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Die Eskalation des USA-Iran-Konflikts

Eingereicht on 8. Januar 2020 – 9:20

Maurizio Coppola & Evrim Muştu. Die Ermordung des Generalmajors und Kommandeurs der al-Quds Eliteeinheiten des iranischen Regimes, Qasem Soleimani, ist nach US-Präsident Donald Trump eine Reaktion auf die Angriffe der pro-iranischen Milizen auf die US-amerikanische Botschaft Ende Dezember in Bagdad. In seiner Stellungnahme ließ Trump zudem verlauten, dass es sich bei dem Drohnenangriff – wie damals bei der Ermordung Bin Ladens unter Obama – um einen defensiven Akt seiner Regierung gehandelt hätte. Wie immer besteht die Möglichkeit, dass es sich einmal mehr um reinen Zynismus Trump‘scher Art handelt, mit dem er der Weltöffentlichkeit einmal mehr ins Gesicht lügt – oder aber, diese Erklärung ist ernst gemeint und der Angriff als Teil einer erweiterten Defensivstrategie zu interpretieren. Zweiteres bedarf unserer Meinung nach einer genaueren Erläuterung: Als solcher wäre der Angriff nämlich ein Fall „aktiver Verteidigung“, der es den USA in der gegenwärtigen Phase des Konflikts mit dem Iran erlauben würde, bestimmend zu bleiben. Aus der Defensive kann dem Feind schmerzhafter Schaden zugefügt werden, ohne die moralischen Nachteile eines direkten Angriffs tragen zu müssen – klarer Vorteil gegenüber einem Frontalangriff. Es ist damit zu rechnen, dass entweder die Strategie aktiver Verteidigung mit stärkerem Nachdruck verfolgt wird, oder aber die Bedingungen für einen Übergang zu einer direkten, unverhüllten Offensive erwirkt werden; beides Wege, um die Position der USA im Konflikt mit dem Iran massiv zu stärken. Dass Präsident Trump für diese Strategie nicht einmal mehr parlamentarisch legitimiert werden muss, wurde schon Ende Juni 2019 entschieden: In der damaligen Phase der Eskalation bestätigte der US-Senat den Vorschlag Trumps, auch ohne Erlaubnis des Kongresses den Iran angreifen zu können.

Der Konflikt zwischen den USA und dem Iran im Irak

Dass die iranische Führung nach der Ermordung Soleimanis zum Gegenschlag ausholen wird, steht außer Frage. Es geht darum zu verstehen, wo und wie sie dazu ansetzen wird. Der Iran ist in jeder Hinsicht die militärisch schwächere Partei und muss strategisch mit seinen Kapazitäten umgehen. Wenn er zuschlagen will, muss er das dort tun, wo er stärker aufgestellt ist als die USA. Und das ist im Irak.

Dass der Iran seinen Einfluss im Irak im Zuge der US-Invasion und der damit einhergehenden Zerschlagung des irakischen Staates kontinuierlich ausweiten konnte, ist zutiefst paradox. Denn es waren schiitisch-politische Oppositionsgruppen mit guten Beziehungen zum iranischen Regime, die aufgrund der Unfähigkeit der westlichen Besatzungsmächte, das Land zu stabilisieren, direkt vom Exil ins Zentrum der politischen Macht in Bagdad katapultiert wurden. Ihre Loyalität zur Islamischen Republik haben sie dabei nie vergessen. Aufgrund der latent instabilen Lage des Iraks war klar, dass die USA und der Iran sich irgendwann hier begegnen werden. Der Zusammenstoß war also nur eine Frage der Zeit.

Dass es jedoch genau jetzt passiert hat verschiedene Gründe. Die Position des Irans im Irak – vertreten bis dato durch Soleimani – ist, aufgrund der seit nun schon über drei Monate anhaltenden Massenproteste gegen alle herrschenden politischen Kräfte und das allgemeine Elend großer Bevölkerungsteile, so schwach wie nie zuvor. Die Protestierenden machten keinen Hehl daraus, dass sie sich über den schwerwiegenden Einfluss des Irans im Klaren sind, weshalb die Proteste nicht selten stark anti-iranischen Charakter annahmen. Soleimani bestätigte die Stärke der Proteste seinerseits durch sein Agieren in der Vermittlerrolle im krisengerüttelten irakischen Machtblock und durch seine abschätzigen Kommentare zum Aufstand der Massen, denen gegenüber „man kein Zeichen der Schwäche zeigen“ dürfe.

Trotz aller vordergründigen Sesselwechsel und Reformen, die seitens des herrschenden Blockes im Irak als Konzessionen in Gang gesetzt wurden, war kurz- und mittelfristig kein Abebben der Proteste zu erwarten. Inbesondere, weil sich vor dem Hintergrund des gemeinsamen Kampfes auch hier solidarische Strukturen und neue informelle Netzwerke zu formieren begonnen haben, die die Proteste unterstützen. Zudem haben die Protestierenden die defensive Reaktion, die Konzessionen und leeren Versprechen der Regierung als Teilsieg interpretiert, was ihren Kampfgeist eher stärkt als schwächt. Schließlich handelt es sich bei den Protestierenden noch immer um Menschen, deren Hoffnung sich aus einer Ohnmacht und Perspektivlosigkeit speist, deren Standpunkt also „alles oder nichts“ ist. Folglich glauben sie nicht mehr daran, dass die Sackgasse, in der der herrschende Block im Irak steckt, mit Reformen zu überwinden ist.

 

Erinnerungsstätte an „Gefallene der Revolution“ in Bagdad. Quelle:#keep_your_conflicts_away_from_iraq“ (2020-01-06)

Offensichtlich wollten Trump und seine Regierung die Gunst der Stunde nutzen, um dem Iran und seinen militärischen und politischen Verbündeten im Irak einen harten Schlag zuzufügen. Dabei spekulierten sie wohl auf das alte Mantra, dass der „Feind meines Feindes mein Freund“ sei: So twitterte Außenminister Mike Pompeo ein Video, auf dem Protestierende zu sehen sind, die kurz nach der Ermordung Soleimanis und seiner rechten Hand im Irak, dem langjährigen Milizenführer der Kata’ib Hezbollah Abu Mahdi al-Muhandis (aber auch vieler weiterer Kader), freudig durch die Straßen zogen.

Auch wenn dieses Ereignis aus Sicht der Protestierenden sehr wohl ein Grund zur Freunde darstellt, erklärten lokale Quellen dem re:volt magazine gegenüber, dass dieser ersten Freudenanfall über den Tod Soleimanis schnell eingedämmt wurde: Vor allem aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der „Wohltäterin“ um die USA handelte. Vielen Aktivist*innen ist klar, dass diese gewiss viele Interessen verfolgen, aber sicher nicht diejenigen, für die die Protestbewegung einsteht. Diese allgemeine und nicht überraschende Skepsis der Protestierenden gegenüber den USA wird die Bewegung in eine Position der doppelten Opposition gegen die USA und gegen den Iran drängen und die Position der USA – angesichts ihrer geographisch-militärischen Isoliertheit – schwächen.

Gegenschlag des Iran und seiner Verbündeten irakischen Kräfte

Ist die Islamische Republik aber tatsächlich in der Lage, in eine kriegerische Auseinandersetzung mit den USA zu treten? Zunächst einmal sind die ökonomischen Grundlagen dafür äußerst knapp: Aufgrund der von Saudi-Arabien diktierten gemäßigten Erdölpreispolitik und der westlichen Sanktionspolitik tendiert der Iran zurzeit dazu, sein Erdöl den ostasiatischen Ländern zu Tiefstpreisen zu verkaufen. Die sinkenden Öleinnahmen werden zudem von einer hohen Inflationsrate begleitet. Gleichzeitig wurde während den iranischen Protesten im November 2019 die Kritik laut, das iranische Regime verschwende die sinkenden Öleinnahmen in der Finanzierung seiner Auslandsinterventionen in Syrien, im Libanon, in Palästina und im Irak. Dahinter stand weniger eine anti-arabische Haltung der iranischen Protestierenden, als vielmehr eine fundamentale Skepsis gegenüber dem Nutzen der iranischen Außenpolitik für die Interessen der iranischen popularen Klassen. Ob sich das iranische Regime nun also in diesem gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext ein weiteres teures militärische Abenteuer leisten kann, ist zweifelhaft – oder zumindest wäre es eine extreme Gratwanderung für die iranische Führung.

Nichtsdestotrotz muss die iranische Führung ihrer Logik nach auf „angemessene Weise“ reagieren, will sie – angesichts des hochrangigen Verlustes – den USA und seinen regionalen Verbündeten gegenüber nicht das Gesicht verlieren. Die iranische Militärführung ließ bereits verlauten, dass alle Positionen der US-amerikanischen Militärkräfte in der Region erneut registriert worden seien. Wie ein Krieg aussehen könnte, darüber wurde im Zuge der Verschärfung der Sanktionen im Mai des vergangenen Jahres bereits nachgedacht. In jedem Fall wird der Iran das Feld nicht kampflos räumen. Das Ausmaß des Verlusts an politischem und militärischem Einfluss, den sich das Regime in den vergangenen Jahren trotz des Sanktionskrieges und der internationalen Isolierung erarbeitet hat, bestimmt das Schicksal der iranischen Führung.

Perspektiven eines inter-imperialistischen Konfliktes

Trump und seine Regierung plant nun, weitere 3.000 Soldaten in die Region zu entsenden. Aufgrund der herrschenden politischen Krise im Irak ist aber auch eine weitere Schwächung des Iran durchaus zweifelhaft, da die kriegerische Austragung des inter-imperialistischen Konflikts zwischen den USA und dem Iran auf irakischem Boden die Restabilisierung des heute gespaltenen irakischen Blockes aufgrund eines allgemeinen Antiamerikanismus im Irak noch einmal beschleunigen wird. Aufgrund der Ereignisse und dem Druck aus Teheran hat das irakische Parlament in einer dringlichen Sitzung zusammengefunden, um Maßnahmen zu treffen, der Präsenz der USA im Irak ein Ende zu setzten. Das ist politisch gesehen oberstes Ziel der iranisch-irakischen Front. Ganz in dieser Absicht hat der bekannte schiitische Leader Muqtada al-Sadr derweil dem Iran sein Beileid ausgesprochen und verlauten lassen, dass er den Irak militärisch verteidigen werde.

Auf Seiten der USA spielen die, in rund zehn Monaten stattfindenden, 46. Präsidentschaftswahlen ebenfalls eine zentrale Rolle. Es ist bekannt, dass die Ablenkung von innenpolitischen Widersprüchen oft über die Akzentuierung außenpolitischer Konflikte geschieht. Wenn es allerdings die Absicht Trumps ist, der internen Opposition auf diese Weise den Wind aus den Segeln zu nehmen, könnte sich sein Plan sogar ins Gegenteil verkehren und seiner Wiederwahl schaden: Es fanden schon in über 80 US-Städten erste Demonstrationen gegen Trumps Kriegspolitik im Nahen Osten statt. Ironischerweise war es vor acht Jahren gerade Trump, der Obama vorgeworfen hatte, den Iran angreifen zu wollen, um wiedergewählt zu werden.

Auswirkungen auf die irakische Protestbewegung

Die Belagerung der amerikanischen Botschaft und die Tötung Soleimanis hat die soziale Protestbewegung komplett in den Schatten gestellt. Wurde in den irakischen Zeitungen noch vor einer Woche täglich über die Besetzung des Tahrir-Platzes und über die Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und dem Ende des sektiererischen politischen Systems berichtet, geht es heute nur noch um den Konflikt zwischen den USA und den iranischen und pro-iranischen Milizen im Land selbst. Eine Austragung dieses Konfliktes auf irakischem Boden wird die dominanten Konfliktlinien im Irak und in der gesamten Region verschieben und die emanzipatorischen Proteste im Nahen Osten und in Nordafrika überschatten.

Auch besteht das Risiko, dass sich die Proteste in einer solchen Situation demobilisieren. Die Protestierenden könnten sich dazu verleiten lassen, die Lösung des politischen Konflikts in der Positionierung auf der einen oder anderen Seite der imperialistischen Barrikade zu sehen. Zudem zahlen soziale Bewegungen nur zu oft den Preis einer Militarisierung des inter-imperialistischen Konflikts; denn kriegerische Auseinandersetzungen zerstören emanzipatorische Prozesse, zivile Infrastruktur und Menschenleben. In der Region gibt es mit Syrien, dem Jemen und Libyen mehrere einschlägige Beispiele dafür. Sowohl im Irak wie auch im Iran passiert dies über eine mögliche Einführung respektive Verschärfungen der Sanktionen – und im Kriegsfall zur Implementierung einer harschen Rationierungspolitik.

Angesichts der Gefahr einer beschleunigten Eskalation und einer Intensivierung des Konflikts besteht die einzige Möglichkeit darin, den emanzipativen Kampf der protestierenden Massen in der Region aufrechtzuerhalten. Das ist allerdings nur möglich, wenn die Mobilisierung gesteigert und internationalisiert und die Position der doppelten Opposition – gegen die herrschenden Regime und gegen einen inter-imperialistischen Krieg – aufrechterhalten wird.

Quelle: revoltmag.org… vom 8. Januar 2020

 

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