lohnsystem, wie es bei Mikron Tool eingeführt wurde, einer Filiale der Mikron Holding AG, deren Kapital zu 41.6 % von der Ammann Group Holding AG, der Schatztruhe der Familie Schneider-Ammann des Wirtschaftsministers kontrolliert wird. Der Dreh- und Angelpunkt dieses Systems besteht im Wechselkurs von Euro und Franken, der die obligatorischen täglichen Arbeitsstunden festsetzt. Wenn zum Beispiel der durchschnittliche Wechselkurs in einem Monat bei 1.07 Franken für einen Euro lag, so müssen im darauffolgenden Monat die Arbeiterinnen und Arbeiter 9 anstelle der vertraglich festgesetzten 8 Stunden pro Tag arbeiten. Oder 8 ½ Stunden mit einem Wechselkurs von 1.13 Franken für einen Euro. Selbstverständlich all dies bei unverändertem Lohn! Mit einem Monatslohn von 4‘000 Franken für 160 Stunden im Monat kommt man bei unverändertem Monatslohn bei 170 Stunden von 25 Franken in der Stunde auf 23.5 Franken Stundenlohn und auf 22.2 Franken bei 180 Stunden. Das entspricht einer Verringerung um 6 % beziehungsweise um 11 % des Stundenlohnes! Eine «elegante» Art zur Senkung der Löhne….

Der Tessiner Arbeitgeberverband AITI hat gar die Aufhebung der Normalarbeitsverträge mit staatlich verordneten Minimallöhnen verlangt, nachdem die tripartite kantonale Kommission erwiesenes Lohndumping festgestellt hatte. Gerade als ob der Rechtsstaat nur den Unternehmerinteressen Garantien gewähren würde….

Ein letzter Faktor muss hervorgehoben werden: diese unternehmerischen Rezepte werden für eine Minimaldauer von 15 Monaten eingeführt. Jedoch mit der Möglichkeit einer Verlängerung für weitere 15 Monate nach 15 Monaten, wie dies im Krisenartikel im GAV der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie vorgesehen ist. Damit werden diese Änderungen in vielen Fällen wohl auf immer bestehen bleiben, da immer wieder erneuert! Das Ziel besteht darin, mit strukturellen Massnahmen das Lohnniveau zu senken, also das was man als Lohndumping bezeichnet….

… und die ersten Anzeichen einer Gegenbewegung

Die Tessiner Unternehmer können auf einen wichtigen Verbündeten zählen: die endemische Wirtschaftskrise in Italien. Der Tessin ist mit seinen 350‘000 Einwohnern eingeklemmt zwischen die Lombardei mit 10 Millionen und dem Piemont mit 5 Millionen Einwohnern. Ende 2014 waren von den 235‘000 Personen auf dem Tessiner Arbeitsmarkt 27.5 % oder 62‘500 Grenzgänger. In der Vergangenheit arbeiteten Grenzgänger im Tessin, um mehr zu verdienen. Heute tun sie dies, um überhaupt eine Arbeit zu finden. Ein Maurer verdient im Monat in Italien 2‘100 Franken gegenüber 4‘430 im Tessin. Eine unqualifizierte Arbeiterin verdient in Italien 1‘000 Franken im Monat gegenüber 2‘000 bis 2‘500 im Tessin. Einerseits begünstigen diese materiellen Umstände die Einwilligung der Grenzgänger in Lohnkürzungen der Grössenordnung von 20 %. Andererseits gibt dies einen Eindruck über die Mittel in der Hand der Tessiner Unternehmer zur Steigerung der Ausbeutung und der Erhöhung der Profite. So ist die Offensive der Unternehmer anfänglich kaum auf ein Hindernis gestossen. Für die Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen war es eine harte und schwierige Arbeit, in die Betriebe zu gehen und die Arbeiterinnen und Arbeiter zu überzeugen, Gegenwehr zu ergreifen. Denn nur zu oft kam das Gegenargument: «Aber ich verdiene ja in jedem Fall mehr als in Italien».

Aber diese Gewerkschaftsarbeit wurde trotzdem gemacht und sie hat begonnen, sich auszuzahlen. Der erste Fall war die Ferriere Cattaneo in Giubiasco (ganz in der Nähe von Bellinzona), eine traditionelle Fabrik zur Produktion von Eisenbahnwagen. Die Belegschaft besteht aus 35 % Einheimischen und 65 % Grenzgängern. Der Unternehmer versuchte, die ersteren gegen die letzteren auszuspielen, in dem er eine Lohnsenkung von 3 % respektive 7 % vorschlug. Als Alternative drohte er mit einer Auslagerung der Produktion und mit der Entlassung von 20 Arbeiterinnen und Arbeitern. Aber ohne Erfolg: Vereint haben sie dem Diktat des Unternehmers eine Abfuhr erteilt.

Der zweite Fall ereignete sich etwas weiter nördlich in der Fabrik SMB SA in Biasca. Die SMB SA ist in der Präzisionsmetallurgie tätig. Die Unternehmensleitung hat die 80 Arbeiter und Arbeiterinnen folgendermassen erpresst: 10 % Lohnkürzung oder 4 Stunden unbezahlter Mehrarbeit pro Woche, all dies mit der Androhung von Entlassungen. Alle Angestellten haben dieses Diktat des Unternehmers en bloc abgeschmettert. Im Gefolge dieser gemeinsamen Reaktion hat die Direktion den Präsidenten der Personalkommission der Fabrik und zwei der kämpferischsten Arbeiter entlassen. Die Reaktion der Arbeiterinnen und Arbeiter und der Gewerkschaft Unia war eindeutig und schnell. Am 2. März haben die Angestellten, unterstützt von der Gewerkschaft Unia, um fünf Uhr morgens die Produktion stillgelegt, die Fabrik verlassen und sie haben sich geweigert, die Arbeit wieder aufzunehmen, solange ihre entlassenen Kollegen nicht wieder eingestellt würden. Nach langen Stunden der Vrhandlung hat die Direktion um Mitternacht die Kündigungen rückgängig gemacht.

Ein Frontal-Angriff

Die Fabrik Exten SA ist auf die Herstellung von verschiedenen Typen von PVC Folien für die Nahrungsmittelindustrie, die Medizin, den Baubereich usw. spezialisiert. Sie ist ein typischer Betrieb für die Gegend um Mendrisio, mit einem Anteil von 98 % Grenzgängerinnen und Grenzgängern unter der Belegschaft und einem umgekehrt proportionalen Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern.

Unter dem Vorwand des starken Frankens und früherer negativer Betriebsergebnissen haben die Eigentümer von Exten SA beschlossen, die Löhne zu senken: um 26 % für Grenzgänger und um 16 % für Einheimische. Das Basis Bruttosalär der Produktionsarbeiterinnen und –arbeiter (48 der 97 Beschäftigten) liegt bei 3‘200 Franken brutto. Die Produktion ist als 7 mal 24 in je 4 Schichten organisiert. Also ein sehr hartes System, da dadurch das Privatleben und der Biorythmus der Arbeiterinnen und Arbeiter stark in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die Direktion informierte die Arbeitsschichten mithilfe einer kurzen Präsentation über die Situation und die Ziele, die sie erreichen will. In Wirklichkeit hatten die Arbeiterinnen und Arbeiter keine Möglichkeit, über die ihnen aufgezwungenen Vorschläge nachzudenken, insbesondere konnten sie die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Firma nicht analysieren. Und trotzdem sind die Massnahmen brutal: Für eine Grenzgängerin, einen Grenzgänger wird der Grundlohn von 3‘200 (13 mal) auf 2‘368 Franken gesenkt, das heisst ein monatlicher Verlust von 832 Franken, d.h. 10‘816 Franken oder 3.4 Monatslöhne weniger im Jahr. Für die Einheimischen wird der Monatslohn auf 2‘688 Franken brutto gesenkt; damit würden sie einen Verlust von 512 Franken im Monat oder 6‘656 Franken oder 2.1 Monatslöhne im Jahr erleiden!

Zwischen dem 11. und dem 12. Februar wurden alle Lohnabhängige einzeln vor drei Mitglieder der Direktion geladen. Die Erpressung war einfach: entweder unterschreibst du oder du bist draussen! Ein Überlegen kam nicht in Frage, keine Diskussion mit der Familie, die Gewerkschaft zuzuziehen war ebenfalls unmöglich, usw. Einige Personen mussten diese «Unterhaltung» um 2 Uhr morgens, nach ihrer Schicht,  über sich ergehen lassen. Arbeiterinnen und Arbeiter, die teilweise bereits seit 20 Jahren im Unternehmen arbeiten! Neben dem finanziellen Gewicht der  Erpressung empfand eine klare Mehrheit der Angestellten der Exten SA die Haltung der Direktion als eine regelrechte Demütigung. Aber dies änderte nichts daran, dass beinahe alle die Vereinbarung unterschrieben haben, die eine Lohnsenkung vorsieht.

Eine frontale und beispielhafte Reaktion…

Die erlittene Demütigung wurde jedoch nicht einfach so hingenommen. Einige Tage vor dem 11. Februar hat sich eine Gruppe von Lohnabhängigen aus der Produktion entschlossen, die Gewerkschaft Unia einzuschalten. Diese war in dieser industriellen Wirklichkeit absolut nicht verankert und musste in sehr kurzer Zeit von Null anfangen und ein Vertrauensverhältnis zu den Lohnabhängigen aufbauen. Nach einer Phase der intensiven Arbeit der Präsenz vor den Toren der Fabrik und der Diskussion in Versammlungen sind die Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Produktion zum Entschluss gekommen, die Fabrikeingänge zu blockieren und die Arbeit solange niederzulegen, als die Eigentümer der Exten SA ihre drakonischen und unannehmbaren Massnahmen nicht zurücknähmen. Die Widerrufung der Lohnsenkungen von 26 % und 16 % waren die Vorbedingung für jede Verhandlung über allfällige Probleme des Unternehmens und die «Opfer», die dabei von den Lohnabhängigen der Firma verlangt werden konnten.

Zu Beginn wurde der Angriff des Unternehmens mit dem starken Franken begründet. Aber im Laufe des Streiks verwandelte sich diese Rechtfertigung in «schwere strukturelle finanzielle Probleme»!

Der Streik brach am Donnerstag den 19. Februar morgens um fünf Uhr mit der vollständigen Blockierung des Zugangs zur Fabrik aus. Während acht Tagen verstärkte sich die Entschlossenheit der kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeiter immerzu, trotz der Drohung, den Betrieb zu schliessen, ihn ins Ausland zu verlagern, den Versuchen einiger Angestellter aus dem Verkauf, die Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Produktion zu spalten. Am 26. Februar wurde ein Vertrag unterzeichnet und der Streik wurde beendet.

Drei Punkte dieses Vertrags sind besonders wichtig: Die von der Direktion beschlossenen Massnahmen werden aufgehoben; ein unabhängiger Berater, der durch die Konfliktparteien ausgewählt wurde, wurde ernannt, um eine Analyse der finanziellen und wirtschaftlichen Lage des Unternehmens durchzuführen. Dies, um Massnahmen zu finden, die geeignet wären, die vorhandenen Probleme zu lösen; allfällige neue, sich aus Verhandlungen ergebende Änderungen in den Arbeitsverträgen sollen erst in Kraft treten, wenn es eine Vereinbarung zwischen den Lohnabhängigen, der Direktion und der Gewerkschaft gibt.

Der Kampf wurde sicher nicht endgültig gewonnen und der Vertrag muss unter der notwendigen Berücksichtigung der Perspektive beurteilt werden. Die schwerwiegenden Lohnreduktionen wurden für den Moment beseitigt, zugunsten neuer Verhandlungen, deren Resultate umgesetzt werden können, falls es ein Übereinkommen zu dritt gibt. Dieser Prozess wird auf der Grundlage einer unabhängigen Analyse der finanziellen und wirtschaftlichen Lage des Unternehmens durchgeführt werden. Was eine wenn nicht noch nie dagewesene, so doch sehr seltene aber vor allem grundsätzliche Tatsache darstellt: Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben ein Einsichtsrecht in die Verwaltung des Betriebs errungen. In der Tat ist damit ein Dogma der Schweizer Unternehmer gestürzt worden: Das absolute Verbot für die Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaft, Kenntnis über die Buchhaltung zu erlangen und die Informationen zu nutzen, die die strategischen Entscheide bezüglich der Realisierung der Profite eines Unternehmens betreffen.

Positive Aspekte dieser Erfahrungen…

Die erste positive Erfahrung bezieht sich auf den Gegenschlag, den die Arbeiterinnen und Arbeiter geführt haben, um ihre Rechte und ihre Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Sie entschieden sich für den frontalen Konflikt, für die mächtigste Waffe der Lohnabhängigen: den Streik, die die Unternehmer bei ihren unmittelbaren Interessen schlägt, bei der Produktion des Mehrwerts, den sich die Kapitalisten  aneignen, um ihren Profit zu realisieren. Sie haben die Gewalt der Unternehmer mit einer kollektiven, direkten und radikalen Aktion beantwortet, ohne sich im Treibsand des Kompromisses zu verfangen, ausserhalb eines Arbeitsfriedens, der unausweichlich jeden Versuch zur Verteidigung der legitimen Rechte abtötet. Dutzende von Lohnabhängigen haben so im Kampf eine unmittelbare Erfahrung der Selbstorganisation gemacht, als zwangsläufigen Übergang hin zu Handelnden in der Verteidigung ihrer Rechte.

Die Mitglieder der Gauche anticapitaliste, die sich am Streik in der Exten SA als Gewerkschaftsfunktionäre der Unia beteiligt haben, konnten bemerken, wie der Kampf gelegentlich  – durch die Selbstorganisation im kollektiven Kampf – zu einer eindrücklichen Beschleunigung in der Herausbildung des Klassenbewusstseins führen kann. Im Verlaufe von wenigen Wochen haben die Arbeiterinnen und Arbeiter der Exten SA das Vertrauen in ihre kollektive Kraft zum Erblühen gebracht. Dieser Weg ist unmöglich, wenn der Horizont im Rahmen des duldenden Hinnehmens verbleibt, ein Weg, der nur zu oft durch die Gewerkschaftsführungen nahegelegt wird, ein Weg der Opfer-Asymmetrie, der Unterwerfung unter die Unternehmerinteressen, des Verzichts auf Mobilisierungen, einschliesslich des Streiks. Durch den Kampf haben sie ihre Würde zurückgewonnen. Wenn auch der Widerruf der starken Lohneinbussen immer die zentrale Forderung des Streiks gewesen ist, so war es doch offensichtlich, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter für die Wiederherstellung ihrer Würde gekämpft haben, die sie bei der individuellen Unterzeichnung des wertlosen Vertrages verloren haben. Diese Arbeiterinnen  und Arbeiter werden nie mehr so über die Schwelle zu dem Betrieb treten wie vor dem Streik…..

Wenn wir auch nicht vor einem neuen «Arbeiterfrühling» stehen, noch vor einem auf den Tessin beschränkten Arbeiter-Kampfzyklus, so bleiben die Erfahrungen aus diesen Ereignisse doch von grosser Bedeutung. Einerseits ist ein grosser Teil der Lohnabhängigen, die an dem Kampf beteiligt waren Grenzgänger und Grenzgängerinnen – bei Exten SA alle. Der durch die Gewerkschaftsbürokratie gehegte Glaube, dass eine Mobilisierung aufgrund der vorhandenen Lohndifferenzen zwischen Einheimischen und Grenzgängern, zwischen der Schweiz und Italien, unmöglich sei, wurde Lügen gestraft. Zumindest in einem Sektor wie der Industrie. Damit wurde aufgezeigt, dass es keine «objektive» Bremse gibt für den Klassenkampf. Auf der anderen Seite brechen sie eine teuflische unternehmerische Dynamik, die Lohnsenkungen und Gratisarbeit als Variablen zur Anpassung der Profitrate aufgezwungen hat und dadurch das Lohn- und Sozialdumping verstärkt. Diese Mobilisierungen stellen kleine aber lebenswichtige Ansätze dar in der Herausarbeitung der einzig möglichen Antwort: dem Kampf. Dies die ungeheure Herausforderung, der wir uns heute stellen müssen. Heute verfügen wir über drei Bauziegel. Aber wir sind noch weit entfernt vom Bau der Mauer, die diesen systematischen Angriff der Unternehmer stoppen kann.

…. die aber das Debakel der Gewerkschaftsbewegung nicht auslöschen können

Wie bereits oben erwähnt, gehen die Unternehmer koordiniert daran, aus der Stärkung des Schweizer Frankens Profit zu schlagen. Demgegenüber zeigt sich die Gewerkschaftsbewegung – abgesehen von einigen lobenswerten Ausnahmen –  in ihrer vollständigen Hilflosigkeit; dies als Ergebnis einer Klassenzusammenarbeit in der Verwaltung der Interessen der dominanten Sektoren der Schweizer Bourgeoisie.

Als Beweis diene das durch die Zentrale der Unia in aller Eile publizierte Material, das Argumente und vor allem die Elemente einer gewerkschaftlichen Antwort liefern sollte. Unter diesen Forderungen figurieren unter anderen eine Kontrolle der Kapitalflüsse, ein garantierter Wechselkurs für den Sektor der Hotellerie und der Restaurants, öko-sozialer Umbau (Energiepolitik, Bildungsoffensive, Investitionspolitik, Mitentscheidung des Personals), garantierter Wechselkurs für die Exporte, je nach Situation ein Konjunkturprogramm. Nach der Auffassung der Führung der grössten Schweizer Gewerkschaft hätten also die Arbeiterinnen und Arbeiter der Exten SA den Lohnsenkungen der Unternehmensleitung die Forderung einer verstärkten Kapitalverkehrskontrolle oder eines ökosozialen Umbaus gegenüberstellen müssen….

Demgegenüber hat die Führung der Unia den Lohnabhängigen kein einziges Mal die einzig richtige Losung vermittelt: organisiert euch, mobilisiert euch und kämpft mit allen euch zur Verfügung stehenden Mitteln, vor allem mit Streik! Nein, die Führung der Unia schlägt der Swissmem, dem Unternehmerverband der Industrie, die die Arbeiterinnen und Arbeiter massakriert, eine « auf der Sozialpartnerschaft basierende Industriepolitik» vor. Sobald die Unternehmer die Löhne kürzen, die Gratisarbeit und die Aufhebung der Regeln des GAV ganz nach ihren Wünschen aufzwingen, lanciert die Gewerkschaft die Sozialpartnerschaft, die nichts weiter ist als ein verfaulender Kadaver. Die Schweizer Unternehmer haben gute Zeiten vor sich.

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