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Israelische Siedlungen – Zerstörte Hoffnungen auf Frieden

Eingereicht on 2. Januar 2023 – 11:21

Jules El-Khatib. Unter Israels künftiger Rechtsregierung werden Landnahme und Gewalt durch Siedler*innen weiter zunehmen. Die Ausweitung des Siedlungsbaus gefährdet die Existenz des Staats Palästina und hat massive Auswirkungen auf das Leben der Menschen dort.

Aktuell arbeitet Benjamin Netanjahu, voraussichtlich Israels künftiger Ministerpräsident, an der Bildung der rechtesten Koalition in der Geschichte des Landes. Damit wird nicht nur eine rassistischere Politik einhergehen, sondern auch eine Ausweitung der Landnahme und des Siedlungsbaus in Palästina und damit eine weitere Zerstörung von Friedensperspektiven.

Der Siedlungsbau stellt neben der Frage des Rückkehrrechts eines der entscheidendsten Hindernisse für Frieden, wie auch für die Existenz eines funktionsfähigen palästinensischen Staates dar. Der Siedlungsbau selbst findet allerdings erst seit 1967 statt, als sich infolge des «Sechstagekriegs» Jordanien und Ägypten aus dem Westjordanland beziehungsweise Gaza zurückzogen.

Typen des Siedlungsbaus

Der israelische Siedlungsbau in Palästina hat unterschiedliche Motive, Formen und Strukturen. Die Motive für den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungsbau lassen dabei häufig Schlussfolgerungen zu über die Form des Siedlungsbaus. Die ersten israelischen Siedlungen wurden nach 1967 an der so genannten Grünen Linie, der Grenze von Israel und Palästina, gebaut, Sie sollten die israelische Grenze absichern und hatten in den Augen der damaligen Awoda-Regierung vor allem militärische Zwecke und wurden nicht historisch begründet. Die Regierung sah sie als sogenannte Wehrdörfer, eine äußerste Linie im Kriegsfall mit den angrenzenden arabischen Staaten. Diese Wehrdörfer konnten dabei in allen Grenzgebieten Palästinas sowie auf der damals noch von Israel besetzten Sinai-Halbinsel liegen.

Jules El-Khatib ist stellvertretender Landessprecher der Linken NRW und Autor des Blogs «Die Freiheitsliebe». Er hat familiäre Wurzeln in Westasien und ist Palästinenser mit israelischer und deutscher Staatsbürgerschaft.

Ebenfalls militärisch, aber auch mit der Ausbreitung des Staats Israel begründeten dies rechtszionistische Politiker wie Moshe Dajan, später jedoch auch vielfach Vertreter*innen von säkularen Parteien wie der Awoda. Sie sahen in den Siedlungen einerseits einen Schutz, andererseits aber auch die Chance Israel weitere Gebiete einzuverleiben und damit mehr Platz für Israelis zu erhalten. Später ging dies noch einher mit dem Wunsch, einen zukünftigen palästinensischen Staat zu schwächen.

Sowohl den Anhänger*innen der ersten als auch der zweiten Motivation ist gemein, dass sie vor allem kontrollierten Siedlungsbau wollten, in geplanten Städten und Dörfern. Eine historische oder gar religiöse Motivation für die Landnahme in Palästina findet sich kaum, vielmehr standen strategische und demographische Punkte im Zentrum dieser Ideen. In den ersten zehn Jahren nach dem Sechstagekrieg gab es demzufolge, abgesehen von Ostjerusalem,  auch kaum Siedler*innen in Palästina. So lag die Zahl 1977 bei etwa 1200. Nach dem Wahlsieg des rechtszionistischen Likud im gleichen Jahr stieg die Zahl dagegen deutlich an auf zwischen 22.000 und 30.000.

Die genannten ersten beiden Motivationen sind heute kaum noch zu hören, weder in der politischen Landschaft in Israel, geschweige denn unter den israelischen Siedler*innen. Der überwiegende Teil der Siedler*innen und ihrer politischen Antreiber*innen argumentiert weder strategisch noch militärisch. Die dominante Motivation scheint heute eine vermeintlich historische bzw. religiöse zu sein, dabei geht es vor allem um das sogenannte «Eretz Israel», welches erobert werden und damit der Staat Palästina zerstört werden müsse. Dies führte zu einem massiven Anstieg der von der Regierung wie auch den von rechten und religiösen Bewegungen gegründeten Siedlungen. So legte die damalige Likud-Regierung in ihrem «Master Plan and Development Plan for Settlement in Samaria and Judea» detailliert dar, wie sie Palästinenser*innen vertreiben, jüdisches Land erobern und damit eine historische Aufgabe erfüllen wolle. Die Folge ist ein Anstieg der israelischen Siedler*innen in Palästina auf inzwischen über 700.000. Diese Zahl dürfte mit der kommenden Koalition, in der die «religiösen Zionisten» (ein Bündnis, das sich vor allem aus rechtsradikalen Siedleraktivist*innen rekrutiert) prägend sind, noch weiter ansteigen. Dass ausgerechnet jene Partei eine Art Staatssekretär bekommt, der sich um die Sicherheit der Siedlungen kümmert, zeigt sehr deutlich, wohin die Reise geht.

Die Folgen dieser massiven Zunahme des Siedlungsbaus und der Siedler*innen sind gravierend, sowohl für die Existenz des Staats Palästina, als auch für das Überleben der Menschen in Palästina. Denn mit den Siedler*innen gehen nicht nur Angriffe auf palästinensische Zivilist*innen einher, sondern auch eine Zerstörung der Existenzgrundlage der Palästinenser*innen, vor allem in der Landwirtschaft.

Siedlungen und Gewalt

Alle israelischen Siedlungen auf palästinensischem Land sind nach internationalem Recht illegal, unabhängig davon, welche Motivation zu ihrer Gründung führte. So heißt es in Artikel 49, Absatz 6 der Genfer Konvention: «Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.» Und selbst der israelische oberste Gerichtshof erklärt israelische Siedlungen für illegitim, wenn sie auf Land errichtet wurden, das in palästinensischem Privatbesitz war – nicht allerdings, wenn Siedlungen auf palästinensischem Land liegen, das nicht im Privatbesitz ist. Doch die immer stärker werdende israelische Rechte interessiert sich noch weniger als andere israelische Kräfte für Menschenrechte und internationale Entscheidungen und sorgt durchgehend für eine Erhöhung der Anzahl der israelischen Siedlungen wie auch der Zahl der Siedler*innen. Damit geht auch die immer größere Annexion von palästinensischem Land einher. Laut der israelischen Menschenrechtsorganisation BˈTselem sind es inzwischen ca. 2 Millionen Dunam (200.000 Hektar), die vom israelischen Staat annektiert wurden.

Mit dem stärker werdenden Einfluss der israelischen Rechten nimmt nicht nur die Zahl der Siedlungen zu, auch die Angriffe auf die palästinensische Zivilbevölkerung und ihr Eigentum werden mehr und härter. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten diese im vergangenen Jahr, als israelische Siedler das palästinensische Dorf Al Mukhtar in der Nähe von Hebron an einem jüdischen Feiertag angriffen und die palästinensischen Bewohner*innen mit Äxten, Messern und anderen Hieb- und Stichwaffen schwer verletzten. Dabei filmten sie sich teilweise sogar, weil sie für ihre Verbrechen kaum Konsequenzen zu fürchten hatten. Theoretisch würde für Verbrechen durch Siedler*innen die Militärgerichtsbarkeit gelten, doch es ist äußerst selten, dass Anzeigen durch Palästinenser*innen überhaupt weiterverfolgt werden, und noch deutlich seltener, dass es zu Haftstrafen kommt. Die israelische Organisation Yesh Din, die unter anderem Siedler*innengewalt dokumentiert, berichtete im Jahr 2020, dass in den letzten 15 Jahren 91 Prozent aller Anzeigen nicht verfolgt wurden, von den 1200 untersuchten Fällen kam es in nur 100 Fällen zur Anklage.

Der beschriebene Übergriff führte in Israel zwar zu einer kurzen und regen Debatte über Siedler*innengewalt, änderte aber letztendlich nichts am Verhalten der Siedler*innen. Im Gegenteil, nie war die Anzahl der Angriffe so hoch wie in diesem Jahr vor den israelischen Wahlen, innerhalb von 10 Tagen kam es zu mindestens 100 Angriffen. Die Ursache liegt im Aufstieg der rechtsradikalen kahanistischen «religiösen Zionisten», die Verständnis für Angriffe äußern und sie aktiv befeuern, und deren Spitzenkandidat Itamar Ben-Gvir, ein Siedler der Siedlung Kiryat Arba, den israelischen Siedler und Massenmörder Baruch Goldstein offen bewundert.

Ein Großteil der Angriffe galt der palästinensischen Zivilbevölkerung, doch etliche wurden auch gezielt auf Olivenhaine und die palästinensische Landwirtschaft durchgeführt.

Olivenhaine – Zwischen Arbeit und Kultur

Zwischen 10 und 15 der erwerbstätigen Bevölkerung Palästinas arbeiten in der Landwirtschaft. Die wichtigste Ressource in diesem Bereich sind Oliven, sie haben für die palästinensische Bevölkerung sowohl eine enorme wirtschaftliche als auch kulturelle Bedeutung. 47,1 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Westjordanland werden zum Anbau von Oliven genutzt, ein großer Teil der Beschäftigten in der Landwirtschaft arbeiten als Erntehelfer*innen auf Olivenhainen. Das geerntete Produkt wird dabei nicht nur in Palästina verkauft, sondern stellt auch eines der wichtigsten Exportgüter dar. Auch im industriellen Sektor Palästinas haben Olivenhaine eine wichtige Bedeutung, zum einen als Weiterverarbeitungsgut für Olivenhölzer, ein gerade unter Tourist*innen beliebtes Mitbringsel, und bei Olivenöl, das ebenfalls eines der wichtigsten Exportgüter darstellt. «Die Olivenölindustrie macht rund 20 Prozent der nationalen Gesamtproduktion Palästinas und mehr als 5 Prozent seines Bruttosozialproduktes aus,» wie der Ökumenische Rat der Kirchen zusammenfasst, der 2020 zur Solidarität mit dem palästinensischen Volk und insbesondere zur Unterstützung bei der Olivenernte und zu deren Schutz aufrief.

Die Bedeutung der Olivenhaine ist nicht nur wirtschaftlicher Natur, sie haben auch eine immense kulturelle Bedeutung. Denn zum einen ist der Zweig des Olivenbaums weltweit ein Zeichen für Frieden, eine Hoffnung, die in Palästina immer kleiner wird, zum anderen stehen die teilweise mehrere tausend Jahre alten Olivenbäume in der palästinensischen Kultur als Sinnbild für die Verwurzelung im Land und als Zeichen, dass man sich trotz aller Widrigkeiten nicht vertreiben lässt. Ihre Existenz wird somit auch direkt in Beziehung zur eigenen Existenz gesetzt.

Doch die Bedeutung der Olivenhaine ist nicht nur für Palästinenser*innen groß, sie sind damit auch zentrale Angriffsziele für israelische Siedler*innen. Schätzungen gehen davon aus, dass seit dem Bau der ersten israelischen Siedlungen im Westjordanland und der Besatzung 1967 mindestens zwei Millionen Olivenbäume durch israelische Siedler*innen und Militärs zerstört wurden. Eine Zahl, die kontinuierlich steigt, so wurden 2021 alleine in der ersten Erntewoche mindestens 1400 Olivenbäume zerstört, und das, obwohl immer mehr internationale Aktivist*innen und selbst israelische Rabbis sich vor die Olivenbäume stellen, um diese zu schützen. Dabei werden diese Menschen, die sich als menschliche Schutzschilde vor die olivenerntenden Palästinenser*innen stellen, häufig selbst Opfer der Gewalt, doch sie überleben diese Angriffe meist – anders als mindestens 50 palästinensische Bäuerinnen und Bauern seit dem Beginn der 2000er Jahre.

Die Zunahme der Gewalt ist, ebenso wie die Zunahme der Anzahl der Siedler*innen, eine Folge des Erstarkens der Rechten in Israel. Das israelische Militär, das offiziell gegen diese Gewalttaten durch Siedler*innen vorgehen soll, ist bei mindestens einem Drittel der Angriffe auf Palästinenser*innen und deren Eigentum vor Ort und meistens passiv, manchmal unterstützen sie gar die Angriffe, wie BˈTselem recherchiert hat.

Siedlungen und der ungleiche Zugang zu Wasser

Es sind nicht nur die direkten Angriffe auf Palästinenser*innen, auf ihre Landwirtschaft und ihre Häuser, die eine Gefahr infolge der Zunahme der Siedlungen darstellen, insbesondere der Wassermangel wird durch den Siedlungsbau verschärft. So kontrolliert Israel nahezu den kompletten Wasserzugang in der Region. Die Folge: «Schätzungsweise 660 000 Palästinenser*innen im Westjordanland [haben] nur begrenzten Zugang zu Wasser, rund 420 000 Personen verbrauchen im Durchschnitt weniger als 50 Liter pro Tag und Kopf, was weit unter den von der WHO empfohlenen 100 Litern liegt.» Während Palästinenser*innen teilweise nicht wissen, woher das Wasser kommen soll, das sie für sich selbst oder ihre Landwirtschaft benötigen, verfügen israelische Siedler*innen über keinerlei Probleme beim Zugang zu Wasser. Die Leitungen, die durch Palästina gehen, um die illegalen Siedlungen auf palästinensischem Land zu versorgen, dürfen von den Palästinenser*innen nur äußerst selten verwendet werden, und wenn, dann kostet sie das Wasser bis zu acht Mal mehr und das bei deutlichen niedrigeren Einkommen.

Siedlungen fördern Gewalt, Armut und zerstören Hoffnungen

Die Zunahme und der Ausbau der israelischen Siedlungen und die immer größer werdende Zahl an israelischen Siedler*innen stellt eine immense Bedrohung dar: für die letzten Hoffnungen auf Frieden, für die palästinensische Zivilbevölkerung, für einen überlebensfähigen palästinensischen Staat und für jeden Versuch des Aufbaus einer funktionsfähigen palästinensischen Landwirtschaft.

Diese Bedrohung ist inzwischen selbst im US-Außenministerium angekommen. So erklärte der US-Außenminister Anthony Blinken: «Wir werden uns auch weiterhin unmissverständlich allen Handlungen entgegenstellen, die die Aussichten auf eine Zwei-Staaten-Lösung untergraben.» Dazu zählt er unter anderem «die Ausweitung von Siedlungen, Bestrebungen zur Annexion des Westjordanlandes, die Beeinträchtigung des historischen Status quo der heiligen Stätten, Abrisse (von Häusern) und Zwangsräumungen sowie die Anstachelung zur Gewalt». Die Worte von Blinken fallen zwar hinter geltendes internationales Recht zurück, welches alle Siedlungen als rechtswidrig betrachtet, doch sind sie für einen US-Außenminister überraschend deutlich. Entscheidend ist allerdings nicht nur, wie die Worte gewählt werden, sondern ob es gelingt, den Druck soweit zu erhöhen, dass nicht nur Siedlungsbau und Gewalt durch Siedler*innen gestoppt werden, sondern, dass die Siedlungen schrittweise zurückgebaut werden, denn sie verhindern jede Chance auf Frieden.

Ob dies allerdings geschehen wird, ist mehr als zweifelhaft, wahrscheinlicher ist das Gegenteil. Denn die Verantwortung dieser Regierung für die Sicherheit der Siedlungen bedeutet vor allem, dass gewalttätige Siedler*innen sich weiterhin sicher fühlen können.

Quelle: rosalux.de… vom 2. Januar 2023

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